1. Vellage zum„Vorwärts " Berliner Volksblatt. Nr. 37. Sonnabend, de » 13. Februar 189I. 9. Jahrg. Darlnmenkslecrichke. Deutscher Reichstag . 170, Sitzung vom 12. Februar, 1 Uhr. . Tische des Bundesrathes: Bosse, Thielen, Reichs- vankprasident Dr. Koch, von Maltzahn. Eingegangen ist der Gesetzentwurf betreffend die Gesellschaften Mit beschränkter Haftpflicht. Auf der Tagesordnung steht die dritte Berathnng des Ge- setzentwurfes betreffend die Bereinsthaler öfter- rerchrschen Gepräges. Abg. Leuschner(Rp.) weist darauf hin, daß das Abstoßen ver Sllberthaler jetzt gerade die ohnehin schon niedrigen Silber- preffe noch mehr drücken wird. Die Meinung der wissenschaftlich gebildeten Geologen geht dahin, daß große Goldsunde, die einen dauernden Charakter haben, nicht mehr zu erwarten find. Des- halb ist das Bestehen einer Goldwährung sehr in Frage gestellt. Redner bittet den Verkauf des disponiblen Silbers zu verschieben bis eine Steigerung des Preises stattgefunden bat. Staatssekretär von Malvahn: Aus der Annahme des Ge- setzes folgt nicht sofort der Verkauf des Silbers. Die Außer- kourssetzung der österreichischen Thaler wird erst erfolgen, wenn die österreichisch-ungarische Regierung die aus sie entfallenden Thaler in natura übernommen haben wird. Die Vorlage wird daraus unverändert mit großer Mehrheit angenommen. Darauf wird die zweite Berathung des Reichshaushalts-Etats für 1892— 93 fortgesetzt und zwar beim Etat der Reichs- e»senbahn-Ver waltung. Bei den Ausgaben für die Werkstätten hatte vorgestern, am Mittwoch, Abg. Singer die Entlastung von sozialdemokratischen Arbeitern aus den Wertstätten getadelt. Abg. v. Stumm(Reichsp.): Nicht blos für fiskalische Werkstätten sind die Sozialdemokraten ungeeignete Arbeiter, sondern auch für jeden Betrieb. Ich muß den Sozialdemokraten bestreiten, daß sie überhaupt eine politische Partei sind. I(Lachen bei den Sozialdemokraten.) Sie treten allerdings hier als politische Partei aus und die Zahl ihrer Anhänger vermehrt sich. Sie nehmen an den parlamentarischen Arbeiten Theil und zwar m so hervorragendem Maße, daß ihre Anhänger draußen schon unruhig werden und sie sich in jeder Volksversammlung vertheidigen Müssen.(Widerspruch bei den Sozialdemokraten, Zustimmung �chts). Jedes Gesetz, welches etwas für die Arbeiter thut, ist von den Sozialdemokraten abgelehnt.(Sehr richtig! bei denSozialdemokraten.) jjch bitte bei allem, was ich jetzt sage, die anwesenden Mitglieder der Sozialdemokratie als ausgeschlossen zu betrachten. iZuruf bei den Sozialdemokraten: Warum diese Rücksicht?) Die Sozial- demokratie ist eine wirthfchaftliche Gruppe, welche Gift und Haß gegen die besser situirten Klassen verbreitet und alles bekämpft, was dem Menschen heilig ist oder wenigstens heilig sein sollte. Die Partei vertheidigt den Meineid(Zuruf: Stöcker, Baare), den Diebstahl(Zuruf: Schienenstempelsälschung!) und alle mög- lichen Dinge, jede sittliche Ordnung wird verhöhnt, so daß schließlich die Menschen zur Bestie gemacht werden. Redner ver- liest den Brief eines Arbeiters, welcker bedauert. daß schon die Kinder durch die Lektüre sozialistischer Schriften verdorben werden; was solle aus dieser Jugend anders werden, als eine rechtlose Räuberbande.(Lachen bei den Sozialdemokraten.) Der Staat hat in erster Linie die Pflicht, von feinem Betriebe die sozialistische Agitation fern zu halten. Das Leitmotiv der ganzen Sozialdemokratie lautet doch: die Monarchie muß fallen(Zuruf: Was hat das mit dem Eisenbahnetat zu thun! Abg. Frohme: Das ist der 73 er Unfug in neuer Auflage! Bestellte Arbeit! Präsident von Levetzow: Ich bitte den Redner, nicht so weit von der Sache abzuschweifen.) Es muß dafür gesorgt werden, daß die jungen Leute, iven» sie zur Armee eingezogen werden(Zuruf links: Eisenbahnen!), daß sie schon vorher, wenn sie in fiskalischen Werkstätten arbeiten, so bis- ziplinirt werden, daß sie nicht den sozialdemokratischen Ideen verfallen.(Zustimmung rechts.) Das ist berechtigter, als wenn die Sozialdemokraten ihren Genossen verbieten, mit andern als mit ihren Vereinsgenossen zusammenzuarbeiten oder Waaren zu laufen, welche keine Kontrollmarke haben. Die Reichs-Eisenbahnen könnten jeden Augenblick einen Streik haben, wenn sie die freie» Arbeiter schützen wollen gegen die Sozialdemokraten. Das ist bedenklich, wenn der Streik nicht blos ein nothwendiges Uebel, sondern ein Kampsmittel ist. Einx Broschüre von B. August— Man sagt, es heißt umgekehrt August Bebel (Widerspruch Bebel's) führt diesen Gedanken aus. Aus solchen Streiks könnte die größte Gefahr entstehen, namentlich für die Reichs-Eisenbahnen, welche dicht an der französischen Grenze liegen.(Zustimmung rechts.) Von Sozialdemokraten ist die Pariser Kommune ver- herrlicht worden, die Pariser Kommune hat ihren Kampf aus- gefochten, während der Feind vor den Thoren stand. So könnte auch bei denen Reichs-Eisenbahnen...(Gelächter links.) Wenn wir das Sozialistengesetz noch hätten, würde man es jetzt Mohl nicht aufheben. Gerade weil wir das Gesetz aber nicht Mehr haben, müssen wir die Disziplin besonders streng handhaben. Eine starke Regierung hat noch niemals eine Revolution zu furchten brauchen. Wenn Herr Bebel die Revolution verhindern will, dann müßte er die Regierung stärken, also auch die R-ichs- Elsenbahnen ermächtigen(Heiterkeit), die umstürzenden Elemente >irn zu halten. Ich danke dem Minister für seine vorgestrige Erklärung und hoffe, daß sie im Lande allgemeinen Anklang finden Mird.(Beifall rechts.) Abg. Bebel(Soz.): Wenn ich nach dem Eindruck, den ich hatte, urtheilen soll, war die Rede des Abg. von Stumm recht schwächlich, ich muß ihr aber nach den begleitenden Umständen große Bedeutung zuschreiben; das zeigt sich schon daran, °aß sie nur einen sehr losen Zusammenhang mit dem zur Ver- Handlung stehenden Gegenstand hatte, und ich bedauere, daß der Herr Präsident mit seinem Hinweis dem Abg. von Stumm das Konzept verdarb, denn sonst hätten wir etwas ganz Außerordenb iij ftfiron fzufrtmmim t ia.,-----> Beziehungen und Fühlung. '>1 1«, daß ein solches Gesetz vorbereitet wird; dann ist Abg. von Stumm aber in Bezug auf dies neue Gesetz herzlich schlecht Unterrichtet. Denn Alles, was er an Zitaten heranzog, W°g sich auf eine längstvergessene Zeit, wo viele der jetzigen -Mitglieder des Hauses noch nicht hier saßen, und was er sonst m>n der Sozialdemokratie sagte, ist allbekannt, und es ist nichts MkueS in dem, worüber er sich in seiner langweilig gehaltenen med« verbreitete. Ich bedauere, daß der Abg. v. Stumm nicht oen Muth gehabt hat, die Anklagen, die er gegen die Sozial- jMuiokraten im Allgemeinen geschleudert hat, auch gegen die Partei wi Reichstage zu richten. Wir haben keine Veranlassung, die , Uberlingen, die draußen fallen, zu desavouiren. Wir können nmurlich nicht für die Worte jedes Parteimitgliedes verautwort- 'lh gemacht werden, ebenso wenig wie Sie vielleicht für alle meußerungen Ihres Fraktionsgenossen Stöcker eintreten �oven. Unsere Partei soll keine politische Partei sein. Jedes a 5' um das Gegentheil zu beweisen, wäre verloren. Herr wird wohl selbst nicht glauben, was er gesagt hat. me Partei, die seit LS Jahren hier im Hause sitzt, die die stärkste in Deutschland ist, die ein bestimmt formulirtes Pro- gramm hat, wie keine andere Partei, die einen ganz bedeutenden Einfluß auf die gesammte innere und äußere Politik des Deutschen Reiches ausübt(Rufe rechts: Oho!)— jawohl, hat doch selbst der Reichskanzler gesagt. daß jeder Gesetzentwurf daraus hin geprüft wird. welchen Einfluß er auf die Sozialdemokratie aus- übt; ist dies doch auch beim Volksschulgesetz geschehen!(Vize- Präsident Graf Ballestrem: Ich möchte den Redner bitten, all- mälig zum Gegenstand der Tagesordnung zu kommen.) Ich will nur kurz bemerken, daß Fürst Bismarck hier im Reichstage im Jahre 1885 es ausgesprochen hat, daß die ganze Sozialreform im Deutschen Reiche nicht da wäre, wenn wir keine Sozialdemokratie hätten. Da machen die Aeußerungen des Abg. von Stumm, daß wir weder eine wirthschaftliche noch eine politische Partei seien, einen eigenthümlichen Eindruck. Ferner hat er ausgeführt, unsere Partei bezwecke nur, Haß, Neid und Mißgunst gegen die Besitzenden zu erregen. Das sagt der Mann einer Richtung, die in den letzten Jahren die Klinke der Gesetzgebung ausschließlich gehandhabt hat, um sich besondere Vortheile zu schaffen; ich er- innere nur an die Schutzzölle, Zuckerprämien, Schnapsprämien und die Betrügereien, die seine Klassengenossen in Bochum B. fertig gebracht haben in Bezug aus die Schienen- fälschuugen und bezüglich der falschen Angaben über das Einkommen zur Feststellung der Steuer. Das sind die Vertreter der besitzenden und gebildeten Klassen, nach der Auffassung des Abg. v. Stumm die Repräsentanten der Sitte, der Moral und des Christenthums. Auch die freie Liebe kommt hier in Betracht; davon sollte der Abg. v. Stumm doch schweigen, es giebt Klassen, wo die Maitressenwirthschaft so ausgeprägt ist, daß der Abg. von Stumm in seinen Kreisen wohl eine ganze Reihe von Fällen kennen wird, die man völlig als freie Liebe bezeichnen kann. Dann hat er einen Brief vorgelesen, dessen ganzer Stil und Inhalt in mir den Zweifel erweckt, ob er überhaupt von einem wirklichen Fabrikarbeiter verfaßt ist oder ob derselbe nicht vielmehr ein durch den Gang der Dinge deklassirter Mann ist. der vorher wirthschaftlich selbständig war. Die Zahl solcher Arbeiter in Deutschland ist eine ganz außer- ordentlich geringe, die Mehrzahl hat Roth, ihr Leben zu fristen. Hunderttausende, ja Millionen Arbeiter verdienen noch nicht so viel, um sich an Brod satt essen zu können. Ich habe eine Lohn- statistik hier, die nicht nur Fabrikarbeiter umfastt. Nach dieser ver- dienen viele Arbeiter, wenn sie überhaupt Arbeit bekommen, bei einer 15— IKstündigen Arbeitszeit höchstens 13 M. die Woche.(Rufe rechts: Wo denn?) In Glauchau z. B. Wenn Sie sich darüber wundern, dann beweist das nur, daß Sie die Verhältnisse gar nicht kennen, denn viele Arbeiter verdienen noch weniger. Der Vorredner hat dann Bezug genommen auf eine Broschüre, welche unterzeichnet ist B. August,„ein Pseudonym, welches den wahren Verfasser deutlich kennzeichne." Wenn ich meine Anonymität so wenig verbergen wollte, dann würde ich lieber meinen vollen Namen darauf schreiben, was ich übrigens stets thue. Diese Broschüre ist von einem Manne geschrieben, der nicht einmal zu dem engeren Kreise unserer Partei gehört, also hier gar nicht maßgebend ist. Maßgebend sind nur die offiziellen Be- schlüsse unserer Parteikongresse, und wenn Sie diese lesen— das Protokoll von Halle ist in der Partei- Buchhandlung„Vorwärts" für SO Pfennige zu haben dann werden Sie sehen, wie wir in Wahrheit über Streiks und Boykotts denken. Ich habe mich übrigens selbst noch am 13. Ja- nuar darüber hier geäußert. Alles, was der Abg. von Stumm gegen uns auszuspielen versucht hat, ist also neben die Scheibe gegangen. Die Beschuldigung der Parteityrannisirung müssen wir immer hören; wollen Sie etwa sagen, es sei keine Tyranni- sirung, wenn die Gebr. Stumm keine sozialdemokratilchen Arbeiter in ihren Fabriken beschäftigen, wenn die Eigenthümer eine Fabrikordnung erlassen, die einer Zuchthausordnung so ähnlich sieht, wie ein Ei dem andern, und die erst unter dem Druck der Gewerbe-Ordnungs-Novelle so umgeändert ist. daß man sie als halbwegs menschlich bezeichnen kann?(Vizepräsident Graf B a l l e st m: Ich kann es nicht dulden, daß der Abgeord- nete Bebel einem Mitgliede des Hauses vorwirft, daß es eine Fabrikordnuug erlassen hat. die nicht als menschlich be- zeichnet werden könne. Ich rufe ihn deshalb zur Ordnung.) Ich komme zum Gegenstand der Tagesordnung. Abgeordner v Stumm proklamirt den Grundsatz, daß die Eisenbahuvcrwal- tung sozialdemokratische Arbeiter nicht beschäftigen dürfe; nian muß dem Abg. v. Stumm die Gerechtigkeit lassen, daß er zu den wenigen Männern gehört, die rücksichtslos ihre Meinung sagen, er will also die in seinem Betrieb geltenden tyrannischen Grund- sätze auch für den Staatsbetrieb in Geltung gesetzt sehen. Ist aber die Regierung zur Anwendung solcher Prinzipien berechtigt? Abg v. Stumm sagt, es genügt nicht. Arbeiter zu entlassen, die, wenn auch nur außerhalb der Arbeitszeit, sozialdemokratisch ciastiren, sondern die auch nur sozialdemokratisch denken; zum Trost für den Abg. v. Stumm sage ich. daß diese Idee in den in elsaß -lothringischen Eisenbahuwcrkstätten veröffentlichten An- schlügen schon verwirklicht ist: da ist gesagt, daß Beamte und Arbeiter, die der Regierung Opposition machen, nicht verwendet werden können. Danach müßten auch Arbeiter, die der sreisinnigen Partei, oder dem nach den früheren Bezeichnungen als Reichsfeinde" bezeichneten Zentrum angehören, nicht ver- wandt werden und in Zukunft wohl überhaupt keine Liberalen. wenigstens nach der Stellung, die sie zum Volksschulgesetz ein- nehmen. Aber der ganze Grundsatz ist ein falscher, und die Konservativen sollten sich nach dem Fall Graf Limburg wohl besinnen, solche Grundsätze zu vertreten, und hier Handelle es sich doch um einen Beamten, der angestellt ist mit der Verpflichtung, die Politik der Regierung zu fördern, dort um Arbeiter, die nur ihre Arbeit pflichtgemäß zu erfüllen habe». Das Verhallen der Reichs-Eisenbahnverwaltung kontrastirt auch sehr scharf zu den vom Staatssekretär von Bötticher vertretenen Ansichten, der noch am 13. Januar sagte, in seinem Ressort wenigstens werde ein Arbeiter nicht seiner politischen Ansicht wegen aus der Arbeit entlassen; ich freue mich, daß Herr von Bötticher sich dem Beispiel des Herrn Thielen nicht angeschlossen hat. Die Auffassung des Herrn Thielen steht anch im Widerspruch zu der des Reichs-Oberhauptes(Oho! rechts). Jawohl, als es sich im Jahre 1889 um die Berliner Unfallverhütungs-Ausslellung handelte, sagte der Kaiser in einer Audienz zum Abg. Rösicke, man müsse den Arbeitern die Ueberzeugung verschaffen, daß sie völlig gleichberechtigt im Staate seien; dieser Satz ist nirgends in Zweifel gezogen worden, danach soll also auch kein Unter- schied wegen der politischen Ueberzeugung gemacht werden. (Widerspruch rechts.) So lange das Sozialistengesetz galt, hatte man wenigstens einen Schein von Berechtigung— nur einen Schein, solche Unterscheidungen zu mache», jetzt aber ist anch nicht ein solcher Schein vorhanden. In dem bekannten kaiserlichen Erlaß vom 4. Februar 1890 ist ferner ausdrücklich ausgesprochen, daß die Staatsbetriebe Musteranstalten sein sollen— aus Muster- iverkstätten Arbeiter ihrer politischen Ansicht wegen zu entlassen. das ist ein Widerspruch.(Widerspruch des Abg. von Stumm.) Ja, Herr v. Stumm, Ihre Betriebe sind freilich keine Muster- anstalten.(Heiterkeit.) Es ist gerade so unanständig, Leute ihrer politischen Ansicht ivegen zu chikaniren, wie wenn man sie weg, ihrer religiösen Ueberzeugung schlecht behandelt. Es ist eine d größten Errungenschaften des modernen Staats, daß er in seine Grundsätze auwenonwien hat, daß Jedermann seine religiösen und politischen Ansichten frei äußern und vertreten kann.„Jeder Preuße hat das Recht, seine Meinung durch Wort, Druck, Schrift und Bildwerke frei zu äußern", sagt die preußische Verfassung. Damir steht es im Widerspruch, privilegirle Gesinnungen schaffen iU wollen. Wenn man Arbeiter hindert, gewissen politischen An- sichten zu huldigen, so ist es ein kleiner Schritt, die Arbeiter zu zwingen, gewisse politische Ansichten zu haben. Diesen Schritt hat in der That Herr Thielen schon gethan, denn als Chef der Eisenbahn- direktion Hannover verfügte er, daß in dem damaligen Wahlkampf zwischen einem Sozialdemokraten und einem Welsen die Beamten und Arbeiter der Eisenbahn-Berwaltung sich der Stimmabgabe zu enthalten hätten, weil Beide gleich staatsgefährlich seien. Man verlangt von den Arbeitern, daß sie ihrer Militärpflicht genügen und' für das Vaterland Gesundheit und Leben eventuell opfern, und ihre direkten und ihre indirekten Steuern zahlen, da muß man ihnen auch die entsprechenden Rechte geben. Wo aber ein solches Verbot erlassen wird, da beraubt man sie der ihnen ge- währleisteten Grundrechte. Nun sagt Herr von Stumm: ja, das ist nothwendig, und ganz besonders bei der Eisenbahn- Verwaltung mit Rücksicht auf die große Gefahr, die für den Staat aus einem anderen Verhalten resultiren könnte. Diesen Punkt hätte sich doch Herr von Stumm über- legen sollen. Die Sozialdemokratie ist die stärkste Partei in Deutschland , sie wird immer stärker und in kurzer Zeit überhaupt die Mehrheit der Bevölkerung umfassen. Daher muß sie auch in alle Zweige der Verwaltung und in das Heer eindringen. Wenn nun, was ich nicht wünsche, der Moment konimt, wo Deutsch- land das Schwert ziehen muß— und dann wird es das Schwert ziehen müssen für seine Existenz und Unabhängigkeit—, dann braucht es den letzten Mann, auch die Sozialdemokraten, und es könnte den Herren schlecht bekommen, wenn man heute den Sozialdemokraten die Ueberzeugung beibringt, daß sie einen solchen Staat, dem solche Rechte zur Seite stehen, zu vertheidigen nicht mehr uöthig haben. Bis jetzt haben die Sozialdemokraten in allen Betrieben ihre Schuldigkeit gethan, wie jeder Betriebsleiter bestätigen wird, daß die Sozialdemokraten die pflichttreuesten und tüchtigsten Arbeiter sind.(Widerspruch des Abg. Grafen Vehr.) Ja, Herr Graf Behr, in Pommern sind freilich keine sozialdemo-, kratischen Arbeiter beschäftigt. Darum sollten Sie wohl zusehen. daß Sie sich die Gunst der Sozialdemokraten nicht verscherzen. (Zuruf rechts: Wir find nicht feige!) Wenn man die Sozial- Demokraten so behandelt, wie Herr v. Stumm, so heißt das Vogel Strauß-Politik treiben, die im Lause der Geschichte so häufig schweres Unglück herbeigeführt hat. Solche Maßregeln muß man unterlassen, sie stehen im Widerspruch mit unserer Kultur, dem Staatsgesetz und der Wohlanständigkeit, die die Staatsregierung auch jedem Arbeiter gegenüber wahren müßte; sie darf nicht Maßregeln ergreifen, bei denen kein Ruhm und keine Ehre zu holen ist, sondern nur Blamagen und Niederlagen!(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) Abg. Hnusmaun(Dem.): Wenn solche Reden wie die des Herrn v. Stumm gehalten werden, dann darf das Haus sich nicht wundern, wenn solche Antworten wie die Rede Bebel's darauf folgen. Herr Bebel war so unhöflich, die Rede des Herrn v. Stumm langweilig zu nennen. Ich fand sie interessant, denn sie ist ein naiver Ausbruch der Anschauungen, welche jetzt plötzlich in seiner Umgebung wieder zu herrschen scheinen. Hat Herr von Stumm denn nicht gemerkt, daß Herr Bebel, der voll innerer Begeisterung spricht, ihm in der Dialektik weit über- legen ist?(Zustimmung links.) Wenn die beiden Reden neben einander gedruckt werden, so wird man die Rede des Herrn von Stumm nicht lesen.(Widerspruch rechts), die Rede des Herrn Bebel wird einen großen Eindruck machen. Wenn man immer von der Sozialdemokratie bei allen Gelegenheiten spricht und die Gefahr derselben so groß als möglich darstellt, so wird dadurch die ganze Staatsleitung geschädigt und man giebt dem Herrn Bebel die Gelegenheit, die Gefahr immer als eine noch größere hinzustellen. Denn eine immense Sozialistensurcht herrscht in den höheren Schichten, daher das Hepp-hcpp des Freiherrn v. Stumm gegen die Sozialisten(Vizeprästdent Gras Ballestrem: Hepp-Hepp ist kein passender Ausdruck einem Abgeordneten gegenüber!) Die Gehässigkeit des Herrn von Stumm...(Vizepräsident Gras Ballestrem: Gehässigkeit ist unparlamentarisch; ich rnfe den Ab- geordneten Hausmann zur Ordnung.) Ich freue mich, daß das Wort Gehässigkeit in einer Rede unparlamentarisch ist! Ich hoffe, daß Herr von Stumm sich das zu Herzen nehmen wird für seine späteren Reden. Als letztes Ziel der Sozial- demokratie die Beseitigung der Monarchie hinzustellen, war von Herrn von Stumm sehr ungeschickt, wo sich heute die Sozial- demokraten auf Aeußerungen der allerhöchsten Person berufen könnten. Höchstens haben sich die Angriffe heute als Angriffe auf das sogenannte„kkönigreich Stumm" hingestellt. Wenn Sie die Sozialdemokratie bekämpfen wollen, so schaffen Sie die Miß- stünde aus dem Wege, welche der Sozialdemokratie neue Nahrung geben. Ein Fall Pens macht mehr Sozialdemokraten, als jemals durch andere Maßregeln wieder bekehrt werden können. Wenn wir später die Frage der Soldatenmißhandlungen berathen, dann sollten die Herren von der Rechten durch die That und nicht durch schwächliche Resolutionen beweisen, daß sie helfen wollen. Geheimer Ober-Regierungsrath Kinel entschuldigt die durch Amtsgeschäfte veranlaßte Abwesenheit des Chefs der Reichs- Eisenbahnverwaltung. Abg. v. Stumm: Daß in den höheren Gesellschaftsklassen auch Ilnsittlichkeitcn w. vorkommen, habe ich nicht bestritten, wir haben solche llnsittlichkeiten aber niemals vertheidigt.(Zuruf: Die„Kölnische Zeitung " hat Baare vertheidigt.) Mit Herrn Stöcker stimme ich in vielen Punkten überem, aber er gehört meiner Partei nicht an. Bei uns fliegt überhaupt nicht Jeder sofort ans d er Partei wegen einer abweichenden Meinung. Der Standpunkt, den ich der Sozialdemokratie gegenüber vertrete, widerspricht durchaus nicht der Gleichheit der Staatsbürger, sondern ich will nur den freien Arbeiter schützen gegenüber der Tyrannei der Sozialdemokraten. Ich muß es entschieden ab- lehnen, daß ich die Debatte angefangen habe. Herr Singer hat der Eisenbahnverwaltung Vorwürfe gemacht; Herr Bebel hat dieselben Angriffe gegen die Verwaltung des Innern gerichtet; darauf wollte ich antworten. Die Verwaltung hat 2 Arbeiter entlassen; ich habe in der letzten Zeit überhaupt keine Arbeiter entlassen, also bin ich noch viel milder als die Reichs-Eisenbahn» Verwaltung. (Heiterkeit rechts; Zurufe links: Au!) Abg. Möller(ntl.): Sozialdemokratische Arbeiter beschäftige ich auch in meinem Betriebe, aber Agitatoren kann ich nicht ge- brauchen, und gerade in der Eisenbahn-Verwaltung, wo so viel auf die Betriebssicherheit ankommt, können nur zuverlässige Ar- beiter gebraucht werden. Die stärkste Partei ist die Sozial- demokratie nicht, denn nicht der vierte Theil derer, die für einen Sozialdemokraten gestimmt haben, sind wirkliche Sozialdemokraten. Bei allen Nachwahlen sind die Sozialdemokraten mit geringerer Stimmenzahl hervorgetreten. Der Einfluß der Sozialdemokratie bei den Arbeitern ist im Fallen; das liegt an den Mißersolgen, welche vielfach erzielt sind. Offiziell erklärt sich die Partei aller- dings gegen die Streiks, aber unter der Hand werden die Streiks begünstigt zur Steigerung der Unzufriedenheit. Ein ausländischer Sozialdemokrat, mit dem ich mich einmal unterhalten, sagte: Die d-uttchen Soiialdemokra�e» seien A�antosten«Zuruf links-
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