v. Stumm. Ein Antrag die Sitzung um eine halbe Stunde zu vertagen bis zu roelcher Zeit der neugedruckte Gesetz- entwurf hätte vertheilt sein können, wurde per Hammelsprung mit I05aegen 103 Stimmen abgelehnt. Die Schlußabstimmung wird also erst morgen erfolgen können und steht das Ergebniß derselben sehr im Zweifel, da von links und rechts natür- lich der letzte Mann noch herangeholt werden wird. Ein Gesetzentwurf der Regierung, den Bundesrath zu ermächtigen, vom 1. Februar 1892 ab die für die Einfuhr nach Deutsch- land vertragsmäßig bestehenden Zollbefreiungen und Zoll- ermäßiguugen auch solchen Staaten, welche emen Vertrags- mäßigen Anspruch hierauf nicht haben, gegen Einräumung angemessener Vortheile ganz oder theilweise bis längstens zum 1. Tezmber 1892 zuzugestehen, fand in erster Lesung fast einstimmige Annahme. Das Gesetz soll wohl in erster Linie dazu dienen, der Reichsregierung freie Hand in den Zollunter Handlungen mit Rußland zu geben, welche, wie im Reichstag erzählt wird, im vollen Gange sein sollen.— Das Volksschnlgesetz wird in jedem Falle einen Sieg der Reaktion bilden, gleichviel, ob es unverändert mit Hilfe- der Konservativen und des Zentrums, oder mit den Amendements der Liberalen und Freikonservativen ange- uommen wird. Im ersteren Falle ist der Sieg der Reaktion un- bestritten und aiigenscheinlich, im zweiten Falle hat die Reaktion vielleicht den Schein der Niederlage, in Wirklichkeit aber hat sie eine neue Etappe gewonnen, die das bisher Erreichte sicher stellt und den vollen Triumph vielleicht etwas ver- zögert, aber um so gewisser macht. Ein Volksschul-Gesetz mit den Amendements der Liberalen und Freikonservativen wird der Reaktion viel größere Dienste leisten, als ein un- verändert angenommenes. Indem die reaktionären Grund- sähe, die in Jahrzehnten sich zur allgemein geltenden ?raxis ausgebildet haben, nunmehr gesetzlich unter illigung der Nationalliberalen und Deutsch -Freisinnigen festgestellt werden, wird der Reaktion noch die liberale Sanktion ertheilt. DnS Schwergewicht der Herrschaft über die Schule wird etwas mehr nach der Seite der Bureau- kratie gelegt, und daß die Schule unter dieser besser, freier oder unabhängiger sich gestalten wird, das wird man wohl kaum behaupten können. Die staatlichen Behörden werden wie bisher deni Lehrer die Abhängigkeit von der Kirche, von den Geistlichen aufzwingen; die staatlichen Behörden wer- den um so leichter mit den Lehrern umspringen können, als diese ihnen ja willenlos von den Freisinnigen und Nationattiberalen ausgeliefert sind. Mit dem unter liberaler Mitwirkung von einer durch- aus reaktionären Regierung geschaffenen Volksschul-Gesetz, giebt der Liberalismus die Schule vollständig preis. Ob die uiweränderte Vorlage oder die amendirte mehr oder weniger Nachtheile hat, kann hier gar nicht in Betracht kommen; in diesem Falle bedeutet das Weniger mehr. Der unveränderten Vorlage gegenüber würde auch der bürger- liche Liberalismus Front zu macheu gezwungen sein, die amendirte Vorlage aber vernichtet den Rest des bürgerlichen Liberalismus. .Herr Eugen Richter , der große Staatsmann, ergeht sich freilich schon in der Hoffnung aus eine große liberale Partei im Oppositionskampf mit der Regierung. Eine Opposition eingeleitet von Herrn von Bennigsen und Genossen! Eine große und mächtige und liberale Partei, für die bürgerliche Freiheit kämpfend, mit Männern, die ihre„Staatsmännischkeit" in 25jähriger Prcisgebuna jedes UnabhängigkeitsgefiihlS, in der Schaffung der reaktionärsten Gesetze, in der Bahnung und AuS- schmückung jedes Weges, der zur Willkür und zum Absolutis- muß führte, erprobt haben— eine solche Partei auch nur zu träumen, das zeugt von einer Blindheit oder Verblendung, wie sie nur die maßloseste Eitelkeit erzeugen kann. Nur die Eitelkeit, diese Begleiterin der Impotenz, kann es fertig bringen, alle Erfahrungen in den Wind zu schlagen und sich den gröbsten Täuschungen hinzugeben. Wenn Leute wie Bennigsen, Miquel und Genoffen wirklich eine Spur von freiheitlicher Gesinnung hätten, dann müßten sie vor allem bei Seite gehen; sie müßten erkennen, daß sie in den Kampf nur ein zerbrochenes und zwar von ihnen selbst zerbrochenes Schwert bringen, daß das Wort der Freiheit in ihrem Munde eine Ironie ist und daß ihre vermeintliche Weisheit sich als größte Thorheit erwiesen, daß jede Sache/ die sie vertreten, auf Vertrauen nicht mehr zu rechnen hat, daß ihnen nur noch übrig bleibt, bei Seite zu gehen und sich begraben zu lassen, oder nach wie vor den Wagen der Reaktion weiter zu schleppen. Wir bedanern freilich, etwas spät zu kommen, denn daS luxuriöse Abendessen, mit welchem Dr. Raffmaus in Gemeinschaft mit dem reichen Weinhändler Ticftrunk die Gesinnungsgenossen während der eben vergangenen zwei Stunden vewirthet, wird gerade abgetragen. Die Gäste zünden ihre importirten Havannas oder Ambalemas an den von kostbaren silbernen Leuchtern getragenen Wachskerzen an und stärken sich durch den Genuß des in den Spitzgläsern perlenden Champagners zu dem wichtigen und ernsten Werke, das ihnen bevorsteht. Die durch den eben gehabten Genuß bedeutend er- hobenen Gemüther werden ernster im Angesicht der ernsten Stunde, locker herabhängende Brillen werden in die Höhe geschoben. Dr. Raffmaus, welcher an der Spitze der Tafel sitzt, betrachtet noch während eines kleinen Weilchens die weißschimmernde Asche seiner köstlich duftenden Zigarre, dann ergreift er den elfenbeinernen Griff einer silbernen Glocke und bentttzt die dadurch herbeigeführte feierliche Stille zu folgender Anrede: „Meine Herren, die Ursache, auS deren Veranlassung wir unS die Ehre gegeben haben, Sie zu einer privaten Besvrechung einzuladen, ist, wie Sie schon errathen haben werden, keine andere, als die in nächster Zeit bevorstehende Landtagswahl. „Sie werden heute Abend einige unserer bisherigen Ge- Nossen in unserem Kreise vermissen, und bin ich Ihnen hierüber eine Erklärung schuldig. Sie wissen, wie viel Dr. Benjamin uns in Bezug auf seine bürgerliche Stillung zu verdanken hat. Ausgeschloffen und aus- gestoßen, wie er es von allen liberalen Parteien wegen seines Hochverrätherischen Treibens in der lehren Revolution war, suchte er uns seine Reue überzeugend darzustellen. Wir nahmen ihn großmüthig in unsere Reihen auf, wir wiesen ihm eine ziemlich hervorragende Stellung bei allen Volks- Versammlungen an, wir haben ihm endlich die Ehrenstellung als Stadtverordneter verschafft, haben ihn bei den von ihm vertretenen Rechtssachen unseren Freunden beim Gericht empfohlen, und seine advokatorische Praxis hat dadurch sehr Diese Bennigsen und Miquel, welche die Wahlen von 1878 unter dem Banner der Sozialistenhetze betrieben, ohne zu merken, daß es sich dabei weniger noch um das Sozia- listengesetz, als um die schutzzöllnerische und aararische Gesetz- gebung und vor allem um die ungeheure Mehrbelastung des Volkes handelte; diese Bennigsen und Miquel, welche dieses Abgeordnetenhaus unter der Fahne des Kartells zusammen- brachten, welche den ärgsten Reaktionären die Spitze im Abgeordnetenhause verschafften, und dann noch für die Ver- längerung der Sessionsperioden sorgten; diese Bennigsen und Miquel sollen die neue liberale Aera einleiten! Das Kartell, das die große liberale Partei bilden soll wird einen noch schmählicheren Verlauf nehmen, als das Kartell von 1887. Bennigsen ünd Eugen Richter — welcher Wechselbalg wird wohl aus der Umarmung dieser Beiden hervorgehen!— Die Reichstags-Ersatzwahl im 22. sächsischen Wahl- kreise( A u e r b a ch- R e i ch e n b a ch) ist auf den 15. März anberaumt. Ter Wahlkreis war bisher durch den konser- vativen Laudgerichtsdirektor Kurtz, dessen Mandat infolge seiner Beförderung im Staatsdienst erloschen ist, vertreten. Für die Neuwahl sind bereits als Kandidaten aufgestellt: H o f m a n n- Chemnitz(Sozialdemokrat), K r a m e r- Kirchberg(nationalliberal), Opitz- Treuen(konservativ). Von Seiten der Antisemiten wird wahrscheinlich Dr. Paul Förster aufgestellt werden, nachdem F r i t s ch- Leipzig aus„Gesundheitsrücksichten" abgelehnt hat.— Die Reichstags- Ersatzwahl in Mecklenburg- Strelitz für den konservativen Abgeordnetcil von Oertzen findet am 19. März statt.— Heuchelei. Wird da jetzt anläßlich der Geburtstags- feier des deutschen Kaisers von ordnungsvarteilichen Blättern ein Gedicht veröffentlicht, welches mit den Versen beginnt: „Einig in Süd und Nord Steh'« wir getrost hinfort Jeder Gefahr." Sind wir denn„einig"? Ist unser Volk nicht in sich gespalten und wird nicht gerade von den Parteien, deren Organe uns solche Kost auftischen. Alles gethan, um die „Emiakeit" zu einer schamlosen Lüge zu machen? Haben sie nicht die I u d e n h a tz gezüchtet und die S o z i a l fst e ir- y a tz? Verlangen sie nicht jetzt mit demagogischem Gepolter, alle Parteien müßten sich zusammenschließen, um die Sozial- demokratie zu vernichten, d. h. die stärkste Partei in Deutsch - land? Predigen sie nicht tagtäglich den„trockenen" Bürgerkrieg, welches Wort wir nach dem Muster der „trockenen Guillotine" bilden? Den Bürgerkrieg, der nicht knall und �all todtschießt, sondern langsam zu tödten sucht, indeni er die soziale Acht verhängt und den wirthschaftlichen Ruin seiner Opfer herbeiführen will, sovaß sie verhungern oder zu Kreuze kriechen müssen? Und das nennt die politische Heuchelei„einig".— Tie Aufrechthaltung des Volksschulwesens in dem bisherigen Geiste wird von der„Nationalliberalen Korrespondenz" als Kern der Bewegung aller Kreise des Bürgerthnms angesehen. Ob sich die Mühler, Puttkamer, Goßler es je haben träumen lassen, der Gegenstand der Verherrlichung durch Bennigsen und Eugen Richter zu werden? Die Lehrer, die ihre Hoffnung auf den„Freisinn" richteten, werden jetzt wohl ihre schmähliche Täuschung er- kennen.— Die Anklage gegen Baare wegen Stempelfälschung ist jetzt auch erhoben worden. Noch vor wenigen Tagen bestritten dies die Herrn Baare dienstbaren Blätter. Der schweizerische Ständerath hat einstimmig die gandelsverträge mit Deutschland und esterreich-Ungarn angenommen. Der Nationalrath hat dem Bundesrathe mit 81 gegen 14 Stinimen Vollmachten zur bestmöglichen Wahrung der schweizerischen Interessen im Handelsverkehr mit Frankreich ertheilt. Der BnndeSrath soll in der nächsten Session der Bundesversammlung Bericht erstatten, welchen Gebrauch er von diesen Vollmachten gemacht hat. Nach Zustimmung des Ständerathes wird auf Grund des obigen Beschlusses Frankreich vorläufig das Recht der Meist- begünftigung erhalten.— viel gewonnen; wir haben ihm bei fast allen sich dar- bietenden Gelegenheiten besondere Aufmerksamkeiten er- wiesen, haben ihn ins Schiller-Komitee und in den Borstand des Bürgervercius, beim Gcwerbcverein und beim Spar- und Vorschußverein in ehrenvolle Stellungen gewählt, ja wir haben ihm seine Wahl als Landtagsmitglied in nicht zu entfernte Aussicht gestellt. Aber dieser Undankbare statt sich für alle diese Ehren und Wohlthaten empfänglich zu zeigen und sich uns mit Leib und Seele anzuschließen, will jetzt ein selbständiger Führer der liberalen Partei werden, will uns gewissermaßen aus dem Sattel heben und hat sich zu diesem Zwecke bereits zu wiederholten Malen mit Vertretern der Demokratie in Verbindung gesetzt, die wir doch bereits so ziemlich ins Schlepptau genommen hatten. Alles daS, um selbständig Boden im Volke zu ge- Winnen und von uns unabbängig zu werden!" „Ja, ich habe Anzeichen genug dafür, daß er seine Hand in hervorragender Weise mit im Spiele gehabt, als ich mit so auffallend geringer Majorität wieder zum Stadtverordneten- Vorsteher gewählt wurde. Jetzt, glaube ich, geht er entschieden damit um, nicht nur eme Anzahl seiner besonderen Freunde ins Stadtverordneten - Kollegium zu bringen, sondern auch seine eigene werthe Person in den nächsten Landtag. „Ein solches Vorgehen zeugt nicht nur von grenzenloser Undankbarkeit, sondern auch von einer grandiosen Selbst- überhebung, und es scheint mir darum dringend geboten, dem unternehmenden Herrn ei» entschiedenes:„Bis hierher und nicht weiter!" zuzurufen. „Es lassen sich allerdings gegen verschiedene Unter- nehmungen des Dr. Benjamin, sowie gegen seine Ver- waltung von Ehrenämtern erhebliche Beschwerden vorbringen, doch halte ich ein rücksichtsloses Vorgehen gegen ihn in dieser Richtung für bedenklich im Partei-Jnreresse, denn wenn wir seine Missethaten an's Licht ziehen, so wird das Publikum stutzig und fragt: Wie konntet Ihr uns diesen Mann so angelegentlich empfehlen? Außerdem giebt es Unterschiedliche unserer Getreuen, die ähnlichen Angriffen würden ausgesetzt werden, waS doch sicherlich unser Ansehen Die belgische Kammer hat soeben«in Gesetz erlassen, welches die Kooperativ-Gesellschaften(Pro- duktiv-Genoffenschaften der Arbeiter) schwer besteuert. Das Gesetz soll ein Schlag sein gegen die sozialistische Be- wegung. Der„Vooruit" in Gent wird nach diesem sauberen Gesetz für seine Bäckerei allein ungefähr 10 009 Frks. jähr- lich zu zahlen haben, und da er diesen Aussall nicht tragen kann, so wird er den Preis des Brotes erhöhen müssen. Die Majorität der belgischen Kammer besteht aus Klerikalen, d. h. aus Vertretern des Katholizis- muS, dessen Lobredner uns bei jeder Gelegenheit verkünden, er sei berufen, die soziale Frage zu lösen. Wir sehen in Belgien , worin diese Lösung besteht: theueres Brot. Frei- lich zu wundern haben wir Deutsche uns nicht, denn unser Zentrum hat ja in dieser Richtung auch Be- deutendes geleistet. Hätte doch ohne seine Mitwirkung die Bismarck 'sche Ärotvertheuerungs- Politik nicht durchgesetzt werden können. Während die belgische Kammermajorität rasch bei der Hand ist, wenn es gilt, den Arbeitern das Fell über die Öhren zu ziehen und den Brotkorb höher zu hängen, sträubt sie sich nach wie vor mit aller Kraft gegen das von neun Zehnteln des belgischen Volkes ge- forderte allgemeine Wahlrecht. Jede Hoffnung auf gutwilliges Nachgeben der Kammer muß aufgegeben werden. Eine Kraftprobe zwischen Volk und Kammer ist unvernieidlich. Es offenbart sich hier wieder einmal mit packender Deutlichkeit, wie die sogenannten Rechtsfragen in der Politik allesammt Machtfragen sind. Das belgische Volk hat jetzt zu zeigen, was es kann. Und unsere Ge- nassen haben den Vorkampf zu führen. Nach dem Schau- spiel, welches sie uns bieten, zweifeln wir nicht, daß sie ihrer ehrenvollen, aber schwierigen Aufgabe gewachsen sind. In der Presse, in der Agitation entfalten sie eine wahrhaft herzerfrischende Thätigkeit, und so sicher dem festen, ziel- bewußten Willen kein Hinderniß unüberwindlich ist— so sicher wird der belgische Sozialismus den Kleri- k a l i s m u S, wird daS belgische Volk die belgische Kammer besiegen.— I« England haben bei einer Ersatzwahl die Liberalen gesiegt. Darob großer Jubel in der liberalen Presse Englands und auch anderer Länder, namentlich Deutschlands . Ein„Umschwung" soll sich vollzogen haben, der Driumph des Liberalismus bei der bevorstehenden all- gemeinen Wahl sicher sein. Das ist kindisches Gerede. Der Zwist im Lager der irischen Homeruler ist für die liberalen Oppositionsparteien Englands so nachtheilig, so schwächend, daß hierdurch allein die Wahlchancen des Liberalismus aus ein Minimum herab- gedrückt würden, selbst wenn der Liberalismus nicht auch rn sich selber zerfahren, und bis ins innerste Mark faul wäre.— In der letzte» italienischen Kammersttzung wurde der Justizminister C h i m i r r i mehrfach über die von ihm getroffenen Willkürhandlungen gegen Sozialisten interpellirt. Der Minister trat mit der Unverfrorenheit auf, die den im Unrecht befindlichen Gewalthabern eigen ist und mehr als alles andre das niederträchtige Verhalten der Justiz und Polizei kennzeichnete. Auf daS Verlangen einer Amnestie erwiderte er, daß der Prozeß gegen Cipriani und Genoffen nächstens wieder aufgenommen werden wird. Welches Bubenstück mag inzwischen die Regierung ausgesonnew haben, um die Verurtheilung derselben herbeizuführen! Inzwischen hat eine Regierungsverfügung alle Arbeiter- Versammlungen im Freien verboten!— Spanien hat jetzt einen Belagerungszustand. Zum Anlaß nahm die Regierung den Äergarbeiter-Streik in Bilbao , bei welchem die Polizei gegen die Streikenden in brutalster Weise eingriff und so Konflikt« herbeiführte. Der Regierung war dieses höchst willkommen, um in dem Streit den Ausbruch einer internationalen- anarchistischen Be- wegung zu erblicken und den Belagerungszustand zu er- klären. Ein Kriegsgericht ist eingesetzt, um diejenigen Personen, welche sich Eingriffe in die„freie" Ausübung der Arbeit schuldig machen, aburtheilen zu lassen. Die freie Ausbeutung der Arbeiter, die Unterdrückung und Knechtung der Arbeit bleibt ungehemmt. Das Wolff'sche Tclegraphenbureau meldet: 7„Die Er- klärung des Belagerungszustandes brachte eine gute Wirkung hervor." Es braucht nicht hinzuzufügen:„unter der beim Volke schwächen müßte. Die liberalen Parteien haben hier solidarische Interessen. Meinen Sie nicht auch, meine Herren?" „Das ist gan» unleugbar wahr, wenn sich auch Ihre Bemerkung schweräch aus einen der Anwesenden beziehen dürste," erklärte der Kaufmann Rollmann, eine dürftige Persönlichkeit m* eingefallenen, gelbledernen Wangen und unstät herumirr«-,»den Augen. „Ja, die Reputation unserer Leute muß gang schlechter- dings ausrecht erhalten werden, sonst mißtraut am Ende das Volk selbst den Besten unter uns," meinte der Wein- Händler Tiestrunk, indem er sich langsam mit seiner fetten Hand das dünne, semmelblonde Haar aus dem weingerötheten Bacchusgesichte strich. „Mit dem KrankenhauS-Jnspektor Zahler wird eS wohl nicht mehr lange gehen," bemerkte ein noch ziemlich junger Mann, dessen Gesichtszüge von Intelligenz zeugten, wenn auch die etwas zugespitzte Stirn mehr scharfes Urtheil und schlaue Berechnung, als harmonische Geistesbildung ver- rieth;„sein Aushungernngs-System gegenüber den Patienten nimmt immer bedenklichere Dimensionen an, während andererseits sein« Buchsühnmg kaum noch der nächste» gründlichen Revision Stand halten dürfte." „Sie muß Stand halten, sie muß Stand halten, Herr Sekretär Lutz. Sie sind immer der unheilverkündende Rabe. Wo denken Sie denn nur hin? Der Mann ist gut, unent- behrlich sogar, er versteht populärer zu sprechen, als irgend ein Anderer," erwiderte Dr. Raffmaus.„Wir können ihn ja einmal privatim warnen, ihm auch gelegentlich eine Ge- Haltszulage auswirken, aber gehalten muß er werden unter allen Umständen: Denken Sie nicht auch, meine Herren?" „Er ist ein Grnndpseiler der liberalen Parteien," bemerkte der Möbelhändler Rollfuß, indem er langsam ein Glas Champagner die Kehle hinunterfließen ließ.„Seine Wirk- samkeit im liberalen Arbciter-Bildungsverein allein ist Golde? werth. Wie schön weiß er die Leule an Ordnung, Genüg- samkeit und Unterwürfigkeit zu mahnen. Es ist eine Freude, ihn anzuhören." (Fortsetzung folgt.)
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