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yiOT 1 Beilage zumVomiirts" Berliner Volksblatt. Frettag, den 29. Januar 1892. 9. Jahrg. Kr. 24. VÄlvletinenksverizhke. Abgeordnetenhaus. 7. Sitzung vom 28. Januar. 11 Uhr. Am Ministertische Graf C a p r i v i, Graf Zedlitz und Kommissarien . Die erste Lesung desVolls-Schulgesetzes wird fort­gesetzt. Abg. Graf Limburg-Stirum (kons.): Herr von Kardorff hat den Wunsch ausgesprochen, daß dieses Gesetz nicht einseitig unter Vergewaltigung der Parteien, mit denen wir vielfach zusammen- gegangen sind, zn Stande kommen möge, daß die Freikonser- vativen und Nationalliberalen mit zur Verständigung heran- gezogen werde». Die Reden der Freikonservativen lassen eine solche Verständigung nicht ausgeschlossen erscheinen. Anders liegt es bei den Nationalliberalen. Wenn eine Vorlage als unan- nehmbar bezeichnet wird und gleich provokatorisch aufgetreten wird, wenn der Oberpräsident von Bennigsen an die freisinnige Partei, an das deutsche liberale Bürgerthum sich wendet, wenn Herr Hodrecht sich in stärksten Redewendungen gegen die Vor- tage wendet, wenn er behauptet, daß die Lehrer zu Heuchlern ge- macht werden sollen, so liegt offen am Tage, daß dieses Gesetz als Gegenstand des politische» Kampfes betrachtet wird. Diesen Kampf kann ich ihnen nicht verdenken, aber für dieses Gesetz ist es nicht zuträglich, wenn es nur von diesem Standpunkt aus be- trachtet wird. Ich stehe nicht an zu erklären, daß es bedenklich ist, ein Gesetz zu machen, welches so große Unzufriedenheit er- regt. Das heißt einen Kulturkampf herausbeschwören, und Sie werden mir glauben, daß ich mir die Dinge ganz genau ansehe, denn ich habe einen solchen Kampf schon einmal durchgemacht. Tie Beftinimungen über die Kousesfionalitäl der Schulen werden keine dauernde Unzufriedenheit im Lande hervorrufen.(Wider­spruch links.) Die Entwicllung der Dinge hat sestgeftellt, daß die übergroße Mehrheit der Bevölkerung sich ihre Religions- Übungen nicht ungetrennt von der Konfession vorstellen kann; deshalb muß auch die Schule konfessionell gestallet werden. Wer alsLehrer sich ausbilden will, der muß ein gläubiges Gemüth haben, oder er sollte lieber auf diesen Beruf verzichten. Infolge dessen ist die Mitwirkung des kirchlichen Kommissars bei der Prüfung unbedenklich. Durch die Uebernahme des Religionsunterrichts seitens der Geistlichen werden die Lehrer nicht in Abhängigkeit von der Geistlichkeit gebracht; denn die Geistlichen werden sich nur unter besonderen Umständen dies« Lasten des Religionsunterrichts übernehmen. Die Bedenken der Nationalliberalen gegen diesen Punkt sind also unbegründet. Anders liegt es bezüglich der Privatschulen; es müssen im Gesetze Kantelen geschaffen werden, um die wchule konfessionell zu gestalten und dasür zu sorgen, daß die Schule nicht mißbraucht wird für sozialdemokratische Tendenzen. Daß die Unterrichtssprache in polnischen Landestheilen die polnische sein soll und daß die Kreisschulinspektoren der Konfession der Schule angehören müssen, ist eine Forderung der Polen . Ter ersten Forderung muß ich entschieden widersprechen, die preußische Volksschule kann nur eine deutsche sei». Die Schul- Inspektoren sind Vertreter des Staates und der Staatsaufsicht, nicht der konfessionellen Seite der Schule. Ich möchte warnen vor einer Politik der übermäßigen Konzessionen an die Polen . Diele Befürchtungen werden allerdings als unbegründet bezeichnet, aber die Ernennung eines polnischen Erzbischoss hat doch Be- sorgnisse erregt. Jedenfalls haben die Polen daran Hoffnungen geknüpft bezüglich fernerer Konzessionen im Schulwesen. Das würde eine schwere Gefährdung des Deutschthums in den polnischen Landestheilen mit sich bringen. Im vorigen Jahre wurde das Unterrichtsgesetz mit den anderen Reformgesetzen vorgelegt. Es zeigt sich jetzt, daß die unteren Verwaltungsbehörden überlastet sind mit der Ausführung der beschlossenen Gesetze. Deshalb müssen wir bitten, daß dieses Gesetz erst dann in Krast tritt, daß sie die Behörden nicht mehr außergewöhnlich belasten. Wir werden darauf hinarbeiten, daß dieses Gesetz noch in diesem Jahre zu Stande kommt, und zwar in dem Sinne, wie unser Redner Herr von Buch es dargestellt hat.(Beifall rechts.) Abg. von JazdzetvSki(Pole) bezweifelt, daß der Vorredner im Namen seiner ganzen Partei gesprochen hat, denn die evangelische Generalsynode hat verlangt, daß nicht nur die Lokal-, sondern auch die Kreisschulinspektion konsessionell geordnet sein soll. Das stimmt vollständig mit unseren Forderungen überein. Daß eine Volksschule ohne die Volkssprache nicht denkbar sei, werde von allen Pädagogen erkannt; die deutsche Sprache solle auch ge- lernt werden, aber in erster Linie stehe für die polnischen Landes- theile das polnische. Wenn die Volksschule unter staatlicher Leitung alles erfüllt, was sie erfüllen soll, dann ist die Gefahr, daß Privatschulen eingerichtet werden, nicht groß. Wenn unsere Forderungen aber nicht erfüllt werden, dann sind wir auf die Privatschulen angewiesen. Di« Befürchtungen, welche der Vor- redner auf die Berufung des neuen Erzbischoss knüpfte, seien un- begründet. Durch diese Maßregel würde vielmehr die allgemeine Zufriedenheit hervorgerufen.____, Abg. Porsch(Z.): Den Vorwurf des Herrn Richter, daß das Zentrum verfassungswidrig handele, wenn es die Vorlage annehme, weil dieselbe nur ein Stück des Unterrichtswefens regele nicht das ganze Schulwesen, muß ich als unrichtig zurückweisen. Herr Zelle hat im vorigen Jahr den Entwurf für verfassungsmäßig gehalten und in der Kommission hat Herr Knörcke sich in demselben Sinne ausgesprochen. Beim Schulaufsichtsgesetz und bei den anderen Schulgesetzen haben sich die Freistnnigen auch nicht ab- lehnend verhalten und jetzt wollen sie dem Zentrum den Vorwurf des Verfassungsbruches machen! Ehe noch die Vorlage in Aus- ficht stand, hat Herr Rintelen in einer Schrift über die vorjährigen Kommissionsverhandlungen ausgeführt, daß es wohl möglich sei, das Volksschulwesen allein zu regeln, wenn gewisse Bedingungen erfüllt werden, namentlich die Ausnahme der Vorschriften über die Lehrervorbildung und über die Privasschulen. Nur wen» die letzteren Vorschriften in dem Entwurf bleiben, wird das Zentrum für den Entwurf stimmen können. Mit Leichtigkeit setzt sich Herr Richter über die Bestimmungen der Verfassung hinweg; er meint, das sei eine Formel aus den fünfziger Jahren. Ist denn die Verfassung ein Saisonartikel? Soll nicht gerade die Ver- fassung eine lex in porpetmun valitura sein? Da könnten auch andere Leute kommen und andere Artikel der Verfassung als verstaubt und veraltet bezeichnen. Die Presse hat� dem Lande allerdings vorgelogen, daß die Vorlage den Wünschen des Zentrums entspreche und Probst Jahnel soll sich nach Herrn Richters Mitlheilungen gegen die Vorlage ausgesprochen haben. Propst Jahnel hat diese Behauptung in einem an den Vor­sitzenden der Zentrumssraklion gerichteten Schreiben widerlegt und erklärt, daß er, wie er glaube, allein gegen die Eingabe ge- stimmt habe, welche an das Abgeordnetenhaus gerichtet werden sollte. Da zeige sich, wie der Kamps gegen die Volksschule von der Presse mit großer Verlogenheit geführt werde. DreFrei- finnige Zeitung" stellt es so dar, als wenn der Probst Jahnel nur glaubte, gegen die Eingabe gestimmt zu haben, wahrend er glaubte, daß er allein dagegen gestimmt hat. Es ist eine Un- Wahrheit, daß diese Vorlage lediglich den Wünschen des Zentrums entspreche. Nicht blos die evangelische Generalsynode, sondern auch der jeder ullramontanen Tendenz unverdächtige evangelische Schulkongreß ist für die könsessionelle Volksschule und konsessio- nelle Lehrervorbildung eingetreten. Da ist es unerhört, daß man den Leuten, welche den Entwurf nicht genau gelesen haben, vor- redet, daß die Schule der katholischen Kirche ausgeliefert wird. (Zustimmung im Zentrum.) Es ist richtig, daß der Eni- ivurf das bestehende Recht kodifizirt; man kann darüber streiten, ob diese Bestimmungen überall das Rechte treffen; aber darüber braucht man kein solches Geschrei zu erheben. Herr Richter hätte sich ein Verdienst erworben, wenn er nicht blos die in die Vorlage aufgenommenen Anträge Rintelen er- wähnt hätte, sondern auch nachgewiesen hätte, welche Anträge nicht aufgenommen sind. Der Kultusminister von Goßler hat aus Anlaß des Windthorst'schen Schulantrages erklärt, daß die Schule schon ganz konsesstonell eingerichtet sei; er hat den Zu- stand geschildert, wie ihn die Vorlage feststellt. Ich fordere die Herren, welche behaupten, daß die Schule in andere Bahnen ge- bracht wird, auf, das im einzelnen nachzuweisen. Was wollen die Herren eigentlich? Die einen wollen die konfessionslose, das heißt die religionslose Volksschule, andere wollen zwar den Religionsunterricht konfessionell gestaltet sehen, aber den anderen Unterricht von der Religion nicht beeinflussen lassen. Dazu muß die Verfassung geändert werden. Sind die Herren der Meinung, daß die Religion oder das Christenthum ein Gift ist, welches man nur in möglichst kleinen Dosen verabreichen darf?(Heiterkeit im Zentrum.) Das Christenthum ist für uns die Hauptsache; eS muß das Herz des Kindes durchdringen, um es zu stärken für den schweren Weg des Lebens.(Zustimmung im Zentrum.) Ein christlicher Vater glaubt am besten, sei» Kind erziehen zu können, wenn er es dem Seelsorger anvertraut. So ist die Kirche die Mutter der Schule geworden. Unsere ganze Kultur wäre nicht vorhanden, wenn die Kirche nicht wäre.(Beifall rechts und im Zentrum.) Herr Enneccerus will nur den Religions- Unterricht konsessionell geitalten; das Kammergericht hat aber entschieden, daß der konfessionelle Charakter der Volksschule auch in den nichtreligiösen Unterrichtsgegenständen zu Tage trete. In der Simultanschule können die Kinder weder katholisch noch evangelisch erzogen werden. Auf konfessionellen Anstallen wird kein Haß gegen die andere Konfession eingesogen. Das habe ich auch erlebt; aber auf den nichtkonfessionellen Universitäten habe ich gesehen, wie unter der Maske der Wissenschaften den Schülern konfessioneller Haß eingeflößt wird.(Zustimmung im Zentrum.) Herr Richter hat anerkannt, daß den Religionsunterricht eigentlich die Geistlichen übernehmen müßten; seine Freunde haben im vorigen Jahre aber im entgegengesetzten Sinne gestimmt. Man wird es bald begreisen, wie schwer gefährlich es ist, wenn eine Generation ohne christlichen Glauben heranwächst. Ter moderne Unglaube ist schlimmer als das alte Heidenthum. Mit dem Worte Pfaffe ist die Kirche und Religion beseitigt; die Moral beschränkt sich auf das Strafgesetzbuch. Ich begreise es, daß die Staatsregierung hier Abhilfe schaffen will. Wir wollen der Staatsregierung helfen, wenn die Bedenken, welche wir haben, aus dem Wege geräumt werden. Es wird als gefährlich hingestellt, daß der bischöfliche Kommissar entscheiden solle über die Bejähigung eines Kandidaten für die Ertheilung des Religions- Unterrichts. Das ist weniger, als bisher Gesetz gewesen ist. Herr von Goßler hat erklärt, ein Lehrer, der i» Religion durchgefallen ist. sei für die Volksschule unbrauchbar. Das ist noch schlimmer. (Widerspruch links: Kein Veto.) Für die konfessionellen Schul- vorstände tritt auch der evangelische Bund für die Volksschule ein, was hat Herr Richter dagegen vorgebracht? Er hat Witze gemacht über die Hausväter. Wenn«in Junker oder ein Pfaffe solche Witz« gemacht hätte!(Sehr richtig! links.) Warum hat man diese Dinge nicht angeführt gegen die Einrichtung der kirch- lichen Vermögensverwaltung? Das Volksschul-Gesetz ist von großer Bedeutung für unsere Verhältnisse. Herr Richter meint aller- dings, was hat die Sozialdemokratie mit der Religion zu thun. tch bestreite, daß Jemand, der bewußt gläubig ist, ein bewußter ozialdemokrat sein kann.(Zustimmung rechts.) Herr Richter hat eine geistreiche Kritik der Sozialdemokratie geschrieben, welche bei meinen Freunden große Anerkennung findet. Aber es ist wunderbar, daß er, der schärfste Bekämpfer der Sozialdemokratie, die schärfste Waffe gegen dieselbe, die Schule, nicht anerkennt. Die Lösung des Räthsels der sozialen Frage finden die Armen nur in dem Glauben an«in Jenseits . Wenn die armen Leute sich sagen, der Kaiser und seine mächtigen Minister müssen sich einmal vor Gott verantworten über die Macht, welche sie in der Hand haben, so sind das Gedanken, die«ine große Bedeutung haben. Freilich, wenn der Glaube an das Jenseits verschwindet, dann sind solche Gedanken nicht vorhanden. Ich glaube, daß die moderne Sintfluth, wenn sie zunickgehalten werden kann, nur durch das hölzerne Kreuz, durch diese stärkste Waffe der Welt, zurückgedämmt werden kann.(Zustimmung rechts und im Zentrum.) Deshalb liegt ein staatliches Interesse vor, die Menschen so zu ziehe», daß sie wissen, daß es im Jenseits einen Richter giebt. Es ist der Wunsch ausgesprochen worden, zu einer Verständigung zu kommen. Ob das möglich sein wird bei den vorhandenen Gegensätzen, weiß ich nicht. Wir können mit Ruhe und Mäßi- gung distutiren. Wenn man sich klar machen wird, daß die Ab- weichungen des vorliegenden Gesetzes von dem bestehenden Rechte nicht erheblich sind, dann wird eine Verständigung nicht aus- geschlossen fein.(Lebhafter Beifall im Zentrum und rechts.) Abg. v. Eynern(natl.): Der Vorredner hat wohl ver- aessen, daß der große Reichthum weniger in den protestantischen Ländern vorhanden ist, als in den katholischen Ländern, wo die Klöster und Kirchen über große Reichthümer verfüge».(Wider- spruch im Zentrum.) Mit den extremen Auffassungen des Vor- redners läßt sich eigentlich überhaupt nicht streiten. Die Frage, ob das Christenthum Gift sei, sollte hier überhaupt nicht gestellt werden; ich halte es für unwürdig, darauf zu antworten.(Zu- stimmung links.) Ueber die Stellung des evangelischen Bundes sollte sich Herr Porsch ans dem Artikel des Professor Beyschlag imDeutschen Wochenblatt" unterrichten. Wes- halb Herr Stöcker eine Verständigung zwischen National- liberalen und Konservativen für ausgeschlossen hält, weiß ich nicht, nachdem im vorigen Jahre eine solche herbeigeführt worden ist. Der neue Entwurf bringt erhebliche Abweichungen von dem Goßler'schen Entwurf, namentlich räumt er der Kirche eine be- denkliche Herrschaft ein, wovon Graf Limburg überhaupt nichts gesprochen hat; er will weitere Konzessionen nicht machen, aber nach seinem heutigen Verhalten wird er im nächsten Jahre wohl noch weiter den Forderungen des Herrn Porsch»achgeben. Nicht blos die Ausführung dieser Vorlage sollte aufgeschoben werden, sondern auch die ganze Bcrathung; die Erregungen der Gemüther über den Kulturkampf ist noch eine viel zu große, als daß man jetzt schon mit diesem Gesetz kommen sollte. Nothwendig ist nur ein Schuldotations-Gesetz, welches erledigt werden kann, ohne daß die prinzipiellen Punkte zur Entscheidung kommen. Bei der ersten Lesung des Etats kam dir Beifall für den Grafen Zedlitz nur vom Zentrum, die Konservativen schwiegen still. Um so größer und schmerzlicher war die Ueberraschung durch die Rebe des Herrn von Buch, welche eine vollständige Abkehr von dem Entwurf des Herrn von Goßler enthielt. Die Konservativen schloffen sich den« Zentrum als Gefolgschaft an. Von der großen weltgeschichtlichen Bedeutung der Vorlage scheint mir der Minister noch keine Ahnung zu haben, sonst würde er sich nicht darauf beschränken, die Vorlage nur als Ausführung des Verfassungsrechtes und der Verwaltungspraxis zu bezeichnen. Es ist schon früher einmal gesagt worden: fdie Schlacht zwischen dem Protestantismus und Katholizismus wird auf märkischem Sande geschlagen werden; ich glaube, die Zeit dieser Schlacht naht jetzt heran. Den Vorwurf müssen wir uns verbitten, dach die Kreise des Bürgerthums die Volksschule religionslos machen wollen. Sie erregen dadurch nur Unwillen bei uns. In dieser Beziehung nehme ich die freisinnige Partei in Schutz. Die freisinnige Partei beherrscht die Stadt Berlin , wo ist denn die Religion aus dem blühenden Volksschulwesen der Stadt Berlin entfernt worden?(Widerspruch rechts.) Ueber die Verfassung�- bestimmungen bestehen so viel Meinungen als Juristen vorhanden sind. In den weitesten Kreisen wird niemand glauben, daß die Verfassung solche reaktionäre Einrichtungen verlangt, wie sie der Entwurf enthält. Aus allen Reden des Kultusministers hak« ich mit uns fast gar keine Berührungspunkte gefunden, wenn auch der Minister den Wunsch ausspricht, mit uns zusammen- zuarbeiten, so stellt er sich doch immer auf seine Aus- legung der Verfassung, an welche wir uns halten sollen, wie an die Worte der Bibel. Wenn eine Ver- ständlgung erfolgen soll, dann muß der Artikel 24 erst eine klare und gemeinverständliche Fassung erhalten. Die konfessionellen Verhältnisse sollen möglichst berücksichtigt w er» den; die betreffenden Kirchenaemeinschaften leiten den Religions- Unterricht. Das läßt eine Trennung des Religionsunterrichts von der Schule zu, aber nicht eine Scheidung der Unterrichts- anstauen nach konfessionellen Gesichtspunkten. Diese Auslegung ist auch bei der Berathung der Verfassung im Herrenhause zum Ausdruck gekommen. Es sollen jetzt die Verwaltungsvorschriften Gesetz werden, welche dem jetzigen Minister gefallen. Wohin uns. das führt, zeigt die neueste Verfügung des Ministers bczüglic'y des Religionsunterrichts der Kinder der Dissidenten. Eine solche Verordnung ist aber noch kein bestehendes Recht; denn gegen eine solche Verordnung giebt es die Klage. Aber der Min.tster setzt seine Verordnung in den Entwurf und bezeichnet sie als gellendes Recht. Dieser Punkt zeigt so recht den Geist, der im Kultusministerium und in den Parteien herrscht, die diese Vor- läge billigen. Sind denn die Dissidenten gottlose Menschen, denen man die Erziehung ihrer Kinder nehmen muß? Nirgends finden Sie mehr Dissidenten, als bei uns im Wupperthale, und sie sind gerade sehr fromme Männer. Ist denn das Heil allein in der Staatskirche zu finden? Wenn Herr Stöcker mit seiner unduldsamen Thätigkeit nach hierarchischer Gliederung der evangelischen Kirche Erfolg hat. dann wird die Dissidenlenfrage jedenfalls noch eine sehr viel brennendere werden.(Zustimmung links.) Der Kultusminister hat den Angriff Richter's auf seine Räthe zurückgewiesen. Man hat sich daran gewöhnt, bei den Rüthen des Kultusmtnisteriums u. s. w. die Dauer der gleichmäßigen Praxis im Schulwesen zu finden. Wir haben nicht geglaubt, daß nach dem Wechsel des Ministers eine solche Wandlung sich vollziehen würde. Kann sich denn der Minister in der kurzen Zeit seiner Amtsführung über Alles insormiren? Das überschreitet die Kraft eines einzelnen Mannes. Das wichtigste Gesetz wird nach ganz neuen Grund- sähen ausgearbeitet in Zeit von wenigen Monaten. Bei dieser Schnelligkeit muß man fragen, wer hat den Minister berathen? Wer hat aus allen Reskripten diejenigen einseitig ausgesucht, welche Gesetz werden sollen? Es scheint, die katholische Ab- theilung ist im Stillen wieder eingeführt worden.(Zu» stinimung links.) Bis jetzt hat man in den weitesten Kreisen des Volkes durchaus kein Bedürfniß empfunden, die extrem- konfessionellen Volksschulen einzurichten. Der Lehrer inag der befähigtste Mann sein, seine Stellung hängt ab von der Geistlichkeit. Denn da die meisten Schulen bei uns einklassige sind, so kann der Lehrer, welcher nicht Religion lehren darf, nicht an diesen angestellt werden. Der Appell an die Behörden wird ihm nichts helfen. Das ist undurchführbar. Die Staatslehrer werden schließlich ebenso preisgegeben werden, wie seiner Zeit die Staatspfarrer. Der ganze Unterricht wird konfessionell werden auf allen Gebieten, namentlich auf dem. Ge- biete der Geschichte. Der Gegensatz der Konfessionen wird Gegen- stand des Unterrichts werden. In den Schulen wird dan n ge- lehrt werden, daß Luther ein schuftiger Selbstmörder gewesen ist. daß der Protestantismus die Mutter der Sozialdemokratie ist. (Hört! links.) Der Lehrer kann abgesetzt werden von seinem Staalsamte durch eine Macht, die außerhalb des Staates liegt; das ist ein Eingriff in die Kronrechte, eine Verletzung des Artikels 47 der Verfassung. Bei jedem Grenzstreit zwischen Kirche und Staat ist der Lehrer verloren. Die Lehrer müssen sich den Anforderungen der Vorgesetzten anbequemen und in erster Linie werden sie sich dem Schutz des Geistlichen anvertrauen. Daß die konfessionelle Volksschule nur der Anfang ist, weiß man ja; die konfessionelle katholische Universität ist schon lange eine Forderung der Ultramontanen. Katholische Minister hat Windthorst ebenfalls mehrfach verlangt. So wird schließlich die ganze Nation in zwei Hälften getheilt. Es mag sein, daß einzelne Lehrer sich selbst überschätzen. Des- halb kann man doch nicht den ganzen Stand verurtheilen. Macht denn Herr Stöcker immer von dem Vereinsgesetz und von der Presse den richtigen Gebrauch? Ueberschätzt er nicht manch- mal feine Persönlichkeit?(Heiterkeit.) Sollen denn deshalb alle Geistlichen unter Aufsicht gestellt werden? Wir brauchen solcher einzelner Vorkommnisse wegen nicht Bestimmungen in die Vor- läge zu bringen, welche die Selbständigkeit der Lehrer vernichten. Wenn die Schulabtheilungen der Regierungen aufgehoben werden, dann wird der Regierungspräsident sich einen jungen Assessor nehme», welcher die Sache bearbeitet. Der Regierungspräsident. namentlich wenn er noch ein Mandat ausübt, kann doch schließ- lich nicht die Durchführung dieses Gesetzes allein übernehmen ohne eine» kollegialen Beirath. Der Regierungspräsident wird vielleicht auch von oben herab angewiesen, in dieser oder jener Richtung vorzugehen und in die Selbständigkeit der Städte und Gemeinden in einer Weise einzugreifen, wovon wir heute noch gar keine Ahnung haben. Wir wollen den legitimen Einfluß der Religion wahren, aber nicht die Lehrer in die Herrschaft der Geistlichkeit stelle». Die Schulvorstände im Bergischen entsprechen durchaus nicht den Schulvorständen der Vorlage; sie sind nicht Vertreter der Konfession, sondern werden von der Schuldeputation er- nannt. Daß zur Zeit des alten Fritz die Geistlichen einen erheblichen Einfluß auf die Schulen hatten, ist nicht richtig; also berufen Sie sich nicht auf diesen König; der gehört uns. Friedrich der Große setzte den Minister v. Zedlitz zum Leiter des Unterrichts- wesens ein und gab ihin eine Jnstrnktion, die nicht so kleinlichen konfessionellen Gesichtspunkten entsprungen war. Herr Richter hat wohl aus der Vorlage gesehen, wohin es führt, wenn man mit dem Zentrum kokettirt. Ich habe das aussprechen müssen, weil wir dem Zentrum gegenüber immer einen ablehnenden Standpunkt eingenommen haben, wobei wir nicht immer die Unterstützung der Freisinnigen gefunden haben. Wenn uns jetzt die Bundesgenossenschaft angeboten wird, so müssen wir darin die Führung haben.(Heiterkeit links und im Zentrum.) Den Abschnitt über die Privatschulen sollte sich die Regierung an der tand der Erfahrung noch einmal gründlich überlegen. Die ozialdenlokraten werden Schulen gründen, die Jesuiten werden >urückkehren und Unterrichtsanstalten gründen-c.(Heiterkeit.) Auf cieu ökonomischen Theil der Vorlage w>ll ich nicht näher eingehen. Der Borwurf des Abg. Sattler, daß die Vorlage eine Ausführung des Windthorst'schen Schulantrages sei, ist vollständig zutreffend. Der Beirather des Ministers, der selbst aus Schlesien ist, war