Einzelbild herunterladen
 
Jahr hat Abg. Dr. Hahn dasselbe Ansinnen an den Minister gestellt wie jetzt Herr v. Wangenheim, und vor noch nicht langer Zeit hat bekanntlich Frhr. v. Stumm im Herrenhaus gefordert, dost die Kathedersocialisten durch Männer seiner Anschauung ersetzt würden. Der damalige Minister Bosse ging darauf ein und berief flugs Herrn Reinhold nach Berlin   allerding» täuschte er sich in der Person des neuen Professors, da dieser sich hinterher als unzuverlässiger KonfusionariuS entpuppte. Im übrigen zeigte die Debatte über da» Kapitel Universitäten wieder, daß fast überall die notwendigsten Einrichtungen fehlen, oder sich in schlechtem Zustande befinden, da die Regierung für Kulturaufgaben kein Geld hat, und dah die Stellung der Docenten durchaus muvürdig ist. Vielfach müssen Privatdocenten bei ihrer Ernennung zu Professoren sich mit dem Titel begnügen und auf Gehalt verzichten. Durch ein solches System bleibt die Universitäts  - laufbahn der kleinen Zahl der Wohlhabenden vorbehalten. Am Donnerstag wird die Beratung des KnltuSctatS beim Kapitel Höhere Lehranstalten" fortgesetzt. *** Deutsches Aeich. Gegen den Kornwucher. Von allenthalben überfüllte Protestversammlungen wird uns heute berichtet aus Kolmar   i. Po., Schönlanke, Rawitsch  ; aus Briefen, im Ahlwardtschen Wahlkreis Friedeberg-ArnSwalde, wo Gen. O b st- Schöneberg vor zahlreichen Kleinbauern mit vollem Erfolg gegen daZ Junkertum sprach; ferner aus Delitzsch  , Weiitzenfel», Sangerhausen  , Itzehoe  , Essen. Au» Hessen   wird un» geschrieben: Eine BersammlungSauflösung in Hessen   ist gewist eine graste Seltenheit, da ja ein grosser Teil der Versamnilungen überhaupt nicht überwacht wird. AberdieProtestbewegunggegen die Erhöhung der Getreidezölle hat uns auch diese Mahnahme beschert. Dem Schicksal der Auflösung verfiel die am letzten Sonntag in Seligen st adt von nnsren Genossen ein- berufene und stark besuchte Versammlung, in der Genosse Rinck ans Urberach   ein Referat über die Handelsverträge und die drohenden Getreidezollerhöhungen hielt und dabei den ebenfalls anwesenden Centrumsanhängern ihr Sündenregister gerade auch in dieser Beziehung vorhielt. Auster einigen andren Genossen griffen auch zwei Kapläne in die Diskussion ein, um das agrarische Centrum zu verteidigen und natürlich die übliche Socialistenbekämpfung vorzunehmen. Dabei wurde es etwas unruhig, was sich noch steigerte, als der Versammlungsleiter den einen der geistlichen Herren dentlick! auf den Gegenstand der Tagesordnung verweisen muhte, als derselbe sich gar zu grosse Abschweifungen erlaubte. Darauf gab es wieder lebhafte Zwischenrufe von beiden Seiten und der anwesende Gendarm erklärte etwas voreilig die Versammlungsauflösung. Nnsre dortigen Genossen werden deshalb auch den Beschwerdeweg beschreiten, da sie nicht annehmen können, dah nun gerade den Herren Agrariern zuliebe auf einmal daS hessische Versammlungs­recht aufgehoben werden soll. *» Der bayrische Bauernvund, den der bekannte M e m- minger ganz in da» Fahrwasser de» preußischen Junkertums ge- führt hat, und der hessische Bauernbund haben vor einiger Zeit eme Denkschrift an die deutschen   Fürsten  , den Reichs- tag und den Bundesrat vom Stapel gelassen, worin die agrarischen Wünsche niedergelegt find. Diese Denkschrift macht jetzt bei den bayrischen Stadtverwaltungen die Rrnide, die ersucht werden, sich ihr anzuschliehen und die Bevölkerung zur fleihigen Unter- zeichnung der Petition zu veranlassen. Der Stadtmagistrat Nürn- b e r g hat dieses Ansinnen einstimmig abgelehnt. Die Polen   und die Getreidezölle. Die polnische bürgerliche Presse, die gewöhnlich für wirtschaftliche Fragen nicht das mindeste Verständnis hat und sich nur selten»rit ihnen besaht, ist seit einigen Wochen gezwungen, zu der Frage der Getreidezölle Stellung zu nehmen. Ein Teil dieser Presse hat eS auch gethan. An und für sich ist der polnischen bürgerlichen Preffe die Be- Handlung der heiklen Frage recht unangenehm. Die so gern ge- pflegteSolidarität aller Gesellschaftsklassen" zerschellt ja hier an der Macht der Thatsache». Die Ansichten muhten sich aber schroff teilen und der Wunsch eines Versvhnungsapostels, der im Posener Orzdownik" den Wunsch ausdrückte, die polnischen ReichstagS-Ab- geordneten mögen sich der Stimme enthalten, um nicht nach dieser oder jener Seite Miststimmung zu erregen, wird wohl kaum in Er- füllung gehen. Die polnische Hofpartei hat ja, wie gewöhnlich, auch in dieser wichtigen Frage im preuhischen Landtag bei Beratung deS agrarischen Antrags und nach der Erklärung BülowS der gespannten polnischen Bevölkerung nichts mitgeteilt. Man weiß aber/ daß zwei anwesende Mitglieder der Hofpartei für die agrarische Unverschämtheit gestimmt haben. In Thorn   hat auch eine Konferenz der polnischen Guts- besitzer aus Westpreusten und Posen stattgefunden da» Haupt- referat für die Erhöhung der Zölle hielt' dort der ReichStagSabge- ordnete für Gnesen  - Wongerowo Dr. Komierowski. Der Herr forderte den A ch t- M a r k» Z o l l. In einer ange- nommenen Resolution wurden die polnischen Abgeordneten auf- gefordert,sich den Abgeordneten anzuschließen, die wirksamere Zölle fordern werden." Die Organe der Hofpartei haben sich gleichfalls für eine Getreidezoll- Erhöhung ausgesprochen und so steht eS ziemlich bestimmt fest, daß die' polnische Hofpartei entschlossen ist, der Zollerhöhung zuzustimmen. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, daß die polnischen Junker dem Sturm, der jetzt durch die Bevölkenmg geht, weichen und sich dann vor der Stimmabgabe drücken werden. Es ist interessant, die Begründung der polnischen Junker und ihrer Organe für eine Zollerhöhung zu beobachten. Die nationale Frage muß auch hierfür herhalten. Es wird behauptet, daß das Interesse des ganze» polnischen Volks in Preußen mit dem Aus- blühen der Landwrrtschaft verbunden sei. Ergo wäre eS nationale Pflicht, für die Getreidezoll-Erhöhnng einzutreten. Glücklicherweise sind die Hunderttausende der polnischen Arbeiter und Handwerker heute schon so weit, daß man ihnen nicht alles vorgaukeln kann. So haben sich in P o s e n während der Wahlbewegung die städtischen Wähler sehr energisch gegen die Erhöhung ausgesprochen. Die Posener volksparteilichen Blätter haben sich in der Frage auch scharf und un- zweideutig gegen die Junker erklärt. Sehen wir uns auch die Provinzen an, die vorwiegend polnisch sind. Posen mit 1 SS0000 Pole»(63 Prozent der Gesamtbevölkerung) und Ober-Schlesien mit 1 306 000 Polen  (60 Prozent der Gesamtbevölkerung). Die beiden Länderstriche iveisen einen starken Grohgrunbbesitz auf. In derZeit- schrift des Preußischen Statistischen Bureaus" von ISOV wird auf Grund einer Enquete von 1892 festgestellt, daß in Posen 2681 Großgrundbesitzer über 100 Hektar Land besitzen und dah ihr Besitz 61,22 Proz. der gesamten Posener Landwirt- schast ausmacht. Da hätten wir also glücklicherweise die 2681 Junker. an denen das Wohl der Polen   in Posen hängen soll, lieber Ober- schlesie» ist kaum ein Wort zu verlieren. Hier sind es 2S Besitzer, die allein über 253 634 Hektar Land verfügen. Unter den oberschlestschen Notleidenden finden wir den Herzog von Ujeft mit 15 072 Hektar, den Prinzen zu Hohenlohe- Jirgelfingen mit 16 649 Hektar. den Fürsten von Plest mit 39 177 Hektar usiv. Und all. die polnischen Bauern mit winzigem Besitz, dann die besitzlosen Landleute, die Landarbeiter. daS städtische Proletariat, die Arbeiterarmee deS oberschlestschen Jndustriebezirks. die Hunderttansende der polnischen Arbeiter in deutschen   Städten 70 000 polnische Bergarbeiter in Westfalen  , 200 000 Köpfe samt An- gehörigen sie alle empfinden nicht die mindeste Lust, den polnischen und deutschen   Junkern einen neuen Millionentribut zu entrichten. Vor einigen Tagen hat in W i t t e n(Westfalen  ) eine von klerikal- polnischer Seite einberufene Volksversammlung gegen die Getreide- zollerhöhung protestiert. Am letzten Sonntag fanden in Berlin  zwei polnische Protestversammlungen statt: die eine war von unsren Genossen, die andre von bürgerlicher Seite einberufen. Und schliestlich regt es sich auch in Oberschiesten. In einer vom Berg- und Hüttenarbeiter-Verband veranstalteten Versammlung wurde schon vor längerer Zeit ein Protest gegen den Brotwucher beschlossen. Die Bemühungen unsrer Ge- Nossen  , eine Volksversammlung zu demselben Zweck einzuberufen, mißlangen allerdings an dem leidigen Saalmangel. Inzwischen ist es' den polnischenNational-Demokraten", den Anhängern des seit einiger Zeit radikal schreibendenDziennik Berlinski" gelungen, am letzten Sonntag eine Kundgebung in Königshütte  zu veranstalten, an der auch die polnischen Social'isten aus dem ganzen Revier teilnahmen und in der eine scharfe Resolution gegen die Zölle auf Lebensmittel überhaupt unter grossem Jubel angenommen wurde. Dieselbe Gruppe der.National-Demokraten" hat eine polnische Broschüre herausgegeben:Achtung! DaS Brot wird teuererl", in welcher in knapper, populärer Weife die Gemeingefährlichkeit der agrarffchen Tollheit nachgewiesen wird. Die Protestbewegung in Oberschiesten hat auch einen bemerken?- werten politischen Beigeschmack. Sie richtet sich scharf gegen das Centrnm. Die oberschlesischen polnischen EentrumSblätter, der.Katolik" und derDziennik Szlaski", haben es bisber nicht gewagt, das Ccntrum für seine Brotwucherbestrebnngen zu tadeln. Sie sehen die Erbitterung der polnischen Arbeiter, möchten eS aber auch mit ihren Abgeordneten und deren Partei nicht verderben. DerKatolik" zählt 22 000 Leser. Diese konnte er nicht länger hinhalten, und für den nächsten Sonntag haben die.'.Katolik"-Leute eine Volksversammlung einberufen, die sich jedenfalls auch mit der Zollfrage befassen wird. DaS mußten die Herren thun, nachdem die letzte Versammlung in Kömgshütte.den bisherigen Führern des polnischen VolkS in Oberschlesienj-hre Unzufriedenheit" ausdrückte und erklärte, von den deutschen Centrums- lenten keine Hilfe mehr erwarten zu wollen. So hat die Frage der Gctreidezölle die polnische Arbeiterschaft recht vorteilhaft belebt. Das Centn»» und die polnische Hofpartei werden dabei den Rest der Sympathien im polnischen Volk ver- lieren. Und schon dies Ergebnis wäre hochbedentsam und für die Zukunft vielversprechend. Denn die polnischen Arbeitermasien werden sich dabei gewöhnen, eine s e l b st ä n d i g e Politik zu treiben und sich von Eiirflüssen zu befreien, die ihnen bisher nur schädlich waren. Minister unter Ccnsur. Die pretißischen Minister, die gegenwärtig in ihrer Mehrzahl dem Thielenschen Ehrgeiz huldigen, sich als Minister der Eni- gleisungen zu beweisen, werden gegenwärtig von irgend einem stramme Zucht haltenden Kollegen oder Oberkollegen scharf kontrolliert. Reden sie im Abgeördnetenhause, so werden ihre Aeußerungen erst einer höheren' Censur unterworfen, ehe sie inS amtliche Stenogramm gelangen. Allerdings ividerspricht diese Censur den guten Sitten des Parlamentarismus. Ein Parlamentsredner hat da« Recht, unwesent- lichere Schönheitsfehler aus dem Stenogramm herauSzukorrigieren, aber er darf nicht seine Aeußerungen durch umstürzende Aenderungen und Streichungen ihren ursprünglichen Sinn nehmen. Jede Debatte würde ja sinnlos werden, wenn eS gestattet wäre, Meinungen und Wendungen, auf die andre Redner reagierten, beliebig zu korrigieren oder zu beseitigen. Zu diesem ungewöhnlichen Vorgehen hat nur jene mächtige Censur der preutzisch-nnnisteriellen Gesammtintelligenz den Kiiltusminister Studt veranlasst. Der Herr hatte am 2. März wie dieNat.-Ztg." feststellt in folgender Weise sich programmatisch zur K a t h o- l i k e n f r a g e geändert: Er wolle ohne Ansehen der Person sich der Aufgabe widmen, das Gute, wo er eS fände und erkannt habe. fördern, berechtigten Ansprüchen gereckt werden usw. Dieses Pro- g r a m ni werde' iunegchalteu werden und er glaube nickt, daß dabei die begründeten Interessen der katholischen Kirche zu kurz kommen Iverden. Und dann fuhr er wörtlich fort: Ich bitte dabei aber noch in Erwägung zu nehmen, daß meine eignen Entschließungen allein ans sehr vielen Gebieten nicht mahgebend sind, fondern dast ich an die resiortmästige Mitwirkung verschiedener andrer Mitglieder der königlichen StaatSregierung unter Umständen auch an Ent- schliestungen deS königlichen GesamtministeriumS gebunden bin." Dieser ganze Satz fehlt imReicks-Anzeiger". Die Aufforderung an da? Centrnm, sich für seine Wünsche nicht mehr an de» Kultus- minister, sondern dorthin, wo der Widerstand liege, wenden zu wollen, ist beseitigt. Der Minister hatte gesagt: Zum Schluß hat der Herr Abgeordnete an mich einen Appell gerichtet, der, wie ich glaube, schon durch die zu Eingang meiner Aus- führungen gegebene Versicherung beantwortet ist. Wenn eine Revision der kirchenpolitischen Gesetzgebung und ebenso eine legislative Festlegung deS VolksschulweseuS usw. erfolgen wird und erfolgen wollt«, so werde ich mit vollem Ernst und mit vollem Interesse und. so weit meine Kraft reicht, auch mit dem thunlichsten Streben zur Förderung eines guten Ziclö mich dieser überaus wichtigen und, wie allseitig wohl anerkannt werden wird, auch ganz austerordentlich schwierigen Aufgabe gern widmen." Dieser Satz ist im Bericht deSReichs-AnzeigerS" durch folgenden ersetzt: Der Herr Abgeordnete hat an mich einen Appell gerichtet, der, wie ich glaube, schon durch die zu Eingang meiner Aiisffihrungen gegebene Versicherung beantwortet ist. Wenn gesetzgeberische Ans- gaben an mich herantreten,«verde ich mit vollem Ernste und mit vollem Interesse mich gern, so weit wie meine Kraft reicht, der Lösung derselben widmen. Die' Sätze, wie sie Herr Studt wirklich gesprochen hat. stellten, »venu auch i» bedingter Form, ein reaktionär- klerikales Programm dar. in dem die Untcriverfung unter die Centrumswünsche unzivei- deutig angekündigt wurde. Nach der Censur freilich ist nur noch ein blasser Versuch übrig geblieben, dem Centrum Unverbindliches zu versprechen, ohne es' mit den Liberalen zu verderben. Immerhin kennt man nun das nach einemchristlichen" Volks- chulgesetz lechzende Herz des Kultusministers. man weist aber zugleich. daß solche ehrliche Offenherzigkeit gegenwärtig noch nicht für oppertun gehalten und demgemäst durch Korrekturen zwangsweise beseitigt werden._ Die Reform deS hessische» LandtagSwahlrechtS» auch von Vertretern unsrer Partei schon lange gefordert, wurde, wie chon kurz mitgeteilt, endlich von der Regierung durch eine Vorlage in die Wege geleitet. Die Wahlgesetz-Vorlage basiert auf dem Princip deS geheimen, gleiche u und direkten Wahlrechts(ohne Wahlpflicht). Das Alter zur Stimmberechtigung ist auf 25 Jahre festgesetzt._ Wähler können mir hessische Staatsangehörige sein, welche mindestens drei Jahre die Landeszngehörigkeit besitzen und ebensolange ln Hesse» wohnen. Ausgeschlossen von der Berechtigung zur Stimm- abgäbe sind diejenigen', welche unter Bormundschaft oder Pflegeschaft stehen, welche sich im Konturs befinden oder denen die Ehrenrechte aberkannt wurden. Ferner diejenigen, welche unter Polizei-Aufsicht stehen oder der Landespolizei überwiesen sind, zur Zeit der Wahl nicht nur vorübergehende Armenunterstützung erhalten haben oder mit den Staats- oder Gemeindesteuern länger als zwei Monate im Rückstände sind. Wählbar zum Abgeordnete» ist jeder stimmberechtigt« Wähler, der nicht vom Stimmrecht ausgeschlossen ist. Das Wahlrecht wird in Person ausgeübt in Form geheimer Abstimmung mittels Stimmzettel von weissem, kennzeichenlofem Papier in amtkich abgestempelten, gleichen offenen Wahl- couverts. Stichwahl hat bei mangelnder absoluter Majorität stattzufinden. Die Abgeordneten werden auf sechs Jahre gewählt; alle drei Jahre wird die Kammer zur Hälfte erneuert. Die Städte werden in räumlich abgegrenzte Wahlkreise nach der Zahl der Ab- geordneten geteilt. Die Städte Mainzund Darmstadt wählen je 3 (statt bisher 2). Offenbach  . Gießen. Worms   je 2(seither 1) Ab- geordnete. Die Zahl der Abgeordneten betragt nach dem neuen Wahlgesetz 55, statt seither 50. Vorstehendes bezieht sich auf die Wahlen zur Zweiten Kammer, in der gegenwärtig unsre Parte, sechs Abgeordnete aufweist. Diese Vorlage bedeutet gegen den seit- herigen WahlmoduS, Wahl der Abgeordneten durch W a h l m ä n n e r, welche aus gleicher, allgemeinerund geheimerWahl.vermittelstzusammen- gefalteter Stimmzettel, hervorgingen, einen nicht unbedeutenden Fort- schritt und dürfte unsrer Partei zweifellos von Vorteil sein. Weniger günstig dürfte sein, daß die Wählermindestens drei Jahre in Hessen   wohnen müssen, ehe sie zur Abgabe des Stimmzettels zugelassen werden. Ob die Landstände hierin eine Aenderung belieben werden, bleibt sehr zweifelhaft. EineKompensation", die für das direkte Wahlrecht eingetauscht werden soll, ist eine Verstärkung der Ersten Kammer durch die Oberbürgermeister von Darmstadt  , Mainz   und Offenbach  , die der Ehre gewürdigt werden sollen, mit den hessischen Prinzen. dem Chef der' Familie Riedesel, anderthalb Dutzend fürstlicher und gräflicher Durch- und Erlauchten und einigen Jndustriemagnaten an einer Tafel zu sitzen. Zu den sonstigen im Hessenlande zu bemerkenden freiheitlicheren Regungen paht freilich diese Neuausstaffierung der Ersten Kammer schlecht. Ob die Regierung gerade diese Forderung unter allen Umständen auftecht erhalten wird, muß abgewartet werden, besser wäre es schon gewesen, diese antiken Hemmschuhe parlamentarischen Wirkens endlich einmal auf den AuSsterbe-Etat zu setzen. Die Wahldauer der Mitglieder der zweiten Kammer bleibt die alte: 6 Jahre mit dreijähriger Erneuerung. Es stehen also in Bälde recht interessante Debatten bevor, auS denen hoffentlich eine Verbesserung des jetzigen Wahlrechts hervor- geht.-_ Aus dem oberschlesischen Jndustriebezirk Die Polizeiver- waltung in Kattowitz   veröffentlicht in den dortigen Lokalblättern wörtlich folgende Bekanntmachung: Bekanntmachung! (Betteln betreffend.) In letzter Zeit wird viel über daS Betteln geklagt. Es ist festgestellt ivorden. dah in vielen Fällen rüstige Leute auS den Nachbarorten in der Stadt betteln, besonders Freitags zur Mittagszeit. Wir ersuchen die Bürgerschaft, die Bettler ohne AuS- ahme abzuweisen und einheimische in Fällen von nachweislicher Not an die Herren Bezirksvorsteher oder an die städtische Armen« Verwaltung im Stadthause zu verweisen. Im gleichen ersuchen wir die Einwohnerschaft, den Bettlern in der Nähe der Kirchen und des Bahnhofs keinerlei Allmosen zu gewähren. Das Armenwesen ist in Stadt und Land jetzt so geregelt, daß niemand gezwungen ist, zu betteln. Wir werden von jetzt ab Polizeibeamte in Civil durch die Stadt schicken, welche die Bettler unnachsichtlich aufgreifen und un« zuführen. Das Nachlassen der wirtschaftlichen Hochkonjunktur hat im Jndustriebezirk tausende von Arbeitern brotlos gemacht. Alle maß- gebenden Hüttenwerke im Bezirk haben Feierschichten eingelegt, mehrere Hochöfen sind ausgeblasen worden, die Löhne, die hier auch in den glänzendsten Zeiten durchaus nicht den mittleren Lohnsätzen andrer Jndustriegegenden gleichkommen, wurden reduziert, überall Niedergang, in den Arbeiterfamilien Hunger.  und T r o st l o s i g k e i t. Und»un sollen Polizeibeamte in Civil die Stadt durchstreifen und unnachsichtlich die Bettler aufgreifen. O ja, unnachsichtlich ist die obcrschlestsche Polizei, dafür ist sie bekannt. Aber glaubt man denn wirklich, dast rüstige Leute zum Vergnügen betteln gehen? Zkein. die arbeiten lieber, ehe sie sich ein paar Bettelpfennige oder eine Brotkruste zuwerfen lasten. Mit Bangen fragt man sich, wie das in Oberschlesien   erst werden soll, wen» die Brötlvuckerer ihr Ziel erreicht haben? I» Oberschlesien   sieht man das Gefährliche der Situation auch ein. Hat doch diej Stadtvertretung von Kattowitz   einstimmig gegen den Brotwncher votiert und der Magistrat hat sich dem angeschlossen. Die Stadtvertretung in Kattowitz   besteht aus 36 Mitgliedern, von denen 14 dein Centnim, 8 den Kartellparteien und 14 dem Freisinn zuzurechnen sind. Keiner der anwesenden CentrumSleute oder Kon­servativen widersprach dem Protest und so haben denn diese Herren beim Reichskanzler gegen die Pläne ihrer eigenen Parteigenosse» protestiert. Bäcker und Landwirte. Die Bäcker wollten sich den von den Agrariern erhobenen Vorivurf, daß sie die eigentlichen Brotwucherer seien, nicht gefallen lassen und rebellierten gegen die Sachwaltor des Junkertums. Darauf behauptete dieKons. Korresp.", dast die Bäcker gerade in den Arbeitervierteln Berlins   besonder« teures Brot verkaufen nnd drohte mit der polizeilichen Brottaxe. Diese Drohung scheint den Borstand der Berliner   Bäckerinnung derart eingeschüchtm zu haben, dast er flngS wider besseres Wissen die Versicherung abgegeben hat,daß der Getreidezoll auf die Preisbildung des Gebäcks durchaus nicht den Einfluh geübt habe, den die Zollgegner ihm zuschreiben." Man wird gut thun, sich dieser Erklärung zu»rinnern, wenn etwa später die Herren Bäckermeister unter Berufung auf die höheren Zölle einen Preisanfschlag begründen werden. Und man wird ferner daraus die Lehre ziehen, daß die Bäckermeister ohnehin verdienen, dast es ihnen gar nicht daraus ankommt, ob der Getreide- und Mehlpreis um 50 M. verteuert wird oder nicht. Die konservative Idee der Einführung der Brottaxe könnte unter gewissen Umständen da»» auch in andren Kreisen Anklang finden. Wir haben es in diesem Zwischenspiel der Bäcker und Landwirte mit der Komödie der Mitschuldigen zu thun, die sich gegen- seitig deilunziereii und doch wieder' in der Angst der Entlarvung Spießgesellen bleiben. AuS dem Reichslande wird uns unterm 6. März geschrieben: Die Munifizenz unsreS LandeSausschusseS ist durch die Be- willigung der 7S0 000 M. für die Hohkönigsburg dermaßen erschöpft worden, daß selbst für die wichtigsten Kultnraufgaben kein Geld mehr vorhanden ist. Schon seit Jahren bettelt die Universität Strastburg  bei der Volksvertretung geradezu um die Mittel zur Erbauung eines neuen pharmazeutischen Instituts, da die alten Ge- bäulichkeiten für die große und mit jedem Jahr zunehmende Zahl der Studierenden räumlich völlig ungenügend, dazu baufällig und im höchsten Grade feuergefährlich find. Zahl- reiche Studenten sind gezwungen, sich bei ihren Arbeiten in Räumen aufzuhalten, die direkt über den Laboratorien liege», und aus denen für sie im Fall einer Feuersbrunst nur ein einziger, dazu sehr enger Ausgang über eine schmale Wendeltreppe vorhanden ist. In beweglichen Klagen wurden seitens deS Vertreters der Universität und' einiger Sachverständiger auS dem Hause selbst den Volksboten diese eines modernen wissenschaftlichen Instituts durchaus unwürdigen, völlig unhaltbaren Zustände geschildert. umsonst! Selbst die Verfichenmg deS Direktors deS Instituts, er werde, falls nicht bald Abhilfe geschaffen würde, sich veranlasst sehen, die Arbeiten in den alten Räumen vollständig einzustellen, und müsse jede Ver- antwortlichkeit ftir etwaige Verluste an Menschenleben im Fall eine« Braiids ablehnen, blieb auf die Herren ohne jede Wirkung. Der gefordert« Kredit in Höhe von 180 000 M. wurde mit allen gegen 5 Stimmen abgelehnt, also etwa mit derselben Mehrheit. mit der die Dreiviertelmillionen-Ansgabe für die romantische Idee der elsässtschen Kaiscrburg ihre Genehmigiing fand. Es ist eben auch ein verdienstlicheres Werk, auf kaiserlichen Wunsch alte Ritter« bürgen wieder neu erstehen zu lassen, als einem wissenschaftlichen Institute die nötigsten Mittel zur Erfüllung seiner Aufgaben zu ge- währen, aus dem ein ganzes Land seinen Bedarf an Apothekern deckt.