Der moderne Hiob ä la Sonden erträgt mit Gednld und Hin- gebnng die furchtbaren Schickungen des allmächtigen GotteS, nachdem er vorher für alle Fälle--- ein Vermögen von 30 Millionen bei Frau Hiob in Sicherheit gebracht hat! So wird auch das Veräußerungsverbot, daß über Herrn Sauden verfügt worden ist, wenig fruchten, da der Millionen-Schatz von Gottes Segen bei Frau Sauden in guter Hut ist; die jetzt ver- botene„Veräußerung und Entfernung von Bestandteilen seines Ver- mögens" ist eben bereits früher erfolgt. Letzt wird nur noch wenig zu holen sein. Aus Potsdam wird ferner über die Affaire berichtet: Es wird jetzt das Gerücht kolportiert, daß auch städtische Gelderin den Banken an- gelegt und verloren gegangen seien. Aus dem Grunde soll die ganze An- gelegenheit in der heutigen Stadtverordneten-Versammlung zur Sprache gebracht werden. Der Magistrat kann die beruhigende Versicherung abgeben, daß städtische Gelder bei der Affaire nicht in Frage kommen. Dagegen wird schon jetzt eine wesentliche Erhöhung der Steuer- zuschlüge für das nächste Jahr angekündigt, die man direkt auf die Ausfälle der städtischen Steuerkasse zurückführt. Es kommt dabei nicht nur der Steuerverlust der Direktoren Sauden und Warsinski in Betracht, sondern auch der Minderbetrag, den die Selbst- einschätzung der Leidtragenden bei dein Krach ergeben wird und der bei den eigenartigen Potsdamer Geldverhältnissen ganz erheblich ins Gewicht fällt.— Uebrigens hat Sauden auch an heiliger Stätte ein Denkmal. Am 9. Mai 1894 wurde, wie die„Volks-Ztg." berichtet, in der Pfingstkapelke, die inmitten„milder" Stiftungen am Fuße des Pfingstbergs steht, eine Ehrentafel errichtet, die mit goldenen Lettern auf schwarzem Marmor folgende Worte enthält: „Zum ehrenden Gedächtnis dem Bankdirektor Eduard Sanden". Die Tafel wird man nun wohl an der Wand einer Kcrkerzelle anbringen. Freiherr v. Mirbach gehörte mit zahlreichen andern Hof- beamten am ersten Feiertage zu den andächtigen Zuhörern des Lieblingspredigers Sandens, des Pfarrers Kritzinger, der ernste Be- trachtungen über freie Liebe fSternberg) und plötzliches Unglück in Palast und Hütte sSanden) anstellte. Sollte Pfarrer Kritzinger wirklich nur über das angerichtete Unglück und nicht auch über das Verbrechen des Unglücksstifters gc- redet haben, der seiner freien Liebe zum Golde Tausende von Menschen opferte! Ueber die bankrotte Hofbank„Anhalt u. Wagner Nächst." ist die außergerichtliche Liquidation beschlossen worden. Der heute erschienene Nevisionsbericht der Vertrauenskommission der Aktionäre der deutschen Grundschuldbank entwirft ein düsteres Bild von der heillosen Mißwirtschaft der frommen Gründer. Ein abschließendes Urteil über die Lage der Institute wird nicht gefällt, es scheint aber, daß für die Pfandbriefinhaber wenig oder nichts zu retten ist. Das Ehepaar Sanden wird sich vermutlich auch über diesen Umstand händefaltend mit dem frommen Spruch hinweg- trösten: Der Herr hat'S gegeben, der Herr hat'S genommen I— Die Korrektur des Löbtancr ZuchthauSurteils. Ein Privattelcgramm aus Dresden meldet uns, daß die Bau- arbeiter Pfeifer und Leiber am Freitag auS dem Zuchthause zu Waldheim entlassen wurden. Damit ist wieder ein Stück von dem Urteil des Dresdener Schwurgerichts, das im Anfang des Jahrs 1899 nicht nur in ganz Deutschland , sondern weit über dessen Grenzen hinaus, bis über den Ocean hinüber ein gewaltiges wie berechtigtes Aufsehen erregte, durch eine bessere Einsicht korrigiert worden. Als im Reichstage bei der Beratung des Justizctats das un- heimliche Urteil zur Sprache gebracht wurde und namentlich unsre Parteigenossen ihrer Entrüstung darüber Worte liehen, die, so be- rechtigt sie waren, doch nur von der Tribüne des Reichstag? aus möglich waren, da sprach der sächsische Bundesrats- Bevollmächtigte, Generalstaatsanwalt Rllgcr, die vermessenen Worte: „Sie mögen sagen was Sic wolle»: Ihr Einstuft reicht jedenfalls nicht so weit, daft sich die Thore deö Zuchthauses auch nur eine Viertelstunde früher für die Verurteilten öffne» werden." Diese Worte des sächsischen Justizvertreters wie die Rede seines damaligen Sekundanten, des Herrn v. Stumm, wie die Stellung- nähme der Scharfmacherpresse, sie drückten dem Urteil vollends den Stempel auf, den es für immer tragen wird und der es als eine Handlung zeigte, die aufreizender wirkte, wie alle Reden aller social- demokratischen Agitatoren zusammengenommen. DaS Urteil besteht und seine Wirkungen für die Beurteilung des Klassenstaats sind nicht zu beseitigen. Aber die schweren Leiden der Opfer dieses Urteils können gemildert werden und eine bessere Ein- ficht macht ihren Einfluß in dieser Richtung geltend. Nicht glauben wir— darin sind wir mit dem sächsischen Herrn General- Staats- anwalt einig—, daß unser Partei- Einfluß den armen Verurteilten die Thore deS Zuchthauses sogar um mehr als eine Viertelstunde früher geöffnet hat; wohl aber glauben wir, daß sich in der sächsischen Regierung die menschliche Einsicht Bahn gebrochen hat, daß es nicht im Interesse des heutigen Staats liegt, eine solche Anwendung der Justiz, wie sie dieses Urteil darstellt, noch zu be- kräftigen durch den besonderen Trumpf: Nun erst recht! Die sächsische Regierung hat sich anscheinend zu der Einsicht erhoben, daß wenn irgendwo, dann einem solchen Urteil gegenüber eS am Platze ist, Gnade für Recht ergehen zu lassen. Wir begrüßen diese Einsicht im Interesse der armen Verurteilten mit Befriedigung. Noch schmachten 6 der Opfer im Zuchthause. Begnadigt wurden bereits die zu je vier Jahren Gefängnis verurteilten G e i ß l e r und Hecht. Die jetzt Entlassenen waren zu je 6 Jahren Zuchthaus verurteilt. Im Zuchthause sitzen noch Karl W o b st und Johann G e d l i ch, verurteilt zu 7 Jahren Zuchthaus , Karl Moriz, verurteilt zu 8 Jahren Zuchthaus, Friedrich Schmieder, ver- urteilt zu 9 Jahren Zuchthaus , und Ernst Z w a h r, verurteilt zu 10 Jahren Zuchthaus. Möchten sich auch ihnen bald die Thore deS Zuchthauses öffnen. *« Deutsches Weich. Ueber den ReichstagS-Tchluft wird bereits in den Blättern geredet. Die Regierung soll die Absicht haben, den Reichstag zeitig im Frühjahr zu schließen und frühzeitig im Herbst zur Beratung des Zolltarifs wiedereinzuberufen. Die„Deutsche Tageszeitimg" ist über diese Absicht recht un- zufrieden. Wahrscheinlich fürchtet sie, daß die Hinausschiebung der Zolltarifsberatungen zu einer Ueberrumpelung der Agrarier führen könne. Welche Pläne auch immer die Regierung in dieser Hinsicht ver- folgt, jedenfalls ist eine durchaus gründliche Beratung des Zolltarifs zu'fordern.— Die ewige Kanaldorlage soll dem preußischen Landtage sofort nach seiner Eröffnung zugehen. Die„Post" organisiert bereits wieder die Niederlage dieses erweiterten Produkts des unbeugsamen Willens deS preußischen Staatsministeriums. Fürst Hohenlohe hat seine Hoffnung betrogen. daß er das Zustandekommen des Werks durchsetzen werde, und da fein Nachfolger. Graf Bülolv. viel zu höflich ist, um eine„innere Krisis" zu' riskieren, so wird eS noch lange dauern, bis der erste Tropfen Wasser sich in den Mittelland -Kanal und seine Fort- führungen ergießt. Die Junker werden zum mindesten den Kanal als Pfandobjekt für die Handelsverträge einbehalten.— Ter chinesische Konflikt hat sich in erschreckender Weise ver- schärst. Der Pekinger Korrespondent von„LaffanS Bureau" ver- breitet die Meldung, daß zwischen dem Feldmarschall Grafen Walder see und dem deutschen Gesandten in Peking , Herrn Mumm v o n S ch iv a r z e n st e i n. Differenzen entstanden sein sollen, da dieser den Vorrang vor dem Grafen Waldersee beanspruche. Jetzt werden nun endlich die erstarrten Chinesen einsehen, wie viel höher unsre europäische Kultur steht. Dem Grafen Bülow aber wird nichts weiter übrig bleiben, wenn sich die beiden Herren nicht nach Hunnenart ohne Pardon an die Gurgel springen sollen, als schleunigst nach Peking zu reifen und den für die zukünftige Entwicklung' Deutschlands von unberechenbaren Folgen scheinenden Konflikt friedlich beizulegen. Endlich einmal eine würdige Aufgabe für ein staatsmännisches' Genie!— Zum Berliner Bankkrach. An? Straßbnrg i. E. wird uns geschrieben: Zu den Geprellten beim Krach d.er Preußischen Hypotheken- und der Deutschen Grundschnldcnbank gehören auch eine Reihe von Gemeinden und Kirche nfabriken Elsaß - Lothringens . Seitens der reichsländischen Verwaltungsbehörden, denen ein Aufsichtsrecht über die Verwendung und Anlage öffent- licher Gelder zusteht, hatte man von jeher dahin gewirkt, daß diese preußischen Geldinstituten zugeführt lvurden. Denn dort— so hieß es— werde musterhaste Ordnung gehalten und könne von Schwindel keine Rede sein. Jetzt, da der Krach da ist, beklagt man sich im Lande bitter darüber, daß die Gläubiger der verkrachten Banken von unsren Behörden, die ihnen seiner Zeit den Weg nach Berlin gewiesen hatten, nicht rechtzeitig auf die Unsicherheit ihrer Geld- anlagen aufmerksam gemacht und dadurch schwer geschädigt worden sind. Zweierlei Maft. In seinem kriegerischen gegen den Grafen PosadowSky gerichteten Manifest hatte Herr Bncck, der General- sekretär des Centraiverbands, auch die niedliche Enthüllung beiläufig angebracht, daß die Agitation für den russischen Handelsvertrag im Auftrag des Reichsamt's des Innern auch teilweise finanziell vom Centralverband ausgehalten worden sei. Jetzt führt die„Deutsche Tageszeitung" Klage, daß „die Presse " diesen Fall von Korruption mit Stillschweigen übergehe, und bemerkt: „Es ist still über den Wassern geblieben, wie eS damals allerorten still blieb, als Herr v.Bötticher die Unterstützung des Central- Verbands in der Agitation für die Handelsverträge suchte und fand. Es ist uns kaum je ein bezeichnenderes Beispiel des Messens mit zweierlei Maß oder der P o I i t i k mit doppelte in Boden vorgekommen, als dieses. Als der Direktor v. Wocdtke die Unterstützung des Ccntralverbands erbat und erhielt, da handelte es sich um ein Gesetz, das in erster Linie bestimmt war, die Autorität des Staats gegenüber einer maßlosen Verhetzung zu stärken. Als Herr v. Bötticher die Unterstützung desselben' Centraiverbands in Sachen der Handelsverträge suchte und fand, handelte es sich um ein außerordentlich bestrittenes Vorgehen ans wirtschaftlichem Gebiet, daß anerkanntermaßen einer Interessengruppe sehr förderlich, der andern aber schädlich war. Wenn das Vorgehen Wödtkcs zu verurteilen war, so war es das damalige des Herrn v. Bötticher doppelt und dreifach. Das Schweigen der Presse in diesem Fall beweist, daß ihre Entrüstung in jene m künstliche Mache zu einem bestimmten Zwecke war." Die„S t a a t S b ü r g e r- Z e i t n n g" nimmt diese Beschwerde ans, redet aber nicht mehr allgemein von der„Presse", sondern behauptet in ihrer durch unergründliche Dummheit verschärften Verlogenheit, daß auch die socialdemok ratische Presse jene Stelle des Bueck-Briefs geflissentlich verschwiegen habe. Sofern die liberale und freisinnige Presse in Betracht kommt. ist— auch nach unsren Beobachtungen— die Beschwerde der gc- nannten Blätter begründet. Die soci'aldemokratische Presse aber hatte so wenig Anlaß, mit ihrem Urteil über diesen neuen Fall von Korruption zurückzuhalten, da gerade der„Vorwärts" zu aller- erst im Leitartikel vom 20. Dezember auf diese bedeutsame Stelle des Bueck- Briefs die Aufmerksamkeit lenkte. und zugleich an die Agrarier, die den Grafen Posadowsky im 12 000 Mark- Fall ver- teidigten, die ironische Frage richtete, wie sie sich denn zu dem ähn- lichen Vergehen des Vorgängers des Grafen Posadowsky stellten. Die Socialdemokratie mißt stets und überall mit einerlei Maß, das ist die Grundlage jeder principicllcn und ehrlichen Politik. Dagegen sind die Agrarier genau die gleichen Heuchler wie die von ihnen gerügten Liberalen. Zwar verurteilen sie es jetzt, daß Herr v. Bötticher den Centralverband die Agitation für den Handels- vertrag bezahlen ließ, den Grafen Posadowsky aber finden sie nicht schuldig. Tie unsaubere Intimität zwischen dem Centralverband der Industriellen und der Regierung ist für uns gleich verwerflich, mag es sich um eine ZuchthanSvorlage oder einen Handelsvertrag handeln. Vielleicht sehen aber nun auch die Agrarier die Ge- Ehrlichkeit dieses Verhältnisses ein und beantragen im Reichstag eine parlani entarische Enquete über die Be- ziehuugen der Regierung zum Centralverband in den' letzten Jahrzehnten. Unsrer Unterstützung in diesem Bestreben, Licht zu schaffen, können sie sicher sein.— Zwei Ereignisse. Die„Konservative Korrespondenz" beginnt ihre Betrachtung zum Jahreswechsel mit dem folgenden Satz: „Das zu Ende gehende Jahr hat zwei Ereignisse von hoher Bedeutung gezeitigt: die Großjährigkeits-Erklärung Sr. kaiser- lichen und königlichen Hoheit des d e u t s ch e n K r o n p r i n z e n und den Wechsel im R e i ch s k a n z I e r a m t e." Es wäre interessant, zu erfahren, welches der beiden das Jahr 1900 kennzeichnenden Ereignisse dem anitlichcn Organ der lon- 'ervativen Partei vergleichsweise wichtiger erscheint.— Ein Weihnachtsgeschenk für die Postbeamten. Podbielski t das Bedürfnis empfunden, seinen Unterbeamten anläßlich des eihnachtsfestes, das für diese ungeheure Mehrleistungen mit sich brachte, sein väterliches Wohlwollen kund zu thun. Gerade zur Weihnachtszeit sind nämlich den Poswnterbcamten der Berliner Postämter Cirkulare folgenden Inhalts unterbreitet worden: „In dem Erlaß des Herrn Staatssekretärs vom 15. Sept. 1898 wird ausdrücklich vor dem„Deutschen Postboten" gewarnt, weil dieses Blatt eine Haltung angenommen hat, die geeignet ist, bei den Unterbeamten das Vertrauen zu den Vorgesetzten zu erschüttern und Unzufriedenheit mit dem gewählten Lebensberufe zu er« regen. Nach einer Verfügung der kaiserlichen Ober-Postdirektion vom 14. Dezember(Gl. 13368) stimmt die Wochenschrift„Deutsche Reichs- post" inhaltlich mit dem„Deutschen Postboten" überein und fällt daher unter den obenbezeichneten Erlaß. Ich erkenne an, hiervon Kennwis genommen zu haben. Berlin, " Gerade zu einer Zeit also, wo von den Kanzeln der Kirche herab den Menschen„ein Wohlgefallen" verkündet wurde, hielten es die oberen Verwaltungsstellen für besonders angebracht, den unteren Beamten durch diesen Erlaß auch ihrerseits ein besonderes Wohlgefallen zu bereiten. Oder muß es die betreffenden Beamten nicht mit freudiger Genugthuung erfüllen, daß ihre vor- gesetzte Behörde so fürsorglich darüber wacht, daß sie nicht geistiger Rahrnngsmittelfälschung zum Opfer fallen und sich die hohe Freude an ihrem selbstgewählten Berns durch Hetzblätter verderben lassen, die sich aufdringlich zwischen sie und ihre Vorgesetzten zu schieben suchen? Ein professioneller Nörgler könnte freilich meinen, daß das Vertrauen zu den Vorgesetzten und die Lust am Beruf in einem solchen Musterbetrieb so unerschütterlich in der Brust deS Unterbeamten wurzeln müsse, daß frivole Hetzereien ganz erfolglos bleiben müßten. und daß gerade ein Verbot, solche Blätter zu lesen, Mißtrauen und Zweifel erwecken könne. Aber Herr v. Podbielski weiß als ehe- maliger Husarenoberst, daß D i s c i p I i n die Säule nicht nur der militärischen Ordnung und der Quell alles Glücksgefühls ist.— Die Krise in groftindustrieller Beleuchtung. Ein Berliner Mitarbeiter der„Rhcin.-Westf. Ztg." urteilt über die gegenwärtige wirtschaftliche Depression folgendermaßen: „Das zu Ende gehende Jahr bedeutet besonders einen Wende- Punkt in unserm wirtschaftlichen Leben. Die gewaltige Eni- Wicklung, welche die deutsche Industrie und der deutsche Welt- Handel in dem verflossenen Jahrzehnt durchgemacht haben, ist zu einem vorläufigen Stillstand gekommen und es beginnen sich deutliche A n z ei ch e n eines c n t s ch i e d e n e n Rückgangs bemerkbar zu machen. Es sind nicht nur äußere Gründe, wie die kriegerischen Verwicklungen in Südafrika und China , die diese rück- läufige Bewegung hervorgerufen haben. Es sind auch innere Gründe dafür vorhanden, die leider darauf schließen lassen, daß die eingetretene Krisis noch weitere Fortschritte machen und nicht sobald beendet sein dürfte. Ucberall hat eine Ueberspannung der vorhandenen Kräfte stattgefunden, der eine Abspannung gefolgt ist. Zwar ist bisher ein förmlicher Krach vermieden worden, aber die wirtschaftliche Krisis, unter der augenblicklich ganz Deutschland — freilich nicht Deutsch land allein'— zu leiden hat, ähnelt bereits ver- zweifeltjene m Krach, wie er vor 27 Jahren das junge Deutsche Reich heimgesucht hat. Wenn wir heute bis- her die Folgen dieser Krisis leichter ertragen haben, so liegt das wesentlich daran, daß der deutsche Nationalwohlstand seitdem ganz gewaltig erstarkt ist und gegenwärtig bessere Grund- lagen zur Ueberwindung des erfolgten Rückschlags gegeben sind, als vor einem Menschenalter." Mitten in diese Depression falle nun der Kampf um die Handelsverträge, dessen Leidenschaftlichkeit mit dazu beitragen werde, eine Gründung der wirtschaftlichen Verhältnisse hinauszuzögern. Voraussichtlich gehe man noch sehr ernsten, sehr schlimmen Zeiten entgegen. Nur durch„entschlossenen Widerstand" könne nian den Gefahren begegnen. Mehr Ursache als die von der„Rh.« Wests. Ztg." repräsentierten mißvergnügten Industriellen haben freilich noch die Arbeiter, gegen die zweispännige weltpolitisch- agrarische Politik den entschlossensten Wiederstand zu organisieren.— Ein Urteil über die Hunuenpolitik. Im Handelsgeographischen Verein in S t u t t g a r t hat dieser Tage in Anwesenheit des Königs von Württemberg der Geh. Hofrat Bälz aus Tokio einen Vortrag über die Ostasiaten gehalten, von dem zn wünschen gewesen wäre. daß ihn auch andre' gekrönte Häupter und deren verantwortliche Handlanger gehört hätten. In dem Vortrag führte der Kenner der ostasiatischcn Verhältnisse das Folgende aus: „Ein verhängnisvoller Fehler Ivar, daß man für die Missionäre Mandarinenrang und Sitz auf der Richterbank erzlvang. Die Art. wie das Christentum den in religiösen Dingen durchaus toleranten Chinesen entgegentrat, die Neuerungen alle, die man ihnen aufdrängte, der erzwungene Eiscubahnbau, die Wegnahme von Land, all das zusammen häufte einen Zündstoff auf, der früher oder später eine Explosion zur Folge haben mußte. Daß diese so nahe sei. hätte allerdings Bälz s e l b st nicht geglaubt, als er in Nagasaki dem Prinzen Heinrich von Preußen seine Meinung dahin aussprach. daßinChina über kurz oder lang ent wederein A r m i n i u s oder eine sizilia nische Vesper kommen w e r d e. Auch die Thätigkcit der europäischen Gesandten streifte der Redner und hob unter anderm hervor, welchen Eindruck eS auf die Chinesen machen mußte, Ivcnn der Doyen des diplomatischen Corps, der dem Tsnng- Li-Damen geradezu Befehle dtkttcrte, nach seinem Rücktritt als Geschäftsagent Krupps nach China zurückkehrte. Ueber die Art der jetzigen Kriegftihrung in China citierte der Redner Aenßcrungcn deutscher und eng- l i s ch e r Offiziere, die selbst von den Chinesen zu Krüppeln geschossen sich dennoch mit großer Sympathie für China sind mit Heller Entrüstung über daö barbarische Vorgehen der Europäer aussprachen. Auch ans die Gefahren wies der Redner hin. daß das O d i u m der ganzen europäischen Aktion schließlich ans demjenigen sitzen bleiben könnte, der das s ch ä r f st e Vorgehen zeigt. Die Engländer in den Küstenplätzen sehen das schneidige deutsche Vorgehen sehr gern, soweit es zu ihrem Schutze dient, aber sie verfehlen daneben nicht, die Chinesen eben gegen Deutschland aufzuhetzen. Diese ebenso sachkundigen wie verständigen Ausführnngcn eines Unbefangenen rechtfertigen' die socialdemokratische Taktik an dem China -Äbenteuer in allen Punkten. Hoffentlich vermittelt der König von Württemberg die durch den Vortrag empfangene Belehrung auch dein einen oder andren seiner gekrönten Herren Vettern.— Kultnrpioniere. Wie unsre Kreuzfahrer in China hausen, davon erzählen, nach. dem man den Soldaten die Möglichkeit geraubt hat, von den Vor- gängen in Ostasien zu berichten, jetzt erfreulicherweise die Kriegs- korrespondenten unsrer Khakiblätter. Hier ein paar Stil- proben aus einem Bericht, den ein Dr. Georg Wegner dem „Lokal-Anzeiger" gesandt hat: Jeder Ritt durch die Straßen Tientsins bietet neue über- raschende Bilder, von denen man nur bedauert, daß man ihren flüchtigen Wechsel so wenig festhalten kann. Sei es, daß'. man zu den Lägern hinausreitct, wo die Leute unter Zelten aller Art kampieren,' Ivo Feldschmiedcn, Feldbäckereien, Feldsattlereien, Pferdeställe«., gehe es, wie es gehe, improvisiert sind, wo sich die Offiziere ihre kleinen, notdürftig ausgebauten Kasinos mit Hilfe von allem möglichen chinesischen Kram. Beutestücken der verschiedenen Streifzüge und dergleichen aus- geputzt haben; sei eS, daß man ani Pciho entlang streift, wo ungeheure Mengen requirierter Dschunken schwimmen, wo rasch hergestellte Schisfsbrücken den Verkehr der Provia ntkolonnen über den Strom vermitteln müssen, wo ungeheure Haufen an Heu, Getreide. Mehl, Konserven, mit Matten bedeckt, aufgespeichert sind, von Posten bewacht......" „Die Schare» von KnliS selbst, die morgenS zu vielen Tausenden aus den noch unzerstörten Teilen TientsinS in das Feldlager der Europäer ziehen und abends dorthin wieder zurückkehren— eine lebendige Flut und Ebbe von Wesen, die bei ihrer Massenhaftigkeit, ihrem gleichartigen Aussehen. der UnPersönlichkeit, mit der sie in Bausch und Bogen von ihren Arbeitgebern(!) behandelt werden, kaum noch als Menschen erscheinen— selbst diese tragen die Flagge der Nation voran, von der sie engagiert(!) sind, seitdem es Gewohnheit geworden war» daft die Soldaten, wenn sie Arbeitskräfte brauchten, irgend welche Kulihaufen ans der Strafte aufgriffen und sie mit Prügeln zu ihrem Dienste zwange »... „Die Schwierigkeit der Sprache scheint für den gewöhnlichen Soldaten eine erstaunlich geringe Rolle zu spielen. Ein russischer Offizier, der auch Deutsch und Französisch verstand, erzählte mir. wie er einmal einem solchen Gespräch zwischen einem Russen, einem Franzosen und eineni Deutschen unbeobachtet hätte folgen können. Der Russe sprach begeistert von der riesigen Körperkraft seines verstorbenen Zars, Alexanders des Dritten:„Den hättet Ihr mal sehen sollen, der hatte Euch Muskeln", sagte er und fuchtelte dabei mit seinen Armen bezeichnend in der Luft herum.„Tres bien, rnon arni, tres bien", siel der Franzose noch lebhafter gestikulierend ein,„und wir lassen Euch nicht allein, wir stehen im Eurer Seite, Wenns zum Fechten kommt".„Tet stimmt", be- stätigte endlich der Deutsche ruhig nickend,„ich Hab' et immer jesa'gt, d-t Eenzige. wat der Chinese versteht, is Keile'." Und so plauderten sie seclenvergnügt weiter."
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten