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Pr. 225. 18. lappig. eilazt des Jmmiirts" Kerl« WlisMait. 26. September 1961. Parteitag der deutschen Socialdemokratie. Lübeck , den 24. September 1901, Dienstags-Sitzung. (Ausführlicher Bericht.) ES liegen zahlreiche GeschäftSordnungS-Slniriige bor. Ehrhardt-Ludwigshafen : Ich habe mir die Rednerliste an- gesehen. Es ist eine ganze Anzahl Redner gemeldet, schwere Redner (Große Heiterkeit), dauerhafte Redner.(Heiterkeit.) Ich befürchte, daß unter der Bernstein -Debatte der PunktPresse" ganz ver- schwinden wird. Wir müssen deshalb beides trennen. Nehmen wir zuerst den Punkt Presse vor und verschieben wir die Bernstein- Debatte ans den nächsten Sonnabendnachmittag.(Große Heiterkeit.) Thiele- Halle beantragt, die Preßangelegenheit zuerst zu be- handeln. Fischer-Berlin erklärt sich mit der Teilung, nicht aber damit einverstanden, daß die Bernstein -Dcbatte hintangesetzt werde. Es wird im Sinne der Fischerschen Ausführungen beschlossen. Zuerst wird die Bernstein -Angelegenheit behandelt. Fischer beantragt, die Redezeit wieder auf zehn Minuten zu beschränken und nur für Kautsky und Bernstein eine Ausnahme zu machen. Leutert-Apolda ersucht, diesen Antrag abzulehnen. Den meisten ist bekannt, was Bernstein und was Kautsky gesagt haben. Bernstein und Kautsky aber wissen noch nicht, was die' Praktiker, die Arbeiter denken. Die Arbeiter find aber weniger geschult und brauchen längere Redezeit. Ad. Hoffmanu-Berlin beannagt, auch Bebel.eine längere Rede- zeit einzuräumen. Bebel verzichtet auf diese Bevorzugung. Dr. David wünscht die Redezeit allgemein auf 10 Minuten einzuschränken. Frohme schlägt vor, zwei Generalredner sprechen zu lassen. Sämtliche Geschäftsordnungsanträge werden abgelehnt. Es bleibt also bei der unbeschränkten Redezeit. Nur die' Gegenstände der Debatte sind getrennt. Die Bernstein- Debatte. Kiesel-Berlin : Genosse Quarck kann sich bezüglich der angeblichen Absichten dch Berliner beruhigen; er hat sich schön öfter in dieser Beziehung geirrt. Ich habe namens der großen Mehrheit der Genosien des 6. Berliner Wahlkreises zu bemerken, daß die Resolution dort nach 2>/e stündiger Debatte mit allen gegen 0 Stimmen bei 800 Anwesenden an- genommen worden ist. Gradnaner gegenüber sind die Berliner Genossen in ihrer großen Mehrheit der Meinung, daß derVorwärts" als Centralorgan zu dem Vortrag Bernsteins in dem Stndentenverein hätte Stellung nehmen müssen.' Mit Gradnaner haben auch ivir es bedauert, daß Liebknecht nicht mehr in der Redaktion desVorwärts" saß. denn sonst hätten wir eine Stellungnahme gegen Bernstein z» lesen bekomme». Wir haben von dem Vortrag Bernsteins zuerst erfahren in derWelt am Montag", einem Blatt, das dazu bestimmt ist, gegen die Socialdemokratie Stimmung zu machen; und ein solches Blatt mußten nun nnsre Genossen lesen 1 Es giebt doch nur zweierlei: Entweder gilt noch das Kommunistische Manifest, sind die Anschauungen, die darin bekundet werden, richtig, dann muß gegen Bernstein Stellung genommen werden; denn dann muß mit aller Schärfe der Kampf gegen die bürgerliche Gesellschaft geführt werden. Ihn theoretisch zu führen, dazu sind Ivir ja zu dumm, das mögen die Akademiker machen, aber wir können verlangen. daß uns nicht immerfort Knüppel zwischen die Beine geworfen werden, und das geschieht uns immer mit Bernstein . Ich will nicht leugnen, auch ich habe viel von Bernstein gelernt, besonders aus der Zeit, wo er zehn Jahre leitender Redacteur desSocialdemokrat " war. Wir haben auch sonst Bernstein manches zn verdanken. Ich kann da erklären, daß wir den Beschlutz des Parteitages wegen der preußischen Landtagswahlen achten und ausführen', weil' es eben ein Parteitagsbeschluß ist.(Bravo !) Aber angenehm ist es uns nicht. Singer teilt mit, daß Stubbe-Hamburg irrtümlich unter die Resolution 109 gekommen ist, statt unter die Resolution 108, während umgekehrt Schwartz-Lübeck unter die Resolution 109 gehört. Hengsbach-Köln erklärt, die Resolution 108 nur, um sie zur Dis- kussion zu bringen, unterschrieben zu haben. Grunwald-Erfurt : Die Thüringer Resolution, und wohl auch die andern, sind nicht als Anträge aufzufassen, sondern als Resolutionen, in denen den Motiven der Antragsteller Rechnung getragen wird. Das Recht der freien Kritik wollen wir natürlich wahren, das brauchte Bernstein nicht erst zusagen. Nach Annahme der Resolution Bebel in Hannover hätte mau eben erwarten können, daß Bernstein nach seiner Rück- kehr erst einige Jahre sich mit den deutschen Verhältnissen vertraut gemacht hätte, um dann seine Kritik von neuem zu beginnen. Was am meisten empört hat. war, daß Bernstein seine Kritik trotz Hannover fortgesetzt und sogar verschärft hat, indem er das Fundament der Partei angriff. Verschärfend kam hinzu, daß Bernstein in einen gegnerischen Verein ging, nicht um die Grundsätze der Partei zu verteidigen, sondern um die Partei in negativem Sinne zu kritisieren. Dazu sind nur Partcivereine da. Bernstein und Gradnauer haben den socialwisscnschaftlichen Stndentenverein als harmloses Kind hingestellt. Wie steht es in Wirklichkeit? Be- wußte Parteigenossen sind aus jenem Verein zur Zeit, als sich in Berlin eine selbständige Akademikerbewegung aufthat, einfach hinaus- gedrängt worden. Zu den Protektoren des Vereins gehören der bekannte Socialistentöter iAdolf Wagner, Schmolling, Breisig u. a., die die Partei aufs schärfste bekämpft haben. Der Verein ist im Princip weder für noch gegen uns. aber gegen uns insofern, als er sonst nicht geduldet würde an deutschen Universitäten. Daß da vielleicht einige Kryptogenossen darin sind, die sich infolge ihrer Stellung als Studenten nicht bethätigen können, ist Sache für sich. Wäre Bernstein ein x-beliebiger Provinzler, wie etwa Grun- wald, oder hätte er keine Vergangenheit hinter sich, so könnte man darüber hinwegsehen, daß er' dort gesprochen hat. Aber wenn ein Bernstein dort auftritt, so wird das als historischer Moment be- trachtet, mag auch das, was er sagt, noch so gering sein, und der Vorwärts" als Berliner Parteiblatt hatte die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, diesen historischen Moment zu fixieren, nicht sowohl der. Abwehr wegen, als vor allem, um den Genossen in der Provinz sofort ein objektives Urteil zu ermöglichen. Nun sagt Gradnauer, der Berein annonciert bei uns nicht, darum brauchen wir ihn nicht zu beachten. Hat aber Gradnauer nicht gewußt, daß Bernstein dort sprechen wird? Waschzettel, an dem und dem Tage spricht der und der Redner, hat der Verein übrigens dem Vorwärts" zugesandt. Wie Bernstein von der bürgerlichen Gesell- schaft und der Universität betrachtet wird, geht daraus hervor, daß den zielbewußten Genossen von der Universität nicht gestattet wird, in dem Socialwissenschaftlichen Studentenverein zu sprechen, zum Beispiel Ledebour , Mehring, ja selbst Schippel. Ich beschränke mich jetzt nur noch aus ein Wort, da es doch gut ist, wenn die Praktiker sprechen und nicht nur gewisse Akademiker. Bernstein beschwert sich über die Form der Diskussion; er scheint aber zu glauben, daß ihm alles erlaubt, ist, andern nicht. Ich habe absichtlich die scharfe Form in der thüringer Resolution gewählt, um die Bernsteinfrage hier in Lübeck zur Debatte zu bringen, und ich bin vollauf befriedigt. Ich lehne es aber auch ab, zu scharf gewesen zu sein; vielleicht habe ich in der Form über die Stränge geschlagen. Die ganze Bernsteinfrage kommt darauf hinaus: wie wirkt sein Auftreten auf die Parteibethätigung? Denn principiell ist die Sache ja in Hannover erledigt. Aber ganz anders ist die Sache, da Bernstein fortfährt, die Partei anzugreisen; die schädigende Wirkung hat sich schon 1893 bei den Wahlen gezeigt und noch mehr in der letzten Zeit in den Fragen der Weltpolitik und den inneren Fragen des Klassenkampfes gegen die bürgerliche Gesellschaft. Unsre kleinen Agitatoren es soll das keine Herabsetzung sein, die am Fundament bauen, die den Samen für die Partei in die kleinsten Bezirke hinaustragen, wissen nicht ein noch aus, da die Gegner ihnen in den Versammlungen mit Bern­ stein kommen; schon 1898 sind sehr tüchtige Genossen zu mir ge- kommen und haben sich darüber beschwert,' daß sie auf Grund der Argumente Bernsteins mit den Gegnern nicht fertig geworden sind. Es ist wichtig, daß die Einheit der Grundsätze der Agitation wieder- hergestellt wird.(Bravo !) KautSky: Ich will mich bemühen, möglichst kurz zu sein. Was ich zu sagen habe, ist schon gesagt worden. Die Hauptsache ist in der That, daß die Welt erfährt, was die Masse der Parteigenossen über Bernstein denkt. Auch seine letzte Broschüre giebt mir keinen Anlaß hier zu reden. Auch die persönliche l.'eite der Frage will ich nicht berühren und die persönlichen Attacken Bernsteins nicht beantworten. Ich will mich auch nicht darüber beschweren, daß er wieder einen Brief von mir veröffentlicht hat. Wenn jemand wie er, meine Briefe aufs eifrigste liest. sie durch Jahrzehnte aufbewahrt und sie zur Hand hat, wenn er unvorbereitet in einer Debatte spricht, dann erinnert mich das an die Inbrunst eines 13 jährigen Jünglings für die ersten Briefe seiner Geliebten. (Heiterkeit.) Für mich liegt kein Anlaß zur Unzufriedenheit vor, auch nicht über die Stelle, die er verlesen hat. Es hat mich angenehm überrascht, daß er eine so gescheite Stelle der Versammlung mit- geteilt hat.(Heiterkeit.) Das, was ich da sage, ist nur die all- gemeine Praxis der Partei, die von niemand in Frage gestellt worden ist. Bernstein hat anerkannt, daß ich selbst Selbstkritik geübt habe und zwar in meiner Agrar- schrift. Zur Selbstkritik gehört die Kritik der eigenen Anschauungen. Selbstkritik ist die Kritik der Genoffen, im Gegensatz zu der Kritik der Gegner. Wenn er meint, wir übten nicht Selbstkritik, sondern kritisierten ihn, so schließt er sich damit selber aus. rechnet er sich zu den Gegnern, was er natürlich doch nicht will.(Sehr gut l) Seiner Selbstkritik sagt er nach, daß sie von reiner Liebe zur Partei diktiert sei. wenn ivir aber Kritik üben, dann ist eS persönliche Gehässigkeit und Dvgmonfanatismus. Wenn wir ihn kritisieren, dann sind wir ebenso wenig intolerant, wie er es ist. Es giebt nun Leute, die die von Bernstein hervorgerufenen Streitigkeiten als eine Förderung des geistigen Lebens unsrer Partei betrachten. ImVorwärts" steht im Bcgrüßungsartikel: Wenn auch gewisse Ansichten sich schließlich als haltlos erweisen, so bleibt doch der Vorteil einer gewissen Art geistiger Gymnastik; sonst würden wir geistig einrosten.(Heiterkeit.)*) Ich beneide die Genossen imVorwärts", die so viel Zeit übrig haben, daß sie geistig einzurosten fürchten, wenn nichl diese Gymnastik wäres(Sehr gut!) Selbstverständlich meine ich das nur scherzhaft; ich weiß, wie viel die Ge- nossen imVorwärts" zu thun haben. Ist es nicht wahr? Haben wir nicht zu kämpfen gegen eine Welt von Feinden?! Müssen wir da nicht unermüdlich unsre Kritik gegen die Gegner richten?(Bravo !) Daß Bernstein uns neue Einsichten gebracht bat, davon ist heute nicht mehr die Rede. Als Bernsteins erste Broschüre erschien, da wurde sie mit Fanfarentöne begrüßt, da hieß es: Eine neue Zeit ist angebrochen, große Erkenntnisse sind uns geworden. Und wie reden heute die Anhänger Bernsteins: Ach. regt Euch doch nicht ans, die Geschichte ist ja nicht der Mühe wert. Es ist nichts dabei herausgekommen. Was Ivolll Ihr eigentlich von Bernstein. (Sehr richtig!> Ich glaube, schlimmer kann man' von einem Rcvisionsfeldzug nicht urteilen. Bernstein allerdings ist andrer Ansicht. Er hat uns daraus hingewiesen, daß bereits die praktische Folge seines Revisions- programmes in dem Hainfelder Programm eingetreten sei(Wider- sprüch, Zustimmung. Zuruf Fischers-Bcrlin: Er hat gesagt: Was die können, können wir auch I) ich habe es wenigstens so auf­gefaßt; er hat darauf hingewiesen, daß die östreichischen Genossen die Verelendungsthcorie aus dem Hainfelder Programm gestrichen haben. Wie steht es denn mit der Verelendungstheorie? Sie sagt, daß es immer schlechter werden muß, ehe es besser werden kann, daß das Proletariat immer mehr und mehr in Elend versinkt, bis es ganz widerstandslos geworden ist und das dann erst der große Tag der Befreiung hereinbricht. Genosien, ist diese Verelendungstheorie jemals in der Partei von irgend jemand, der auf Be- deutnng Anspruch macht, geteilt worden? Sicher nicht. Diese Verelendungstheorie ist schon längst widerlegt und zwar von niemand anders als von. Karl Marx in seinem Kapital. Dieser Satz ist nur als Tendeil'z zu verstehen, und nicht als uii- bedingte Wahrheit; er ist nur so zu verstehen: Das Kapital muß danach trachten, um seinen Mehrwert zu vermehren, die Lage des Proletariers immer elender zu gestalten. Das ist ja bekannt; aber Marx selbst hat die Gegenwirkung bezeichnet, er selbst war einer der Vorkämpfer des ArbeiterschntzeS, einer der ersten, der auf die Bedeutung der Gewerkschaften hingewiesen hat, zu einer Zeit, wo die andren Socialisten nichts davon wissen wollten, schon 1847. Er bat also bewiesen, daß diese Tendenz absolut notwendig ist, aber daß sie nicht absolut notwendig zur Herunterdrücknng des Arbeiters führt. Aber dadurch unterscheiden wir uns von den bürgerlichen Reformern, daß diese glauben, die Tendenz selbst könne überwunden werden, ein socialer Friede könne hergestellt werden, ein Zustand, bei den: das Kapital nicht danach trachte, die Arbeiter herunterzudrücken. Das Kapital muß danach trachten, und darauf beruht der Klassen- kämpf, daß wir dem Kapital seine politischen Machtmittel entreißen; bevor das nicht gethan ist, kann der sociale Friede nicht wieder hergestellt werden, und nur in diesem Sinne haben wir an der Theorie der Verelendungstheorie festgehalten. Wenn die östreichischen *) Wenn der vorliegende Bericht richtig ist, so hat Gen. KautSky den Wortlaut und den Sinn der betreffenden Stelle, wenn auch nur offenbar in scherzhafter, so doch in mißverständlicher Tendenz so nuanciert weitergegeben, daß die ursprüngliche Absicht der Stelle ver- dunkelt erscheint. Die Sätze lauteten wörtlich: Das Erfurter Programm ist auch an den reichlichen theoretischen Diskussionen nicht zu Schaden gekommen, die uns die letzten Jahre beschert haben. Wir sind der vielleicht ketzerischen Meinung, daß diese Auseinandersetzungen zwar notivendig sind, um uns vor dem Rosten zu bewahren sie find eine Art gymnassischer Uebungen zur Belebung des Parteigeistes daß aber in diesem besonderen Fall ihr Ertrag verzweifelt gering war. Wir leiden weder an der publizistischen Nervosität, die in jeder Meinungsverschiedenheit gleich den Untergang der Welt fürchtet, noch lassen wir uns beeinflussen durch die lieben Leute, die uns gern beerben wollen und den Erbschleicher in der Weise spielen, daß sie die eine Meinung gegen die andre karikierend ausspielen und dadurch in der Socialdemokratie selbst das Gefühl hervorzurufen suchen, als ob in ihr centrifugale, auseinander- treibende Kräfte am Werke seien. Es scheint kaum nötig, den Sinn der Stelle richtig zu interpretieren): diese theoretische Diskusstonen sind zwar an sich wertvoll zur Belebung des Parteigeistes, in diesem Fall ist aber ihr Ertrag verzweifelt gering gewesen; damit ist die allgemeine Anerkennung der Bedeutung theoretischer Diskussionen für den b e- sonderen Fall der Bernsteindebatte ganz im Sinne des Redners eingeschränkt, wenn nicht sogar aufgehoben, obwohl sie doch auch so wertvolle Erscheinungen, wie die theoretische Diskussionsschrist Kautsky », veranlaßt hat. Red. d. B. Genossen daran gegangen sind, den Punkt ein wenig anders zn fassen, so ist das, wie Adler schon in derWiener Arbeiterzeitung " ausgeführt hat, nicht dem zuzuschreiben, daß sie ihre alte Anschauung aufgegeben haben, sondern nur dem, daß eben Programme die Kinder ihrer Zeit sind. 1391, als das Erfurter, und 1383, als das Hainfelder Programm geschaffen wurde, hat man Bernstein noch nicht vorausgeahnt, damals war der Kampf innerhalb des Proletariats nicht zwischen Bernstein und seinen Gegnern, sondern es war ein Kampf gegen die Anarchisten. Daher wurden damals jene Punkte im Programm ausführlicher erörtert, die von der Notwendigkeit des politischen Kampfes reden. Heute hin- gegen ist es notwendig, auf die falsche Auffassung der Verelendnngs- theorie hinzuweisen und diesem Punkt einen präciseren Ausdruck zu verleihen. Würde heute eine Aenderung des Erfurter Programms verlangt, so würde ich beantragen, den Punkt so zu ändern, daß Mißver- ständmffe ausgeschlossen sind.'Aber diese Mißverständnisse sind erst von Bernstein in die Debatte hineingetragen.(Sehr richtig!) Und nun kommt Bernstein her und sagt, es fei sein Verdienst, daß wir klarer sehen. Nein, es waren immer unsre Gegner, denen wir entgegenhalten mutzten, daß unsre Theorie von der Zunahme der Verelendung eine ganz andre ist, und Bernstein hat uns nur die Rufgabe erschwert, die Klarheit über diese Theorie aufrecht zu erhalten, denn er sagt, diejenigen, die ihm nicht beistimmen, seien noch Anhänger der alten vorsünd- flutlichen Theorie, die schon seit dem Kommunistischen Manifest über- wunden ist. Also, Sie sehen, was bei der ganzen Revision heraus- gekommen ist! Nun sagt Bernstein , sein Vortrag sei ganz harmlos. Ja, wenn Bernstein diesen Vortrag vor 4 oder 5 Jahren gehalten hätte, so Hütte sich kein Mensch darmm gekümmert; man hätte ihn vielleicht, gelesen, den Kopf geschüttelt und gesagt: Ja, was will denn der Mensch eigentlich?' Heute wird der Vortrag betrachtet als die Konsequenz seiner Schrift über die Voraussetzungen des SocialismuS . Er wird in diesem Lichte betrachtet und bekommt erst in diesem Licht seine Bedeutung. Durch dieses Licht betrachtet ihn auch die bürger- liche Presse, und wir müssen die Folgen tragen. Nicht nur dieWelt am Montag", sondern die gesamte bürgerliche Presse,Frankfurter Zeitung ",Berliner Tageblatt",Vossische Zeitung" haben unisono geschrieben, Bernstein hat wieder bewiesen, daß die Socialdemokratie inchts andres sein will, als eine demokratische Reformpartei. Nun kann ja niemand etwas dafür, wenn ihm die Gegner Ansichten unterschieben, die man nicht hat, und wenn Bernstein mißverstanden ist! so ist das sein Pech. Ich bedauere ihn darum, aber man ist doch nicht so ganz wehrlos, man braucht sich das Lob der Gegner doch nicht ruhig ge- sallen zu laffeu. Ich habe Bernstein schon früher vorgeworfen, daß er das Lob der Gegner willenlos über sich ergehen ließ; er hat daraus erwidert, daß auch von mir ein Satz mißverstanden und von d-n Gegnern gegen die Partei ausgenutzt ist. Er meint meine Broschüre über' die Handelspolitik, aus der die Agrarier einen' Satz ausgebeutet haben. Aber doch nur, so lange sie nur ein vomVorwärts" abgedrucktes Kapitel aus der Broschüre kannten! Als die ganze Broschüre ihnen bekannt war. konnten sie diesen Satz nicht mehr ausnutzen. Trotzdem habe ich mich nicht gefügt, sondern die Thatsache, daß ein Satz von mir gegen uns als Waffe gebraucht wurde, als solche Schmach empfunden, daß ich sofort am nächsten Tage, nachdem ich den Artikek in derKrenz-Zeitung" gelesen hatte, meinen Herren Lobrednern in der agrarischen Presse einen solchen Fußtritt versetzte, daß sie sofort auf die Bundesgenossenschaft mit mir verzichteten. Bei Bernstein handelt es sich gar nicht um einen Satz aus einem einzigen Kapitel; er macht seit drei Jahren nichts als Selbstkritik, soweit er überhaupt kritisch thätig ist. Natürlich hat er auch noch eine andre Thätigkeit. aber seine kritische Thätigkeit richtet sich nur gegen die Partei. Warum tritt er nicht einmal gegen die Lobredner äußerhalb der Partei ans? Das ist dringend notwendig im Interesse der Partei, denn unsre Gegner halten uns fort und fort Bernstein entgegen; sie sagen:was versteht denn Ihr vom SocialismuS? Bernstein versteht das viel besser, er ist ein alter Marxist, der das und das nicht für durchführbar hält". Würde sich Bernstein ein- mal gegen diese Gegner wenden, gegen die falschen Freunde,' die die Arbeiterbewegung für ihre Zwecke ausnutzen wollen, würde er jedes Mißtrauen und jede Zweideutigkeit zerstreuen, so könnte er in jeder Beziehung Selbstkritik üben, wie er ivill. Das ist das, was wir von ihm erwarten und verlangen müssen. Bernstein hat uns daran erinnert, daß er zehn Jahre lang als Redacteur desSocialdemokrat " gewirkt hat. Ja, zehn Jahre lang hat er amSocialdemokrat " gewirkt zu unsrer Freude und zu unsrem Nutzen, und ich wünsche nichts sehnlicher, als daß er die Tradition, auf die er sich beruft, wieder erneuert. Er hat imSocialdemokrat " Selbstkritik geübt, aber auch unsre Gegner kritisiert und ist allen Reformbestrebungen auf das äußerste entgegen- getreten. Möge er die alten Traditionen erneuern! Dann können wir überzeugt sein, daß auch das alte Verhältnis wieder hergestellt wird, und daß er nicht mehr nötig hal, sich über seine Krittler in der Partei zu beklagen.(Lebhafter' Beifall, Hände« klatschen.) Dr. David-Mainz: Kautsky ist materiell in die Diskussion über die sogenannte Bernsteinfrage eingetreten dadurch, daß er uuS wieder einen Vortrag über die Verelendungstheorie gehalten hat. Zunächst ist es unwahr, daß nach Erscheinen'des Bernsteinschen Buches gerufen und geschrien ist: Jetzt beginnt eine neue Zeit. Wollen Sie mir nicht einen nennen, der das gerufen hat? Und ebenso unwahr ist es, daß jetzt dieselben Genossen sagen: Ach, es war ja gar nichts, es ist ja gar nichts dabei herausgekommen I Nirgends innerhalb der Socialdemo« kratie ist ein Jubelton über das Bernsteinsche Buch angeschlagen worden. Es wurde sehr scharf angegriffen, und da kam eine Reihe von Genossen und sagte: Seht euch das Buch doch erst mal an, ist es wirklich so, wie ihr es darstellt? So entstand eine Diskussion darüber. Weiter, die Verelendungstheorie I Wir haben uns ja in Hannover über das Elend dieser Verelendungstheorie unterhalten, und nun tritt Kautsky wieder mit der Behauptung auf, kein Mensch habe früher die Verelendungstheorie im Sinne einer fortschreitenden absoluten Verelendung aufgefaßt, sondern immer nur Zals Tendenz, der aber Gegentendenzen in den Weg treten. Ich habe schon in Hannover Kautsky gegenüber einfach das Kommunistische Manifest citiert. wo nicht von einer Tendenz auf Herabdrückung die Rede ist, sondern wo es heißt, die bürgerliche Gesellschaft ist nicht einmal im stände, ihren Sklaven zu ernähren, der Arbeiter wird zum Pauper. Und zwar ist das nicht von dem einzelnen gesagt, sondern von der Masse des Proletariats, und es wird auch im Manifest nicht im geringsten auf die Gegenwirkung durch die gewerkschaftliche Organisation hingewiesen. Das hat Marx später gethan, aber im Kommunistischen Manifest hat er darauf nicht das geringste Gewicht gelegt. Er hatte ja auch eine andre Er- klärung; er sagte: Deshalb wird die Arbeiterklasse in der uns nahe bevorstehenden Revolution ihre Ketten zerreißen, denn sie hat nichts zu verlieren. Und das Kommunistische Manifest schließt mit dem Ausblick auf die nahe bevorstehende Revolution im Sinne der Ge- walt. Also, es hat Leute gegeben, die auf diesem Standpunkt standen, und wenn heute noch, wie es Kiesel gethan hat, das Kommunistische Manifest als Norm hingestellt wird, so kann man doch nicht sagen: Was ist das für eine verrückte Auslegung der Verelendungstheorie, die doch niemals ein vernünftiger Mensch gehabt hat! Nein, wenn man seine Meinung ändert, so habe man auch den Mut und die Kraft, zu sagen: Wir haben uns geirrt!(Zuruf: Olle Kamellen!) Ja. gewiß sind das olle Kamellen. Ganz recht, aber Sie hätten diesen Zwischenruf machen sollen, als Kautsky die Frage anschnitt. Diese Auffasiung ist auch keineswegs so abgethan, insbesondere nicht die Auffassung, daß wir vor einer nahen Revolution stehen im Sinne der Geivalt. Ein hervorragender Mitarbeiter der«Neuen