Als die Römer die GrenzwäNe überschritten, brach das römische Reichelend zusammen. Frankreich hat mit seiner Weltpolitik die schlimmstenErfahrungen gemacht; eS hat trotz aller Geldanfwendnngc» nicht vielerreichen können. Deutschlands Handel und Wandel ist jetzt in rück-läufiger Bewegung begriffen. Es unterliegt auch gar keinem Zweifel,dafe daran zum großen Teil der Transvaalkrieg und die chinesischenWirren die Schuld tragen. Darum sage ich: Die ZukunftDeutschlands liegt wahrhaftig nicht auf den:Wasser, sondern im Inland und im Land selbst sind soschwierige Probleme zu lösen und so viel wichtige Dinge zu be-treiben, daß dagegen alle überseeischen Probleme' in Ostasien garnicht in Betracht kommen können.(Lebhafter Beifall links.)Reichskanzler Graf Biilow:Ich muß mit einigen Worten auf die Aeußernngen des HerrnRichter eingehen. Er hat meine Erklärung über die Indemnität alsnicht besonders vertrauenerweckend bezeichnet. Ich glaube, dieMehrheit des Hauses wird sich über die bona fiass meinergestrigen Erklärung nicht im Zweifel befinden. Was dieNichtcinbernfung des Reichstags im vergangenen Sommer angeht, soist die einzig verantwortliche Persönlichkeit der Reichskanzler, unddiese Persönlichkeit, die jetzt meine Wenigkeit ist, war damals FürstHohenlohe. Ich glaube, daß ihn zur Nichteinbenifung de? Reichstagszunächst die Erwägung veranlaßt hat, daß die Zusammenberufungzur Voraussetzung gehabt hätte die Vorlage eines Ergänzungsetatsan Bundesrat und Reichstag, und dafür schienen dem damaligenHerrn Reichskanzler damals die Voraussetzungen noch nicht gegeben.Dazu kam, daß der damalige Herr Reichskanzler aus der Haltungeines Teils der Presse glaubte schließen zu können, daß dieEinberufung nicht den Wünschen aller Parteien entspräche(Hört! hortl bei den Socialdemokrateu), und ich glaubemich nicht zu irren, wenn ich sage, daß namentlichein Blatt in dieser Beziehung den Fürsten Hohen-lohe impressioniert hat, nicht nrir weil es einüberaus geschickt redigiertes Blatt ist(GroßeHeiterkeit.), sondern auch iveil ihnr Beziehungen nach-gesagt werden zu einem sehr hervorragendenParlamentarier, dessen Beredsamkeit wir soebenbeobachtet haben.(Erneute Heiterk.) Ich spreche natürlich von der�Freisinnigen Zeltung".(Zuruf des Abg.' Richter: Datum!)Sie brachte am 4. Juli, d. h. gerade in dem psychologischen Moment,wo eS sich handelte um Einberufung oder Nicht-Einberufung desReichstags, den nachstehenden Artikel.— Der Reichskanzler verliestunter fortgesetzter Heiterkeit der Rechten den Artikel, in dem ausgeführtwird, daß die Frage der Einberufimg sich erst entscheiden lasse, wennein klarer Thatbestand der in Betracht kommenden Verhältniste vorliege.„Der Reichstag," ciimial einberufen, kann nicht wochenlang unthätigfein."...„Gegenwärtig vermögen auch in andren Parlamente»die Minister die an sie gerichteten Fragen nur damit zu be-antworten, daß sie keine Kenntnis hätten von den thatsächlichen Ver-Hältnissen."... Ich gebe zu, meine Herren, daß dieser Artikel bis zueinem gewissen Grade auf Stelzen gestellt ist, das pflegt aber beioffiz lösen Auslassungen häufig der Fall zu sein.(Stürmische Heiterkeit.) Sicher ist doch, daß derjenige, der diesenArtikel verfaßt respektive inspiriert hat, jedenfalls optima Lcks in diesemAugenblick die Einberufung nicht für geeignet hielt. Ich gehörteallerdings damals zu denjenigen, die meinten, ernste und gewichtigeGründe sprächen für die Einberufung. Aber als ich diesen Artikel las, dasagte ich mir, gegen den Abg. Richter kann ich nichtaufkommen.(Stürmische Heiterkeit.) Jedenfalls kaim ich er-klären, daß wenn sich wieder ein ähnlicher Fall ereignen sollte, washoffentlich nicht in absehbarer Zeit geschieht, und wenn ich dannnoch auf dieser Stelle stehe, was ich auch nicht weiß(Heiterkeit),dann werden Sie einberufen werden, darauf können Sie sich ver-lassen.(Heiterkeit.) Herr Richter hat nun gemeint, die Zurück-berufung der russischen Truppen wäre zurückzuführen aufeine Verstimmung gegen uns. Dies anzunehmen heißt doch dieSachlichkeit und Ruhe unterschätzen, mit der die nlssische Politik ge-leitet wird, die sich ebenso wenig von Stimmungen leiten läßt, wiedie unsre.(Na, na! links.) Für die deutsche Politik kann ich dasgarantieren, aber ich möchte es auch für die russische. Am aller-wenigsten richtet sich dieser Rückzug gegen das Oberkommando, dennich habe gestern betont, daß dies i» erster Linie vom russischenKaiser in unsre Hände gelegt ist. Wir haben dem russischen Vor-schlag nicht zugestimml, weil wir nicht glaubten, daß er beitragenwürde zu einer raschen Pacifizienmg Chinas, aber wir haben nichtverkannt, daß er bona Läo gemacht war. Die Diskusston darüber istz wische» u»S und Petersburg in der verbindlichstenForm geführt worden.Was die Entstehung des deutschen Oberkommandos betrifft, so habenwir unsre» Oberbefehlshaber andren nicht aufgedrängt. Die Ideeeines deutschen Oberbefehls beruhte auf einer' von außen her aufamtlichem Wege an uns gelangten Anregung. Mehr kann ichnicht sage».(Aha! links.) Es giebt Fälle, wo mir dasStaatsinteresse ein Schloß vor den Mund legt.und mirnoch höher steht, als mein lebhafter Wunsch, im übrigen auf alleFragen des Abgeordneten Richter zu antworten.(Große Heiterkeit.)Herr Richter hat dann weiter die Angriffe des Herrn Bebel gegendie Missionare aufgenommen. Herr Bebel hat gestern speciell denkatholischen Missionäre» bis zu einem gewissen Grade die Schuld an denWirren zugeschrieben. Diese Behauptung wird durch die mir zugegange-neu Nachrichten nicht bestätigt. Wir betrachten den Schütz derka t h o l i sich e n Miss ionare auch in China als eineEhren-Pflicht, der wir uns nicht entziehen werden.(Bravo! im Centrum)— Herr Richter ist auch ins Gericht gegangen mit den Cirkular-noten, die ich im September lanciert habe. Bei diesen Noten kames mir weniger auf die Form wie auf die Sache an. d. h. auf dieFormulierung eines Vorschlags in betreff der Eruierung und Be-strafung derjenigen, die an den greulichen Unthaten in China schuldhatten. Dieser Zweck ist erreicht ivorden.Herr Richter hat iveiter gesagt, daß Kiauffchou nicht die Er-Wartungen realisiert hätte, die er selbst an diese Erlverbung ge-knüpft hätte. Doch erinnere ich mich, daß, als die Engländer Handauf Hongkong legten, das englische Ministerium auf das heftigsteangegriffen wurde von der englischen Opposition. Man warfihm vor. Hongkong wäre ein elendes Mebenrest, ein nackterFelsen usw. Heute verzeichnet Hongkong einen jährlichen Schiffs-verkehr von 10—12 Millionen Tonnengehalt.(Hört, hört! rechts.)Eine Kolonie kann natürlich nicht aufschießen wie eine Blume inder Nacht! Ich bin aber überzeugt, die große Bedeutungvon Kiautschou für Schiffahrt. Handel und' Industrie wirdsich mehr und mehr herausstellen. Einen breiten Raumin den AnSführnngen des Herrn Abgeordneten Richter hat ein-genomnien seine Kritik der Reden S. M. des Kaisers. Er hat zu-nächst die Frage aufgclvorfen von der Verantwortlichkeit hinsichtlichdieser Reden. Der Artikel 17 der Verfassung, glaube ich, ist es, derbestimmt, daß der Reichskanzler die Verantwortung trägt für An-ordnungen und Berfügnngeii S. M. des Kaisers. Herr Richter wirdaber nicht behaupten wollen, daß Reden Sr. Majestät unter eine dieserbeide» Kategorien fallen. Ich möchte aber nicht einen Augen-blick zögern, hier zu erklären, daß ich die volle moralische Ver-antwortung übernehme für Reden Sr. Majestätdes Kaisers, ivelche von der Mehrheit der Nationnicht mißverstanden werden.(Große Heiterkeit bei de»Socialdcmokraten.) Meine Herren! Ich habe gestern dem HerrnAbgeordneten Bebel mit der größten Aufmerksamkeit zugehört, ichhabe ihn nicht unterbrochen, nicht einnial durch einen Heiterkcits-Ausbruch, ich wäre sehr dankbar, wenn man auch mich aus-reden ließe.Die Rede des Kaisers wurde gehalten in einem Augenblick, woollgemein angenommen wurde, daß alle in Peking eingeschlossenenEuropäer eines martervollen Tods gestorben wären. Es ist involler Ordnung, daß der Kaiser in diesem Augenblick als'Soldatsprach und nicht als Diplomat. Daß' die Diplomatiedabei nicht zu kurz kommt. dafür lassenSie mich sorgen.(Heiterkeit links.) Die Hauptsache war.daß unsre Soldaten wußte», gegen iven sie geschickt wurden undich muß sagen, mir ist der kleine Finger eines Pom-m er s che ii Musketiers lieber als das ganze Mord-gesindel der Boxer.— In der Rede im Marinekasino inWilhelmshaven hat der Kaiser die Ziele unsrer Politik gekennzeichnet.Wenn gesagt worden ist, daß wir uns in Zukunft in wichtigen Fragennicht beiseite schieben lassen werden, so involviert das' nicht'dieTendenz, daß wir uns in Fragen einmischen wollen, die uns nichtsangehen. Aber das Recht ebenbürtig andren Nationen mitzusprechen,werden wir uns nicht rauben lassen.(Bravo! rechts.) Wir stehen doch inChina nicht allein, andre Mächte sind zum Teil stärker engagiert als wirund ich sehe nicht ein, warum wir nicht übernehmen können, sollenund müssen, was andre Mächte auf ihre Hörner genommen habe».Es gab eine Zeit, wo man Deutschland das Recht der Einigung be-stritt, wir sind aber trotzdem einig geworden, wir sind eine Groß-macht geworden und wollen es mit Gottes Hilfe bleiben.(Bravo!rechts.) Ich bin überzeugt, daß sich die Nation das Recht auf eineverständige und besonnene Weltpolitik weder ausreden noch ver-kürzen lassen wird.(Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen.)Abg. v. Kardorff(Rp.):Das Verhalten der offiziösen Presse bei der Nichteinberufung desReichstags war außerordentlich ungeschickt. Die Verantwortung fürdie Nichteinberufung trägt ausschließlich der Reichskanzler.' Esist falsch, wenn die Offiziösen weiter behaupteten, dieNichteinberufung des Reichstags sei im Einverständnis mithervorragenden Parteiführer» erfolgt. Ich stelle fest, daßnicht ein Mitglied der konservativen, meiner, der national-liberalen Partei oder des Centmms von irgend einer Seite wegender Einberufung gefragt worden ist. Solche Flunkereien sollten dieOffiziösen doch laisen. Es ist weiter von den Offiziösen behauptetworden, der Reichstag sei nicht einberufen worden, weil seineDebatten die Vcrhandlrlngen mit auswärtigen Mächten hättenstören können. Die absolute Monarchie mag ja eine viel bequemereEinrichtung sein als der Reichstag. In der Theorie kann man jaauch streiten, ob eine absolute Monarchie unter einem absolutenMonarchen, der den kategorischen Imperativ der Pflicht befolgt undsich als erster Diener des Staats fühlt, nicht ihre Vorzüge vordem parlamentarischen System hat. Wir haben aber einparlamentarisches Regime wie ganz West- Europa, und solange wir es verfassungsmäßig haben, muß daran fest-gehalten werden. Ich kann auch gar nicht begreifen, warum dieserReichstag, der mit Zweidrittel« Mehrheit die Flotte bewilligt unddie nationale und patriotische Pflicht der Regierung jederzeit unterstützthat, nicht einberufen worden ist. Vielleicht liegen die Dinge so, daß demHerrn Reichskanzler Hohenlohe, der durch die Maßregelung der kanal-gegnerischen Beamten und durch die Bedrohung der Abgeordnetenbewiesen hat, daß ihn, die Verfassung Preußens nicht mehr ganzgegenwärtig war, auch die Reichsverfassnng nicht mehr gegenwärtiggewesen ist.(Heiterkeit), und daß er die große Ber-äntwortlichkeit nicht ganz begriff, die auf ihm lastete.Solche Verhandlungen, wie die gegenwärtigen im Reichstage,haben großen Wert für die Politik der Regierung demAusland gegenüber. Nun zu Herrn Bebel. Er hat von den Hunnen-briefen gesprochen. Ich habe auch einige Erfahrungen aus demSoldatenleben. 1370 erhielt ich eine Reihe Soldatenbriefe. Ich gewannden Eindruck, daß die Phantasie der Briefsteller außerordentlich erregt sei.Die Leute behaupteten, bei Aktionen zugegen gewesen zu sein, beidenen Tausende gefallen sind, und nachher waren nur ein oder zweiVerwundete. Die Soldaten haben eben das Bedürfnis, ihrenAngehörigen ihre Strapazen und Fährlichkeiten in glühendenFarben zu schildern; unbedingt verlassen darf man sich aufdiese Berichte nicht. Auch 1370 sind Wehrlose niedergcschoffen wordenbei unsren Kämpfen mit den Franktireurs. Ich ivundere mich,daß Herr Bebel so feinfühlig ist. Er findet doch nichts dabei,wenn die Arbeitswilligen bei Streiks gemißhandelt werden.Den Soldaten und Offizieren find solche Aufträge sehr un-angenehm, aber sie müssen erftillt wenden, und Herr Bebelerinnert sich doch noch der Pariser Kommune, da waren seine Partei-genossen nicht zartfühlig. Leute, von denen man vermutete, daßsie im Dienste der Versailler Regierung stünden, wurdeneinfach an die Wand gestellt und niedergeschoffen.— Herr Bebelhat die Boxerbewegn'ng mit den Freiheitskriegen verglichen.Wann ist denn je in den Freiheitskriegen vorgekommen, daß Ge-sandte ermordet und die Parole ausgegeben wurde, alle Fremdenzu töten? Die Boxer entsprechen den Thugs in Indien, mit denendie Engländer auch nur durch drakonische Mittel fertig gewordensind. Herr Bebel hat Herrn v. Ketteler angegriffen, der einenHeldentod gestorben ist. Ich überlasse das seinem Gefühl. Herrv. Ketteler hat in großartigster Weise seine Pflicht erfüllt.Nun zu der Missionssiage! Aeußcre Mission zu treiben istein Lebensbedürfnis für jede Kirche; sie erfüllt damit einGebot des göttlichen Meisters. Eine Kirche, die keine Propagandatreibt, verdorrt in sich. Das ist bei der griechischen Kirche wohlder Fall. Evangelische Missionen haben stets das Bestreben, sichnicht in Politik zu mischen. Wenn man sagt, die Mission wende.sich nur an schlechte Elemente— nun, unser Herr und Heilandhat sich auch an die Zöllner und Sünder gewandt. InChina ist die Kindesaussetzung üblich. Die Missionare sammelndie ausgesetzten Kinder, bringen' sie in Waisenhäuser und erziehen siezu Christen; schon das allein' zeigt ihre Notwendigkeit. Bebel hat diebeachtenswerte Aenßernng get'han, er empfinde große Hoch-achttmg vor dem Neuen Testament und befolge seineVorschriften. Die andren aber müßten danach eigentlichalle in der Hölle braten. Wenn er sich auf diesen pharisäischenStandpunkt stellt, dann hat er den Geist des Evangeliums nichtbegriffen und ich wünschte, daß er in der Lektüre des Neuen Testa-mcnts fleißig fortfährt. Bebel hat gemeint. China gehöre den Chinesen,aber die Welt ist doch nicht bestimmten Nationen eingeräumt. Es ist dieBestimmung des Menschengeschlechts, sich die ewigen Naturkräfte derWelt nutzbar zu machen. In China ist Eisen und Kohle vorhanden.die Chinesen beuten sie nicht aus, weil sie die Erdgeister nicht ent-fesseln wollen. Die Weltgeschichte zeigt, daß stärkere Kräfte undjüngere Nationen kommen, um die Naturkräfte zu exploitieren. InChina haben wir ja auch den Chinesen gar nichts fortgenommen,sondern gepachtet.(Heiterkeit.) Bebel hat jeden positiven Vorschlagunterlassen, was nun eigentlich werden soll und wie er sich die Ge-staltnng der Beziehungen der europäischen Machte mit China denkt.Im Gegensatz zu Richter halte ich die Ucbernahme des Ober-befehls durch Deutschland für durchaus richtig. Das deutscheKontingent mußte in achtunggebietender Stärke hingeschickt werden.Die Absendimg unsrer Kriegsschiffe erster Klasse ist dochwahrscheinlich ans politischen Erivägungen notwendig gcivorden,uni andren Mächten unsre Macht zu zeigen. Unier militärischerApparat hat vorzüglich funktioniert. Zu dem Talent und der Energieunsres neuen'Reichskanzlers habe ich volles Vertrauen.Er wird die Nnterstützung der nationalgesinnten Parteienfinden, wenn er auf der Bahn bleibt, die er setztbetreten hat. Ich lege im Gegensatz zu Herrn v. Levetzoiv hohenWert auf den Ausdruck Indemnität. Aber an ein Ministerver-antwortlichkeits-Gesetz ist vorläufig nicht zu denken.(Beifall rechts.)Abg. Rickert(freis. Vg.):Wir freuen uns darüber, daß die Regierung eingesehen hat, daßsie Indemnität nötig hat. Aber der Herr Abg. Kardorff geht zu weit,wen» er de» alten Fürsten Hohenlohe verantwortlich für die Nicht-eiilberuftlng des Reichstags machen will. Ich habe schon früher denStandpunkt vertreten, daß die Regierung in derartigen Fällen, wiein dem heutigen, Indemnität nachsuchen muß. In früheren Fällenivar immer die Rechte dagegen, heute fft der ganze Reichstag indiesem Verlangen einig. Die Regiernng hätte in» Sommereinberufen müssen. Es ist doch lächerlich zu sagen,daß sich die Regierung vor ein paar socialdemokratischenReden gefürchtet hat, wie das offiziös geschehen ist.Dem Unwesen der offiziösen Presse sollte der neue Reichskanzlersteuern, das wäre eine Wohlthat für den Staat. Er sollte auch da«für sorgen, daß einheitliche und korrekte Berichte über kaiser-liche Reden in den Blättern erscheinen. Jeden Patrioten muß esbetrüben, wenn den Kaiserreden Mißverständinsse unter-liegen. Herr Richter hat gefragt, ob die kaiserlichen Worte„Pardon wird nicht gegebeil"'als Truppenbefehl aufzufassensind. Der Knegsminister hat gestern schon diese Frage verneint, wieser auch bestritten hat, daß der Inhalt der sogenannten Hunnenbriefeder Wahrheit entspricht. Die amtlichen Berichte lauten anders. Jinmer-hin müssen die Berichte über die barbarischen Greuelthaten genaugeprüft werden. Darin hat Abg. Bebel recht. Auf die Leistungenunsrer Armee und Marine sind wir stolz. Ich bin mit Herrn v. Kardorffeinverstanden, daß man um ein paar tausend Mann nicht marktensoll. Es galt Deutschlands Ehre und Prestige zu ivahren. Damögen die Ansichten auseinandergehen, ob dazn ein paar tausendMann mehr oder ivcniger notwendig sind. In der Kommissionwird es hoffentlich zu einer Verständigung kommen und der Regie-rung wird die nachgesuchte Indemnität erteilt werden. Die Regie-rung wird ihrerseits hoffentlich den Schluß daraus ziehen, daß derReichstag immer hinter ihr steht, wenn es sich um Wahrung derdeutschen Ehre, um Civilisation und Humanität handelt.(Beifall.)Ein Vertagungsantrag wird hierauf angenommen.Persönlich bemerktAbg. Lcdebour(Soc.): Der Abg. Busscrmann hat einen Wider-spruch zwischen mir und meinem Freund Bebel über den Jmperialis-mus zu konstruieren versucht und auf eine Aeußerung von mir auf 1dem Mainzer Parteitag zurückgegriffen. Das ist eine ganz irrtümlicheAuffassung des Abg. Bassermann. Ich habe die von ihm citiertenSätze Eduard Bernsteins in Mainz ebenfalls citiert, sieauf das energischte bekämpft und sie' als Zeichen imperialisti-scher Politik namens der ganzen Partei zurück-gewiesen.Abg. Richter(persönlich): Ich bin dem Reichskanzler dankbar,daß er sich auf meine Autorität berufen hat. Schade nur, daßmeine Autorität nur am 4. Juli für ihn gegolten hat, nichtauch für die Folgezeit, wo ich die Einberufung desReichstags gefordert habe. Noch dankbarer aber würde ich demHerrn Reichskanzler sein, wenn ihn meine Autorität nicht nur beiUnterlassungen seinerseits, sondern auch bei positiven Maßnahmenetwas gelten würde.(Heiterkeit und Sehr gut! links.)Abg. Basscrmann(natl.): Herr Ledebour hat mich total miß-verstände», ich habe nur gesagt, auch er habe in Mainz zugebenmüssen, daß eine imperialistische Strömung in seiner Partei vor-Händen sei.Damit schließt die Sitzung.Nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr.(Tagesordnung: 1. SchleunigerAntrag der Socialdemokrateu auf Einstellung mehrerer Straf-verfahren gegen den Abg. Fischer-Sachsen. 2. Fortsetzung der heutigenDebatte. 3. Interpellation der Socialdemokrateu wegen der12 000 Mark-Affaire.Schluß b»/. Uhr.Berliner Partei-Angelegenheiten.Achtung, erster Wahlkreis! Die Parteigenossen werden aufdie morgen, Donnerstag, abends 8�/» Uhr stattfindende öffentlicheVersammlung in den Armüihallen, Kommandantenstraße 20, aufmerksam gemacht. Genosse Paul Göhre, Pastor a. D., spricht über:„Christentum und Socialdemokratie". Näheres siehe heutigesInserat. Frauen habe» Zutritt. Zahlreichen Besuch erwartetDer Vorstand.Erster Berliner ReichStagö- Wahlkreis. Sonntagabend6 �Ihr findet in Cohns Festsälen, Beuthstraße 20, eine Versammlungstatt, in der Genosse Dr. Beutler über die politische Lage spricht.Nachdem gemütliches Beisammensein mit Tanz. Zahlreichen Besucherwarten Die Vertrauensleute.Am Donnerstag ist Stadtverordnetcn-Wahl in Rixdorf.Die Wahlhandlung währt von vormittags 10 Uhr bis abends 6 Uhr.Ueber die Bedeutung der Wahlen, die unter dem Zeichen des bekannten vom Ober-Verivaltungsgericht gefällten Urteilsstehen, ist jeder Einwohner unterrichtet. Parteigenossen, seid Mannfür Mann zur Stelle und sorgt dafür, daß die Kandidaten derSocialdemokratie mit imponierender Mehrheit gewählt werden.Gewählt wird in folgenden Bezirken:Bezirk 2, umfassend: Bergstr. 62—03, Bode-, Jonas«, Ilse-,Kirchhofstr. 1— ö und 36—49, Schönweiderstraße. Wahllokal: Holl«machsches Lokal. Bergstr. 07. Kandidat: Max Pohl.Bezirk 3, umfassend: Hohenzollernplatz, Rosen-, Goethe-,Bergstr. 43—60/61 und 110—160. Wahllokal: Deutsches Wirtshaus,Bergstr. 130/137. Kandidat: W i I h. K o n r a d.Bezirk 4, umfassend: Bergstr. 1—42 und 161—103, Mittel-.weg, Steinmetzstr. 1—19 und 08—87, Thomas-, Waßmannsdorfer-straße. Wahllokal: Lauknersches Lokal, Bergstr. 161/162. Kandidat:M a x P o h l.Bezirk 0, umfassend: Berlinerstr. 1—40 und 02—107. Wahllokal: Hildebrandsches Lokal, Berlinerstraße 103. Kandidat:M a x P o h I.Bezirk 8, umfassend: Hermannplatz, Kaiser Friedrichstraße,Kottbuser Damm, Lohmühlenstraße, Maybach- Ufer, Schinkestraße,Harzerstraße, Straße 69, Weserstraße. Wahllokal: Ballivitzsches Lokal,Kottbuser DanNn 02. Kandidat: Dr. R. S i I b e r st e i n.Bezirk 9, umfassend: Hasenhaide, Karlsgarten, Wanzlickstraße,Wißmannstraße. Wahllokal: Sachses Lokal, Haisenhaide 116/110.Kandidat: Emil W n tz k y.Bezirk 13, umfassend: Prinz-Handjcrystraße. Wahllokal:Wittenbcrgsches Lokal, Berlinerstr. 106. Kandidat: Max Pohl.Bezirk 14, umfassend: Kopf-, Steinmetzstr. 20— 07. Wahllokal:Hartmauusches Lokal, Kopfstr. 69. Kandidat: Max Pohl.Bezirk 18, umfassend: Hcrmaunstr. 99—100, Hertha-, Kirch-hofstraße 10—34, Knesebeckstraße, Mariendorfer Weg, Ringbahnstraße,Kranoldplatz, Kranold-, Neinhold-, Edmundstraße. Wahllokal:Graffundersches Lokal, Hcrmannstr. 160. Kandidat: Max Pohl.Wahlberechtigt ist jeder preußische Staatsangehörige, der imBesitz der bürgerliche» Ehrenrechte ist und bis zum 1. Juli d. I. das24. Lebensjahr erreicht hat sowie mindestens die 2. Steuerstnfe(1,33 M.pro Vierteljahr) bezahlt. Diejenigen Wühler, welche verzogen sind.müssen ihre Stimme in dem Bezirk abgeben, Ivo sie vor dem 1. Juli d. I.gewohnt haben. Das Wahlbureau befindet sich im Apollo-Theater, Hermannstr. 49. Alle auf die Wahl bezüglichen Vorkommnisse sind dort zu melden. Das W a h l- K o m i t e e.Die Parteigenossen, welche bei der Wahlagitation thätig seinwollen, werden ersucht, sich Donnerstag früh 0 Uhr im Wnhlbureaueinzufinden.Charlottcnburg. Die Mitglieder des WahlvcreinS für Teltow«BeeSkow-Storkolv-Charlottcnbnrg werden um zahlreichen Besuch derMitglieder- Versammlung am Donnerstag in der Gambrinns-Brauerei gebeten. Der Vorstand.I« der keilten Lokalliste ist daS Lokal der Schultheiß-Brauereiin N r e d e r s ch ö n e>v e i d e, die frühere Borussia-Branerei, nochverzeichnet. Das Lokal ist geschlossen, da die Brauerei es zuBureauzwecken braucht. Das andre Lokal der Schnltheiß-Brauerei,der Neue Krug, ist für die Arbeiter gesperrt, so daß hier nur dasLokal des Genossen Franz in der Grünnuerstraße frei ist. InJohannisthal wollen die Genossen darauf achten, daß dasLokal von Rittershaus für die Arbeiterschaft nicht frei ist, da derWirt erklärte, nur sogenanntes besseres Publikum haben zu wollen,außerdem von dem bekannten Amisvorsteher v. O p p e n bei einerFreigabe seines Lokals schwere Schädigung befürchtet. Es stehenalso in Johannisthal nur die Lokale von Senftieben, MertinS undRau der Arbeiterschaft zur Verfügung. Die Lokalkommission.Briefkasten der Redaktion.Die inrlsiiscbe Sprechstunde findet Montag, DienStag,Tonnerstag und Freitag von 7— S»hr abends statt.G. V. K. 31. Gesuche sind zu richten an die Oderpostdirektion Berlinbez. Eiseubiihndircktwn Verlin.P. Adam. Jinierhalb dreier Monate nach erlangter Kenntnis von derPerson des Thälers, längstens jedoch fünf Jahre nach Begehnng der That.