Zur Geschichte der preußischen Legende. Wenn wir noch einmal auf unsre Nummer vom 18. Januar zurückkommen, so geschieht es nicht, um uns mit den Herren Stöcker und Oertel weiter auseinanderzusetzen. Diese byzantinischen Zungen- dreschet taugen für die Ausübung der historischen Kritik wie der Esel fürs Lautenschlagen, und es erregt uns nur das Gefühl äußerster Wurstigkeit, wenn sie von der Reichstags-Tribüne ihre Denunziationen gegen unsre„hundsgemeinen" und„ekelerregenden" Artikel loS« lassen. Wir sind die Thoren nicht, vom Dornenstrauche Felgen pflücken zu wollen, und wir wissen die Thatsache vollkommen zu würdigen, daß jede Monarchie ihre Legende hat. DaS ist ganz gewiß keine preußische Eigentümlichkeit, aber was eine preußische Eigentümlichkeit ist, und einesehrunberechtigte dazu, das ist dieungeheUerlicheAusdehnung der preußischen Legende und ihr Mißbrauch für polisische Unterdrückungs- zweck«. Dergleichen kommt in keinem europäischen Lande sonst vor, oder wenn man etwa auf Rußland und die Türkei verweisen wollte. wenigstens in keinem Lande, wo es ein öffentliches Leben giebt. Das war nicht immer so, und beispielsweise des Breslauer Pro- fessors Stenzel Preußische Geschichte, die von 1830 bis ISSl erschien, hält immerhin ei» gewisses angenehmes Mittelmaß zwischen königstreuer Gesinnung und wissenschaftlicher Forschung inne. Beiläufig bemerkt, war der Abriß, den wir am 18. Januar von der Regierung Friedrichs I. gaben, in seinen thatsächlichen Angaben dem Werke Stenzels entnommen, und die freundlichen Kritiker, die da meine», wir hätten nur die„Schattenseiten" dieser Regierung hervorgehoben, würden uns sehr verbinden, wenn sie UNS aus den 233 Seiten. die Stenzel im dritten Band seines Werks dem ersten preußischen Könige widmet, etwas von dessen„Lichtseiten" anstreichen wollten. Man kann den Zeitpunkt, an dem die preußische Legende ins Ungeheuerliche auSzuwachsen begann, etwa aufs Jahr 18S0 festsetzen. Die deutsche Bourgeoisie hatte sich in der Revolution von 1848 ans Angst vor den ersten, noch sehr schüchternen Regungen der Arbeiter- klaffe unter den Schutz der hohenzolleruschen Dynastie geflüchtet, aber die klägliche Niederlage bei Olmütz hatte allen schönen, an dieses Bündnis geknüpften Plänen ein jähes Ende bereitet. Es kam nun darauf an. die öffentliche Meinung in Deutschland im Sinne jenes Bündnisses zu bearbeiten, und die deutsche Bourgeoisie, auf dem Weltmarkt von jeher übel berufen wegen ihrer Virtuosität im Warenfälschen, übertrug diese Virtuosität nunmehr auf das Gebiet der Geschichtschreibung. So entstand die„kkeinbeuffche Ge- schichtsbaumeisterei", von deren Vertretern wir nur Droysen, Sybel und Trettfchke nennen wollen; ihre Aufgabe bestand darin, der deutschen Nation die bis dahin außerhalb Ost- elbiens sehr wenig beliebten Hohenzollern als ein ganz besonders begnadetes Fürstengcschlecht darzustellen. Daß ihnen dies gelang, verdankten sie neben ihrem meist ganz bedeutenden Geschick namentlich der Thatsache, daß die deutsche Entwicklung die von ihnen erstrebte Richtung thatsächlich nahm und das Deutsche Reich wirklich durch ein Bündnis der deutschen Bourgeoisie mit dem preußischen Königtum fertig wurde. Und es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß und weshalb jene GeschtchtSbaumeisterci fortan wahre Orgien feierte. Jedoch ist zu sagen, daß dt« bürgerlichen Historiker längst selbst unter dem Alp dieser auS politischen Tendenzen zurrcht fabrizierten Legende zu ächzen begonnen haben. Seit etwa anderthalb Jahr- zehnten macht sich unter ihnen ein immer anwachsendes Bestreben geltend, endlich mit dem fnrchtbaren Wust der kleiudeutschen GcschichiS- baumeisterei aufzuräumen. Wir erinnern nur an Georg.Knopps treffliches Werl über die preußische Bauernbefreiung, das den riesenhaften Märchentrödel über die nach- jmaische„Socialreform-Gesctz- gebung" mit einem Schlag zerstäubte. Ja, diese rückläufige Tendenz gegen die„bonissische Legende' droht gelegentlich schon in das entgegengesetzte Extrem umzuschlagen. Der Nachweis des Professors Max Lehmann , daß der alte Fritz den siebenjährigen Krieg nicht oder doch nicht allein als Verteidigungskrieg, sondern zugleich als ruchlosen Eroberungskrieg begonnen habe, ist nnsreS Erachtens nicht gelungen. Aber wenn die preußische Legende im offiziellen Prunke cinhertritt, dann fehlt auch den besseren bürgerlichen Historikern der Mut des ehrlichen Protestes. Und nun gar den bürgerlichen Zeitungsschreibern! Als vor einigen Monaten die Nachricht auftauchte, der 18. Januar solle nicht gefeiert werden, schrieb ein großes libc- rales Blatt, das sei sehr verständig, der Ursprung des preußischen Königtums erinnere an sehr häßliche Zeiten, mit Friedrich I. sei absolut kein Staat zu machen usw. Als dann aber Kontreorder kam, war dies selbe Blatt unter den ersten Heulmeiern über unsre Nummer vom 18. Januar. ES ist das alte Schicksal der deutschen Bourgeoisie: der Strick, den sie für das Proletariat gedreht hat. tanzt jetzt auf ihrem eignen Rücken, geschwungen von Junkerhänden. Die Sykophanten") des Brotwucherwms krebsen mit der preußischen Legende für ihre Scharfmacherzwecke. Was uns anbetrifft. so beugen wir un» diesem verächtlichen Terrorismus nicht. Wir wissen sehr wohl, daß die Spalten einer Tageszeitung nicht der Ort sind für die tingehende Erörterung historischer Probleme, und wenn wir uns ja mit historischen Fragen an dieser Stelle beschäftigen wollten, so kennen wir unendlich viel anmutigere und lehrreichere Kapitel der Geschichte, als die Historie der Hohenzollern . Aber wo politische Unterdrückungszwecke die historische Wahrheit vergewaltigen, da werden wir sie innner zu wahren wissen.— ** # Deutsches Zieich. Edelmütige Rache nimmt Herr Bueck für die Vcröffentlichnug seiner Briefe. Zwar fordert er oder sein Vertrauensmann in den „Berliner Neuesten Nachrichten" zur Verhütung derartiger unlieb- sanier Publikationen ein Socialistengcsetz. das die socialdeniokratische Prefle ausrottet und dannt die Herausgabe von Bueck-Briefen ver« hindert. Aber zwischen diese hübschen Wünsche pflanzt er solche Lob- sprüche auf die socialdemokratische Bewegung, daß man fast meinen könnte, der berühmte Geheimsocialdemokrat in dem Bureau deS Centralverbands sei nicht nach Rußland , sondern in die Redaktion der„Berliner Neuesten Nachrichten" gewandert, um dort unter dem Schirm wüstester Scharfmacherei der Socialdcmokratie Ruhmcskränze zu winden. Man lese nur die folgenden Sätze: „Glaubt mau ernsthaft, daß die Führer der Socialdemokratie auf dies Ziel endgültig verzichtet hätten? Die älteren unter ihnen mögen m?t der Zeit begnem geworden sein, und die jüngeren mögen an der„Parteikrippe" ein hinreichend angenehmes Leben führen, um wenig Neigung zu empfinden, ihre Haut in einer Revolution zu Markte zu tragen. Dennoch sind wir von ihnen allen über- zeugt, daß sie das äulßerste zu wagen bereit sesin würden, sobald ihnen die Stunde zur Erreichung ihres Ziels gekommen zu sein scheint. Wovor man bei ihnen allerdings vollkommen sicher sein kann, daS sind jene unreifen Putsche, die immer nur den gegnerischen Jnterefien zu gute kommen, der revolutionären Sacke aber großen Schaden zufügen. DaS beweist jedoch nur, daß sie klüger geioorden sind. Verleumder und Ankläger in gewinnsüchtiger Absicht. DaS Wort ist griechisch und bedeutet wörtlich: Feigenangeber. Die historische Herkunft des Begriffs ist nicht ganz aufgeklärt. Nach einer Erklärung wurden mit dein Ausdruck ursprünglich die Aufpasser be- zeichnet, die gegen Entgelt die Leute anzeigten, die trotz des Verbots Feigen aus Attila ausführten. Auch daS folgende ist erbaulich: „So mancher bürgerliche Socialreformer bildet sich ein, durch das bloße Schwergewicht seines höheren geistigen und socialen Niveaus den socialdemokratische» Freund' mit sich fort- reißen zu tonnen. Hier kommt aber alles darauf an, wer den stärkeren und zielbewußteren Willen hät. Muß man denselben der Socialdemokratie zusprecken, dann ist klar, daß sie durch ihr Zusammenarbeiten mit bürgerlichen Kreisen nur noch gefährlicher geworden ist. Niemand hat die Socialdemokratie schlimmer aufgehetzt, als dir von den Mauserungsschwärmern so sehr verehrte'„ Genosse" Bern st ein, indem er ihr riet, die bestehende Gesellschaft nicht mehr von außen anzugreifen, sondern sie von innen heraus auszuhöhlen." Das höchste aber an lobender Wahrhaftigkeit bietet daS aufrichtige Zugeständnis, das unser Freund mit dem nachstehenden Satz einschmuggelt: „Mit der Steigerung der allgemeinen Lebenshaltung, der Gildung und der politischen Routine wird die Arbeiterschaft wahr» sckcinlich den Machtbestrebiiiigen der ToctaldeUiokratie mir«och zugänglicher werden." So zu lesen in de»„Berliner Neuesten Nachrichten". Armer betrogener Bueck— da§ mußt Du Dir in Deinem eigne» Blatt sagen lassen: Je höher die Bildung des Bolls, um so größer der Anhang der Socialdemokratie. In der That, das ist eine treffliche Einsicht: Der SiegeSzug des SocialismUS ist auch der Siegeszug der allgemeinen Volks- b t l d ii n g; mit'wachsender Bildung wächst die Macht des Socialismus. — Das russische Echo. DaS„Wölfische Telegraphen-Bureau" giebt jetzt eine wohl vereinzelte russische Preßäuß'crung zur Zollerhöhungs-Ankündigung des Grafen B ü I o w wieder. Das Telegraphenbureau hat oilsckeiiiciid so lange gezögert, weil man ans Grund der bisherigen Hebung hofft, von Berlin aus inspirierte Urteile über die ausgezeichnelr Politik des Grafen Bülow verkünden zu dürfe». Diesmal ver- weigert aber die Auslandspresse die Aufnahme des Berliner Eigen- lobs. und so muß sich denn das offiziöse Bureau zif Mitteilungen verstehen, die dem Reichskanzler und preußischen Miiiisterprästdeitlcn kein angcnehines Echo seiner Zollpolitik bedeuten. Die Petersburger»Nowoje Wremja" erklärt, eS. sei eine Verständigung zwischen den beiden großen Konkurrenten im Getreide- Absatz, de» Vereinigten Staaten tliid Rußland, nötig; „in Amerika solle man doch bemerken, daß auch dem Sternen- banner der Republik von Deutschland Gefahr drohe. Charakteristisch sei, daß einer der Hauptfnhrer der'Agrarier, Graf Kaiiitz, für Rußland nach Kompensationen auf Kosten Amerikas suche. Die Gemeiiiiamkeit der Interessen Rußlands und Amerikas in der Getrcidefrage sei so offenbar, daß mix das übermäßige Selbstvertrauen der tralisatlantischen Freunde und Kollkiirrcnteil Rußlands auf den enropäischen Getreidcmärkten sie verblenden und an der richtigen Abschätzung der Lage hindern könne, welche deutlich für den Vorzug einer Verständigimg und daS Unvorteilhafte einer Konkurrenz spreche; denn jdie Konkurrenz der Hanptlieferanteii von Getreide für den Weltmarkt sei wohl die schiverwiegendste Ursache für die auf den ersten Blick unerklärliche Erscheinung, daß in Jlidilstrieländern, Ivelchi nicht genug eignes Gerreide produzieren, die Getreidezölle nicht nur bestehen und sich halten, sondern auch beständige Neigung zum Steigen offenbaren." Die„Nowoje Wremja" macht sich schließlich die Ansicht der einflußreichen Zeitung des russischen Südens„Kijewljanin" zu eigen, daß es infolge der agrarische» Agitation tu Deutschland zwischen Rußland und Deutschland «ich» ohne Zollkrieg ab- gehen dürfte, so zerrüttend derselbe auch sein würde. Der Kaiser und der Brotwucher. Tie«Berliner Neuesten Nachrichten" erklären es— mit Bezug auf die kaiserliche Wendung vom Brotwucher, an die wir neulich crinnerten— für geradezu lvidersinnig,„eine auf den Antrag K a n itz gemünzte Bemerkung auf jede etwa vorzllnehmeiide Erhöhung der Getreidezölle an- zuwenden." Halten es die„Berliner Neuesten Nachrichten" auch für wider- sinnig, die andre kaiserliche Aeußerung über die Zoll-Herab- s e tz ii>» g von 5 M. auf 3,60 M. gegen die jetzige Vrotwilcher- Eampagne anzuwenden, jene Rede auf Caprivi»ach Annahme des deutsch -östreichischen Handelsvertrags, i» der es heißt: „Mit weitem politischen Blick hat er(der Kanzler) es ver- standen, im richtigen Augenblick unser Vaterland vor schweren Gefahren zu behüten... Ich glaube, daß die That, die durch Einleitung und Abschluß der Handels- vertrage für alle Mit- und Nachwelt als eines der bedeutendsten geschichtlichen Ereignisse da- stehen wird, geradezu eine rettende z» lienneii ist... Trotz Verdächtigungen und Schwierigkeiten, die dem Reickskanzler und meinen Räten von den verschiedensten Seiten gemacht worden sind, ist es uns gelungen, das Vaterland in diese neue Bahnen einzulenken. Ich bin überzeugt, nicht nur unser Varerland, sondern Millionen von Unterthanen der andren Länder, die mit uns bei dem großen Zollverband stehen. werden dereinst diese» Tag segnen."' Agrarische Weisheit. Nach der amtlichen Statistik berechnet sich der Brotgetreideverbrauch pro Kopf und Jahr auf 200 Kilo- granim. Daraus folgt, daß eine fünfköpfige Familie 1000 Kilo- gramm— 1 Tonne an Brotgetreide verbraucht und folglick durch die Zollsätze belastet wird: bei einem Zoll von 3.50 M. muß die Arbeiterfamilie 35 M. jährlich über den Weltmarktpreis an die Junker zahlen, bei 6 M. Zoll 60 M.. bei 8 3». Zoll 80 M. Auf diese ein- wandfreie, unwiderlegliche und allbekainite Thatsache hatte der Abg. Barth am Dienstag im preußischen Abgeordiietenhanse hingewiesen. Darauf erwiderte der Frhr. v. Zedlitz nach dem Bericht seiner „ P o st" das folgende: „Zunächst hat Herr Abg. Dr. Barth unterstellt, daß der Ver- brauch einer Arbeiterfamilie i» Deutschland im Jahre 1000 Kilo- gramm. also eine Tonne Getreide sei. Er hat das daraus ge- schloffen, daß nach langjährigen statistischen Erhebungen ungefähr ein Diirchschnittsverbrauch von 200 Kilogramm ans den Kopf der Bevölkerung angenommen werde. Meine Herren, ich will gegen diese statistischen Erhebungen hier nichts Besonderes jagen; ich bin im Augenblick nicht in der Lage, sie nachzn- prüfen. Nach de» zahlreichen Irrtümern, die gerade auf diesem Gebiete auch der Reichssiatistil untergelaufen sind, wird man gut thun, diese Zahlen mit einer gewissen Lorsicht anzusehen und sie, wie ich eS nachher auch thun werde. an der Hand der praktischen Erfahrungen nachzuprüfen. Aber gesetzt auch, die Thatsache wäre richtig, daß im Durchschnitt unsrer Bevölkerung— ich glaube, eS werden ja noch weniger sein, als 200— 193 Kilogramm an Brotgetreide verbraucht werden, ivie lann man daraus dedn'cieren, daß eine Arbeiterfamilie von 2 Erwachsenen und 3 Kindern, häufig kleinen Kindern, den Durchschnitt der ganzen Bevölkerung verbraucht.(Lachen links.) Da liegt doch offenbar ein schwerer RcchiiungSfehler vor.(Znrilf links.) Ja, gewiß, der Arbeiter ißt mehr Brot als wir; aber zu einer Arbeiter- somilie von fünf Personen gehören doch auch eine Frau und Kinder, und Sie werde» doch nicht behaupten wollen, daß eine Familie von 5 Personen so viel ißt, wie 5 Arbeiter! (Lachen links.) Also das Rechenexempel ist einfach auch nach dieser Richtung hin völlig unhaltbar. Wer das leugnet, der versteht eben nichts; er weiß nicht, wie die Familien leben." Wir würdeii unsre Leser beleidigen, wollten wir die haar- Mribende Unwiffenheit und Dilmmbeit dieses Einwands des Freiherrn v. Zedlitz näher beweisen. Der Herr weiß noch nicht einmal, daß bei der Durchschnittsberechmmg pro Kopf natürlich alle Kinder mit eingerechnet sind, daß darum der Durchschnittsverbrauch viel niedriger ist als der eines Erwachsenen und daß man nur das einfache Exempel, durch das der DurchschnittSverbrauch gewonnen wurde, wiederholt, wenn man de» Familienverbraiich in der Weise berechnet, daß man die Dnrchschnittsziffer der Familienmitglieder mit der Durchschnitts- ziffer des Kopfverbrauchs multipliziert. Selbstverständlich ißt ein er- lvachseuer Arbeiter mehr Brot als ein Kind von einem Jahr, aber in der Durchschnittsziffer pro Kopf wirft dieser geringe oder völlig ausfallende Verbrauch der Kinder ja bereits mit. Der erwachsene Ar- beiter verbrauchtnatütlich erheblich niehrBrotgetreide als den20ÖKilogr.- Durchschnitt. Ei» erwachsener Gefangener, der doch aus das Eriiähruiigkminimuin gesetzt ist und nur wegen des Mangels an Bewegung in freier Luft auch weniger Nahrung bedarf, erhält täglich 1 Kilogramm Brot, daS macht im Jahr 365 Kilogramm; und damit ist sein Anteil am Brotgetreideverbrauch noch nicht erschöpft, da ja das in Mehlsuppen usw. steckende Brotgetreide hinzugerechnet werden muß. Diese simplen Kenntniffe beherrscht bereits jeder mittelmäßig begabte Volksschüler. Herr v. Zedlitz jedoch kennt selbst nicht das Einmaleins der Statistik. Es ist vielleicht nicht verwunderlich, daß ein solcher Mann im preußischen Landtag sitzt; denn das Klassenwahl- systein wirkt als Privileg der Nichtiiitelligenz. Unfaßbar aber ist. daß ein Mensch, der in den elementarsten Dingen derartige tolle Schnitzer begeht, Präsident der Seehaiidlimg, der Leiter der preußische» Staatsbank gewesen ist. Man muß es ja für ein wahres Glück halten, daß Herr v. Zedlitz infolgc seiner journalistischen Nebenarbeiten wenig Zeit übrig behalten hat, sich um die ihm anvertraute Staatsbank z'n kümmern, sonst hätte er— nach diesen Proben nationalökonomischer Weisheit— das Untenichmen in Grund und Boden„rechnen" können.— Württemberg und der Kornzoll. In der Württembergischen Kammer der Abgeordneten erklärte auf eine Anfrage des Centrums Ministerpräsident Freiherr Schott von S ch o t t e n st e i n, die Regimnig halte ein« namhafte Erhöhung der Getreidczölle für gerechtfertigt und unvermeidlich; die Zolle dürften aber keine solche Höhe erreiche», daß der Abschluß neuer Handelsverträge unmöglich ge- macht lv ü r d e. Wenn es wirklich gelingt, unter Befriedigung der agrarischen Ansprüche Handelsverträge zü stände zu bringen— wie werden solche Handelsverträge aussehen? Es ist un- möglich, höhere Kornzölle dnrckzusetzen ohne schwerste Schädigimg de/Jitdtrstrir, deS Handels und der gesamten nicht Korn verlaufenden Bevölkerung.—_ Vom Hnnnenkrieg. Aus Köln wird tclegraphisch berichtet: Die„Köln . Volksztg." veröffentlicht Ulitcr der Rubrik„Ungeschminftes aus China " einen Bericht, welcher besägt: Hoffentlich hat dieser unselige Zustand frald ein Ende. Die Roheit noch nutcr misren Soldaten nimmt erschreckend z». In groper Zahl werden Soldaten zu lang- jährigen Zuchthaus - oder Gefängnisstrafen wegen Mord, Notzucht und Ginbruch verurteilt. Wir verlieten mehr an Zuchthaus als an Tod. K ran I- heiten grassieren gleichfalls in sehr heftiger Weise; sehr viele Typhusfälle find zu verzeichnen. Welche Hochschule militärischer Tugenden, dieser auch von der katholischen Würdenträgern und katholischen WiffenschaftSleuchten ver- herrlichte koloniale Eroberungskrieg! Der Arbettaeber-Verband Hambura-Bltona bespricht in seinem Jahresbericht für 1900 auch die Aussperrung der Ham- burgischen Werftarbeiter in der bekannten leichtfertigen Weise, deren Unwahrheit schon mehrmals nachgewiesen worden ist. Wir brauchen iliis hier nicht nochmals in eine Erörterung dieser Thatsache» einzu- lassen; dagegen wollen wir an einem ellatanten Beispiel zeigen, wie wenig Anspruch auf Glaubwürdigkeit die Berichte dieses Verbands mache» können. I» einer auffallend kindlichen Betrachtung über das Verbältnis zwischen der socialdemokratischen Partei und den Gewerl- schasten heißt cS: „So entstand ans Bestrebungen, die deutlich den Stempel der Gewerkschaftsbewegung tragen, die rein politische Socialdemokratie. Wir finden also Gewerkschaft und Socialdemokratie abwechselnd als Wechselbalg bald hier, bald dort. Vielleicht wären die Heiden Echwcstcrbestrebnngen ganz in einander ausgegangen, wenn das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Socialdemokratie es der ilinsturzportei nicht hätte ratsam erscheinen lassen, die Scheidung ihrer Truppen bestehen zu lassen. Nachdem aber das Socialistcngeietz aufgehoben und auch das Verbindungsverbot poli- tischer Vereine gefallen ist, scheint die Besorgnis, daß die Gewerk- schastSmaske fallen lind der nackte Umsturz sich dem Licht des TagS präsentieren könnte, geringer geworden zu sein. Zwar hat Bebel aus taktischen, mit dem Miigliederfang im Zusammenhang stehenden Gründen die NcutralitätSparole für die Gewerk- schalten ausgegeben, der diesjährige Parteitag hat eS aber abgelehnt, die Neutralitätsfrage der Ge- werkschaften überhaupt auf die Tagesordnung zu stellen, obgleich solches von den Partei- genossen des fünften Berliner Wahlkreises, der Geschäftskommission der Vertrauensmänner- Centralisation der Gewerkschaften Deutsch lands und der Parteigenossen von Stettin ausdrücklich beantragt war." Man kann sich keine ärgere Berdrehiing de? wirklichen Sach- Verhalts denken wie diese Darstellung. Es soll der Anschein erweckt werden, als ob die genannten drei Antragsteller einen Beschluß des Parteitags hätten herbeiführen wollen, daß die Gewerkschaften Partei - politisch neutral sein sollen und als ob der Parteitag durch Ab- lehnimg der Erörterung dieser Anträge implicite ausgesprochen hätte, daß davon gar keine Rede sein könne. In Wirklichkeit sind die Anträge gestellt worden, weil die drei Antragsteller einen dem Bebelschen entgegengesetzten Stand- Punkt einnehmen>md der Parteitag hat die Erörterung der Frage abgelehnt, weil es nicht Sache des Parteitags einer politischen Partei, sondern Sache der berufenen Organe der Gewerkschaften selbst ist, aus welchen Standpunkt sie sich stellen wolle»». Danach kann man den Wert der Erörterungen in dem Bericht dieses Scharfmacher-Verbands überhaupt wie über den Kampf der Werftarbeiter im besonderen beurteilen.— Eine stärkere Koloi»ialtri»ppe für Kiautscho« fordert ein militärischer Mitarbeiter der„Münch. Allg. Ztg.":„Bisher hatte ma» sich gescheut, mit Forderungen eiuer Garnisonsverstärkung auf- zurreten, denn man mutz ja bei unS alle Fragen unsrer Kolonien besonders wenn es Geldfragen sind, ivie rohe Eier be- handeln, weil misren BinnenlaiidS-Politikern der Zusammenhang von See« Interessen und deren militärtscher Schutz mit der Wohl- fahrt deS ganzen Deutschen Reichs oft noch sehr dunkel ist. Jetzt aber, wo die Wirren in China gezeigt haben, was plötzlich ein- treten kann, und wo man, wie ich auS den Briefen meiner Bekannten ersehe, außen erkannt hat. daß eine hinreichende Besetzung der Werke von Tsingtan und eine gleichzeitige, an offensiven Gegenstößen reiche Verteidigung der Festung mit den vorhandene» Kräften einfach unmöglich ist,»nnß etwas geschehen." Der Herr Mitarbeiter ist aber wenigstens so gnädig, nicht gleich eine Tmppennracht zu verlangen, die ausreicht, um die ganze Provinz Schantung zu besetzen, obschon es„da draußen" auch Herren gebe,„welche eine Dauerbesetz ung von fast ganz Schantung verlangen." Es genügt, im Falle von neuen Verwicklungen mit hinreichend starken fliegenden Kolonnen aufzutreten." „Nein, wir können in solchen Lagen nur mit fliegenden Kolonnen miftreteii mid müssen selten, wenn aber, dann so drein- hauen, daß den Chinese» Hören und Sehen vergeht, daß die Fetzen nur so fliegen." Ter gute Mann scheint also trotzdem bedenftich vom Hunnen- koller angesteckt zu sein«—
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