Nr. 376. 17.1*1.» grillige ks Jotmilits" gttlintt Dilkblott.««*■!.«»■«*.Veichsksg.8. Sitzung. Montag, 26. November 1900, 1 U h r.Am Bundesratstische: v. Gotzler, v. Thielmann.Auf der Tagesordnung steht zunächst folgende Interpellationdes Abgeordneten Graf v. O r i o l a(natl.):Ist der Herr Reichskanzler bereit, Auskunst darüber au gebenob die Vorarbeiten für die von dem Herrn Kriegsminister inAussicht gestellte Vorlage, betreffend die Revision derMilitärpcnsions-Gesctze, beendet sind und ob anzunehmen istdaß diese Vorlage im Laufe dieser Session an den Reichstag ge-langen wird?Zur Begründung der Interpellation erhält, nachdem sich derReichsschatzsekretär Frhr. V. Thielmann bereit erklärt hat, dieselbesofort zu beantworten, das WortAbg. Graf v. Oriola snatl.):Der Reichstag hat bereits zweimal eine Resolution angenommen,die Beseitigung der Ungleichheiten und Härten der jetzigen Militärpensions-Gesetze verlangt. Der Herr Kriegsminister selbst hat imMärz dieses Jahres in der Budgetkommisston die Erklärung ab-gegeben, daß er sein Möglichstes thun werde, um die Vorlage eineseinheitlichen Gesetzes zu beschleunigen. Darauf hin erwarteten wirin der Thronrede die Ankündigung dieser so dringend notwendigen Re.Vision— leider vergebens. Wir müssen aber verlangen, daß den heutigenLebensverhältnissen entsprechend die Pensionsverhältnisse der altenInvaliden geregelt werden. Wenn diese Regelung so lange auf sichwarten läßt, können wir nur annehmen, daß die Schwierigkeiten beidem Herrn Reichsschatzsekretär liegen.(Sehr richtig I bei den National-liberalen.) Es handelt sich aber hier um eine Ehrenschuld des Reichsgegenüber den alten Soldaten und ihren Witwen und Waisen, und Ehrenschulden müssen zuerst eingelöst werden. sSehr gut I bei denNationalliberalen.) Möge der Herr Staatssekretär des Reichsschatz�amts sich mein Material, das im Kriegsministerium lagert, ansehen,dann wird auch die eisengepanzerte Brust dieses FinanzmanneS vonall dem Elend und der Not bewegt werden.(Bravo I bei denNationalliberalen.) Wir wollen nicht warten mit der Bewilligungdes Nötigsten, bis der größte Teil der Berechtigten gestorben ist.(Sehr richtig I bei den Nationalliberalen.)Frhr. v. Thielmann:Was die Berechtigung der Wünsche der Kriegsinvaliden anbetrifft,so bin ich da vollkommen der Ansicht des Herr» Kriegsministers.Notwendig ist die Reform und die Vorarbeiten sind auch bereits abgeschlossen, doch greift diese Frage erheblich weiter und steht imengsten Zusammenhange mit der Regelung der Pensionsverhältnisseder Civilbeamten. Wir haben 118 000 etatsmäßige Reichsbeamte.für die abgesehen vom Reichs-Jnvalidenfonds 86�/s Millionen Markin diesem Jahr an Pensionen ausgegeben sind. Preußen hateinen Beamtenstand von fast 197 000 Köpfen und imJahre 1900 betrug die PensionSausgabe OllVe Millionen. Dazu komme,daß der Reichs- Jnvalidenfonds bankrott ist.(Zuruf des Abg.Arendt: Dies Jahr!) Dies Jahr ist aber ein Bilanzjahr desReichs-Jnvalidenfonds, und die Bilanz hat einen Fehlbetrag von17 Millionen ergeben, während vor drei Jahren ein aktiver Bestandvon 69 Millionen existierte. Mit Rücksicht auf diese Verhältnissemüssen wir uns sagen, wie weit können wir den Wünschen derMilstärinvaliden entgegenkommen. Erwägungen darüher schweben.(Lachen bei den Nationalliberalen.)Auf Antrag des Abg. Dr. Sattler(natl.) wird in eine Be-sprechung der Interpellation eingetreten.Abg. Nickert(frs. Vg.):Gewiß ist es für uns eine mißliche Situation, die Regierung zuAusgaben anregen zu müssen. Es bestehen aber bei uns derartiganormale konstitutionelle Zustände, daß auch hier eine Aus-»ahme berechtigt ist, die Verantwortung dafür müssen wir derRegierung überlassen. Es handelt sich darum, ob feierlicheVersprechungen der Regierung eingelöst werden sollen odernicht. Die Notwendigkeit der Regelung dieser Materie ist ja selbstvon dem Herrn Reichsschatzsekretär anerkannt worden, was soll alsodie Verzögerung. So schlecht steht es doch mit unsren Finanzen inder That nicht.(Sehr richtig I links.) Es wird uns schließlich nichtsandres übrig bleiben, als die 120 M, um die es sich hier für deneinzelnen handelt, einfach in den Etat zu schreiben. Ich glaubewohl, daß sich dafür eine Mehrheit im Reichstag finden wird.(Bei-fall links.)Abg. Fritzen(C.):Auch wir müssen uns der Forderung der Interpellanten an«schließen, hier ist schnelle Hilfe nötig I Wir dürfen nicht abwarten.bis� die sieben fetten Jahre vorüber sind.(Sehr richtig I) Wirhoffen daher, daß die Vorlage doch noch in dieser Session an denReichstag kommen wird. Sollten wirklich die Geldmittel nicht aus-reichen, so würden wir nicht davor zurückschrecken, für diesen Fallneue Geldquellen zu eröffnen.(Bravo I)Abg. Dr. Oertel(kons.):Die Gründe des Staatssekretärs waren weder neu noch durch-schlagend. Bis die gesamte Civilpensionsfrage geregelt ist, könnendie Militärinvaliden unmöglich warten.(Sehr richtig!) Das alteschöne Lied von den schwebenden Erwägungen haben wir bereits sooft gehört, daß uns schon eine seelische Gänsehaut dabei überläuft.(Heiterkeit.)Abg. v. Wollmar(Soc.):Ich kann nur dem zustimmen, was der Abg. Graf v. Oriolasagt hat, daß wir es hier mit einer Ehrenschuld zu thun haben.la gla. Imeine, daß es keine Schuld giebt, die ein Land mehr an der Ehrefassen kann, als gerade diese. Auf diesem Gebiete ist bei uns schwergesündigt. Man muß direkt sagen, daß uns da gegenüber andrenLändern, namentlich gegenüber denen, die damals mit uns im Kampfegestanden haben, eine tiefe Beschämung ergreifen muß. Es sollen dapro Kopf 120 M. gezahlt werden. Es ist ein wahrer Jammer, daßdie Leute, die es bedürfen, nur 120 M. bekommen, undzweitens, daß so viele, die es bedürfen und dessen würdigwären, nicht einmal diese 120 M. bekommen.(Sehr richtig Ilinks.) Ich will einen Fall erzählen, der eigentlich ganz un-möglich erscheint, aber mir selbst hat eine Abschrift des vonder Militärverwaltung erteilten Bescheides vorgelegen. EinMann hat die Sehkrast auf einem Auge verloren. Es ist doch klar,daß der Mann nicht auf dem Auge erblindet gewesen sein kann, be-vor er zum Militär kam. Gleichwohl hat er nichts bekommen, weildie Militärverwaltung sagte:„Du kannst uns nicht nachweisen, wo-durch Du blind geworden bist.� Gerade jetzt, wo wieder ein Krieggeführt wird, von dem man mit Ruhmredigkeit mehr gemacht hat,als notwendig war, als man früher gethan hat, da sollte man sichdaran erinnern, mit welchen Gefühlen die Soldaten fortgehen, wennsie in ihrer Heimat Leute sehen, die in Jammer und Elendsitzen, die Mitstreiter von 1870 gewesen sind und denenes deshalb unmöglich ist, zum Lebensunterhalt Zureichendes zuerwerben.Der Staatssekretär hat von dem Wohlwollen der Regierungfür die Invaliden gesprochen. Ja, wenn die Leute von dem Wohl-wollen lebe» könnten, dann hätten es die Invaliden und auch nochviele andre Leute gut. Das ist aber nicht so und deshalb hätte derHerr Staatssekretär nicht nötig gehabt, so große Worte zu machen.Die Regierung trägt in diesem Falle die einzige Schuld.Seit Jahren' wird ihr gesagt, was sie zu thun hatund trotzdem ist man nicht weiter gekommen. Ich kann hiererklären, daß wir die Stellung beibehalten, die wir in dieserFrage immer eingenommen haben, daß wir eintreten für jedeMaßregel, die irgendwelche Aussicht bietet, das LoS der In-validen zu verbeffern. Am besten geschieht das durch gesetzlicheMaßregeln, die wir als die allein berechtigten erkennen. Wir machendie Regierung dafür verantwortlich, wenn sie trotz allen Drängensaus diesem Hause heraus noch immer nicht begreift, waS ihre Pflichtist(Bravo I links.)Abg. Eichhoff(frs. Vp.):Nachdem der Reichstag im vorigen Jahre einstimmig beschlossenhat, den Reichskanzler um die Revision des Militär-Pensionsgcsetzeszu ersuchen, kann ich uamens meiner politischen Freunde nur meinemBedauern Ausdruck geben, daß nach den Worten des Herrn Staats-sekretärs diese Vorlage in der jetzigen Session nicht mehr eingebrachtwird. Eine Ungerechtigkeit liegt darin, daß den Offizieren, die imReichs- und Staatsdienst angestellt sind, die Militärpension nebendem Diensteinkommen wenigstens bis zu einem Gesamtbetrage von4000 M. gewährleistet wird, während das bei den andern Militär-Pensionären nicht der Fall ist, die doch nur 600, 900, 1200 und1400 M. erhalten.Abg. Prinz zu Schönaich-Carolath(wildlib.):Was nützen alle schönen Reden hier, wenn doch kein Vorwärts-kommen zu bemerken ist. Der Reichskanzler mutz der Regierungseinen energischen Willen ausdrücken, daß endlich etwas geschafft unddie berechtigten Beschwerden abgestellt werden. Ich will dem HerrnSchatzsekretär nicht ausschließlich die Schuld beimessen, aber er machtzu viel Umstände. Wenn all das erledigt werden soll, was er er-ledigt haben will, wann werden wir dann die Vorlage haben?Abg. Dr. Arendt(d. Rp.):Auch wir sind bereit, ehe solch wichtige Aufgaben ungelöstbleiben, lieber neue Steuerquellen zu eröffnen. Wenn derReichs-Jnvalidenfonds bankrott ist, so schadet das nicht das geringste,das ist im Gegenteil geradezu seine Bestimmung. Bezeichnend fürdas Verhalten der Regierung gegenüber den Militärinvaliden ist,daß für die Hinterbliebenen der deutschen Freiwilligen in China nochkeine Fürsorge getroffen ist.(Sehr richtig I>Abg. Werner(Antisem.):Wohlwollen kann unS hier gar nichts helfen, diese Ehrenschuldmuß thatsächlich abgetragen werden. Mit aller Beharrlichkeit müssenwir auf unsren Forderungen bestehen. Es ist ganz unerklärlich, daßdie Regierung sich so verschließt. Aber um so energischer müssenwir sein.Abg. Graf v. Oriola(natl.):Einzelstagen erörtern wir am besten bei der Beratung der Vor-läge selbst. Die Forderung, die wir aufgestellt haben, daß 120 M.mehr gezahlt werden, die halten wir fest. Die Antwort des HerrnSckiatzsekretärS war merkwürdig. Ich bedaure, daß sie so ausgefalle» ist.Die Interpellation war doppelt berechtigt, da wir jetzt diese Antworterhalten haben. Der einstimmige Protest war unbedingt not-wendig einer solchen Haltung gegenüber. Die Worte des Reichs-Schatzsekretärs, die sich gegen'mich richteten, sind eine Verdächtigung,die ich zurückweise. Meine Worte waren richtig, denn aus derAntwort des Herrn Reichs-Schatzsekretärs ging hervor, daß nur nochdie finanziellen Ressorts mit den Vorarbeiten nicht fertig sind. Ichweise also die Verdächtigungen des Staatssekretärs zurück.(Bravo Ibei den Nationalliberalen.)Präsident Graf Ballestrem:Ich habe die Aeußerung des Herrn Reichsschatzsekretärs nicht soaufgefaßt wie der Herr Vorredner. Ich nahm an, der Herr Staats-sekretär habe nicht dem Herrn Abg. Oriola Verdächtigung vor-geworfen, sondern habe gemeint, die Rede des Herrn Abgeordnetensei geeignet gewesen, außerhalb des Hauses den Herrn Reichsschatz-sekretär zu verdächtigen. Hätte ich die Worte des Herrn Staats-sekretärs so aufgefaßt wie der Herr Vorredner, so hätte ich sie alsmit der Ordnung des Hauses unverträglich bezeichnet.(Bravo! beiden Noti onaliberalen.)Damit schließt die Besprechung der Interpellation.Es folgt die erste Lesung der GeemannSordnung mit dendazu gehörigen Gesetzen.Abg. Dr. Semler(natl.):Die Vorlage ist wohl nicht verursacht durch Veränderungen inden Verhältnissen der Schiffahrt, sondern durch die veränderten An-schauungen über die Notwendigkeit und Ausdehnung der socialenFürsorge auf die verschiedensten Gebiete. Aus diesem Grunde muß geprüftwerden, ob die Forderungen der sociale» Fürsorge sich vereinigen lassenmit den realen Verhältnissen. Es muß vermieden werden, daß mitdem Bade— das ist die Seemannsordnung— auch das Kind—das ist die Reederei— ausgegossen wird.(Lachen bei den Social-demokraten). Was die Vorlage selbst angeht, so will ich mich aufeinige Punkte beschränken. Die Kommission, welche sich mit diesemGesetze schon beschäftigt hat, will die Löschung und Ladung an Sonn-und Festtagen auch in überseeischen Häfen vollständig verbieten. Das gehtentschieden zu weit. Nach Mitteilungen, die mir zugegangen sind,besteht in vielen ostosiatischen Häfen das Lösch- und Ladepersonalzuni überwiegenden Teil nicht aus C h r i st e n, sondern ausM a l a y e n und andren Farbigen. Weiter mache ich daraufaufmerksam, daß in England, also auch in all seinenKolonien, der Neujahrstag nicht als Feiertag gilt. Dasoll nun allein für das deutsche'Schiff Neujahr die Arbeit ruhen!Die Folge dieser Bestimmung wird also nur sein, daß dieenglische Expedition der deutschen stets vorgezogen iverdenwird. Man darf eben nicht vergessen, daß der Seewegintemational ist, die einzige Möglichkeit, diese Frage der Sonntags-ruhe zu regeln, wäre eine internationale Verständigung. Die zwei-stündige Wachtzeit in die zehnstündige Arbeitszeit einzubeziehen,scheint mir ferner ebenfalls zu weit zu gehen. Es ist mir staglich, obdas die kleinen Betriebe aushalten. Den Schutz der kleineren Be-triebe möchte ich Ihnen, meine Herren, überhaupt ans Herzlegen. Die Mannschaft darf es nicht in der Hand haben, die Ueber-stunden ablehnen zu können. Die Mannschaft kann diese Frage derUeberstunden nicht entscheiden.(Lachen bei den Socialdemokraten.)Eine Resolution der Kommission lautet, es möge eine Reichsiiistanzgeschaffen werden, die eine Kontrolle der Beachtung der Seemanns-ordnung bezüglich Verminderung von Gefahren, Unfällen usw. ausübe.Die See-Berufsgenosienschaft ist aber schon die Instanz, die dieseKontrolle übt, deshalb ist die Reichsinstanz unnötig, vor allem auchdeshalb, weil die See-Berufsgenossenschaft unter staatlicher Kontrollesteht. Die See-Berufsgenossenschaft hat ein Interesse daran, alleGefahren abzulenken. Man soll einem bewährten Institut nicht mitMißtrauen begegnen, sondern man soll es durchdringen mit socialemGeist, wenn es den noch nicht genügend hat. Wenn man will, daßdie Reeder mitarbeiten sollen, so muß man ihnen nicht zu sehr vorden Kopf stoßen. Die See-Berufsgenossenschaft mutz ja alle Schädenbezahlen, die durch ihre Schuld entstehen, also haben Sie ein Interessean der Verhütung. Zum Koalitionsrecht wünsche ich, daß esdem Seemann gegeben werde. Ob man es ihm auch in fremden Häfengiebt, ist sicherlich von fraglichem Interesse für den Seemann. Eswäre ein Danaergeschenk für den deutschen Seemann. Eine principielleFrage ist es nicht. Ich hoffe, daß man auf der Mittellinie möglichstbehärrt.Abg. Frese(frs. Vg.):Ich muß auf einige Einzelheiten der Vorlage eingehen, da dieKommission verschiedene Aenderungen vorgenommen hat. Ichhalte es nicht für richtig, daß in den Tropen die Arbeitszeitvon 10 auf 8 Stunden herabgesetzt wird. Die Konkurrenzverhält-nisse erlauben das nicht. In Bezug auf die S o n n t a g s a r b e i tkann ich mich meinem Herrn Vorredner anschließen. Eskönnen Fälle eintreten, wo nur durch Zuhilfenahme derSonntagsarbcit die regelmäßige Fahrzeit eineS Schiffs, das viel-leicht durch Sturm aufgehalten ist, eingehalten werden kann.—Vor allem muß ich mich aber dagegen wenden, daß auch die OffiziereUeber st undenlohn erhalten sollen. Ich sehe in dieser Gleichstellungeine Beeinträchtigung der Autorität der Offiziere und damit eineGefährdung der Disciplin. Die Schiffe der großen Reedereien wiedie des Lloyd werden gar nicht so beladen, daß sie die Tieflade«linie, wie sie z. B. in England besteht, erreichen; betroffen werdenvon einer solchen Regelung also wohl vor allem die kleinen Reeder.Abg. Rettig(k.):Ich will nicht auf alles eingehen, was die Vorredner gesagthoben. Redner tritt für die Sonntagsruhe ein, auch in fremdenHäfen. Die Sonntagsruhe muß den Seeleuten gewahrt werden.Ob Ausnahmen zu machen sind, kann ja die Kommission entscheiden.Die Ueberstundenzahlung für die Offiziere besteht teilweise ja schon,die Offiziere, die nicht wollen, können ja freiwillig verzichten. Es istwichtig, daß diese Gesetze, die für unsre seemännische Bevölkerungvon großem Segen sein werden, möglichst bald verabschiedet werden.(Bravo.)Ein Antrag auf Vertagung wird hierauf angenommen.Nächste Sitzung Dienstag 1 Uhr.(Rechnungssachen, Seemanns-Ordnung(Fortsetzung), Gesetz betr. die privaten Versicherungs-Gesellschaften.)Schluß S Uhr._Mttersril'chos.Von Gotha bis Wyden. Wir erhalten folgende Zuschrift:In der litterarischen Rubrik Ihrer gestrigen Nummer wird ein Satzmeiner Parteigeschichte kommentiert, wozu Sie mir einige kurze Be-merkungen gestatten ivollen. Nicht sowohl zu den Ausführungen desRecensenten K. w., die mich höchstens zu der beiläufigen Bemerkungveranlassen könnten, daß ich, wenn ich die Geschichte der Partei mitgesinuungstüchtigen Redensarten hätte schreiben wollen, mir dieArbeit sehr viel leichter hätte machen können, sondern zu der vondem Recensenten citierten Ausführung des Genossen Auer.Auer will meiner Ansicht, daß die Situation im ersten Jahredes Socialistengesetzes nicht durch die Führer, sondern durch dieMassen gerettet worden sei. nicht widersprechen, möchte aber hinzu-fügen, daß wie die Massen, so auch die Führer in jener schweren Zeitihre Schuldigkeit gethan hätten. Damit konstruiert Genosse Auer einenGegensatz, der gar nicht in meinen Worten liegt. Im Zusammen-hange lautet die Stelle bei mir:„Die Kritik der im ersten Jahredes Socialistengesetzes begangenen Fehler hatte jetzt(auf dem WydenerKongresse) nur noch ein historisches Interesse; mochten die einendie überaus schwierige Lage und die drückende Verantwortlichkeit derFührer nicht gebührend veranschlagen, so übertrieben die andern mitder Frage, was die Führer denn hätten ausrichten können, wenn dieMassen versagten. Zweifellos war die Situation nicht durch dieFührer, sondern durch die Massen gerettet worden." Nach deutlicherzeigt eine andre Stelle meines Buchs, daß diese meine Ansichtsich sehr wohl mit der höchsten Anerkennung dessen ver-trägt, was die Führer damals geleistet haben. Ich sage da:„DieNotwendigkeit eines offiziellen, im Ausland erscheinenden Partei-Organswar nicht länger abzuweisen; das sah auch Geib ein, der sich amlängsten dem Plane widersetzt hatte. Er selbst sollte das Erscheinendes neuen Blatts nicht mehr erleben. Am 1. August endeten seineLeiden; seinem Sarge folgten die Hamburger Arbeiter in einemgewaltigen Zuge, den bürgerliche Blätter auf 30000 Köpfe schätzten,und an seiner offenen Gruft gelobten sich seine alten Freunde, un-ermüdlich im Geiste des unvergeßlichen Manns weiter zu wirken."Indem ich Geib als denjenigen Führer nenne, der sich am längsteneinem notwendigen Entschlüsse widersetzt habe, rühme ich das Wirkenim Geiste dieses unvergeßliche» Manns als das Ziel der Partei.Genosse Auer verwechselt das moralische mit dem historischenUrteil. Wenn er einmal meine Ausführungen über die erstenJahre des Socialistengesetzes darauf hin durchsehen will, so wird er.glaub ich, anerkennen, daß ich redlich bemüht gewesen bin, der Politikder Führer gerecht zu werden und ihre intellektuellen wie ihremoralischen Leistungen in jener Zeit so hoch zu würdigen, wie sieverdiene». Ganz etwas andres aber ist die historische Frage, werdamals thatsächlich die Situation gerettet hat. ob die Führeroder die Masse». Diese Frage wird nicht durch die an sich ganzrichtige Behauptung entschieden, daß beide Teile ihre Schuldigkeitgethan haben, sondern kann nur auf Grund der thatsächlichen Eni-Wicklung beantwortet werden. Ob meine Beantwortung richtig ist,steht selbstverständlich dahin; ich möchte mich nur gegen das Miß-Verständnis verwahren, als ob ich mit einem historischen Urteil einmoralisches Urteil hätte fällen wollen.Es giebt nicht leicht eine undankbarere Aufgabe, als die Geschichteeiner Partei zu schreiben, die noch mitten im vollen Kampf steht.Die Gegner reißen die Arbeit natürlich als ein agitatorisches Mach-werk herunter, während man in der eignen Partei für die sachlicheKritik irgend einer Partei-Ueberlieferung damit regaliert wird,„nie-mals in die Massen hinabgetaucht" zu sein und dergleichen anmutigenTiraden mehr, die auf die konkrete Streitfrage passen, wie die Faustaufs Auge. Da icki indessen einmal das Unglück gehabt habe, aufeinen so' steinigen Pfad geraten zu sein, so mag ich gegenüber einemloyalen Kritiker, wie dem Genossen Auer, der die Dinge viel zu gutkennt, um von oben herab über sie abzusprechen, nicht auf jedenVersuch einer Verständigung verzichten.Steglitz-Berlin, 2ö. November 1900._ F. Mehring.VrckÄles.Die„Große" und ihre Aufsichtsbehörde. Daß die GroßeBerliner in ihrer Monopolstellung grundsätzlich alles aufbietet, umnicht allein den Angestellten, sondern auch dem Publikum das Lebenso sauer wie möglich zu machen, ist eine alte, hausbackene Wahrheit.Eines der schlimmsten Uebel im elektrischen Betriebe bildet diestechende Ausdünstung d e r S a m m l e r k a st e n, die den Fahr-gästen die Kehle zuschnürt und sie zwingt, schleunigst den Wagen zu ver-lassen, um zum Behagen der Direktion neuen Passagieren Platz zumachen. Nach den Versicherungen der Direktion mutzte man die ab-scheuliche Ausdünstung für ein unvermeidliches Verhängnis halten.gegen welches die Wissenschaft ohnmächttg sei und das nicht andersbeseitigt werden könne als durch Einführung des für dieGesellschaft profitableren Oberleitungs-Betriebs.Da ist nun eine Mitteilung der„Elektrotechnischen Zeitschrist"beachtenswert, die über Maßnahmen berichtet, welche im Straßen-bahnbetrieb zu Dresden gegen die Ausdünstungen der Accumula-toren gettoffen worden sind:„Da die Sache sich zu einer auffälligen Belästigung desPublikums gestaltete, hatte sich das königliche Kommissariat fürelektrische Bahnen mit ihr zu beschäftigen.... Verfasser gingdarauf aus, im Batterieraum durchgehends Unterdruck herzustellenund ließ Ventilationsaussätze anwenden, die für jede Fahrtrichtungeine saugende Wirkung ausüben. Bei den im Februar 1899 ange-stellten Probefahrten wurde in den Zellenraum ein Gefäß für starkeSchwefelwasserstoff-Entwicklung gestellt, der Batteriekastendeckel nurunvollkommen geschlossen und dann im Wagenraum der Erfolg be-obachtet. Bei längerem Stehen des Wagens wurde der Schwefel-wasserstoffgeruch deutlich bemerkbar, verschwand aber sehr bald,wenn, bei geschlossenen Thülen, die Fahrt begann. Währendder Fahrt konnte auch durch weiteres Lüsten des Batterie-kastendeckels der Geruch nicht auffällig gemacht werden.An den vorderen und Hinteren Ventilationsaufsätzen war dagegen,wie es sein sollte, starker Geruch zu bemerken. Die Wirksamkeitder Einrichtung wurde nur geschwächt, wenn die Hintere Wagen-thür geöffnet wurde, während die vordere geschlossen blieb. DieAnordnung, die inzwischen von der Deutschen Straßenbahn(inDresden!)' durchgeführt worden ist, hat sich dauernd bewährt undbefindet sich auch in weiterer Einführung."Daß die Große Berliner nicht aus eignem Antrieb dem Miß-stand zu Leibe gegangen ist, wird niemand wundern bei einer Ge-