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Nr. 30.

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Vorwärts

8. Jahrg.

Infertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Betttzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Bersammlungs Anzeigen 20 Pfg. Inferate für die nächste Nummer müffen bts 4 Uhr Nachmittags in der Grpedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochentagen bis 1 Uhr Mittags und von 3 bts 7 Uhr Nachmittags, an Sonn- und Fefttagen bis 9 Uhr Vormittags geöffnet.

Fernspredjer: Amt 6, Nr. 4106.

Berliner   Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: Benth- Straße 2.

Herr Adolf Lehr  , der Moralstatistiker.

Stelle:

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I.

Donnerstag, den 5. Februar 1891.

Expedition: Beuth- Straße 3.

D

an Empfehlungen und Beziehungen sicher Stachel reichsamtlicher Erhebungen zu löcken und die That- dem es fachen, die das Reichsamt des Innern mit Hilfe der einzel- nicht gebrach, warum hat er nicht mit Hilfe des staatlichen Regierungen hat ermitteln lassen, von oben Polizeiamts und anderer Behörden die wirthschaft­herab zu behandeln und Herrn von Bötticher mir nichts liche Herkunft der Leipziger Prostituirten untersucht? dir nichts ein Schnippchen zu schlagen. Unsere Leser wissen, Das wäre, ganz gleich, was für ein Resultat zu Tage ge­Dieser Tage ist ein neues Heft des vom Verein für daß die einzige halbwegs brauchbare Reichsenquête, fördert worden wäre, eine verdienstliche Arbeit gewesen, Sozialpolitik veranstalteten Sammelwerks: Die deutsche   die sich auf Arbeiterzustände bezog, die auf einen Reichs- und wenn er nun einmal diese Materie angeschnitten hat, Hausindustrie, erschienen: Die Hausindustrie in der Stadt tags- Beschluß vom 14. Mai 1885 hier veranstaltete konnte er auf diesem Wege positive Thatsachen sicherlich Leipzig   und ihrer Umgebung von Dr. Adolf Lehr. offizielle Untersuchung über die Lage der in der Wäsche- finden. Indeß ganz lassen uns die Moralstatistiker denn Wir behalten uns vor, auf die Schilderung der Leipziger   fabrikation und Konfektionsbranche Deutschlands   beschäf- doch nicht im Stich, und was sie bieten, spricht gegen Heimarbeiterzustände näher einzugehen, eine Schilderung, tigten Arbeiterinnen gewesen ist. Daß Herr Lehr diesen die Ansicht des Herrn Lehr. Es wäre wohl angebracht die dem beschränkten Standpunkt der Unternehmerfreund- Enquêtebericht mit keiner Silbe erwähnt und sich damit gewesen, daß der strebsame Nationalökonom auf die ihm lichkeit gar gewichtige Zugeständnisse" macht. Heute aber begnügt, direkt nur gegen die Gewerbekammer zu Leipzig   wahrscheinlich nicht unbekannten Daten verwiesen, die wir soll uns ein Abschnitt des allgemeinen Theiles beschäftigen, und Dr. Kuno Frankenstein, der bekanntlich aus diesem dem berühmten französischen   Forscher Parent- Duchatelet  in welchem Herr Dr. Lehr die uneheliche Geburten- Ziffer Enquêtebericht geschöpft hat, zu polemisiren, ist recht verdanken. Derselbe führt in seiner Schrift über die Leipzigs   einer eigenartigen Kritik unterzieht, die den charakteristisch für die Sachlichkeit des neuesten Hausindustrie- Pariser Prostitution an, daß von 3084 Dirnen, deren foziale Berufsstellung er genau untersuchte, 1559 Nähte­Stempel der Bourgeoismoral an der kühnen Stirne Schriftstellers. trägt. Die offiziellen Darlegungen, die das Reichsamt des rinnen und Puhmacherinnen, 285 Posamentierarbeiterinnen Im Berichte der Gewerbekammer zu Leipzig  , Jahr- Innern dem 1887er Reichstage zugehen ließ, bestätigen und Haararbeiterinnen, 284 Wäscherinnen und Flickerinnen gang 1888, S. 29, findet sich, wie Lehr anführt, folgende bekanntlich die Thatsache, daß die Prostitution für sich befanden, so daß rund 69 pCt. dieser Prostituirten viele Heimarbeiterinnen ein nothwendig aus der Unter- nachweislich der Hausindustrie angehört hatten. Und Die Lohnfäße mancher weiblicher Arbeiter, z. B. bezahlung sich ergebendes komplementäres Ge- spätere Untersuchungen, von Trébuchet und Poirat- Duval Strickerinnen und Näherinnen, sind in der That so niedrig, werbe ist, d. h. ein zur Ergänzung des Lebensunter- angestellt, gelangten zu dem gleichen Resultat. Da hat daß selbst bei angestrengtester Thätigkeit der Verdienst nicht halts erforderliches Gewerbe. Und Herr Lehr wird Herr Dr. Adolf Lehr Zahlen, freilich Zahlen, die ihm in ausreicht, den dürftigsten Lebensunterhalt davon zu be- vielleicht zugeben, daß die aus amtlichen Quellen von seinen Kram nicht passen. Dafür holt er sich zu seiner Unterstützung Zahlen, ftreiten; namentlich trifft es diejenigen Arbeiterinnen hart, Fachmännern, guten Beobachtern und geschulten Sach­die allein stehen und lediglich auf diesen Verdienst ange- fundigen geschöpften Daten nicht blos auf Meinungen die sozialstatistisch zwar von Interesse sind, aber für seine wiesen find. Diese sind geradezu gezwungen, entweder an und Annahmen" beruhen. Er wird vielleicht ferner zu- Absichten auch gar nichts beweisen. Weil, so schließt er, die Wohlthätigkeit zu appelliren oder andere bedenkliche gestehen, daß bei den Mittheilungen aus den verschiedenen die Betheiligung der Hausindustriellen Arbeiterinnen an der Wege einzuschlagen." Theilen des Reichs nicht von versprengten vereinzelten unehelichen Geburten- Ziffer in Leipzig   eine geringere iſt, als Lehr erklärt nun: In diesen Aeußerungen wird Beobachtungen" die Rede sein kann. Aus Berlin   und bei Hand- und Fabrikarbeiterinnen und gar bei den Dienst­argumentirt: Weil ein Theil der Arbeiterinnen einen zu ge- aus Erfurt  , aus Württemberg  , aus Posen, aus Breslau   mädchen, deshalb sprechen die thatsächlichen Verhältnisse ringen Lohn verdient, darum sind sie genöthigt, sich der liegen erschütternde Berichte vor über das Loos der gegen die vielverbreitete Annahme, daß die Noth, resp. die niedrigen Lohnsätze die industriellen Arbeiterinnen der Pro­Prostitution zu ergeben; ein Beweis aber für diese Folge- in der Hausindustrie beschäftigten Weiber. Ja, diese Noth, diese rung, etwa durch Angabe der Zahl derjenigen Prostituirten, Der Kritiker Lehr verlangt als Beweis für die stitution in die Arme treibe." welche Strickerinnen, Näherinnen und dergleichen zu sein so gut bekundeten Vorgänge zahlenmäßige Angaben über niedrigen Lohnsäge sollen eben an Allem Schuld sein. vorgeben, wird nicht erbracht." Er selbst sei nun in der die Prostituirten, die aus der Hausindustrie hervorgegangen Aber wie Herr von Forckenbeck, der Nothstands- Läugner Lage, auf methodischer statistischer Bearbeitung beruhende sind. Er selber jedoch hat sich dieser Beweisführung ent- und Wadelstrumpf en chef, die Thatsachen mit hof­exakte Angaben" über die Leipziger   Verhältnisse zu machen, schlagen, obgleich er gerade dazu verpflichtet war, den männischer Eleganz ignorirt, so beweist sie uns Herr Lehr welche dieselben in einem etwas anderen Lichte" erscheinen Nachweis für seine Behauptung auf diesem Wege zu radikal, rattenkahl" fort; denn er hat, man vergesse dies ließen. Er stelle fest, daß auch in Leipzig   ein Theil der erbringen. Denn wenn Jemand erklärt:" Ich erkenne nicht, auf methodischer, statistischer Bearbeitung beruhende Hausarbeiterinnen allerdings einen durchaus unzureichenden diese Ansicht nur an, wenn der und der ziffermäßige erafte Angaben." Wie lieblich wird dem argbedrängten Lohn verdient", aber sein Material, die angeblich so Beleg dafür erbracht ist", so hat er, wenn er diese selbe Unternehmerthum, das durch die beschreibende Wirthschafts­eratten Angaben", spreche gegen die oben gekennzeichnete Ansicht thatsächlich widerlegen will, den negativen forschung der Thun  , Say, Schnapper- Arndt u.s.w. bis aufs Blut Auffassung, daß der Nothstand der hausindustriellen Ar- Beweis auf dieselbe Weise zu führen, das heißt durch geärgert ist, die schneidige Logit des Leipziger Wirthschafts­beiterinnen dieselben zur Prostitution treibe. Herbeischaffung von Zahlenmaterial, das, um mit Herrn Historikers" eingehen. Wie sagt doch Onkel Bräsig in Lehr spricht kurzweg davon, daß solche vielfach ge- Lehr zu reden, auf methodischer, statistischer Bearbeitung" feinem geliebten messingschen Deutsch  :" Nachtigall, ich hör' hörte Aeußerungen meist wohl nur auf Meinungen, An- beruht, klipp und klar zu zeigen, daß er Recht hat, nicht dir laufen!" Hören wir also: während der Jahre 1877-86 nahmen oder vereinzelten Beobachtungen beruhen". Es seine Gegner, daß die Zahlen für ihn, nicht für sie sprechen. ist nicht hübsch von solch loyalem Herrn, wider den Warum hat Herr Lehr keine Recherchen angestellt, er, famen in Leipzig   auf 100 uneheliche Mütter:

Feuilleton.

Nachdruck verboten.]

Bei Mama.

Roman von Arne Garborg  .

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nein.

daß er Leibschneiden hatte. Er lächelte und wand sich, Pulver; und dennoch schrie er. Sie bettete die Wiege neu, wand sich und lächelte; hie und da fuhr er mit lautem rüttelte die Kissen weich wie ein Dunennest; Schrei auf, als ob er bös geträumt. Da nußte es nichts, Bereitete eine ganz frische Milch; aber nein. Er schrie. sich niederzulegen; die Wiege mußte die ganze Zeit über in Sie hob ihn auf und trug ihn herum; trug ihn viertel­Gang gehalten werden. Um Mitternacht vermochte Fanny stundenlang auf dem Arm, wiegte, summite, sang, weinte; nicht mehr weiter; sie fiel ins Bett hinein und versant in endlich verfiel er in Dusel; sie versuchte ihn niederzulegen; Schlaf; da fing der Knabe aber sogleich an:" Dah! oah!" doch das weckte ihn wieder auf. Sie vermochte ihn nicht Uf! Sie riß sich aus der Tiefe ihres Schlafes; es schwindelte mehr zu tragen, setzte sich auf einen Stuhl und wiegte ihn Das war ein ewiges Gefrette mit Saugflaschen, mit ihr; sie vermochte kaum sich zu befinnen; endlich kriegte sie im Schooß. Wieder schlummerte er ein; sogleich schlief auch Milch, die gewärmt und gemischt werden sollte, mit Milch, ihm wieder das Saugrohr zwischen die Lippen, legte sich sie und hätte nahezu den kleinen zu Boden fallen lassen. die sauer geworden, mit Mundstücken, die nicht zogen. dann hin und begann zu wiegen. Biss, bsss, bsss, biss..." Ach!... Sie hatte den Auftrag, Lea zu wecken, wenn Manchmal mochte der Kleine die Flasche nicht, wie gut der Die Arme schliefen ihr ein; die Wiege blieb stehen; der etwas geschah; ein paar Mal that sie es. Der Knabe war Inhalt auch bereitet war; da wußte sich Fanny feinen Kleine fing an Da- h! oah!" Sie gab ihm die Flasche; so sonderbar geworden, bläulichblaß und entsetzlich; die Rath. Sie wiegte ihn so, daß er Gehirnerschütterung hätte er wand sich und verlor dieselbe wieder. Da- h! oa- h!!" Augen schielten; sie meinte, es könnten Krämpfe sein. Jedoch friegen können, trug ihn und schautelte ihn, bis sie ihre wieder gab sie sie ihm; nein, nun wollte er sie nicht. Er es war nichts; es war blos Leibschneiden. Wegen dieser Arme spürte. Gott   Vater mochte wissen, was dem Jungen schrie nur. Er krümmte fich in seinem Kissen wie ein Wurm Kleinigkeit hätte sie nicht gebraucht, die Leute in ihrer fehlte. Nach und nach lernte sie, daß es wohl helfen konnte, und schrie. Da half nichts; taumelnd vor Schlaf mußte sie Nachtruhe zu stören. Seither ließ Fanny ihre Schwester Endlich. schlafen, selbst wenn es manchesmal sehr arg schien. Wurde ihm Pulver zu geben, ihm den Bauch mit grünem Del ein aufstehen und ihm eine neue Flasche mischen.-- zuschmieren, ihm die Windeln, die er naß gemacht, gegen Ach Gottlob. Sie wälzte sich über den Bettrand und fiel der Senabe allzu unmöglich, so that sie ihn in die Wiege und ließ ihn schreien. Sie war dann so müde, daß sie Es war ein böser Schlaf, erfüllt von trockene umzutauschen; aber all das war so beschwerlich, in todähnlichen Schlaf. Da- h! oa-- h! oa---5!" Ah! schlief, trotz alledem. daß sie es so lang als möglich unterließ. Als Lea gesund wurde, kam sie oft ins Kinderzimmer. War der Knabe Gott   schüße uns! Was gabs denn wieder! Uf, das war Gewissensbissen und schweißtreibenden Träumen; jedoch sie Gegen Morgen schwieg der Junge ein paar Stun brav, so spielte sie mit ihm und liebkoste ihn, war er fein Schreien; das war Stöhnen, häßliches, langes, heiseres schlief. schlimm, so schalt sie Fanny aus. Sie lernte gleichfalls ihn Stöhnen, tief aus dem Bauch herauf gepreßt; es durchsägte den, so daß Fanny sich doch ein bischen erholte; allein um Wenn sie Abends nicht zu müde war, kleidete sie ihr Mark und Bein, arbeitete sich wie mit stumpfen Messern fünf Uhr war es vorbei; da mußte sie aufstehen, ob sie nun ihn selbst um; er schrie, aber sie hielt es aus, oft mehr als durch ihre Nerven; sie jammerte, knirschte mit den Zähnen, pfiff oder sang; ach sie haßte den Buben, daß sie ihn hätte eine halbe Stunde lang. Es erschien ihr unfaßbar, daß weinte; Gott, was das nur schon wieder war. Es war crdrosseln mögen. Am Vormittag, da schlief der Junge; da war es, Mütter ihre Kleinen der Hand unfundiger Kindermädchen rein zum Verzweifeln mit ihm. Er schrie, bis er blau überlassen mochten; sie wäre nie im Stande gewesen, ruhig wurde, und schwißte, daß es ihm von der Stirn perlte. Sie als sei alles gut. Allein da mußte Fanny' die Zeit aus nahm ihn empor und wickelte ihn auf. Kleidete ihn aus, nützen und dem Knaben die Wäsche waschen. Lea saß zu sein, wenn sie ihre Mutterpflichten nicht erfüllt hatte.

warten.

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Am schlimmsten war der Knabe des Nachts. Es begann wusch ihm die wunden Stellen, streute mit Wurnmehl, einstweilen in der Kinderkammer und war Mutter. Wenn gewöhnlich, indem er im Schlafe lächelte; da wußte Fanny, rieb mit Del ein; dann wechselte sie die Wäsche und gab ihm er aufwachte, war er heiter und vergnügt." Tututu, kleiner