Einzelbild herunterladen
 

8t. 286. 17. Mtganj. Z. Ktilllgt IltSAMliltS" Ktllilltt AlllSdlllÜ. S,mM' 8-?'!-»>»« ISSV. Prozetz Sternberg . 30. VerhondlungStag. Landgerichts-Direktor M ü l l e r eröffnet die Sitzung um vV�UHr. Jufti�rat'Dr. Sello teilt den Brief eines von der Hedwig Ehlert früher benannten Zeugen Müller mit, durch welche die Behauptung derselben über ihren Verkehr mit dem Zeugen bestätigt Wird. Fräulein P l a t h o wünscht ihre frühere Aussage noch in einigen Punkten zu ergänzen. Sie macht darauf aufmerksam, dah das Gnadengesuch schon am 30. Mai ihr zugegangen sei, der in der«Staatsbürger-Zeitung" veröffentlichte Brief, den sie an Herrn Arndt geschrieben, aber vom 29. Juni datiere. Sie habe das Gnadengesuch sofort nach Empfang noch spät abends zu Herrn Behrens getragen, der vier Wochen später datierte Brief könne daher vielleicht den Zweck gehabt haben, Herrn Behrens scharf zu machen. Fenier erklärt die Zeugin, daß ihr Vater allerdings mit dem Justiz- minister v. Friedberg bekannt war und mit ihm verkehrt hat, daß er aber nie in irgend einer Sternberg-Sache in Leipzig sich ver- wendet hat. Der GerichtSvorfitzende gegen Jnstizrat Sello. Der Detektiv-Direktor Schulze bestreitet, daß feine Begegnung mit dem Kriminalschutzmann Schelenz sich in der Weise abgespielt habe, wie dieser gestern angegeben. Er bestreitet, jemals mit Thiel etwas zu thun gehabt zu haben. Präs.: Ist Ihnen nicht be- kannt, daß und wie Herr Thiel die Verteidigung bedient hat? Zeuge: Nein. Justizrat Dr. S e l l o wünscht Aufklärung darüber, was der Vor­sitzende mit seiner Bemerkung meint. Präs.: Ich nehme Ver- anlaffung zu dieser Frage auf Grund des vorliegenden Geständniffes des Kommissars Thiel, der zugestanden hat, daß er Berichte an Luppa geliefert hat und diese Berichte wohl an die Verteidigung gelangt find. Justizrat Dr. Sello: Keiner von uns weiß oder hat eine Ahnung davon gehabt, daß Thiel von irgend jemand irgend etwas berichtet hat. Vors.: Es liegt aber die Aussage Thiels vor, daß er schon im März dem Justizrat Dr. Sello davon Mitteilung gemacht hat, daß er ein bestochener Beamter sei und damit stimmt doch die E n t r ü st u n g nicht, mit welcher hier vom Verteidigertisch die auf Thiel bezüglichen Mitteilungen deS Schutzmanns Stierstädter begleitet worden sind Justizrat Dr. Sello: Das hat Herr Thiel nicht ausgesagt; ich selbst bin gestern zu den Aussagen Thiels vor dem Untersuchungsrichter ver- nommen worden. Herr Thiel ist etwa im März zu mir gekommen und hat mir den Eindruck gemacht, als ob er in schwerer GewiffenSbedrängniS sich befunden und eine gepreßte Seelenstimmung hatte. Er hat davon Mitteilung gemacht, daß er in den Verdacht gekommen sei, bei dem Besuch, den Luppa und Münchhansen in der Wohnung der HanSmann gemacht haben, zugegen gewesen zu sein. Ich habe ihn auf die Strafbestimmungen und die Disciplinarbestimmungen ans- merksam gemacht und ihm geraten, die Finger von solchen Sachen zu lassen. Vors.: Da haben Sie doch also er- fahren, daß Thiel ein bestochener Beamter war? Justizrat Dr. Sello: Ich habe allerdings den Eindruck gehabt, daß der Ver- dacht gerechtfertigt sei, daß er allerdings bei der Hansmann bezw. der Callis gewesen ist und mich als Menschen und Verteidiger um Rat fragt. Vorsitzender: Ich erinnere mich, daß, als die eingehenden Behauptungen über Thiel aufgestellt wurden, Herr Stierstädter in ganz besonders nachdrücklicher Weise angegriffen worden ist. Justizrat Dr. Sello: Von Berichten des Thiel ist damals mit keiner Silbe die Rede gewesen, ich habe auch solche Be« richte niemals gesehen und niemals gehört, daß solche existieren. Im übrigen war ichdamalS von der Pflicht der Amts- Verschwiegenheit noch nicht entbunden. Meine damalige Entrüstung bezog sich auf die Behauptung des Zeugen Stierstädter, wonach Herr Thiel ihm gesagt haben sollte, ich hätte eine Summe von SO« 00« Mk. in Aussicht gestellt. Ich habe ausdrücklich die Frage offen gelassen, wer von den beiden die Unwahrheit gesagt habe. Präs.: Sie geben doch zu. daß Sie mindestens geahnt haben, daß Herr Thiel in strafbarer Weise sich vergangen hat. Justizrat Dr. Sello: Die Vorgänge im einzelnen find mir keineswegs bekannt gewesen. Er hat mir nur gesaflt, daß er in den Verdacht geraten sei, bei der HauSmann und Collis gewesen zu sein und da habe ich ihm geraten, seine Finger davon zu laffen. Vors.: Sie haben ihm bestimmte Paragraphen des Strafgesetzbuchs verlesen, die doch zweifellos die Bestechung bestrafen, Sie haben ihn auch in Kenntnis gesetzt über das Diseiplinarverfahren. Der Kommissar Thiel ist auch bei dem Untersuchungsrichter trotz Ihrer gegenteiligen Behauptung bei seiner Aussage verblieben und hat erklart, daß er abwarten werde, ob Sie den Eid daranf leiste« werden. Er bleibt dabei, daß er Ihnen gesagt habe, er fei ein bestochener Beamter. Justizrat Dr. Sello: Das ist nicht wahr, er hat nur von dem Verdacht gesprochen, in welchen er gekommen. Vors.: Sie haben doch aber Berichte be- kommen, von denen Sie sich sagen mutzten, daß sie nur von einer amtlichen Person herrühren konnten. Dr. Sello: Auch das ist nicht richtig! Ich wiederhole auf das bestimmteste, daß ich nie Berichte erhalten habe, die ich auf eine Thätigkeit Thiels oder einer andren Amtsperson hätte zurückführen müssen. Vors.: Es kann doch den Verteidigern gar nicht unbekannt gewesen sein, daß solche Auskünfte erteilt wurden. Luppa ist fortgesetzt beim Rechts- anwalt Dr. Werthauer gewesen, eS find dort wiederholt Konferenzen abgehalten worden. eS find immer neue Orders an Detektivs erteilt worden, die doch eine ganz genaue Kenntnis aller Borgänge voraussetzten, daß man über den Ursprung dieser Kenntnis kaum zweifelhast sein konnte. Wir müssen hier entschieden wiffen, wie die Sache liegt. Wenn man daran denkt, daß von der Verteidigung immer neue Anträge eingingen, so kann es doch kaum zweifelhaft sein, daß der Verteidigung manches bekannt gewesen sein mutz, was doch nur durch die verbrecherischen Berichte Thiels erlangt sein kann. Justizrat Dr. S e l l o: Ich weiß nicht eine einzige mir bekannt ge- wordene Thatsache, von der ich hätte annehmen müssen, daß fie auf die verbrecherische Thätigkeit eines Beamten zurückzuführen wäre. Vorsitzender: Jst eS Ihnen nicht bekannt gewesen, was die Colli» auf dem Polizeipräsidium ausgesagt hat? Jnstizrat Dr. Sello: Nein, das ist mir nicht bekannt gewesen, ich habe das erst aus den Akten erfahren. Vors.: Wenn man daran denkt. wie viel Tausende in dieser Sache weggeivorfen worden find, so könnte doch eine Spur von Verdacht bestehen bleiben, daß die Verteidiger irgendwie und in irgend einer Form Kenntnis von diesen Mitteilungen erhalten haben, denn daß ein Mann wie Luppa diese Tausende ausgiebt, um die Berichte im Kasten ruhen zu lassen, ist doch nicht an« zunehmen. Jnstizrat Dr. Sello: Dem gegenüber habe ich auf das allerbestimmteste zu erklären, daß ich auch jetzt noch nicht eine einzige Thatsache angeben könnte, von der ich hätte vermuten können, daß fie auf Informationen vo n Thiel herrührte n. Staatsanwalt Braut: Nach meiner Erinnerung hat, als die Sache hier zur Sprache kam, Justizrat Dr. Sello eine Erklärung abgegeben in dem Sinne, daß er von irgend welchen verbrecherischen Manipulationen deS Thiel keine Kenntnis hatte. Ich habe den Ein- druck, als hätte er bekunden wollen, daß er selbst nie an Thiel herangetreten, ihm aber auch nichts von einer verbreche« rischen Thätigkeit deS Thiel bekannt sei. Nun er- fahren wir. daß Justizrat Dr. Sello schon damals wußte, daß Thiel mit Luppa bei der Hausmann und CalliS gewesen war. Ich frage nun, ob Justizrat Dr. Sello geglaubt hat, Thiel habe dies aus llneijjennutz gethan. Justizrat Dr. Sello: Meine Erregung seiner Zeit entstand, wie ich wiederhole, daraus, bafe_ Herr Slierstädter behauptete, er habe von Thiel erfahren, daß ich 200 000 M. in Aussicht gestellt hatte. Jetzt habe ich erst durch das Zugeständnis des Herrn Thiel erfahren, daß er thatsächlich eine solche Erzählung gemacht hat. Herr Thielhatim März nichtvon Geld gesprochen, ich werde wohl vernnltct haben, daß es sich bei ihm um Geld handelte und gerade deshalb habe ich ihn ans die strafgesetzlichen und diSciplinaren Bestimmungen hingewiesen. Im übrigen hatte ich damals noch die Pflicht der Amtsverschwiegenheit, von welcher ich jetzt entbunden bin. Vors.: Ich konstatiere, daß ich denselben Eindruck, wie der Herr Staatsanwalt habe, daß sich die mit besonderer Feierlichkeit abgegebene Erklärung des Verteidigers auf Thiel im allgemeinen bezog. Justizrat Dr. Sello: Ich hübe keine der- artige Erklärung abgegeben, wiederhole aber nochmals, daß ich' weder direkt noch indirekt, weder mündlich noch schriftlich noch sonst irgendwie solche Berichte Thiels gekannt, oder von ihnen gehört habe. Vors.: Es wäre doch wohl angezeigt gewesen, zu sagen: Ich wußte im März schon, daß Thiel ein bestochener Beamter war. Justizrat Dr. Sello: Dann würde ich die Obliegenheiten meines Amtes auf das gröblichste verletzt haben. Meine Erklärung bezog sich lediglich auf die angebliche Mitteilung Thiels an Herrn Stierstädter. Vors.: Es wäre doch mindestens Pflicht gewesen. irgendwie auf das Gebot der Amtsverschwiegenheit hinzuweisen. Bei der besonders feierlichen Art machte es doch den Eindruck, als ob der Verteidiger fest von der Unschuld Thiels über- zeugt sei und vielleicht hat der Staatsanwalt auch gerade mit Rück- ficht hierauf von der sofortigen Verhaftung Thiels damals Abstand genommen. Staatsanwalt Braut: Ich habe nur zu bemerken, daß bei der Frage, ob ich jemand verhaften oder nicht verhasten soll, mehr oder weniger feierliche Erklärungen der Verteidigung auf mich keinen Eindruck machen. Rechtsanwalt Dr. Werthaner erbittet sich das Wort: Der Herr Vorsitzende hat sich etwa dahin geäußert, daß eine Spur deS Verdachts, von amtlichen Berichten des Thiel Kenntnis gehabt zuhaben bestehe» bleiben würde, wenn nicht die Un- niöglichkeit nachgewiesen würde. Ich bin in der Lage, die Un- Möglichkeit' nachzuweisen. So viel ich weiß, soll Thiel den Besuch bei der CalliS im Januar gemacht haben; ich bin erst viel später überhaupt in die Verteidigung eingetreten, habe vo» Thiel keine Ahnung gehabt, ich habe keine feierliche Erklärung ab- gegeben, hätte sie aber aufs feierlichste abgeben können, weil mir nicht das geringste davon bekannt war, was Thiel mit Luppa vorhatte. Mir ist nicht ein einziger Bericht Thiels zu Gesicht gekommen, ich weiß kein Sterbenswort von dem. was Thiel mit Lnppa abgemacht haben soll, ich habe nie einen Bericht gesehen, der mir auch im entferntesten den Gedanken nahe legen konnte, daß er von amtlicher Seite herrührte. Ich habe mich dem Gerichtshöfe gegenüber schon neulich durchaus bereit erklärt, über alles glatt Auskunft zu geben. Rechtsanwalt Fnchö: Wer Herrn Stierstädter auf Grund seiner überraschenden Mit- teilnngen an dem betreffenden Tage scharf angegriffen hat, war nicht Kollege Sello, sondern ich. Meine Entrüstung ivar optima Läs ausgedrückt, denn ich habe mir nicht vorstellen können, daß so etwas überhaupt denkbar sei. Ich glaubte, daß dabei vielleicht ein Mißverständnis obwaltete. Wir werden hier mit einer außer- ordentlich schweren Beschuldigung belastet und bitten, uns doch zu- nächst mitzuteilen, was an Thatsache» vorliegt. Vorsitzender: Ich habe keine Beschuldigung erhoben, sondern halte eS nur für meine Pflicht, diese Dinge hier aufzuklären. Staatsanwalt Braut: Die Herren Verteidiger tonnten mit Vorstrafen- Verzeichnissen, Wohuungsregistern aufwarten. Thiel hat zugestanden, daß er solche an Luppa gegeben hat und jeder vernünftige Mensch muß doch sich sage», daß er diese Dinge nicht in der Tasche behalten. sondern a» die Verteidiger weiter gegeben hat. Vors.: Thiel hat auch gestern bei der Konstontatio» mit dem Justizrat Dr. Sello vor dem Untersuchungsrichter ausdrücklich flesaqt, er habe im März dem Dr. Sello gesagt, daß er bestochen sei. Thiel hat sich auch er- kundigt. ob durch Dr. Sello schon der Eid geleistet sei, und sich glücklich geschätzt. daß dicS noch nicht der Fall sei. Ich habe das hier zur Sprache bringen müssen. Rechtsanwalt F u ch S: Wenn Thiel nichts weiter geliefert hat. als Vorstrafen und WohnungSregisler einzelner Zeugen woher sollte denn wohl die Verteidigung sehen, daß dies von amt- licher Stelle komme? Nichts berechtigt zu dem der Ver- teidigung gemachten schwerwiegenden Vorwurf. Ich habe solche Berichte nie gesehen und nie empfangen, aber selbst wenn ich erfahre, wo Herr X. oder Herr A. wohnt. so würde ick doch nie auf den Gedanken gekommen sein, daß dies vo» einem Beamten herrührt. Jnstizrat Dr. Sello: Ich bitte mich als Zeugen zu vernehmen. Ich habe n i e Mitteilungen über Vorstrafen der Zeugen erhalten, meine Angaben über die Vor- strafen der Schnörwangc und der Ehlert beruhen auf meinen Notizen aus der ersten Verhandlung. Rechtsanwalt Dr. Werthauer: Vorstrafen- und WohnungS Register können doch lehr leicht auch von Detektivs erkundigt werden. Ich bin seit 8 Jahren Verteidiger und habe auch noch nicht eine einzige disciplinare Rüge erhalten. Die Verteidiger würden nicht mehr im Saale fungieren können, wenn ein solcher Verdacht weiter auf ihnen ruhen sollte. Die Rechtsanwälte Heinemann und W r o n k e r schließen sich den Erklärungen des Rechtsanwalts Fuchs an, ebenso Rechtsanwalt Dr. Mendel, der noch darauf hinweist, daß er erst kurz vor dieser Verhandlung mit in die Verteidigung eingetreten ist. Der Vor­sitzende erklärt nochmals, daß er gar keine Vorwürfe erhoben, sondern nur seine Pflicht erfüllt habe, diese Dinge möglichst aufzuklären. Nach diesem Zwischenfall wird die Zeugenvernehmung wieder aufgenommen. Kriminalschutzmann Jordan ist von der Verteidigung darüber benannt daß Stierstädter gehäsfige Aeußungen über Sternberg ge- lhan hoben solle. Der Zeuge weiß nichts davon und ebenso wenig der folgende Zeuge. Kriminalschutzmann Karge. Rechtsanwalt Wronker erbittet sich daS Wort zu einer Be- merkung: Er sei während deS eben stattgehabten Zwischenfalls nicht zugegen gewesen, nehme aber Veranlaffung zu betonen, daß die vom Rechtsamvalt Heinemann für ihn abgegebene Erklärung in allen Punkten richtig sei. Die medizinischen Sachverständigen bitten mit Bezug auf die Zeugin Ehlert ein Gutachten abgeben zu dürfen. Moralischer Irrsinn. Prof. Dr. Eulenburg: Nach der lärmenden Scene, die gestern von der Ehlert im Gerichtssaal aufgeführt worden sei, habe sich sein seit dem ersten Auftreten der Ehlert vor Gericht aufgetauchter Verdacht. daß sie nicht geistig normal sei, bis zur Gewißheit verstärkt. ES liege ein typischer Fall jener Krankheit vor, die man frühermoml insanity" nannte. In heutiger Zeit gehe man aber davon aus, daß eS angeborener Schwachsinn sei. ES halte ja schwer, derartige Kranke in einer Anstalt unterzubringen, aber wünschenswert sei eS. Beisitzer LandgerichtSrat LauteriuS: Habe ich Ihr Gutachten dahin ver- stmidcn. daß die Ehlert geistesschwach und nicht geisteskrank sei und wie stellen Sie sich zu der Frage, ob die Ehlert sich bei dem gestrigen Auftritt in einem Zustände der Aufregung befand, wodurch ihre freie WillenSbestimmung ausgeschloffen wurde? Prof. Eulen- bürg: Das letztere nehme ich an. Der Ehlert fehlen die samt- lichen moralischen Elemente, einem Antriebe zu widerstehen, wie durch ihre ganze Lebensführung bewiesen wird. Staatsanwalt Braut: Halten Sie die Annahme für ausgeschlossen, daß die Ehlert nur über eine» besonders hohen Grad von Ungezogenheit verfugt? Pros. Eulenburg: Das halte ich für ausgeschlossen. Jufiijrat Dr. Sello richtet an den Sachverständigen die Frage, ob er die Ehlert für fähig halte, die Bedeutung des Eids zu er- kennen. Der Sachverständige glaubt dies kaum. Dr. med. Albert Moll schließt sich im wesentlichen dem Gut- achten des Professors Enlenburg an. Das ganze läppische Wesen der Ehlert. ihr Lachen dem Vorsitzenden ins Gesicht, das ungestüme Wesen bei dem gestrigen Auftritt, ihre vagabondierende Lebens- weise. daS alles spreche dafür, daß sie an der früher moral insamity" benannten Krankheit leide. Wenn man auch von einer bestimmten Geistesstörung nicht sprechen könne, so pflege in solchen Fällen doch der§ St des Strafgesetzbuchs zur Anwendung zu kommen. Auch dieser Sachverständige hält die Zeugin Ediert nicht für eidesfähig. Der Gerichtshof beschließt, mit Rücksicht darauf, daß die Sach- verständigen bei dem gestrigen Auftritt nicht zugegen gewesen seien und daß keiner der Anstaltsärzte, welche mit der Ehlert in Be- rührung gekommen seien, einen Zweifel an ihrer Geistesgesundheit hätten laut werden lasse», die Ehlert nur vorläufig aus der ihr auf- erlegten dreitägigen Haftfirafe zu entlassen und sich weiteren Beschluß vorzubehalten. Nochmals Stierstädter» Pflichttreue. Es wird dann der Kommissar Karl Weiß vernommen. Der Zeuge giebt dem Stierstädter ein glänzendes Zeugnis. Derselbe sei ein Muster von Strebsamkeit. Eifer und seltener Pflicht- treue. Er habe selbst bei Kleinigkeiten mit bcwunderns- wertem Eifer recherchiert. Stierstädter sei früher ihm direkt unterstellt gewesen, er habe aber desien Versetzung beantragt. weil er sich einmal eines Widerspruchs schuldig gemacht habe. Es folgt die Fortsetzung der Vernehmung der Zeugin Frau Ehlert. Sie bleibt dabei, daß sie am 6. Dezember ber einer Vor- sühruug ihrer Tochter vor Gericht zugegen gewesen sei, als Stier- städter'auf ihre Tochter eingeredet habe, sie solle sagen, Sternberg sei der Mann gewesen, mit dem sie bei der Fischer zu thun gehabt. Die Zeugin habe gesagt: Aber Herr Slierstädter, der Wahrheit die Ehre I darauf habe Stierstädter erwidert:«Ach was, mit der Wahrheit kommt man heutzutage nicht weit! Ei» ander mal habe Sticrstädtcr gesagt:Er muß rin I Seine 17 Millionen sollen ihm diesmal nicht viel nützend Der Zeuge Stierstädter stellt jede Beeinstussung der Hedwig Ehlert in Abrede, die erregte Frau Ehlert bleibt aber' dabei und stößt die Worte aus: Jgwohl, Herr Sticrftädter, Sie haben mein Kind auf dem Gewissen! Staatsanw. Br a u t: Dies soll also am 6. Dezember gelvesen sein. Damals, am 6. Dezember, spielte,, wie feststeht, der Fall Fourna?on; wie sollte also der Zeuge Stierstädter dazu kommen, au jenem Tage, Ivo der Fall Woyda n'ocki gar nicht zur Kenntnis gekonimen war, der Zeugin zuzureden: Die Tochter solle nur sagen, daß der Mamt, der bei der Fiicher verkehrte, derMaler aus Frankfurt a.O." sei? Justizrat Dr. Sello: Es steht aber ebenso fest. daß Herr Stier- städter schon ini August vorigen Jahres gesagt hatte, sie solle nur bei der Fischer nach ihrer verschwundenen Tochter nachforschen. Er batte also schon damals nach dem Treiben bei der Fischer' Recherchen angestellt. Staatsanwalt Braut: Es steht durch nichts fest, daß Herr Stierjtädtcr der Zeugin gesagt hat, der Maler auS Frankfurt a. O. sei Sternberg. Justizrat Dr. Sello weist daraus hin. daß im November doch schon der anonyme Brief des Fräulein Pfeffer vorlog, in welchem der Verdacht auf Sternberg hingelenkt worden war. Es knüpfen sich hieran längere Aus- einändersctzungen darüber, ob der Zeuge Stierstädter damals ein Interesse daran hätte haben können, die Eltern der Ehlert und diese selbst zu beeinflussen, daß sie sagen solle, fie habe bei Fischer mit dem Angeklagten Sternberg verkehrt und dieser sei der Maler au? Frankfurt a. O. Die Zeugin behauptet es bestimmt, Zeuge Stierstädter bestreitet eS ebenso bestimmt. Angekl. Sternberg macht darauf aufmerksam, daß er zu der hier fraglichen Zeit eine Beschwerde über den Schutzmann Sticrftädter erhoben und dieser schon eine feindselige und gereizte Stimmung gegen ihn gehabt habe. Zeuge Maurer Fritz Schöpel be- kuiidet: er habe ungefähr im August dieses Jahres einmal mit der Hedwig Ehlert gesprochen und bei dieser Gelegenheit habe ihm diese gesagt, daß sie mit Steniberg nichts zu thun gehabt habe. Schutzmann Richter, der seiner Zeit die Hedwig Ehlert nach dem Gerichtszimmer Nr. 1 vorgeführt hat. kann sich nicht darauf besinnen, daß Herr Stierstädter mit der Ehlert in einer Ecke des Gerichtskorridors gesprochen und auf sie eingeredet habe. Er er- innert sich nur, daß die Ehlert sehr frech war. Hedwig Ehlert bleibt dabei, daß Herr Sticrftädter auf sie eingeredet habe. daß sie sagen solle: sie sei bei der Fischer gewesen und habe mit Steniberg verkehrt. Sie habe dies bestritten. Stiersiädtcr habe aber gesagt, sie sei doch dagewesen und er werde es ihr beweisen. Sie solle nur sagen, das schade ja gar nicht», sie solle nur bekunden, daß sie bei der Fischer verkehrt habe. DieS alles sei geschehen, während gleichzeitig der Schutzniann Richter mit ihrem Vater gesprochen habe. Zeuge Stier stätter bestreitet nochmals diese Behaiiptnng und beruft sich aus den Schutzmann Richter, der ihm bestätigt, daß er eine so lange Unterhaltimg gar nicht geduldet haben würde. Ein als Zeuge vernommener Arbeiter Adolf Sack bekundet gleichfalls, daß die Ehlert zwei andren Personen gesagt habe, sie habe mit Sternberg nichts zu thun gehabt. Die Verhandlung wird hierauf abgebrochen. da die Ver- t e i d i g e r Zeit zu haben wünschen, um in längerer Konferenz sich über verschiedene Punkte, namentlich auch bezüglich des noch nötigen Umfangs der Beweisaufnahme schlüssig' zu machen. Die Verhandlung wird Sonnabend ö'/e Uhr fortgesetzt. Zur Aufklärung der gestrigen Verhandlung fügen»vir die Er- klärung hinzu, die Herr Justizrat Dr. Sello in der Verhandlung am 1. November abgab, nachdem Stierstädter gegen Kriminal- kommiffar Thiel die bekannten Beschuldigungen erhoben hatte. Herr Dr. Sello erklärte dqnals: Ich weiß nicht, ob es sich um einen Meineid des Zeugen oder um ein ganz schweres Amtsverbrechen andrer Art handelt, sondern kann nur erklären: An der ganzen Erzählung deS Zeugen Stierstädter, soweit mein Name darin vorkommt, i st kein wahres W o r t.eS ist aus der Luft gegriffen, ein v o I l st ä n d i g e s Märchen von Anfang bis zu Ende. Ich habe weder mündlich noch schriftlich, weder andeutungsweise, noch direkt derartige Mitteilungen, wie hier behauptet worden, Herrn Kriminalkommifsär Thiel zukommen lassen. So feierlich, w i e es irgend möglich ist, gebe ich die Erklärung ab, daß an alledem, was Herr Thiel dem Zeugen angeblich gesagt haben soll. lein wahres Wort ist. Ltflmles. Der Arbeiter-Sängerbund begeht heute abend in der Brauerei Friedrichshain die Feier seines zehnjährigen Bestehens. Am IL September 1890 tagte die erste Versammlung, die sich mit der Gründung des Bunds beschäftigte, und die Koiistiluierung erfolgte am 19. Oktober desselben JahrS,