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Set deutsche Patriotismus der Regierungsparteien ze«gte sich in der jämmerlichsten Weise bei der Berathung der beantragten ausschließlichen Uebcrnahme des Aus- liefe rungswesens durch das Reich.- Wie bekannt har die preußische Regierung unter Bismarck einen Aus- ueferungsvertrag mit Rußland geschlossen, mit demselben Rußland , in welchem die gemeinste Willkür über Menschen- leben schaltet und in welchem jährlich Tausende ohne Urtheil nach Sibirien verschleppt werden. Man kennt die Feind- seligkeit der russischen Regierung gegen Deutschland , man weiß, welchen Verfolgungen insbesondere die deutsche Be- völkerung in Rußland ausgesetzt ist. Wenn es sich noch um die Auslieferung von Revolutionären an Rußland handelte, dann würden wir das Behagen des konservativen Herrn Hartmann und deS regierungsfreundlichen Zentrums begreiflich finden. Aber gegenioärtig liegt es sehr nahe, daß hochkonservative orthodoxe lutherische Pastoren aus den OstseeprovinKen oder katholische Priester aus Polen nur wegen Religionsübungen oder wegen hres Deutschthums aus Rußland flüchten, und daß preu- zische Gendarmen aus Verlangen der russischen Regierung >en Büttel spielen müssen, um sie ihren Peinigern und Henkern auszuliefern. Wer weiß, wie bald sich ein solcher ichmachwürdiger, den Gipfel der Erniedrigung bezeichnender Lorgang abspielen mag! Der Kampf gegen das Volköschul-Gesetz wird von liberaler Seite trotz der dröhnenden Phrasen durchaus nicht als Kampf für die Gewissensfreiheit geführt. Mit Recht kann«in Stöcker höhnen: Wie ein einsamer Eremit habe sich Professor Virchow mit seiner religionslosen Moral aus­genommen inmitten der übrigen Liberalen im Abgeordneten- Hause, die ihm auf dies fossile Gebiet nicht folgten. Auf nationalliberaler Seite ist man bereits vollständig zahm geworden; nur ein wenigKulturkampf" wird ge- führt, und wenn dieNational- Zeitung" in ihrer letzten Rummer einen Artikel bringt überdie Ansprüche des höheren Lehrerstandes", so findet man darin nicht einen hauch, der darauf hindeutet, daß es vielleicht sich um den Kampf für Geistesfreiheit und Unabhängigkeit handelt. Der höhere Lehrerstaud hat Wichtigeres gegenwärtig zu ihun und seine Ansprüche gehen einfach auf Rang- -rhöhung und Gehaltsverbesserung. Der Byzantinismus in dem höheren Lehrerstand der Gymnasien und Realschulen ist so hoch gestiegen, daß er kaum von dem der Universitäts -Professoren übertroffen werden kann. Baare und PcuS. Der Eine auf freiem Fuß, der Andere in Untersuchungshaft; Jener behaglich als üppiger Bourgeois lebend, dieser im Kerker in schwerer Sorge um eine kranke Frau, der er in der Todesstunde nicht zur Seite iehen kann. Da muß doch ein gewaltiger Unterschied in >en Anschuldigungen, die gegen diese Männer erhoben werden, vorliegen. Selbstverständlich. Bei Baare liegt nur die Anschuldigung vor, ein bischen betrogen und ein bischen gefälscht zu haben, eine kleine Verirrung, die höchstens eine nicht zu schätzende Anzahl Menschenleben gefährden konnte, PcuS dagegen soll in einer öffentlichen Rede Aeußerungen gethan haben, in denen eine Majestätsbeleidigung liege. Das Verbrechen des Peus ist also ein ungemein größeres als das bischen Schienenflicken und Stemvelfälschen. Die Untersuchungshaft darf nur ver- hängt mcroen, wenn der Angeschuldigte der Flucht ver- dächtig ist oder Thatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß er Spuren der That verwische oder Zeugen zu falscher Aussage oder zur Zeugnißverweigerung verleite. Bei Peus war keine Verwischung der That zu befürchten, wohl aber lag sie in dem Falle Baare nahe. Die Haft wurde auch nur über PeuS verhängt, weil die zu erwartende Strafe so hoch sei, daß ein Fluchtverdacht anzunehmen. Bei Baare schien eine hohe Strafe also von vornherein ausgeschloffen zu sein. Und wie wurde die Untersuchungs- hast an Peus vollstreckt! Selbst der Gebrauch des Papiers und der Lektüre wurde eingeschränkt. Um die Behandlung, welche Peus erfuhr, zu beurtbeilen, vergleiche man sie mit der des KommcrzienrathS Wolff oder der Frau Dr. Prager in der Untersuchungshaft. Es ist schwer, keine Satire zu schreiben, sagt ein Dichter der römischen Kaiserzeit. Wir schreiben nur die paar Worte: Baare und Peus! und die treffendste und fchneidendste Satire aus den christlichen Staat ist geschrieben. Reklame und PatriotiSmuS. Durch die Presse geht folgende Notiz: Die Redaktion deS Figaro in Paris hat brieflich den Ab- geordneten Eugen Richter um seine Ansicht gebeten über drei Fragen der Abtretung, deS Austausches oder der Neutrali- sirung von Elsaß-Lothringen u. s. w. Anscheinend sind dieselben Fragen noch an andere deutsche Abgeordnete gerichtet worden. Abgeordneter Richter«rtheilt in derFreis. Ztg." demFigaro" auf diesem öffentlichen Wege den Bescheid, daß für ihn überhaupt eine«lsaß- lothringische Frage seit dem Friedensschluß von 1871 nicht vorhanden ist. Die Antwort des Herrn Eugen Richter ist ebenso geist- «ich als patriotisch. Der Schreibebries aus Paris , aus den er reinfiel, ist beiläufig Dutzenden von Abgeordneten iugegangen, die jedoch iveder so geistreich noch so patriotisch waren wie Herr Eugen Richter und den Schreibebries in den Papierkorb warfen. Herr Eugen Richter scheint wenig ausländische Korrespondenz zu haben. Bei dieser Ge­legenheit fällt uns ein, daß ein Herr Waldteufel, der die«lsaß-lothringische Frage vermittelst einer Lotterie oder sonstigen Geldoperation lösen will, zu diesem Be- Huf sich ebenfalls an verschiedene ihm bekannte Politiker gewandt hat. Unter anderen auch an Bebel. Und von diesem will Herr Waldteufel auch eine Antwort erhalten haben. Wn stellten daS seiner Zeit in Abrede, und hatten damals auch Recht. Inzwischen hat Bebel aber aus Höflichkeit doch ein paar rein formelle Zeilen an Herrn Waldteufel ge- richtet, so daß derselbe also, ohne unwahr zu sein, sagen kann, Bebel habe ihm geantwortet. Hoffentlich ist Herr Waldteufel nun zufrieden, und läßt auch Andere zu- frieden. Wir sehen, daß ein Pariser Chauvinistenblatt die Ant- wort R i ch t e r' s und die Notiz desVorwärts" über den Herrn Waldteufel als einen Beweis deutsch -chauvinistischer Gesinnung hinzustellen beliebt. Für Herrn Eugen Richter , der niemals gegen die Annexion von Elsaß-Lothringen protestirt hat, haben wir hier nicht einzutreten. Bebel aber Und der Redakteur desVorwärts" haben sich in Bezug auf Elsaß-Lothringen so deutlich ausgesprochen, daß ein Zweifel nicht obwalten kann. Und Beide gehören nicht zu den Männern, die ihre Ansichten wechseln wie Handschuhe. �le Herren Pariser Chauvinisten sollen uu- nicht den beiläufig von ihrem eigenen Standpunkt aus betrachtet höchst unpatriotischen-r Versuch machen, die Lächerlichkeit vou Anfragen wie die desFigaro" und des Herrn Wald- teufel zu einer Eigenschaft der elsaß -lothrin- gischen Frage machen zu wollen. Auch in England beginnt man schon mit den Vor- bereitungcn für die diesjährige Maifeier. Am gestrigen Tag traten die Delegirten der Londoner Gewerkschaften zu- sammen, um über die nöthigen Schritte zu berathen. Es wurde ein ausübendes Komitee gewählt, das dafür zu sorgen hat, daß das Fest der Arbeit so großartig aus- falle, wie es der englischen Arbeiter würdig ist. Die Be- theiligung der Gewerkschaften wird diel mal eine allgemeine sein. Die englische» Liberalen sind wieder eifrig aus dem Arbeiterfang wir können aber zu unserer Genugtyuung sagen, daß das Ergebniß bis Dato gleich Null ist und allem Erwarten nach auch gleich Null bleiben wird. In die englischen Trades Unions, deren Führer bisher fast durch die Bank im Schlepptau der Bourgeois-Geschäfts- Politiker waren, ist doch seit einigen Jahren ein ganz anderer Geist eingezogen. Hat auch der sozialistische Gedanke noch nicht vollständig die Oberhand gewonnen, so sind jetzt doch schon zwei Ideen in der Masse der englischen Arbeiter zur Herrschaft gelangt: die der internationalen Solidarität, welche anläßlich des deutschen Buchdruckerstreikes zu so großartigem Aus- druck kam; und ferner die Idee, daß die Arbeiter- k l a s s e von den bürgerlichen Parteien nichts zu erwarten hat, für ihren Emanzipationskamps einzig auf sich selbst angewiesen ist. Herr Gladstone, dessen Popularität unter den Arbeitern einst sehr groß war, hat durch seine jämmerliche Haltung in Sachen des Achtstundentages alles Zutrauen verscherzt, und die, eines Eugen Nichter oder Max Hirsch würdigen Banalitären, die er neuerdings über die soziale Frage verzapfte, haben ihm nur verdienten Spott eingetragen. Dazu kommt noch, daß der alte Gladstone einen Sohn hat, Namens Herbert, auf den er sehr stolz ist, obgleich dieser Herbert gleich anderen der Name scheint doch nicht ohne Einfluß zu sein sich durch Unter- Mittelmäßigkeit auszeichnet, und daß dieser unglückliche Herbert von seinem Vater, mit dem Ministerium des Ar- beiterfangs betraut worden ist. Und dieser Herbert hat denn einsoziales Programm" ausgearbeitet, das den Ar- beitern Diätenzahluug und eine Reform(d. h. Schutz) des Koalitionsrechts verheißt. Wenn die englischen Arbeiter den Herren Liberalen bei der nächsten Wahl Spanndienste leisten, dann will man ihnen gnädigetwa 20 Kandidaten" erlauben. Nun die englischen Arbeiter lachen über den jungen Gladestone, sie lachen über den alten Gladcstone undIwerden ihre eigenen Kandidaten aufstellen und so viele derselben wählen, als nur irgend möglich. PavfeinCTrfjvtdjfen. Der preußische Volköschul-Ges eyentwurf l« der Beurtheilung der sozialdemokratische» Presse. Elsaß-Lothringis che Volks-Zeitung.": Wir sehen in dem preußischen Schulgesetz, mit dessen Grundgedanken vielleicht auch die Schule des unter kaiserlicher Verwaltung stehenden Elsaß -Lothringens noch beglückt werden soll, nur eine der mannigfaltigen Gestaltungen der Reaktion, die wir, wie die übrigen, überwinden werden. Die Schule des Klassenstaats wird mit diesem zu Grunde gehen. Volksblatt für Anhalt"! Mag Jeder glauben, was er will, wir hindern ihn nicht daran. Nur soll der Staat Keinem seine Religion auszwingen. Wir verwahren uns dagegen, daß«in Vater sei» Kind in einer Religion oder Konfession muß unterweisen lassen, die er für falsch und sittlich gefährlich hält. Wir verwahren uns dagegen, daß Religion und Schule in einer Weise verquickt werden, daß die deutsche Volksbildung zum Gelächter der ganzen gebildeten Welt wird. Wir verwahren uns dagegen, daß überhaupt Religion und Schule vermengt werden, und verlangen völlige Trennung von Kirche und Staat und damit von Kirche und Schule. Wir verlangen das Alles aber, nicht um Andersdenkende zu unterdrücken, sondern im Namen der Freiheit des Gewissens und der Freiheit der Wissenschaft. Wir proteftiren daher gegen daS unduldsame Pfaffenrcgiment, das durch den preußischen Volksschul- Gesetz- «nlwurf der Schule aufgezwungen werden soll, aus denselben Gründen, ans denen wir seit jeher gegen jede politische Bevor- niundung des Volles protestirt haben. Und aus eben diesen Gründen der Freiheit und Gerechtigkeit nehmen wir für uns schließlich das Recht in Anspruch, uns offen vor aller Welt als Atheisten, als Gottesleugner bekennen zu dürfen. Der Erlaß deS Herzogs Georg zu Sachsen »nd das Urtheil der sozialdemokratischen Presse. Offenburger Volksfreund": Früher wurden die sozialdemokratischen Blätter man denk- an denVolksfreund" unter der Aera Platz l verfolgt, weil sie die Soldatenschinde- reien geißelten. Jetzt müssen sogar Generäle und Fürsten Druck- schriften anfertigen zur Bekämpfung dieser Barbarei der Gegenwart. Wiener Arbeiter,-itüng": Sollte man sich in Oesterreich pharisäisch in die Brust werfen, so müßte man kon- statiren, daß bisher allerdings noch kein österreichischer General einen Erlaß gegen die Soldateumißhandlungen ergehen ließ. Das ist der ganze Unterschieds In Brandenburg wurden' bei der Wahl der Arbetterbeisttzer des Ge werbegerichts sämmtliche von der Sozialdemokratie anfgestellte Kandidaten gewählt. Von IdtX) eingetragenen Wählern gaben 1088 giltige Stimmzettel und zwar sämmtlich zu Gunsten unserer Liste ab� Eine Konferenz der Parteigenossen des Wahl- kreises Ludwigshasen. Speyer . Frankenthal wird Sonntag, den 14. Februar, im Saale des Herrn Mich. Schott(Zum Ochsen") m Mutterstadt abgehalten. Die Tagesordnung lautet: Berichterstattung ter Vertrauensmänner über den Stand der Parteiverhältnisse in ihrem Wohnort: die Presse; Anträge aus der�Mitte der Konfermz. DerGazeta Robotnicza", unserem in Berlin er- scheinenden polnischen Bruderorgan, Hot das österreichische Ministerium des Innern aus Grund des tz 26 Pr.-G. den Post- d« b i t für die im Reichsralhe vertreteneuKönigreiche und Länder entzogen. Um so stärker wird daS Blatt nur in Oesterreich gelesen werde». t Professor Sombert in Breslau sielt in der Sektton für Staate- und Rechtswissenschaft der Schl-stschen Gesellschaft für vaterländische Kultur einen Vortrag, in nelchem er sich auch mit der Sozialdemokratie beschäftiste. Nach Zeitungs- berichten führte er dabei». A. folgendes aus:ES fei an der Zeit, die lächerliche Don Quixoterie aufzugeben, gegen Dinge zu Felde zu ziehen, von denen die Sozialdemokratie gar nichts sagt: Diskussionen über die G e st a l t u n g des Z n k u n f t s- staates seien gänzlich gegenstandslos, da die Sozialdemokratie aus eine mit Nothwendigkeit sich vollziehende Eni Wickelung hinweist. Don Quixote Eugen Richter zur Berücksichtigung empfohlen Z Zum ThemaProstitution" schreibt die Elberfelder Freie Presse" sehr richtig:Es ist ein nutzloser� Feldzng, den die herrschenden Klassen gegen die Unsittlichkeit inszenire», wenn sie mit Polizeimaßregeln der Prostitution zu Leibe rücken. Wi> glauben auch gar nicht, daß sie von dem Ernste der Sache durch- drungen sind. Heute haben wir ja der Fälle genug,, wie arme Proletarierinnen, die sich ihre Ehre bewahren wollen, kaum trockenes Brot zu essen haben. Die Hnngergroschen, mit welcher der Kapitalismus die Frau für ihre Eriverbsarbeit entlohn! garantiren ihr nicht die Existenz und so leidet auch schließlich das keuscheste Mädchen Schiffbruch in den Wogen des soziale: Lebens und sinkt der Sünde, der Unstttlichkeit in die Arme. Wie aber verhält sich hier der Kapitalismus, di« bürgerlrchc Moral? Er greift zum Polizeiknüppel. Her mit den vev schärften Gesetzesparagraphen! Hetzt die Sünderin, verfolgt st? bis in den äußersten Winkel! Kasernirl sie, sondert sie ab von den Glücklichen, die inmitten des Reichthums und des Wohl- standes gefeit sind gegen alle Versuchungen und sittlichen Ge­fahren. Die kapital' siische Gesellschaft ist außer Stande, das Uebel der Prostitutiou zu beseitigen. So lange die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen der modernen Gesellschaft als auffälligstes Brandmal auf die Stirne gedrückt ist, wird auch die Prosttlution bestehen. Sie ist der wunde Punkt, an dem die Moralphilister vergeblich� herumdoktern. Apolda. Nachdem seit einiger Zeit die Antisemiten in unserer Gegend die Bevölkerung zu ködern suchten, veranstaltete unser Vertrauensmann am 31. Januar eine öffentliche Volks- Versammlung, in welcher Genosse Dr. Lütgen au aus Berlin über:Unser Berhältniß zum Judenthum und zum Antisemitis- mus", sprach. Mehr als 1000 Personen waren anwesend und viele mußten wegen Uebersüllung des Saales umkehren. Nach dem ausführlichen Referat meldeten sich trotz wiederholter Aufforde- rung keine Gegner zum Wort, obschon die Antisemiten zufreier unbeschränkter Diskussion" besonders eingeladen waren. Es ge- langte dann einstimmig folgende Resolution zur Annahme:Die heulige Volksversammlung erklärt sich mit den Ausführungen des Referenten Dr. Lütgenau aus Berlin vollständig einverstanden und bringt dem Treiben der sogenannten Antisemiten gegenüber ihren tiefsten Abscheu zum Ausdruck, umsomehr, da die Herren, trotz besonderer Einladung und Gewährung freier Diskussion, zu feig waren, den Ausführungen des Reserernen entgegenzutreter. und früher gemachte Anschuldigungen zu beweisen." Potsdam . Im hiesigen Sozialdemokratischen Wahlvereit, hielt am 4. d. M. Schriftsteller H o s s m a n n aus Berlin einen mit vielem Beifall ausgenommenen Vortrag überDie Ver- edelung der Arbeit". Der Verein hat während der kurzen Zeit seines Bestehens schon gute Erfolge zu verzeichnen und eine für hiesige Verhältnisse recht ansehnliche Mitgliederzahl. Auch hin schreitet die Agitation unaufhaltsam vorwärts. *- In Crefeld fand neulich eine zahlreich besuchte Volks. Versammlung statt, in welcher Genosse Gewehr aus Elberfeld einen sehr beifällig aufgenommenen Vortrag über Anarchismus und Sozialdemokratie hielt. Dann meldete sich ein Mitglied der klerikalen Partei zum Wort und entwarf von einem katholischen Geistlichen eine Schilderung, die, wenn sie zutreffend, wieder einmal klar beweist, daß das Wort des Nazareners: Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach", für die un- fehlbare Priesterschaft ebenso gut gilt, wie für die sündigen Laien". Der betreffende Geistliche soll u. A. Jahre lang'dazu geschwiegen haben, daß er anstatt in die 10. Steuerstufe, in welche er unbedingt gehörte und auch nachher eingeschätzt worden ist, nur in die ö. Steuer st ufe rubrizirt war. 0» In Kappeln wurde, nach einem Referat des Genoffen Klüß aus Elmshorn , ein Arbeiterverein gegründet, dem sofort 32 Arbeiter als Mitglieder beitraten. In W i t t st o ck be- gann der neu errichtete Arbeiter-Bckdungsverein seine Thätigkeit mit 60 Mitgliedern. V* Todtenliste der Partei.' In Pinneberg starb am 26. Januar der Gastwirth Friedrich S t r n p p nach langem Leiden im 49. Lebensjahre. Die Arbeiter verlieren in dem Ver- storbenen einen Mann, der für Recht und Wahrheit eintrat; welche Mittel auch die Gegner anwandten, er ließ sich nicht be­einflussen. sondern stand den Arbeitern stets helfend zur Seile. In Schleswig starb der Vertrauensmann G e m p e l. -* Polizeiliches, Gerichtliches:c. Die Hirschberger Strafkammer sprach den Schuhmachernieist. er E. F. K a m b a ch aus Kunnersdors von de, Anklage der Verächtlichmachung von Siaatseinrichtungen und Anordnungen der Obrigkeit frei. Kambach hatte in einer am 2S. Oktober v. I. in Schmiedeberg abgehaltenen sozialdemokratischen Versammlung, in welcher Genosse Schütz aus Breslau als Rednc, auftrat, ca. 60 bis 60 Flugblätter verbreitet, darunter ein Lied, betitelt:Deutschlands Bild", in welchem u. A. behauptet wurde. in Deutschland sei das Denken verboten, die Polizei achte nur die Verräther, lasse die Lumpen frei herumlaufen und sperre die ehr- lichen Leute ein, in der Schweiz würden von deutschem Gelds Schurken gemästet(gemeint war hier der Fall Wohlgenntth unter der Aera Puttkamer ) u. s. w. Während die anderen vou Kambach verlheilten Schriften unbedenklichen Inhalts waren, wurdeDeutschlands Bild" beschlagnahmt und Anklage gegen Kambach anS§ 131 des R.-Str.-B. erhoben. Der Angeklagte gab an, die Schriften anonym erhalten und sie vertheilt zu habe» ohne vorher von ihrem Inhalt Kenntniß genommen zu haben. Nach Zustellung der Anklageschrift habe er sich das Lied dann durchgelesen und er sei der Ueberzeugnng, daß das, was darin behauptet werde, zur Zeit der Herrschaft des Sozialistengesetzes und unter dem System Puttkanier thaisächlich der Fall gewesen sei; der Inhalt des Liedes beziehe sich aber nur ans die verflossene Zeit; heute existirten solche Zustände nicht mehr. Der Staats- anwalt beantragte unter Ausrechterhaltung der Anklage wegen des schwer wiegenden Inhalts des Liedes drei Monate Gefängniß, während der Vertheidiger, Rechtsanwalt Heilborn, für Frei- sprechung eintrat, da die von der Anklage inkriminirten Stellen in Deutschland sei das Denken verboten, nur we, seine wahre Ehre verliere, könne zu Aemtern gelangen, Lumpen lasse man frei herumlaufen. Schuldlose dagegen sperre man ein nach Ansicht des Reichsgerichts keine Thatsache im Sinne des§ 131 seien; die einzige, in dem Lieds behauptet« Thatsache aber, daß in der Schweiz Lumpen als axsnts pro. vocateurs unter Puttkamer gehalten wordensseien, gehörte erstens einmal als abgeschlossene Thatsache der Vergangenheit an und dann stehe es doch gar nicht so fest, daß sie geradezu unwahr fei, denn auch andere Parteien als die sozialdemokrattsche hätten an ihre Wahrheit geglaubt. Endlich aber sei in diesem Falle dem Angeklagten der Nachweis zu führen, daß er nicht die Ueber- Zeugung von der Wahrheit des Falles Wohlgemuth und ähn- sicher Fälle gehabt habe. Die Strafkammer erkannte, wie er- wühnr, auf Freisprechung, da nur der letzte Vers des Liedes, der aus den Fall Wohlgemuth exemplifizire, eine entstellte That- fache enthnlle. aber nicht erwiesen sei, daß der Angeklagte sich bewußt gewesen sei, daß dieser Vers eine Entstellung ent» halte.