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Nr. 12.
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Vorwärts
9. Jahrg.
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Redaktion: Beuth- Straße 2.
Mach den Bankiers
die Geistlichen-
Freitag, den 15. Januar 1892.
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Expedition: Beuth- Straße 3.
,, das üppige Leben der reichen Bauern"- nebenbei auch eine vor Allem dazu berufen, die Verschiedenheit der bürgerlichen hübsche Illustration zum konservativen Liede von der Nothlage Moral in Wort und That auf ihre Unhaltbarkeit hin zu der Landwirthschaft"!- die Geistlichen vorzugsweise in Olden- erproben. Und die Arbeiterbewegung erkennt in den Verburg mit den Gesetzen auf so arge Weise in Konflikt legenheiten, welche sie der Bourgeoisie bereiten, nur symptoso lautet die Reihenfolge für diejenigen bürgerlichen Stände, brächte. Bei dem neuesten Prachtexemplar dieser Gattung matische Vorgänge. bie fich neuerdings bemühen, der Arbeiterwelt die Verfault von Geistlichen trifft dies nun schon nicht zu, da derselbe in Wenn dann einsichtige Geistliche mit der Offenheit und heit ihrer Gesellschaft recht drastisch vor Augen zu führen. einer einfachen Gegend lebte, das gesteht der Reichsbote" Ehrlichkeit, die wir oben schon an einzelnen derselben Und bei den Skandalgeschichten der Geistlichen, welche neuer- selbst ein; jener Grund ist aber überhaupt weder äußerlich rühmten, konsequent zu denken verstehen und, wie jetzt in dings die Spalten auch der bürgerlichen Blätter füllen, helfen noch innerlich richtig. Erstens kommen auch außerhalb der der Allg. Konserv. Monatsschrift", zu dem Schlusse kommen, zur recht genauen Feststellung des Thatbestandes zwei Um- reichen Bauerngegenden fortlaufend geistliche Skandale vor. daß der Kern des sozialdemokratischen Programms richtig stände mit, welche beim Bekanntwerden der vielen Bankier- In diesen Tagen lasen wir erst wieder zwei aus Thüringen , sei" und nur eine gründliche Neuordnung der Gesellschaft betrügereien der letzten Zeit fehlten. Einmal ist der libe- von denen der eine lautete:" Am Mittwoch Abend ist in durch sozialistische Maßregeln"( Vergesellschaftung der ralen freibenkerischen Bourgeoisie das Vergnügen an der Gotha , wie das dortige Tageblatt" meldet, der Pfarrer Produktionsmittel) helfen könne, dann schreien eingefleischte Kritit firchlicher Einrichtungen und Personen doch noch von Tüngeda , Namens Ruge, der sich dort zum Besuch auf: Bourgeoisblätter wie die„ Magdeburger Beitung", Beter nicht ganz abhanden gekommen, namentlich wenn es nicht gehalten hatte, hinter Schloß und Riegel gebracht worden, weil und Mordio und rufen nach einer schleunigen„ Ausscheidung" gilt, bie Arbeiter mit der Kirchenruthe zu zähmen; und er im Verdacht steht, ein Dienstmädchen aus seinem Ort zum dieser Elemente". Als wenn sich nicht in den fortgesetten andererseits kann einzelnen kirchlichen Streifen und Blättern Meineid verleitet zu haben." Bermuthlich dreht es sich hier geistlichen Standalen eine für die Bourgeoisie noch viel ein ehrliches Streben nach Selbsterkenntniß, das der libe- um die Zahlung von Alimenten und ein Sittlichkeits- blamablere Ausscheidung" des moralischen Eiters vollzöge, ralen Bourgeoisie ganz fehlt, nicht abgesprochen werden. standälchen nebenbei, zu dessen Vertuschung dem frommen den sie auch im Geistlichenstande fortwährend neu erzeugt! Dieses Streben führt jene Kreise dazu, die neuen Standale Herrn die Verleitung zum falschen Anruf des Namens mit mehr Offenheit und Ausführlichkeit zu besprechen, als seines Gottes gerade recht war. Also die Fäulniß im es ihren Klaffeninteressen eigentlich dienlich ist auch so Stande der Geistlichen bricht überall hervor, auch wo ein Kuriosum dieser Zeit der Zersehung und Auflösung! diese nicht mitten unter„ üppigen Bauern" leben. Sodann So giebt der fromme Reichsbote jetzt anläßlich der aber ist die oberflächliche Erklärung dieser sich täglich Politische Itebersicht. Echwindeleien des oldenburger Pastors Müller, über deren mehrenden Standale aus einer bloßen„ Versuchung" innerEinzelheiten der Vorwärts" schon berichtete, ein ganzes lich falsch. Gewiß wirkt die Versuchung nebenbei mit; sie Berlin , den 14. Januar. Sündenregister oldenburgischer Pastoren zum Besten. Er tönnte aber denjenigen bürgerlichen Stand der in Wort und Die gestrige Vehanptung des Herrn v. Bötticher läßt sich aus dem frommen Ländchen schreiben:„ Dem Dämon That berufs mäßig ein leuchtendes Vorbild für moralische als Vertreters der Regierung, daß die Ausschließung sozialthun und über seine Verhältnisse zu leben, sind in den letzten anfangen. Die Geistlichen aller Konfessionen stehen viel- Boykott aufzufassen sei, hat im Reichstag einige VerGeistliche zum Opfer gefallen, indem sie, um diesen Hang welche diese Zeit der bürgerlichen Bersetzung auf die Bour- Verwunderung, wie ein Mann in solcher Stellung eine so befriedigen zu können, sich unrechtmäßiger Weise in den geoisie ausübt, und daher die massenhaften, für die Arbeiter wunderbar subtile, den Kern der Frage gar nicht berührende Besitz ihnen nicht zugehörigen Geldes setten. Der eine von so lehrreichen Skandale. I m Junern jedes Unterscheidung machen konnte. Jene Boykott- Bestimmungen, hnen, Namens Holm, der schon sehr jung eine reich botirte modernen Geistlichen vollzieht sich der falls sie beständen auch das erregte Verwunderung, Stelle im östlichen Holstein erhalten hatte, stellte sich, von Konflikt zwischen der heuchlerischen Moral baß err von Bötticher an der Existenz dieser Gewissensbissen getrieben, selbst dem Gericht und büßt nun der Bourgeoisie Bourgeoisie und ihrer wirklichen Bestimmungen zweifeln konnte gehörten zum Vertragsfeine Strafe im Gefängniß zu Mechten ab, der andere, unmoral und Profitwuth am schärfsten. oder Kontraktverhältniß- meinte der Herr Staatssekretär Wellhausen, wie Holm ein Holsteiner von Geburt, wurde Der Geistliche soll den Saz, daß Armsein selig macht, daß für das Innere. Aber was ist denn Boykott? Einfach feines Amtes entfezt und weilt, wie wir hoffen reuig und die Abkehr von aller Weltluft das wahre Christenthum das planmäßige Bestreben, durch Nichtkauf von Waaren gebeffert, in Amerika . Beide wurden durch das üppige ist, besonders praktisch bethätigen, während die übrige Bour- oder auf sonstige Weise die Existenz eines Individuums zu Leben der reichen Bauern ihrer Gemeinden in Versuchung geoisie genug gethan zu haben glaubt, wenn sie jene Lehren gefährden und es dadurch zu einer Aenderung seines bisgeführt. Dergleichen Versuchungen war Pastor Wilhelm im Munde führt, namentlich gegenüber den Arbeitern herigen Handelns 2c. zu nöthigen. Ob ein Arbeiter durch Müller von Goldenstedt nicht ausgesetzt. Er war der Seel- Aber dabei sehen die Geistlichen den Luxus und Nichtkauf seiner Waare: Arbeitskraft, oder ob ein Bierforger einer kleinen Gemeinde im Münsterland, die sich mit die Verschwendung der besitzenden Klassen, ihrer Auftrag brauer durch Nichtkauf seiner Waare: Bier,„ genöthigt" schweren Opfern seitens der Landeskirche selbständig gemacht geber, und es ist kein Wunder, wenn in ihrem Inneren werden soll, das ist in Bezug auf das entscheidende Merkbatte; das Leben in dortiger Gegend ist einfach und billig." Bitterkeit und Unzufriedenheit aufsteigen über den entfagungs- mal des Boykotts genau dasselbe. Und, wird einmal der Und nun folgt die Schilderung von dem bodenlosen Auf- vollen Dienst, den man ihnen zumuthet. Sie sollen für die Boykott verurtheilt, dann kann es nur als erschwerender wand, den der neueste geistliche Schwindler des Ländchens Bourgeoisie die Tugend auf Erden markiren, und sie sehen, Umstand gelten, wenn er durch den Arbeitsvertrag Oldenburg trieb. daß es ihrer Auftraggeberin im Lafter sehr gut geht. Sie ftipulirt wird, also unter Bedingungen, die dem boykottenden Wenn nun auch an der ehrlichen Mittheilung dieser revoltiren daher, namentlich die geistig weniger Beschränkten Theil ein erdrückendes Uebergewicht über den zu boykottenden blamablen Zustände nichts auszusehen ist, so muß doch sehr unter ihnen, als Deklassirte ihrer Gesellschaft, denen eine Biel welche das fromme Blatt die angeführten Thatsachen zu nicht die geringste Lust verspüren. Auch sie sind also Opfer sehen sucht. Zunächst will es den Eindruck erwecken, als wenn eines ganzen Systems, sogar ausgesuchte Opfer deffelben, aus, während der bürgerliche einigermaßen in Verfall ge
Feuilleton.
Nachdrud verboten.]
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Am Webstuhl der Zeit. Beitgenössischer Roman in 3 Büchern von A. Otto Walster . Siebentes Rapitel. Brüder.
Bist Du da, Bruder?" fragte Letzterer hastig und mit flüsteruder Stimme. Hast Du das Werkzeug mit gebracht?"
" Ich habe es mitgebracht", erwiderte der Ankömmling, ebenso leise, aber, Leberecht, hast Du auch wirklich nichts Böses vor? Gieb mir noch einmal die feste Versicherung." " Ich gebe Dir mein brüderliches Wort, Eugen. Was ich hier unternehmen werde, muß Jedermann verschwiegen bleiben, aber es kann bestehen vor jedem Richterstuhl der
Welt!"
" Du weißt, Leberecht," stellte der junge, kaum siebzehn jährige Bursche mit herzlicher Stimme vor, daß ich auf bez welt Niemand liebe, als unsere arme Mutter, der ich
geben.
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Sicher nicht Be wunderung.
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Der militärische Boykott bildet sich immer mehr
jetzt noch jederzeit thun konntest, erwiderte der Schreiber.„ Ich weiß, daß Euer Beider Existenz von mir abhängt, aber was geschehen muß, das muß geschehen, und darum laß uns keine Beit weiter verlieren. Siehe da!" rief er und öffnete die Thüre zum Kabinet des Dr. Raffmaus. In jenem Schranke müssen alle Fächer geöffnet werden. Die Schlüffel hast Du nach den Wachsabdrücken, die ich Dir gegeben, angefertigt. Während Du das Deffnen besorgst, will ich an der Treppe Wacht halten, und wenn Du Alles geöffnet, lösest Du mich dort ab."
" Bruder, ich vertraue Dir, Gottes Hand sei über uns!" rief der junge Schloffer, indem er mit thränendem Auge den Andern umarmte. Dann riß er sich mit Ungestüm los
Eine Weile noch, nachdem die Andern das Expeditionslokal verlassen, blieb Habicht bei seinem Mittagessen fitzen. leider noch keine Stüße sein kann, und Dich, der Du mein und eilte nach dem Kabinet, während Habicht der Aeltere,
war
"
Eine
Es ist geschehen, das Schloß zum geheimen Fach hat
ihn in das Regal und öffnete dann das Fenster. packte er den Rest seiner Mahlzeit zusammen, schob Mutter und ich, unglücklich werden müßten, wenn Du schwanden dahin', während deren der Schreiber sich vor Die der Schande auf Dich und uns brächteft. Du hast mir gesagt, Aufregung am Treppengeländer festhalten mußte. ich etwas unternehmen sollte, was in dem Augenblicke Viertelstunde war vergangen, da vernahm er die leisen Blick des Guchenben ohne Mühe einen jungen Mann, daß solbringens große Gefahr für uns Beide hätte, daß Schritte des Bruders und seine flüsternde Stimme, welche welcher auf dem jenseitigen Trottoir ruhig dahinschritt. aber etwas Böses damit nicht beabsichtigt sei. Nicht wahr, ihm die Botschaft brachte: Der grünen Schürze nach zu schließen, welche unter einem Leberecht, ich darf mich darauf verlassen, daß es so und dürftigen Rocke hervorkam, wenn selbst das rußige Gesicht nicht anders ist? Ich darf Dir vertrauen bei dieser harten mich aufgehalten, weil ich erst eine Feder zu finden hatte, nicht schon Auskunft gab, mußte er ein Metallarbeiter sein. Prüfung, wie ich Dir immer vertraut habe?" die zu drücken war, ehe das Schloß sich zeigte. Es ist jetzt gegenüberliegenden Häusern, bis er den Kopf des Schreibers| Es waren zwei ganz verschiedenartige Persönlichkeiten, Alles offen. Eile!" bemerkte, der sich nach ihm hinunterneigte. diese beiden Brüder: der Schreiber hager und lang, mit Der Schreiber flog wie der Wind in den Korridor Besonderes wahr Sekunden später stand er Schranke, genommen, verfolgte der junge Arbeiter seinen Weg und welchem das dunkle Auge förmlich glühte, der junge dessen Schäße ihm offen vor Augen lagen. Mit zitternder ers Haus des Dr. Raffmaus gelangte, in deffen Bausflur ſunden Roth auf der rußigen Wange und Augen so klar werthvolle Staatspapiere, Attien und Pfandbriefe buti wie ein wolfenloser Himmel, dem älteren Bruder zu gleichgiltig bei Seite, er suchte bis auf den Boden des Faches und stand dann einen Augenblick still, zitternd, ents Du kannst Dich auf mich verlassen, Eugen, wie Du es bis täuscht, vernichtet.
fich verlor.
deren Thür Habicht bereits geöffnet hatte. Wenige Minuten später trat er in die Schreiberstube, gewendet.