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der Wahlurne und Beherrschung der Massen nicht mehr zu hoffen wagt, neuerdings dahin geht, auf dem Umwege über das Hofparkett an das Steuerruder des Staats zu gelangen. Daher erklärt sich auch das byzantinische Wesen mancher wadelstrümpflerischen Prehorgane. In einem monarchi  - schen Staate, der nicht parlanientarisch regiert wird, stellt die Hof- gesellschaft die Kreise dar. aus denen sich' die Leiter des Staats- ivesens immer neu rekrutieren. Bis jetzt überwog in der Hofgesellschaft das oft elbische Landjunkertum; es würde auch in der Politik bald bemerkbar werden, wenn an dessen Stelle die Finanzaristokratie des Tier- gartenviertels träte. Man giebt ftch ja eine ge- waltige Mühe, um gesellschaftlich aufzurücken, besonders die Damen sehen im Hofleben das reine Paradies. Einerseits kann man diese Leidenschast menschlicher Eitelkeit nur belächeln, anderseits dürfte es eine große Wendung bedeuten, wenn die Quitzows, Köckeritze und Jtzenplitze durch die v. Schulze, u. Müller und v. Cohn ersetzt würden. Auf einmal wird das ja nicht kommen, aber augenscheinlich bahnt ftch eineAuffrischung" langsam an. Die neue Aristokratie, welche den Kohlenhammer und den Stab Merkurs   im Wappen führt, hat sich schon in mancher Beziehung einflußreich gezeigt. Aber bald dürfte das noch beut- licher werden; die neue Sonne derWeltpolitik" wird wohl zu- nächst in Deutschland   selbst ihre Früchte reifen lassen." Auch der Hof trägt eben der Entwicklung vom Agrar- zum In- dustriestaat Rechnung I_ Chronik der MajestätSbeleidigungS- Prozesse. Bon der Strafkammer in O st r o w o wurde ein Arbeiter ans Jaskulki bei Ostrowo   wegen Majestätsbeleidigung zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Bon der Strafkammer Posen wurde der Arbeiter Vincent Gromacki aus Posen wegen einer in einem Wirtshause begangenen Majestätsbeleidigung zu einem Jahre Gefängnis venirteilt.' Die Strafe wurde so hoch bemessen, weil der Angeklagte selbst Soldat gewesen ist. Der frühere Unteroffizier, jetzige Arbeiter U b i n g von Essen   soll den Kaiser, die kaiserliche Familie und den Herrgott beleidigt haben. Dieserhalb hatte er sich vor der Essener Strafkammer zu verantworten. Die unter Ausschluß der Oeffentlichkeit geführte Ver- Handlung endete mit Freisprechung des Angeklagten, weil das ärztliche Gutachten auf Geistesschwäche lautete. Solche Tinge kommen überall vor. Der Gouverneur von Deutsch-Ostafrika Herr v. Liebert hat sich kürzlich im Stutt- garter Kelonialverein gegen die Angriffe des Herrn Dr. Hans Wagner den er' übrigens verklagen will ver- teidigt. Er sagte u. a.: Die falsche Nachricht von der angeblichen Niedermetzelung von 2000 Menschen aus Anlaß der Eintreibung der Hüttensteuer ist vielleicht dadurch entstanden, daß an Weihnachte» im vorigen Jahre der Hauptmann Johannes, der durch seine Milde und Liebenswürdigkeit in der ganzen Kolonie bekannt ist, eine Strafexpedition unternehmen muhte. Unsre Station Mosst sollte von einem Negerstamme überfallen werden, bei dem es Sitte ist, daß die jungen Leute nur heiraten dürfen, wenn sie vorher einen Raubzug unternommen haben. Das Komplott kam dadurch heraus, daß ein eingeborener Unteroffizier das Gespräch einiger Häuptlinge im Busch belauschte. Es ivurden bei dieser Expedition einige Hundert Menschen nieder- gemacht. Solche Dinge kommen überall vor, Ivo Kultur und Unkultur zusammenstoßen. Das Vorgehen des Haupt- inannS Johannes kann ich unbedingt vertreten. Wenn wir angegriffen werden, so müssen wir' uns wehren. Gegenüber den gegen mich erhobenen Anschuldigungen habe ich ein absolut reines Gewissen; ich bin sehr neugierig, wie der betreffende Herr seine Angaben vor Gericht beweisen will." Angegriffen sind die Deutschen   aber ja noch gar nicht worden, sondern es war von den Negern angeblich nur beabsichtigt; vielleicht wäre der Angriff ganz unterblieben. Aber andernfalls hätte Herr Liebert wohl auch nicht den milden und liebenswürdigen Herrn Johannes gesandt, der es bei der Niedermachung von nur einigen Hundert Menschen bewenden läßt. Keine Anarchistenkonfererenz? Wien  , 19. Oktober. Die »Politische Korrespondenz  " erfährt aus Rom. die Nachricht vom baldigen Zusammentritt einer Anti-Anarchistenkoi�erenz sei verfrüht, da positive Beschlüsse der Kabinette hierüber bisher nicht vorlägen. Ausland. Gin galizischer Prozeß. Man schreibt uns aus Wien  , 18. Oktober: Genosse DaszynSki   ist gestern vom Krakauer LandeSgericht zu zehn Wochen st rengen Arrest verurteilt worden. Socialdemokraten sind Anklagen und Verurteilungen gewöhnt und eine Strafe von LVe Monaten wird in Deutschland,  ' wo die Straffucht geradezu Orgien feiert, nicht gerade viel Auffehen erregen. Trotzdem verdient der Prozeß auch außerhalb des unglücklichen Galiziens   Be- achtung; er ist einer der unverschämtesten Tendenzprozesse, der jemals vor einem Gericht verhandelt worden ist. Die Anklage gegen Das- zhnski lautete auf das Vergehen des Auflaufs; er soll.' wie das Strafgesetzbuch sagt,»mehrere Personen zur Widersetzung gegen eine im Amte befindliche obrigkeitliche Person aufgefordert haben". Diese Unthat hat nun Daszynski   im Theater begangen! Am 15. Juni 1897, vor mehr als drei Jahren, spielte man'in einem obskuren Theater in Krakau   einStück" unter dem vielsagenden Titel:»Die Volksverführer". Der Verfasser desStücks" ist der Krakauer O b e rsta ats a n w a l t Kolitowski, und seinWerk" ist eine unverschämte Verhöhnung des kurz vorher gewählten Ab- geordneten der Stadt, eben des Genossen Daszynski  . Die Direktion der städtischen Bühne weigerte sich, das ordinäre Tendenzstück auf- zuführen, ebenso ein katholischer Verein, der zu Daszynski   in schroffer Gegnerschaft steht. Endlich setzte der Bezirkshauptmann von Krakau   die Aufführung am Sommertheater durch. In dem Stück" spielt die Hauptrolle ein Socialdemokrat, der die Bauern zum Diebstahl aufreizt. Der Darsteller er- schien nun in der täuschend nachgeahmten MaSke DaSzhnSki'Sl Nun vergesse man nicht, daß Daszynski   vier Monate vorher von 22000 Wählen, zum Abgeordneten von Krakau  gewählt worden war, und man versieht, welche Infamie hier unter der liebevollen Förderung der politischen und richterlichen Beamten begangen worden war. Die im Theater anwesenden Socialdemo- kraten, darunter auch Daszynski  , protestieren selbstverständlich gegen diese gemeine Schamlosigkeit, und das Subjekt vonDichter" wird von ihnen mit ingrimmigen Zurufen gekennzeichnet. Sofort ist Polizei da, sie verhastet sieben Genossen, durchwegs Männer, die im Vordergründe der Bewegung in Krakau   stehen. Sie werden am andern Tagewegen polizeiwidrigen Verhaltens an öffentlichen Versammlungsorten" der östreichische grobe Unfug polizeilich bestraft. Daszynski   erhält die höchste zulässige Strafe; vierzehn Tage Polizei-Arrest. Damit begnügt man sich aber in Krakau   nicht; nach der Polizei tritt der Staatsanwalt in Aktion. AlleDemonstranten" werden wegen Auflaufs angeklagt, und vom Gericht programmmäßig zu hohen Strafen venirteilt. Wie hier alles Tendenz und Willkur ist, zeigt die Thaffache, daß der oberste Gerichtshof, an den die Sache mittels einer Nichtigkeitsbeschwerde kam, die ausgesprochene Strafe auf die Hälfte her abminderte. Der Prozeß gegen Daszynski  wird mit Absicht verschleppt. Der Reichsrat war zwar damals ge- schlössen, der Abgeordnete war also gar nicht immun, und ler ist noch dreimal geschlossen worden, ehe die Auflösung kam, aber man wartete mit Absicht bis jetzt, um Daszynsky ivährend der Wahlbewegung unschädlich zu machen. Nach vierzig Monaten kommt es endlich zu Verhandlung; natürlich erinnern sich die von der Auflage geführten Zeugen trotz der langen Frist auf jedes Detail. Die von der Verteidigung geführten Zeugen«erven vom Gericht nicht zugelassen, die Strafe wird ungewöhnlich hock be- messen. Aber alle diese Seltsamkeiten derdichtende" Ober- staatsanwalt, der Bezirkshauptmann, der die Aufführung des Sudelstücks erzwang, die zweimalige Bestrafung wegen einer Sache, die späte Durchführung des Prozesses, die ungewöhnlich hohe Strafe all diese Merkmale eines Tendenzprozesses sind noch nichts gegen die Begründung, aus der heraus das Gericht die Verurteilung aussprach. Es ist ein Schulbeispiel für den berüchtigten dolus svsntualis. Das Gesetz stellt die Merkmale des Delikts dahin auf, daß zur Widersetzung aufgefordert werden müsse, also nicht, daß sie etwa hervorgerufen, indirekt bewirkt worden sei. Daß Daszynski  aufgefordert hätte, sich der Matznahmen der im Theater er- schien'enen Polizisten zu widersetzen, das behauptet nicht einmal die Anklage, sondern er soll seineP r i v a t m e i n u n g" über das Stück nämlich seine Entrüstung über die freche Berunglimpstmg seiner Partei und seiner Person I so laut geäußert haben, daß dadurch die übrigen Demonstranten in ihrem Widersprucher- mutigt worden seien". Also das Subjekt von einem Dichter" kann die Socialdemokratie verhöhnen, den Ab- geordneten der Stadt als ordinären Diebsgesellen hinstellen; äußert aber der Beschimpfte über das Pamphlet seinePrivat- Meinung", wird er auf zehn Wochen bei Arrestantenkost eingesperrt! Dann sage man, daß man in Oestreich für die litterarische' Thätig- keit nichts thut. So hoch geehrt wie der Oberstaatsanwalt als Dichter ist noch kein Poet worden. Die Leute, denen sein Stück nicht gefiel, sind alle in den Kerker geworfen worden! Der Prozeß ist ein Rachewerk, zu dem die Krakauer Behörden der Bezirkshauptmann, der Staatsanwalt und die Richter sich vereinigt haben, um an dem verhaßten Socialdemokraten ihr Mütchen zu kühlen. Wir zweifeln nicht, daß man im Justizministerium in Wien   über den Prozeß und seine Werkzeuge ebenso denkt und urteilt wie bei allen anständigen Leuten. Aber das ist ja eben das Merkwürdige an diesem Oestreich: die lokalen Clique» und Gesetz- brecher sind mächtiger als alle Minister. Wien   ist weit, und so wirtschaften die Schlachzizen in Galizien   wie einst, als sie despotisch das Regiment führten. Das Gericht ist das Werkzeug persönlicher Rache: daS ist eben galizische Justiz! Militärjnstiz. Paris  , 18. Oktober. Die Militärjustiz bleibt ihrer Mission treu, die darin besieht, im Dienste derAnnee-Ehre" alle Rechtsbegriffe mit Füßen zu treten. Die Verhandlung bor dem Militärgericht von Bourges   in Sachen der Metzelei von Chalon war in allem und jedem ein treues Konterfei der militärgerichtlichen Esterhazy- und Dreyfus-Prozesse. Nur daß dieArmee-Ehre" diesmal nur drei Gendarmen zu schützen hatte, die dem Kapital Mordsdienste geleistet hatten. Dieser Umstand erschwert aber die Schuld der Militärrichter von BourgeS  , da ja der Fanatismus des Corpsgeistes beziehungsweise die einen großen, die ganze Nation durchzitternden Konflikt entfachenden politischen Leidenschaften im gegebenen Fall gänzlich fehlten. Die Militärs ver- richteten ihre cynischeGerichts"-Arbeit mit handwerksmäßiger Ruhe, sie benahmen sich brutal-parteiisch mit der Selbstverständlich- keit einer natürlichen, gewohnheitsmäßigen Funktion. Die Gcrichtskomödie begann damit, daß der militärische Unter- sucher Debascher in einem blöden Bericht, der eines R a v a r y, des Unternehmers in der Esterhazy- Sache, würdig wäre, für die Einstellung der Untersuchung gegen die drei Gen- darmen plädierte. Grund: der Zustand der Notwehr, indem die Gendarmen sich befunden haben sollen. Um aber diesen Grund, den Knotenpunkt des ganzen Prozesses, glaubhaft zu machen, verschwieg Debascher die wichtigsten Belastungsaussagen und sprang überhaupt mit den Thatsachen um, wie dies nur eben ein militärischer Gerichtsbeamter thun kanu, der mit einer grenzenlosen Voreingenommenheit eine ebenso grenzenlose juristische Unwissenheit verbindet. Die Fabel von demNotwehr-Zustand" erledigt sich schon dadurch, daß der civile Untersuchungsrichter von Chalon ver- gebens wochenlang nach Beweisen gegen die Streikenden gesucht hatte. Dies UntersuchnngSverfahren gegen die Arbeiter mußte eingestellt werden. Außerdeni ist die schwerwiegende That- fache zu berücksichtigen. daß von den demonstrierenden Streikenden kein einziger getötet oder verwundet wurde. Die Opfer (drei Tote und einige Verwundete) sind aus den Reihen der Neu- gierigen gefalle», die an der Thür ihrer Wohnung sich die Vorgänge ansahen. Hätten sich die Gendarmen wirklich in Lebensgefahr be- funden inmitten einer auf sie schießenden Menge, wie sie daS be- haupten, so hätten doch offenbar ihreNotwehr"-Schüsse die an- greifenden Demonstranten treffen müssen. Wie der Untersucher, so die Richter. Die ganze Beweisaufnahme wenn dieser Ausdruck hier gestattet ist zielte darauf ab, den Notwehr-Zustand" aller Evidenz zum Trotz zu beweisen. In Wahr- heit wurden den Streikenden nur Steinwürfe nachgewiesen, nicht aber Revolverschüsse. Die einstudierten Entlaswngsanssagen der Militärs, die unter andrem aus einem Hause von einer großen Höhe abgegebene Revolverschüsse vernommen bezw. gesehen haben wollen, scheinen im günstigsten Falle darauf zu beruhen, daß die betreffenden Zeugen, die in einer gewissen Ferne sich befanden, die Gendarmenschüsse den Arbeitern unterschieben. Ein Lieutenant verglich sogar die angeb- lichen Schüsse aus dem ominösen Hause mit demKnall einer Höllen- Maschine" l... Unnütz zu sagen, daß keine Spur derHöllen- Maschine" aufgefunden wurde. Der Cynismus der Richter ging so weit, den Tod der drei Neugierigen den Kugeln der Streikenden zuzu- schreiben!... Zwar sind es dieselben Ordonnanzkugeln, mit denen die Gendarmenrevolver geladen waren, aber was verschlägt's? Der Waffenhändler von Chalon" deducierte frech der Gerichts- Vorsitzendeverkauft Ordonnanzkugeln an jedermann".... Ferner versteht es sich von selbst, daß derRegierungs- kommissar". der militärische Anfläger, ebenfalls für die Angeklagten Partei ergriffen hat. Ja, er machte sich die Hypothese des Gerichts- Vorsitzenden zu eigen und behauptete steif und fest, daß mindestens eines der Opfer von den Demonsttanten getötet wurde. Dem Verteidiger blieb demnach nichts weiter übrig, als vom Gericht »mehr als die Freisprechung" der Angeklagten zu ver- langen I... Merkwürdigerweise hat das Gericht die Gendarmenmördernur" freigesprochen... Das Verbrechen von Chalon ist also ungesühnt geblieben. Daran ist aber nicht allein das Militärgericht schuld, das ja nun auch einmal nicht aus seiner Haut heraus kann, sondern in viel höherem Maße die kapitalistische Civiljustiz, die die Gendarmen vor das reinwaschende Militärgericht verwiesen hat. obwohl dieselben als Agenten derGerichtspolizei', die nur einer Abteilung berittener Jäger Hilfs- dienste leisteten, vor das Schwurgericht hätten kommen sollen. Die Gerichtsbehörden von Chalon hatten sich aber an den Schein der momentanen Unterordnung der Gendarmen unter den Jäger­offizier angeflammert, um die Freisprechung der Schuldigen durch das Militärgericht zu sichern. Der Ausgang des Prozesses von Bourges   ist natürlich nicht geeignet, dem Ministerium proletarische Sympathien zu erwerben, wenn auch die reakttonären Blätter darüber zetern. daß alle Ordnungsretterei zum Teufel gehen müsse, sobald schießende Gendarmen nicht wie das nach �er Schlächterei von Fourmies der Fall war beglückwünscht, sondern vor Gericht geschleppt würden:DaS muß so schreibt Paul de Cassagnac die Agenten der öffentlichen Gewalt entmutigen, sie mit Ekel gegen ihre Berufs- Pflicht erfüllen. Da sie von einer Schurken-Regierung nicht ge- schützt werden, so werden sie uns am Tage der Gefahr nicht mehr schützen."... Leider sieht der kapitalistisch- bonapartistische Gesellschaftsretter von seinem Standpunkt aus viel zu schwarz. Die cynische Frei- sprechnng der drei Gendarmen vernichtet vollständig den Effekt der umstürzlerischen" Anklage- Erhebung und stellt die Unantastbarkeit des im Dienste des Kapitals tötenden Gendarmen wieder her. Inzwischen aber schlummert der Reformvorschlag des früheren Kriegsministers Galliffet   betreffend Beschränkung der Kompetenz der Militärjnstiz seit einem Jahre in irgend einem der zahlreichen Archiv- schränke der Deputicrtenkammer nebst vielen andren mehr oder minder ausgezeichneten Reformvorschlägen. Und doch hatte Galliffet höchstens nur die schlimmsten Auswüchse der Militärjustiz zu be- festigen vorgeschlagen... Oestreich-Ungarn  . Aus Krakau   wird uns unter dem 18. d. Mts. geschrieben: Die Agitation für die Wahlen zum Reichsrat, die bei uns schon im Dezember stattfinden werden, ist unsrerseits mit aller Energie eröffnet worden. In Stadt und Land finden täglich zahlreiche Ver- sammlungen statt, in denen unsre Redner das Parteiprogramm und die politische Lage des Lands beleuchten. Ebenso werden die meisten gegnerischen Versammlungen von unsren Diskussionsrednern besucht. Unsre Wahlcanipagne wird auch diesmal unter dem Zeichen des allgemeinen gleichen Wahlrechts, der Bekämpfung der an- maßenden Reaktion und der skandalösen Mißwirtschaft der herrschenden Adelsklique im Lande selbst geführt. Den ge- waltigen Kampf für Volksrechte, gegen den Absolutismus führen wir in Galizien   ganz allein. Die bürgerliche Linke, die mit einem radikalen Phrasenschwall in den Wahlkampf eintrat, ist desorganisiert und machtlos. Außer den Kandidaten für die 5. Kurie hat unsre Partei auch. zwei Kandidaten in der Bauernkurie und vier für die 3. Kurie, in der das Bürgertum wählt,- aufgestellt. Die Agitation beschränkt sich nicht mehr auf die städtischen Arbeitermassen. Täglich finden Bau er»Versammlungen statt, die unsre Redner mit Be- geisterung aufnehmen. Die unerhörte Korruptions- und Vettern- Wirtschaft, unter der die wirtschaftlich verelendeten Bauern ebenso stark wie die Arbeiter leiden, hat sie zu uusren Freunden gemacht. Die Agitation unter der jüdischen Bevölkerung Galiziens   wird ebenfalls mit Energie betrieben. In kürzester Zeit wird die Partei ein wöchentlich erscheinendes Blatt:Jüdisches Volks- b l a t t" herausgeben. Daß die Behörden alles mögliche thun, um uns entgegen zu arbeiten, ist selbstverständlich. Versammlungen werden verboten, andre durch bezahlte Sprengkolonnen auseinander- getrieben; in einer Stadt hat man sogar zu Einladungen für eine reaktionäre Versammlung amtliche, portofreie Kouverts er- halten. Nicht uninteressant ist es, daß die Z ionist en drei selb- ständige Kandidaturen aufgestellt haben! Rußland. Petersburg  » 19. Oktober. In den nächsten Tagen wird hier die Kommission eintreffen, welche von der japanischen Re- gierung nach Rußland   entsandt ist, um den Handel und die In- dustrie zu studieren. Der Führer der Kommission Jesaki überbringt einen Brief des japanischen Handelsministers an den Finanzmiuister Witte. Hier wird in einigen Monaten eine große Ausstellung japanischer Kunsterzengnisse verschiedener Gattung eröffnet, welche Jesaki veranstalten wird. Das ist jedenfalls eine vernünftigere Politik, als die, welche die Beziehungen zu fremden Ländern durch Kruppsche Kanonen anzu- knüpfen und aufrecht zu erhalten bestrebt ist. Afrika  . Präsident Krüger ist am 19. d. MtS. früh an Bord der Gelderland  " gegangen. Es wird nicht mehr befürchtet, daß die englische Regierung dem alten Mann noch irgendwelche Schwierig- leiten bereitet; sie betrachtet Krüger als Privatmann. Heber stattgefnndene Gefechte wird gemeldet: Einer Abteilung Boeren gelang es in der Nacht zum 16. d. Mts. in Jagersfontein einzudringen. Am nächsten Morgen entspann sich ein Kampf, bei welchem die Verluste der Engländer 9 Tote und 2 tödlich Ver- wundete betrugen. Die Boeren verloren ihren Kommandanten und 20 Tote. General Kelly-Kenny sandte gestern Truppen aus, welche heute in Lagersfontein eintreffen sollten. Ein amtliches Telegramm besagt, daß Lord Methuen   und Oberst Douglas in Zeenist eingetroffen sind, nachdem sie mit Delarey und Lemmer   ein mehrtägiges Gefecht gehabt hatten. Die in Marseille   angekommene südafrikanische   Post bringt die Antwort des Boerengenerals Botha auf die jüngste Proklamatton des Lord Roberts  . Botha widerlegt dessen Behauptung, daß nur die unter Bothas direktem Befehl stehenden Truppen als Militär- truppen zu betrachten seien, und protestiert dagegen, daß der englische General alle übrigen Boerensoldaten, welche noch vereinzelt kämpfen, als Rebellen behandeln will.Der vereinzelte Kampf unsrer Truppen", so erklärt Botha in seiner Ant- wort,geschieht in llebereinstimmung mit den Gesetzen unsrcs Lands!"' Bezüglich der Drohung des Lords Roberts, die Wohnungen der Boeren zu zerstören und die Frauen und Ktnder aus denselben anszuweisen, erklärt Botha, es sei dies daS erste Mal, daß ähnliche Maßregeln zwischen civilisierten krieg- führenden Völkern getroffen werden. Wenn Roberts auf der Aus- führung dieser Maßregeln bestehe, so könne er, Botha, gegen diese Verletzung der Menschenrechte nur energisch protestieren. Jedenfalls werde dies aber keineswegs zur Niederlegung der Waffen beitragen. Ueber den wirflichen Stand der Dinge in Transvaal   giebt ein Privat-Telegramm derFranks. Ztg." aus London   Auskunft, in dem es heißt: Die Nachricht, daß Lord Roberts   seine Rückkehr nach England mindestens bis zum Januar verschoben, hat hier viel Enttäuschung verursucht und die gestrige Meldung von ernsten Ver- lusten, welche Oberst Mahons Truppen haben, hat weiten Kreisen gezeigt, daß der Krieg noch nicht vorüber ist. Lord Roberts  iclbst scheint einer Fortsetzung des Feldzugs während der Regenzeit entgegen zu sehen, denn er sagte den Freiwilligen aus den Kolonien, welche Urlaub nahmen, er hoffe, sie würden nach einem Monate ihre Thätigkeit wieder beginnen und bis zum Schluß des Kriegs bei der Armee bleiben. DerBirmingham Post" zufolge mußte vor weniger als einem Monat ein' in Mafeking verweilender Journalist seine abendlichen Spaziergänge an der Straße nach Otto- shoop aufgeben, weil Patrouillen der Boeren abends gefährlich wurden. Aus Pretoria   wird berichtet, die telegraphische Verbindung zwischen Pretoria   und Johannesburg   ist abgeschnitten. Die Dela- goabai-Bahn wird durch tägliche Angriffe der Boeren unsicher ge- macht. Lord Roberts   hat eine Proklamation erlassen, worin er die Ausfuhr von Waren aus Transvaal   und dem Freistaate mit Aus- schluß von Gold in Barren und Kriegsmunition erlaubt. Zur Landtagöwahl in Sachsen- Weimar  . In Eisenach  wurde im socialdemokratischen Verein nach einem Vortrag über die Landtagswahl folgende Resolution angenommen: Da es uns unmöglich ist, bei der demnächst stattfindenden Landtagswahl selbständig vorzugehen und eigne Wahlmänner aufzustellen, so haben wir, um die jetzige reaktionäre Mehrheit des Landtags, welche aus Bürgermeistern und Bezirksdirektoren besteht, zu beseitigen, beschlossen, die von den Freisinnigen im Einverständnis mit unsren Genossen auf- gestellten Wahlmänner am Ort zu wählen und wollen Sie in Ihrem Ort desgleichen thun und Ihre Gesinnungsgenossen dazu auffordern."