at. tos. i8. MlWg. 3. Ktllllge des„PmMs" Kerliller Msblatt. s-»«°wd. i M.i Ig«,. Ueber die Maifeier gingen uns noch zahlreiche Berichte aus den entlegensten Gegenden zu, denen wir jedoch des drängenden politischen Stoffs wegen nicht mehr in vollem Umfange Aufnahme gewähren können. Wir geben deshalb nur noch einige bemerkenswertere Nachrichten. Königreich Preußen. Frankfurt a. O. Vormittags- Versanimlung 350 Teilnehmer, Abend-Versammlung über 100t) Per- sonen. Glänzender Verlauf.— Lanenburg. Die Versammlungen waren gut besucht. Konzert und Ball wurden verboten.— In Velbert (Nheinprovinz) waren für den Abend drei öffentliche Versammlungen in einem Lokal angemeldet, weil die Frauen, Schüler und Lehrlinge an den Versammlungen nicht teil- nehmen sollten. Als sich der Vorsitzende der ersten Versammlung weigerte, auf Erfordern des Kommissars die Frauen, Lehrlinge und Schüler hinauszuweisen, wurde die Versammlung aufgelöst. Die zweite Versammlung verfiel demselben Schicksal und die dritte wurde verboten. Der Wirt wurde verhaftet und erst nach etwa einer Stunde wieder freigelassen. Diese Vorkommnisse verursachten uatürlich große Aufregung.— In P o s e n wurde das Lokal, in dem bereits 20 Versammlungen unbeanstandet stattgefunden haben, von der Polizei am 1. Mai als ungeeignet erklärt. Bayern . In München war die Beteiligung wesentlich stärker als im Vorjahr. Die Vormittagsversammlung war überfüllt und von mehr als 5000 Personen besucht. Ferner hatten die Schneider eine eigne Versammlung von 800 Personen. Abends waren die acht Parteiversammlungen sämtlich stark besucht.— In Pirmasens besuchten die Abendversammlungen 1000 Personen, in Hof 500 Personen. Aus Baden liegen nur Berichte vor von Heidelberg , F r e i b u r g und K o n st a n z. Elsaß-Lothringen . In Colmar äußerte sich in der Ver« fammlung auch der volksparteiliche Redacteur Schmidt anerkennend über die Einigkeit der Arbeiter. Ausland. Maifeier in Ungarn . Budapest , 2. Mai. (Eig. Set.) Die Arbeitsruhe wurde allgemein. Alle Fabriken, selbst die Staats- Werkstätten haben ihren Betrieb eingestellt. Kein Tageblatt erscheint am heutigen Tage, denn alle Druckereien feiern. Am Vormittag hielten sämtliche Branchen Versammlungen ab, die durchweg gut besucht waren. Uebcrall stand' die„Bedeutung des ersten Mai' auf der Tagesordnung. Am Nachmittag ver- sammelte» sich die Arbeiter auf dem Neuen Markt- Platze, von wo aus ein riesiger Zug seinen Weg durch die Straßen der Hauptstadt nahm. Weit über 20 000 Arbeiter zogen in Reih und Glied durch die Straßen. Eine imposante Demonstration, wie sie diese an Demonstrationen so reiche Stadt noch nie gesehen. Eine mächtige Klindgebung des Proletariats, das inmitten unsrer zerfahrenen Zustände wieder einmal bezeugte, daß es die einzige Schicht der Bevölkerung ist. welche sich ein festes Ziel gesteckt und auf dies Ziel ohne Wanken lossteuert. Ohne jede Störung bewegte sich die große Menschenmasse vorwärts und kam nach zwei- stündigem Marsch am Ziele, in einem großen Gartenlokal an. wo Genosse B o k ä n h i eine äußerst eindrucksvolle Rede hielt. Dann wurden Gesangs- und Dcklamations-Vorträge angehört und bis in die späte Nacht hinein vergnügten sich die Versammelten. Hier ist am Rande zu bemerken, daß eine unter dem Namen.neuorganisierte Partei" entstandene nationalistische Partei auch einen Umzug hielt, in welchem, trotz des eifrigen Reklame- machens der bürgerlichen Blätter, wohlgezählte 464 Mann unter dem stolzwehenden rot-weiß-grüncu Nationalbanner einhermarschierten, Die Finte, am 1. Mai zu feiern, um unter den Arbeiter» Ver- wirrung anzurichten, hat also an der Aufgeklärtheit der Arbeiter kläglich Schiffbruch erlitten. Aber nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in der ganzen Provinz war die Maifeier eine wahrhaft gewaltige. In allen größeren Städten Ungarns wurde die Feier durch allgemeine Arbeitsruhe, durch Versammlungen, wo dies nicht möglich war, durch kleinere Zusammenkünfte begangen. Auch die Feldarbeiter feierten überall in der Weise, wie es durch die hochlöblichen Be- Hörden ermöglicht wurde. Denn was in der einen Stadt Ungarns möglich ist, ist in der andern oft gänzlich unmöglich,— so einheitlich wird dies„tausendjährige Reich" heutzutage verwaltet. An manchen Orten veranstalteten sie Versammlungen oder Vergnügungs« abende, an andren mutzten sie aber froh sein, wenn sie vor den Argusaugen der heiligen Hermandad sich in ein Privathaus flüchten tonnten, um dort ein Hoch auf die internationale Socialdemokratie auszubringen. Die Maifeier in der Schweiz verlief nach den bisher vor- liegenden Berichten durchaus, wenigstens relativ, befriedigend. Ganz- tägige Feier, wenn auch nicht überall von der ganzen Arbeiterschaft, gab eS an zahlreichen Orten. In Zürich fanden am Vormittag vier Versammlungen statt, in deren einer es zu großer Erregung kam, da die Anwesenheit von Geheimpolizisten ent- deckt wurde, die sodann verduften mutzten. An dem Nachmittags- umzug beteiligten sich ca. 10 000 Personen, woruuter etwa 800 festlich gekleidete und geschmückte Kinder, die alS besondere Gruppe an der Spitze des Zuges marschierten. Redner waren Greulich, Lang, Professor E r i s m a n n und ein italienischer Genosse. Italienische Redner traten übrigens an den meisten größeren Orten, wo auch die Beteiligung italienischer Arbeiter eine erhebliche ist, auf. In Winterthur sprach vor 1000 Personen Wullschleger, am Abend redete derselbe Genosse in G l a r u s, in Basel vor 2000 Personen Seidel und Serati. in Bern Brüstlein. Moor und Plechanow , in Genfj Fürholz und Lergnanini, in Thalweil: Zainer, Altstetten : Dr. Brußbacher usw. Ueberall wurde gegen die sociale und politische Reaktion protestiert und die Arbeiterschaft zur Sammlung und zum Kampfe aufgefordert. Bozen sSüdtirol). Die vormittags abgehaltene VolkSversamm- lung war nicht in dem Maße wie früher zahlreich besucht. ES ist dieses der Nachwirkung der Maßregelung der im vergangenen Jahre im Streik gewesenen Bauarbeiter zuzuschreiben, die durch Nichtorganisierte ersetzt wurden. Der Besuch war jedoch immer noch ein ansehnlicher. Die Referate über die Bedeutung des 1. Mai wurden in deutscher und italienischer Sprache gehalten. Wegen Ungunst der Witterung konnte der für vormittags geplante öffentliche Umzug nicht abgehalten werden. Nachmittags heiterte sich das Wetter auf und konnte bei Hellem Sonnenschein das Maifest im großen Garten des Bozner HofeS von statten gehen. Di« Maifeier in Frankreich . Paris , 2. Mai. sTig.©er.) DieSmal wurde die Maifeier unter zahlreicherer Beteiligung be- gangen als gewöhnlich. Auch die Arbeitsruhe scheint, von Paris abgesehen, etwas ausgedehnter gewesen zu sein als sonst. Ar- beitsruhe wird gemeldet ans mehreren Kohlenrevieren, namentlich aus P a s- d e- C a l a i s und Loire ; ferner feierten durch Arbeitsruhe die Hafenarbeiter von Dünkirchen , die Ar- bciter von S a i n t- Q u e n t i n, wo die neue Arbeitsbörse ein- geweiht wurde, die Kohlengräber und Bauarbeiter von Carmaux, einige Tausend Arbeiter in Lyon , sämtliche Arbeiter(am Nach- mittag) in Fourmies. Straßenumzüge fanden statt in Dünkirchcn, St. Qucntin, Lyon , Montceau- les- Mines (streikende Kohlengräber). Grenoble (streikende Maurer und Anstreicher), Fournües(jährliche Wallfahrt zu den Grübern der Mai-Opfer von 1891), Rochefort. Es kam dabei zu Zu sammenstößen mit der provokatorisch auftretenden Polizei in Grenoble , wo der socialistische Abgeordnete ZövaöS an der Spitze des Zugs marschierte, und in Rochefort. In mehreren Städten wurden noch Gewerkschafts-Abordnungen von den socialistischen Bürgermeistern und den Präfekten empfangen. In den Versammlungen wurde auch gegen den zarischen Despotismus protestiert und Synipathie-Resolutionen für die russischen revolutionären Kämpfer votiert. In Paris wurden drei große Versammlungen abgehalten, darunter eine am Nachmittag in der Arbeitsbörse' und eine vom Generalkomitee der socialistischen Partei einberufene am Abend. Die ausländischen Socialisten aller Nationen haben auf Initiative des Deutschen Lesetlubs einen Ausflug mit einer Versammlung unter freiem Himmel veranstaltet. Auch fanden Maiversammlungen russischer und polnischer Genossen statt. Die Begräbnisfeier der Genossin Paula Mink, die auf den 1. Mai anberaumt wurde, gestaltete sich zu einer ein- drucksvollen Straßenkundgebung, trotz der üblichen ordnungs- retterischen Maßnahnien der Polizei. Nur nach Beendigung der Feier, in der Nähe der„Föderierten-Mauer"jauf dem Psre-Lachaise- Kirchhof gelang es der brutal dreinfahrenden Polizei, die Ordnung zu stören. Es kam dort zu einem ziemlich heftigen Handgemenge zwischen der Polizei und einem Teile der Manifestanten, von denen fünf oder sechs Mann verhaftet, aber am Abend wieder freigelassen wurden. In Holland war die Beteiligung an der Maifeier eine sehr starke. In Amsterdam nahmen über 10 000 an dem Umzug teil; die Abend-Versammlungen waren überfüllt. Aus Russisch- Polen erhalten wir vom Vorstande der Social- demokratischen Partei Polens und Littauens den folgenden Bericht: Die Vorbereitungen zur Maifeier waren vom 21. April an im vollen Gange. Von der Socialdemokratischen Partei Polens und Littauens sind Mainummern der Revue:„Przeglyd Eobotniczy", Flugblätter und Einladungen zu einer Straßenversammlung am Sonntag, den 23. April, in der Marschalkowskastratze massenhaft unter den Arbeitern verteilt worden. Am 28. April versammelten sich um 6 Uhr abends in Warschau die Arbeiter in der Nähe des Wiener Bahnhofs auf der Marschalkowskastraße und unter Absingung des revolutionären Arbeiterlieds„Cerwany Sztandar" zogen nahezu IS 000 Arbeiter und Arbeiterinnen bis zum„Sächsischen Garten", wo sie ruhig auseinandergingen. Während dieser Demonstration hat die Polizei 20 bis 25 Mann ver- haftet, dabei kam es an einzelnen Orten zu einem Handgemenge zwischen Arbeitern und Schutzleuten. Um 8 Uhr abends sammelten sich auf der Korolewskastraße Tauseiide von Arbeitern an. die Arbeiterlieder sangen und einmütig mit lauter Stimme riefen:„Nieder mit dem Zarismus I Es lebe die Verfassung I" Ansammlungen von Arbeiter» fanden an verschiedenen Orten statt, jedoch wurden einzelne Gruppen durch Kosaken verhindert, zu einander zu stoßen. In verschiedenen Teilen der Stadt haben Verhaftungen von Arbeitern stattgefunden. Bis v Uhr abends ertönten fast in der ganzen Stadt von Arbeiter- gruppen ausgestoßene Rufe:„Nieder mit dem Zarismus!"„Es lebe die Konstitution!" Wider den Arzneiwucher! An die werkthätige Bevölkerung Berlins und insbesondere an die der reichsgesetzlichen Krankenversicherung unterstehenden Schichten wenden sich durch uns die Berliner Krankenkassen und ersuchen um nachdrückliche Unterstützung in dem unvermeidbar gewordenen Kampfe gegen die Ausbeutung durch die Berliner Apotheker. Seit langem schon sind die Kassenvorstände davon überzeugt, daß die Krankenkassen und in ihnen die minder bemittelten Schichten der Bevölkerung für ihren Arzneibedarf höhere Preise bezahlen müssen, als dies selbst die bcstsituierten Privatkunden der Apotheker thun. Diese Ueberzeugung ist zur Gewißheit geworden durch Unter- suchungen, die in einer Reihe von Städten— u. a. auch in Berlin — angestellt wurden. Es wurden dieselben Apothekerwaren sowohl privatim als auf Kassenrezept entnommen, und dabei ergab sich, daß durchweg den Kassen höhere Preise angerechnet wurden. In Berlin z. B. kosteten 80 verschiedene Mittel, auf Kassenrezept bezogen, 40,ö7 M., dagegen, privatim entnommen, nur 24,20 M., also wenig mehr, als die Hälfte. Diese schon dem einfachen Billigkeits- gefühl hohnsprechende Ueberteuerung durch die Apotheker'findet statt, obwohl an sich schon durch die Krankenversicherung den Apothekern geradezu Millionengeschenke in den Schoß geworfen werden. Die höchsten Arzneikosten hatten dabei von Anfang an die Berliner Krankenkassen. Denn es entfielen auf den Kopf des Ver- sicherten an Kosten für„Arznei und sonstige Heilmittel" im Jahre 1886 im Reich 1,64 M., in Berlin 2,16 M. „ 1898„„ 2.61 ,..... 3,43, Im Jahre 1899— dem letzten Berichtsjahr— haben sich die Arzneikosten in Berlin weiter auf 3,77 M. erhöht. Daß dieses Verhältnis ein unhaltbares sei, und daß unter allen Umständen auch die Berliner Krankenkassen einen Rezepwr-Rabatt fordern und im Notfalle sich erkämpfen müßten, darüber herrschte in den vielen Kassenvertreter-Versammlungen, die von der unter- zeichneten Ccntralkommission einberufen wurden, nur eine Stimme. Man konnte sich dabei noch auf zwei sehr gewichtige Zeugnisse stützen: Der königlich preußische Regierungspräsident deS RegierungS- bezirks Arnsberg hatte in einer Verfügung vom November 1900 einen Rezeptur-Rabatt von 10 bis 16 Proz.„mit Rücksicht auf die erheblichen Gewinne, welche die Apotheken aus dem Massenverbrauch der Krankenkassen erzielen", für angemessen bezeichnet, und der Apothekenbesitzer Steinmetz hatte auf dem Hannoverschen Kranken- lassen- Tage sogar erklärt, daß er einen Rezeptur- Rabatt von 26 Proz. für angemessen erachte! Diese Forderung des Rezeptur-RabattS wurde danim auch von der unterzeichneten �.Central-Kommission der Krankenkassen Berlins " bei den Verhandlungen mit den Apothekern in den Vordergrund gestellt. Mit nichtigen Gründen und zuletzt mit offenem Hohn wurde diese unsere Forderung abgewiesen, und der ganze Verlauf der Ver- Handlungen ließ keinen Zweifel darüber, daß auf ein freiwilliges Entgegenkommen der Apotheker, auf die Gewährung greifbarer Vor- teile die Kassen nicht zu rechnen haben würden. Unter diesen Um- ständen beschloß am 28. März eine zahlreich besuchte Versammlung von Kassenvorständen und Verwaltungsbeamten, die Verhandlungen abzubrechen und zu versuchen, ob durch Kampf daS zu erreichen sei, was gutwillig die Apotheker nicht gewähren wollen. Zu diesem Zwecke soll die Lieferung aller derjenigen Droguen, Verbandstoffe, Weine usw., deren Verkauf freigegeben ist, künftig ausschließlich den Droguengeschäften übertragen werden. Mit diesen ist bereits eine Preisliste vereinbart, deren Preise sehr erheblich hinter denen der Apotheker zurückbleiben. Dabei ver- pflichten sich die Droguisten, die Waren m gleicher Güte zu liefern. wie die Apotheker, und sie unterstellen sich deshalb— neben der amtlichen Kontrolle, der sie ebenso, wie die Apotheker, unter- liegen— noch einer besonderen Kontrolle durch eine Kommission, welche zu gleichen Teilen von den Kassenvorständen und vom Vor- stände der Droguisten-Jnnung gewählt wird. Zur Lieferung der eigentlichen„Apothekerwaren"— derjenigen Mittel, deren Verkauf den Apotheken gesetzlich vorbehalten ist— sollen künftig nicht mehr alle Apotheken, sondern nur 60— 60 über Berlin verteilte zugelassen werden. So hoffen wir, den Wider- stand der Ausgeschlossenen zu brechen, und damit den Ring zu sprengen, den die Apotheker geschlossen haben, um die berechtigten Forderungen der Krankenkassen abweisen zu können. Zu der oft bewiesenen Opferfähigkeit der arbeitenden Be« völkerung Berlins , zu den Arbeitern, Handwerkern, Kaufleuten usw.. haben wir das Vertrauen, daß sie die Krankenkassen in dem ihnen aufgedrängten Kampfe werkthätig unterstützen und darum die ge- ringen Unbequemlichkeiten bereitwillig ertragen werden, die der Kampf notwendigerweise im Gefolge haben mutz. Namentlich wird jedes Krankenkenkassen- Mitglied sich sagen:„Deine Sache steht auf dem Spiel, Dir fällt der Siegespreis ebenso zu, wie im Fall der Niederlage Du die Kriegs'kosten zu tragen hast." Jeder Pfennig Nachlatz, den im Fall ihrer Niederlage die Apotheker gewähren, kommt den Kassenmitgliedern durch Herabsetzung der Beiträge oder durch Erhöhung der Leistungen zu gute. Gelingt es, den unverhältnisniäßig großen Arznei-Aufivand zu beschränken, dann wird es eher möglich sein, das bisher völlig unzureichende Kranken- gcld— zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel!— aufzu- bessern; Milch, Bäder, Nährmittel, Landaufenthalt, bei vielen Kassen bisher unerschwingliche Leistungen, werden in viel weiterem Umfange als bisher gewährt werden können! Darum lasse sich niemand die kleine Unbequemlichkeit verdrießen, die er durch den weiteren Weg zur Apotheke oder die gleichzeitige Inanspruchnahme von Apotheke und Droguenhandlung hat. Niemand lasse sich auch durch die Ausstreuungen der Apotheken beirren, daß in den Droguen- geschäften minderwertige Ware feilgehalten werde, oder daß die frei- gegebenen Droguen weniger wirksame Heilmittel seien, als die dem Apotheker vorbehaltenen.' Nicht der Preis der Ware entscheidet über! die Heilwirkung, nicht der Ort, wo sie verkaust wird, und dem Pflicht« gemäße» Ermessen des Arztes wird auch künftig die Auswahl der Medikamente, die er im betreffenden Fall für geeignet hält, über- lassen bleiben. Darum glauben wir also auf eine eifrige Unterstützung dev� Kassenmitglie'der rechnen zu können. Wir hoffen weiter, daß diese- Unterstützung uns auch insofern gewährt Ivird, als die Kassenmitglieder- auch den Arzneibedarf ihrer Familie thunlichst in der Weise decken- werden, wie es vom 1. Mai ab für die Mitglieder fast aller größeren Kassen Vorschrift sein ivird. Auch für ihre Familien werden hoffentlich die Kassenmitglieder die freigegebenen Droguen aus Droguengeschäften und nur die unbedingt den Apotheken vor- behaltenen aus diesen beziehen. Jeder Arzt in Berlin und Umgegend! erhält von uns ein Verzeichnis, aus welchem die freigegebeuen'Mittel! zu ersehen sind; bei der Erteilung der Verordnung kann daher. gleichzeitig die Frage beantwortet werden, ob das betreffende Mittel- in Droguengeschäften erhältlich ist oder nicht. Weiler aber bitten! wir, auch für den Familienbedarf die Apotheken in Anspruch zu- nehmen, die zur Kasieulieferung zugelassen sind.- Werden die Krankenkassen m ihrem Vorgehen von der Be-- völkerung kraftvoll und einsichtig unterstützt, dann ist ein schneller; Sieg nicht zweifelhaft. Schon jetzt haben wir sichere Zeichen dafür.- daß die Reihen der Apotheker wanken. Darum, je einheitlicher und! energischer von uns vorgegangen wird, je eifriger die Bevölkerung- uns unterstützt, um so kürzer der Kampf, um so schneller der Sieg l Die Central-Kommission der Kraukenkassen Berlins und der Vororte. Ein Verzeichnis der zur Kasieulieferung zugelassenen Apotheken und der Droguengeschäfte erhalten die Kassenmitglieder im Bureau ihrer Kasse oder bei ihren Arbeitgebern. Berliner Partei-Angelegenheiten. Johannisthal . Heute abend 8l/s Uhr hält der Wahlverein bei Rau, Parkstraße 16, seine Mitgliederversammlung ab. Rechtsanwalt Fränkl spricht über das Bürgerliche Gesetzbuch. Gäste sind will- kommen. Weißensce. Montag, den 6. Mai, pünktlich abends 8 Uhr: Recitations-Abend im Schloß Weißensee. Vortragender: Schauspieler Emil W a l k o t t e, über:„Barthel Turaser". Billets sind an den bekannten Stellen zu haben. Zehlendorf . Sonutagnachmittag pünktlich 4 Uhr findet die Versammlung des Wahlvereins bei Hellenbrandt statt. Vortrag des Genossen Dr. Borchardt über:„Die Ziele der Socialdemo- kratie". Neue Mitglieder werden aufgenommen. Uoksiles. In Bande»!. Warum werden socialdemokratische Preßsünder niemals zu Festungsstrafe verurteilt? Bei bürgerlichen Majestätsbelcidigcrn ist es fast die Regel, daß sie nach Magdeburg , Graudenz oder Weichsel - münde kommen, während dem Socialdemokraten mit tödlicher Sicher- heit Plötzensee beschieden ist. Die Lösung der gestellten Frage ist sozusagen ahnungslos einem bürgerlichen Schriftsteller gelungen, der über seine Erlebnisse auf Festung vor einigen Tagen ein recht interessantes Büchlein herausgegeben hat. Unfern Lesern wird es noch im Gedächtnis sein, daß der Redacteur des«Ulk". Herr Siegmar Mehring, am 3. Januar 1900 einer infamen Denunziation der„Germania " zufolge zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Diese Strafe ist im Gnadentvege in drei Monate Festung umgewandelt worden, deren Verbüßung der Preßverbrecher zwar launig, aber doch in der Meinung, ein nennenswertes Märthrertum durchgemacht zu haben, in seinem bei Rosenbaum u. Hart erschienenen Büchlein„Em Herbst auf Festung" schildert. Ihr schlagt den Leib in Bande, Doch nimmermehr den Geist. DaS find die ersten Worte des Tagebuches. Untersuchen wir die„Bande" auf Grund der Aufzeichnungen, die Herr Mehring gewissenhaft niedergeschrieben hat. Beim Antritt der Strafe zeigt ein Sergeant„mit angenehm berührender Höflichkeit" dem Gefangenen zwei Zimmer zur Auswahl, die unter andren Möbeln Waschtisch, Kommode, Kleiderschrank und Schreibtisch bergen. Der Gefangene ist begeistert von dem prächtige» Fernblick auf das offene Meer und die Weichsel . Selbstbeköstigung ist Voraussetzung, es giebt bei dem ersten Mittagessen, daS gemeinsam von den Gefangenen eingenommen wird, Rcissuppe, Gänse- braten und Pflaumen für billiges Geld. Weiter schreibt Herr Mehring: Die Lebensweise ist durchaus zwanglos. Die Haus- ordnung wird milde gchandhabt. Ich spaziere und arbeite nach meinem Belieben. Urlaub— als gefangener Preßsünder!— bekommentlich wöchentlich nur einmal auf fünf Stunden. Der Gefangene teilt, um launig zu zeigen, daß das FestungS« leben auch Schattenseiten habe, einiges aus den Instruktionen mit: Unmäßiger Genuß geistiger Getrcku-te, hohes Kartenspiel. sowie jedes Hazardspiel sind untersagt.... Der Besuch von Damen wird nur in Begleitung von Herren gestattet..... 4 Noch einige? über die leiblichen Entbehrungen auf Festung: Am 30. September erhält Herr Mehring von der Schwieger- mutier ein Paket mit Aepfeln, Wurst. Rebhühnern. Thee und Zucker. Am 2. Oktober trifft ein Teppich ein. den er sich hat nachsenden lassen. Am 6. Oktober haben die Gefangenen einen Bierabend. ES werden 19 Liter Münchener vertilgt. Am 6. Oktober treffen von einer Verwandten Pomeranzen und Kuchen ein. Am 8. kommen Frau und Schwägerin zu Besuch. Gemeinschaftlicher Spaziergang in Danzig . Herrliche Dampferfahrt. Am 11. Oktober wiederholte Klage, daß eS Sonntags immer Gänsebraten gebe. Vom 13. Oktober heißt es im Tagebuch: Gestern abend ging's wieder mal hoch her. Der Kausmann von Neufahrwasser hatte ein paar Achtel echten Münchener Biers aufgelegt und uns, seine Mitgefangenen. und einen ganzen Verein aus Neufahrwassers Bürgerschaft eingeladen.... Als die Fässer leer waren, folgte„hiesiges", dann Schnaps, dann Rotwein und wer weiß, was sonst noch für unkontrollierbare Getränke. Am 16. Oktober Straßenbummel in
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