1 Nach kurzer Panse bemerkt bcr O b e r st a a t s a n w a l t: D!e »Staatsbürger-Zeitnnq" bringt einen Artikel mit der Ueberschrist:»Neue I u d e n s ch l i ch e In dem Artikel wird ausgeführt: Kriminalinspektor Braun, Kriminalkommissarius Wehn und Kriminalschutzinann Beyer ll hätten am vergangenen Sonntag mit dem alten L e w y auf dem L e w h scheu Hintergrund- stück Untersuchungen angestellt. Wie nur bekannt ist, ist Wehn mit dem KreiSphysikns Dr, Puppe am Sonntag in Marienbnrg und Danzig gewesen und Kriminalinspektor Braun nicht ausgegangen, Der Zeuge Kriminalkommissarius Wehn bestätigt letzteres. Inzwischen ist Stadtbaumcister Hamp e l mit seinen Begleitern von der Untersuchung in der L e w y schen Räucherkammer zurück- gekehrt. Das Resultat der Nachforschungen war ein völlig negatives. Nunmehr wird der inzwischen herbeigeholte Möbelhändler K i r s ch st e i n vernonunen. Derselbe bemerkt: Als H o f f m a n n verhaftet wurde, herrschte in der ganzen Stadt grosze Aufregung. Ich ging am Hotel Kühn vorüber, dort waren viele Menschen. Maßlos wurde dort von dem Verleger der „Staatsbttrger-Zeitnng", Wilhelm B ruh n. befragt. Ich sagte zu Maßlos, er solle doch die Wahrheit sage», denn es handle sich um ein Menschenleben. — Präs.: Haben Sic gesagt: Sie könnten H o f f m a n n retten?— Zeuge: Nein. Maßlos sagte:»Ich hatte auf dem L c w y scheu Hofe Fleisch hängen sehen, das ich stehlen wollte. Deshalb hatte ich mich auf die Lauer gelegt. Plötzlich lamm 3 Juden aus dem L e w y schen Keller. Ich hörte sie sprechen. Ich konnte aber nur verstehen, daß sie sagten:».Nichts herausgeben.'"' AIS daS Thor geöffnet wurde, bin ich nach der S t e d e f e l d scheu Essig- sabrik gelaufen und habe mir dort meine Schuhe ausgezogen. Dann bin ich Ivieder auf den Hof gelaufen und habe das Fleisch gestohlen. Ich sah dann drei Männer aus dem Thor- rvege kommen. Zwei davon tnigen einen schweren sackartigen Gegen stand. Einer ging hinterdrein. Sie gingen nach dem Mönchsee.' Ich habe alsdann mit Maßlos des Abends Versuche angestellt und das Ergebnis derselben de» Berliner Kriminalbeamten mit geteilt.— Adolf Lewh: Kirschstein hat vor meinem Kellerfepster auf der Erde gelegen und da habe ich ihm gesagt: ich wollte ihm den Kellerschlüssel geben.— Ingenieur K u b i(Berlin ): Maßlos hat bei Kühn lediglich eine Tasse Bouillon bekommen. Der Verleger B r u h n hat ihm eindringlichst gesagt: er solle die reine Wahrheit sagen„auf die Gefahr, daß Sie einen Meineid schwören". Als Maßlos abends wieder zu K ü h n kam, stellte B r u h n ihn auf die Probe, indem er zu ihm sagte:»Sie haben un§ einen schönen Bären aufgebunden. Es ist ja alles Lüge, was Sie uns gesagt haben. Maßlos beteuerte hierauf, die reine Wahrheit gesagt zu haben. Wir n, achten alsdann mit Maßlos bei Lewy Versuche.— Präs.: Wir wollen jetzt eine Pause bis 3 Uhr ein- treten lasten und alsdann in nichtöffentlicher Sitzung den Fall Friedländer-Siemanowski erörtern.— Die nicht öffentliche Sitzung dürste eine halbe Stunde dauern. Gegen S1/» Uhr wird die Oeffentllchkcit wieder hergestellt und in der BeiveiSaufnahme fortgefahren. Als erster Zeuge sagt Maurer P o t t r a tz aus:»Ich habe vor etwa zwei Jahren in der Lewy schen Räucherkammer Acnderungen vorgenommen. Genau kann ich die Zeit ja nicht mehr sagen, aber ich glaube, das war vor zwei Jahren.— Ein Geschworener: Haben Sie vielleicht genierst, ob unter dem Fußboden ein bohler Raum sei?— Zeuge: Nein.— Alsdann wird der Kriminalinspettor Braun-Berlin vernommen. Derselbe schildert gleich dem Polizeikommissar Krietsch, Polizei sergeanten Hantelniann aus Könitz, wie alle Mitteilungen des Maßlos sich als haltlos erwiesen hätten. Polizeisestetär EbertowSki bekundet: Maßlos wurde von dem Zcitungsverleger B r u h n aus Berlin zur Polizei geführt. Ich fragte Maßlos, weshalb er seine Aussagen erst jetzt mache. Maßlos antwortete: er befürchtete eingesperrt zu werden und seine Arbeit zu verlieren, da er das Fleisch gestohlen habe. Oberlehrer Hofrichter erzählt alSdann: Die Frau Roß hat sich beschwert, daß, sobald sie gegen die Juden ausgesagt habe, sie angefahren ivorden sei. Sie sei am 11. März abends 7 Uhr bei Lewy gewesen Ivegen einer Aufwärterin für Frau Lewh. Es sei ihr unheimlich geworden, weil Frau Lewy so verstört ausgesehen habe. Sie hat dann eine Geschichte von einem Knecht erzählt, der am 11. März zum ersten- mal in Könitz gewesen sei. Die Frau war so redselig, daß ich mit den Daten nicht mehr so genau Bescheid weiß. Sie sagte, er habe sich die Hosen schmutzig gemacht gehabt, da er auf der Erde gelegen habe.— Präs.: War das der Knecht, oder bezieht sich das aus M a ß l o f?— Z e u g e: ES ist möglich, daß ich das verwechselte, ich kann mich auf die Einzelheiten nicht mehr genau erinnnern.— Präs.: Herr Oberlehrer, Sie haben beim Untersuchungsrichter gesagt: Frau Roh erzählte mir: Sie sei am 11. Marz, abends zwischen 7 und 8 Uhr, bei LewyS gewesen. Frau Lewh sei so verstört gewesen. Maßlos habe draußen gestanden und winseln gehört?— Zeuge: Ich glaube, mich dessen zu erinnern. Ich habe damals unter frischem Eindruck gestanden.— Angcst. Roß: ES ist nicht wahr, daß ich dem Herrn Oberlehrer gesagt haben soll, Maßlos hätte draußen gestanden. An diesem Abend habe ich Maßlos überhaupt nicht gesehen.— Erster Staatsanwalt: Herr Zeuge, haben Sie beim Untersuchungsrichter bestimmt gesagt, daß Maßlos draußen ge- lvartet und ein Winseln gehört habe?— Zeuge: ES ist mir erinnerlich, daß ich so ausgesagt habe. Ob die Roß wörtlich so gesagt hat, weiß ich nicht. Die Wahrnehmungen Maßlofs hat sie mir später erzählt. Wann, das weiß ich nicht. Jedenfalls hat sie gesagt, der Knecht würde in einigen Tagen wiederkommen. Später hat sie mir gesagt: der Knecht sei nicht wieder- gekommen. Dann hat sie mir MaßlofS Wahrnehmungen, erzählt und gesagt: zuerst sei Frau Lewy über den Mord sehr entrüstet gewesen. Alsdann habe Frau Lewh gesagt: Winter sei nicht so viel wert. Der Mord würde niemals herauskommen. dazu sei die jüdische Gemeinde zu reich. Die Aussagen des Maßlos hat der Zeuge im allgemeinen für wahr gehalten. Die Verhandlung wird alsdann wegen deS morgigxu katholischen Feiertags auf Freitag, den 2. November, vormittags 10 Uhr, vertagt. GeviMs �Zeitung. Im Prozeß Tteruberg wurde gestem die Vernehmung der Angeklagten fortgesetzt. Unter den als Zeugen vorgeladenen Personen befindet sich auch der Direktor des Detektiv-Jnstituts Weien. Vor Eintritt in die Verhandlungen richtete auf Bitte der Verteidigung der Vorsitzende Landgerichts- Direktor Müller die dringende Mahnung an alle Zeuge», sich jeder Beeinflussung andrer Zeugen zu enthalten und wenn irgend möglich, während der Verhandlungen auch unter einander Gespräche über den Prozeß zu vermeiden.— Der Angeklagte Sternberg ließ sich noch mehrere Stunden lang über den Fall Woyda aus, indem er immer wieder auf das bestnnmteste bestritt, mit dem Mädchen irgend etwas zu thun gehabt zu haben. Als er sich bereit erklärte, der Fischer die Mittel zur Fahrt nach Amerika zu gewähren, sei bei ihm das einzige Motiv gewesen, daß er eS vermeiden wollte, eventuell als Zeuge in eine sich entwickelnde Skandalaffaire Fischer hinein- gezogen zu werden. Er habe ein solches Zeugnis nicht zu scheuen gehabt, wisse aber, wie unangenehm es sei, in solcher Sache auch nur als Zeuge genannt zu werden. Bei der Abreise der Fischer sei mit keinem Worte von der Woyda die Rede gewesen. Aus welchem Grunde da? Kind seine falsche Aussage mache, sei für ihn der Gegenstand ernstester Ueberlegung geworden und es haben sich ihm verschiedene Möglichkeiten aufgedrängt. Vielleicht werde er zum Gegenstand der Beschuldigung gemacht, um einen wirklich Schuldigen zu retten. Der Angeklagte verwies dabei insbesondere auf einen Mann anS Frankfurt a.'O. Die Fischer habe nachgewiesenermaßen eine so- genannte.Malerannonce", durch welche Modelle verlangt werden, in der„Morgenpost" aufgegeben. Das Manuskript zu diesem Inserat sei beschafft worden, es stehe fest, daß er(Angeklagter) eS nicht ge- schrieben, die Handschrift ähnle aber auffallend derjenigen jenes Manns, der jetzt seinen Aufenthalt im Ausland genominen und von dort Versuche gemacht habe, sein Geschäft in Frankfurt a. O. zu ver- kaufen. Ter Angeklagte erörterte noch weitere Möglichkeiten, die darauf hinauslaufen, daß mit Hilfe der Woyda von gewissen Leuten, die ihm vorschweben, versucht werden sollte, Geld a»S ihm heraus- zuprestcn. Er giebt auch zur Erwägung anheim, ob das Mädchen normal sei. Die ihm nahestehenden Kreise seien von der Unmöglichkeit der gegen ihn ausgesprengten Beschuldigung von Anfang an überzeugt gewesen und eS fiir ihre Pflicht gehalten, alles was in ihrer Macht liege, zu thun.»m der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Man werde doch von ihm nicht verlangen, daß er ohne iveitcres seinen Kopf unter das Beil legt. Behördlicherseits sei nichts geschehen, um für ihn EntlastnngSmaterial beizubringen, er habe den dringenden Wunsch gehabt, seine"Haft' nicht zu verlängern, sondern möglichst rasch zur Hauptverhandlung zu gelangen und zu den notwendigen Ermittelungen habe ihm doch kein andre? Mittel als die Detckiiv-Jnftitnte zu Gebote gestanden. Es handle sich also keineswegs um eine intriguiercnde Kliqne von Menschen, die der Gerechtigkeit ein Bein stellen wollten, sondern um die Ausübung einer Freundcspflicht zur Ermittelung der Wahrheit. Nur diesen Privat- crmittelimgen, die ja natürlich viel Geld kosten, habe er es auS- schließlich zu danken, daß in den Fällen, in denen er freigesprochen wurde-, die Wahrheit schließlich an den Tag kam.—' Was die beiden neuerdings noch in die jetzige Anklage hinein- gezogenen Fälle betrifft, so erklärte' St., daß er die beiden in Frag« kommenden Mädchen überhaupt nicht kenne und deren Aussagen als erfunden bezeichnen muffe. Der Vorsitzende siellte fest, daß. iveNn die Angaben des einen dieser Mädchen wahr wären, dieser Anklagepunkt schon deshalb fallen müßte, weil dann das Mädchen zur Zeit der von ihr behaupteten Vorfälle schon über 14 Jahre alt gewesen wäre. Die Vernehmung des Angeklagten Lnppa war außerordentlich kurz. Er erklärte, ei» alter Freund des Herr» St. zu sein, von dessen Unschuld er felsenfest überzeugt sei. Nur aus diesen, Grunde habe er, als es sich um die Abreise der Fischer handelte, den Freundschaftsdienst übernommen, zu lontrollieren, daß die Fischer das Reisegeld auch wirklich dazu benutzte, um nach Amerika zu gehen. Er hat die Fischer und die Wender bis nach Southampton begleitet, wo diese zu Schiffe gingen. In der Unter- Haltung während der Reise habe die Fischer niemals eines Falls Woyda Erwähnung gethan und er habe die volle Ueberzeugnng, daß ein solcher überhaupt nicht existiere. Eine Vergütung für seine Be- Mühung habe er nicht erhalten, sondern lediglich aus Freundschaft ge- handelt. Auf Befragen des Staatsanwalts erklärt der Angeklagte, daß ihm der Gedanke überhaupt nicht gekommen sei, daß er sich durch diesen Freundschnftsdienst etwa gar einer Begünstigung der Fischer schuldig machen könne. Den ferneren Vorwurf der Anklage, daß er bei einer Gelegenheit einer kleinen Belastungszeugin geraten haben soll, ihre belastende Aussage zurückzunehmen, bestreitet er durchaus.— Auch die Vernehmung der Angeklagten Wender ist nur kurz. Sie ist früher Dienstmädchen gewesen und mit der Fischer bekannt geworden. Dann hat die letztere sie zu sich ge- nommcn, um sie als Gehilfin beim„Massieren" zu beschäftigen. Der Vorsitzende stellte durch Befragen fest, daß unter dem Aus- Hängeschild der„Massage" die Wohnmig der Fischer zu einer Stätte zügelloser Unzucht gcniacht wurde. Die Angeklagte W. bestritt entschieden die Beschuldigungen, die Frieda Woyda gegen sie nnd den Angekl. St. erhoben und entwarf von dem Charakter desMädchens ein wenig scknneichel- hafteS Bild.— Die letzte Angeklagte endlich bestritt gleichfalls, sich der Begünstigung schuldig gemacht zu haben. Sie gab z», ans eine Anregung von dritter Seite mit der Woyda Fühlung genommen zu habe», um zu ermittel», ob diese etwa von irgend einer Seite bc- einflußt werde. Sie habe aber gar nicht gewußt, daß es sich um eine Affaire Sternberg handle, habe nur den Auftrag gehabt, auf das Mädchen einzureden, nur die volle Wahrheit zu sagen und be- streite, daß sie dabei in unzulässiger Weise auf das Mädchen ein- gewirkt habe.— Hiermit schloß die gestrige Sitzung. Die Beweis- aufnähme wird am Donnerstag mit der Vernehmung der Kriminal- beamten beginnen._ Wegen Beleidigung deö Direktors der Harzer Kalkwerke, Bohlmann in Elbingerode , ist am 2. Mai vom Landgericht Halber- stadt unser Parteigenosse Heimich Matthies in Elbingerode zu 8 Monaten Gefängnis verurteilt worden. Durch das gleiche Urteil ist das Verfahren' gegen den Redacteur Berthold Hey mann in Braunfchweig eingestellt worden. In der Wochenschrift„Der Landbote ", deren Stoff aus dem wochentäglich erscheinenden„Bolls- freund" entnommen wird, war am 12. November vorigen Jahres ein Artikel unter der Spitzmarke:„Vom Harz " er- schienen, der den Angeklagten MatthieS zum Verfasser hat und gegen den oben erwähnten Direktor mehrere Vorwürfe erhebt, die vom Landgericht als unbegründet und beleidigend erachtet Ivorde» sind. Der Sttafnntrag des Direktors B. war nur gegen den Ver- fasser gerichtet und seine Absicht ging, wie er in der Hauptverhand- lung erläuternd bemerkte, dahin, den Redacteur nur dann bestrafen zu lassen, wenn der Verfasser nicht ermittelt würde. Dos Land« gericht hatte daraufhin daS Verfahren gegen unfrei, Genossen Hey- niani, eingestellt.— In der gestrigen Sitzung des Reichsgerichts wurde über die R e v i s i o n des Angeklagten Matthies sowie die des Staatsanwalts verhandelt. M. vertrat in seiner Re- visionsschrift die Ansicht, daß auch gegen ihn daS Ber- ähre» hätte eingestellt werden müssen, da beide An- geklagte als Mitthäter onzusehen seien. Nachdem das Verfahren gegen H. eingestellt war, hatte er, M., darauf hingewiesen werden müssen, daß er als Alleinthäter angesehen iverden lönne. Die Revision deS Staatsanwalts wurde vom Reichsanivalte als be- gründet bezeichnet. Rechtsirrtümlich fei die Ansicht des Landgerichts, daß die Angeklagten nicht an derselben Strafthat beteiligt seien, denn M. sei doch ausdrücklich wegen Bcleidigiing durch die Presse verurteilt worden. An dieser That müsse notwendig der Redacteur beteiligt sein.— Auf die Revision des Angeklagten M. und des Staatsanwalts hob sodann das Reichsgericht das Urteil bezüglich beider Angeklagten a u.f und verwies die Sache an das Landgericht zurück.'_ Versammlungen. Eine stark besuchte Versammlung der Bauarbeiter tagte am 28. Oktober in Kellers Saal. In derselben referierte Töpfer- Honiburg über die Bestrebungen des deutschen Bauarbcitgeber- Bundes. Eine DiSkilssioii fand nicht statt. Es wurde dann eine Resolution angenommen, in der die Versammlung mit aller Ent- schiedenheit gegen daS Korgehen deS UiiternehmcrttimS protestiert und mcht eher zu ruhen verspricht, bis alle Berufsangehörigc» in der Organisation zniammcngeschlossen find. Der dritte Punkt der Tagesordnung führte zu einer heftigen Debatte, da der erste Redner Franz Ä ersten ansführle, wenn die Leitung dem Wunsch eincS Teils der Kollegen nicht Rechnung trügt, dann'licber fort mit der ganzen Gewerkschaft. Derselbe wurde von mehreren Rednern sowie von dem Referenten zurückpewiesen. Eine Nesolution, weiche besagt, daß keine Aendcning im Sammelwesen vor Tagung der Generalversammlung vor- genommen werden soll, wurde mit großer Mehrheit angenommen. Sodann wurde beschlössen, 5000 M., aus dem StreilfoudS der Haupt- taste der Bauarbeiter Deutschlands zu überiveffen. Eine Berfammlnug der Kisteumitcher tagte am 28. d. M. bei Stcchert. In derselben hielt Frau Mesch einen mit reichem Beifall aufgnonnnenen Vortrag über die Frau iu der Social- demokratie. Sodan» wurde der Streik bei Seiffert für beendet erklärt. China . Die„übergroße Milde". In den letzten Tagen wimmelt es in der bürgerlichen Presse von..Originalberichten" aus Cbina über die Einnahme Pekings, die Entsetzung der Gesandtschaften, der Ermordung Kettelers usw. In den meisten dieser Berichte wird neben der Ruhmredigkeit vor allem die Scharfmacherei betrieben. Die Europäer sind zu milde gewesen. So wird der„Frankfurter Zeiiling" auS Shanghai geschrieben, daß gegen den kaiserliche Palast in Peking viel zu glimpflich verfahren sei. Die Verbündeten haben mit de» zurückgebliebenen Beamten unierhandelt, DaS hätte man nach Ansicht des hlinnischen Korrespondenten nicht thun sollen, sondern man hätte einfach die Thore der„Berbotcncn Stadt" einschlagen müssen. Dann sind die Truppen durch den Palast hindurchgezogen, und die Offiziere hätten sich im Palast mit Thee und Süßigkeiten bewirten lassen. „Nach unsrer Auffassung", so heißt es in dem Bericht eines andren Blatts,„ist das nicht die Art und Weise gewesen, wie der Sieger von einem eroberten Platz Besitz ergreifen sollte. In den Augen der Chinesen hat eS jetzt den Anschein, als hätte man de»„fremden Teufeln" liebenswürdigerweise gestattet, die Wunder der„Verbotenen Stadt " zu schauen, während zum Ausdruck hätte gebracht werden müssen, wir, die Sieger üben Gnade, wenn wir Euren ganzen Kaiserpalast nickt dem Erdboden gleick) machen." Einem Berliner Blatt schreibt einer seiner Specialberichterstatter über den Mörder Kettelers. Am Schluß seines Berichts äußert er folgende fromme Wünsche: „So möge denn nun auch jeden, der an dem Morde irgendwie beteiligt war, die volle Strafe treffe» I Ter Polizeipräsident Tschung-Li ist bereit? von den Japanern arretiert, die bereit sind, ihn uns auszuliefern. Hoffentlich gelingt eS auch, die andren, noch höheren Anstifter zu erreichen. Wir zweifeln leinen Augenblick daran, daß unsreS Kaisers im heiligsten Zorn gesprochene Worte sich erfülle« werden: „Ich will nicht ruhen, bis diese Deutschland angethane Schmach ihre volle Sühne gefunden hat I" Wie wenig in der That Ursache vorhanden ist. die europäischen Kulturträger zu„größerer Strenge" gegen die Chinesen aufzuhetzen. das beweisen die Darstellungen nicht bloß der Briefe von Soldaten, sondern auch sonstiger tinwandsfreier Leute. Kürzlich berichtete ein europäischer Kaufmann Über die Diebereien der französischen Sol- daten, deutsche Hnimcnbriefe schilderten die Russen alS die fixesten Kerle, die mit den bezopften Chinesen am wenigsten Umstände machten, heute liegt eine französische Stimme über die deutschen Kulturträger in China vor. DaS Kabeltelcgramm, das den„Paris Nouvelles" ans Peking zugegangen ist. besagt: Hier finden häufig Zusammenstoße zwischen den Deutschen und den Chinesen statt. Die Deutschen gehen mit einer außerordent- lichrn Strenge vor. Am 28. Oktober schössen deutsche Hilfswacheu auf eine Bande von Dieben, einer derselben wurde verletzt, konnte aber entfliehen. Am nächsten Tage verfolgten die Deutschen die Fußspuren, welche zu dem Hause deS ehemaligen SiaatsselretärS K w an führten. Die Deutschen schlugen die Hausthür ein, einer ergriff den Staatssekretär und schleppte ihn am Zopfe bis zum deutschen Hauptquartier, wo man ihn mißhandelte und so lange mit einem Tan- ende schlug, bis endlich der Irrtum ansgcklärt wurde. Der Bicekönig Li-Hunq-Tschang und Prinz T s ch i n g protestierten ivegen dieses Vorfalls bei der dentschen Behörde. Die Deutschen behaupten, eS werde täglich auf ihre Hilfswachcn geschossen und es seien deshalb die strengsten Maßregeln nötig. Ausschreitungen finden ausschließlich in den weniger begüterten Stadtteilen statt, welche v o n' D e u t s ch e n d e s e tz t sind. In den übrigen Stadtteilen herrscht vollständige Ruhe. So beschuldigen sich gegenseitig die einzelnen Rationen der Grausamkeit, das Schlimmste dabei ist, daß sie alle recht damit haben dürften. Nach amerikanischen Meldungen sollen zwischen den russischen nnd amerikanischen Kabinetten Verhandlungen im Gange sein, die bezwecken, die chinesische Frage dem TchiedSgericht im Haag zu unterbreite». Dort solle auch über die EntschädignngSansprüche der Großmächte an China entschieden iverden. Die in P e k i n g zu führenden Verhandlungen werden sich dann darauf beschränken, die chinesische Regierung zu veranlassen, sich dem schiedsrichterlichen Spruche zu unterwerfen. In Peking besckäftigen sich die Gesandten zur Zeit mit der Frage, ob es nicht vorteilhast sei, einen Waffenstillstand zu proklamieren und die militärischen Operationen während der Daner der Verhandinngen mit der chinesischen Regiernng zu unterbrechen. Ferner wird die Frage der an die eingeborenen Christen zu zahlen- den Entschädigungen erörtert werden. Man schätzt die Zahl der er« mordeten Christen auf 40 000 und die Zahl derjenigen, die an Hab und Gut geschädigt worden sind, ans 100 000. Diese Zahlen dürften jedenfalls mit großer Vorsicht zu be« trachten sein. Daö europäische Konzert scheint ein wenig harmonisches zu sein. Schon kürzlich wiesen wir darauf hin, daß die einzelnen Truppenführer sich anscheinend wenig um den Weltgeneralissimus kümmern, daß sie alle auf eigne Faust operieren, d. h. Jagden auf die Boxer unternehmen. Walderfee beschwert sich denn auch, daß seine Befehle nicht be- achtet werden, seine Autorität geht zum Teufel. Einem hiesigen Blatt wird aus London berichtet: Graf Waldersee, dem es gesundheitlich wieder bester geht, hatte eine zweistündige Konferenz mit Mncdonald vor dessen Ab- reise von Peking , hauptsächlich über die Eisenbahnfragen. Ver- ändcrnngen wurden nicht getroffen. Waldersee findet eS, der „Daily Mail" zufolge, schwierig, seine Autorität durchzusetzen. Die Russen weigerten sich, das Hissen der britischen Flagge in Shanhailwan zu erlauben, trotz Wälder- sccS Befehl. Zum Verhalten der verbündeten Trnppen. Rom , 31. Oktober. (Voss. Ztg.) Der Sonderberichterstatter deS mailändischen„Corricre della sera" setzt seine Schilderungen des haarsträubenden Mord« und ZerftöruiiqstvcrkS der iuter- nationale» Truppen in China fort. Während seiner Fahrt auf dem»Peiho" von Matao nach Tongtschau sah er den Fluß mit Leiche» umgebrachter Chinesen jeden Alters bedeckt. Auf den Feldern fielen hunderte flüchtiger, unbewaffneter halbverhungerter Eingeborncr unter den Schüssen der europäischen Soldaten, die dem Jagd- vergnügen nachzugehen schienen. In den Ortschaften und Landhäusern war sürckterlich gehaust worden, nanientlich durch Kosaken, denen der Berichterstatter tierische Roheit nach- sagt. Nur die italienischen Soldaten haben nach seinen Angaben die Gesittung nicht ganz verleugnet.(Bisher ist von allen Seiten daS gesittete Verhalten der deutschen Truppen bei den AuSjchleilungen der andren Kontingente hervorgehoben worden. Red.) Uehke Vachvichkett und Dcpeslhen. Bukarest , 31. Oktober. (B. H.) Nunmehr ist auch in dem Be- zirk Ott eine Bauernrevplte ausgebrochen. Die Bewohner ver- weigern die Steuern und jagen die Behörden fort. Infolge dessen ist Kavallerie nach Olt abgegangen. TnniS, 31. Oktober. (W. T. B.) Beim Abbau von Phosphat- lagern für die Werke von Nietlaoni nahe bei Gaffa wurden 500 bei der Arbeit befindliche Kabylen infolge Erdrntschungen in höher ge« legenen Teilen verletzt und mehrere derselben getötet. Berantwortl Redacteur: Heinrich Wetzker in Grvb-Lichterselde. Für dm JnleratcuteU verantwortlich: Th. Glocke in Berlin . Druck und Verlag von Max Babing in Berlin . Hierzu 2 Beilage»«. Ilnterhalimigsbw»».
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