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Nr. 75.

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Vorwärts

Berliner Volksblaff.

19. Jahrg.

te Insertions- Gebaye beträgt für die fechsgespaltene Kolonel. geile oder deren Raum 40 Pfg., für politische und gewerkschaftliche Vereins­und Versammlungs- Anzeigen 20 fg. Kleine Anzeigen" jedes Wort 5 Pfg. ( nur das erste Wort fett). Inserate für bie nächste Nummer müssen bis 4 Uhr nachmittags in derExpedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr abends, an Sonn- und Festtagen bis 8 Uhr vormittags geöffnet

Telegramm Adresse: Socialdemokrat Berlin

Centralorgan der socialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2. Fernsprecher: Amt I, Nr. 1508.

Der Feiertage wegen erscheint nächste Nummer des ,, Vorwärts" Mittwochmorgen.

Neue Ostern.

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Sonntag, den 30. März 1902.

Expedition: SW. 19, Bently- Straße 3. Fernsprecher: Amt I, Nr. 5121.

Weil den Frommen der bürgerlichen Welt aber nichts so fremd tampfe weckten und führt. Er selbst ging stolzen Mutes durch eine faustischen Sinn des Osterjubels, den revolutionären Befreiungsdrang, und ungebeugt von harten Schlägen, den trozigen Leidensweg gen

die iſt, wie der Baffionsgebante, barum fühlen fie auch nicht den Welt von Feinden und Verfolgungen, ungeschreckt von Gefahren am ber alle Kerkergitter und Grabesmmautern sprengt! Ihre Lippen Ostern. Eine helle, junge, stürmische und wahrhaftige Oſterſtimmung

Tallen unempfundene Worte, ihr Kopf ist voll von nicht ausgedachten webt um das. Stück Erde, in dem er ruht. Er hat uns die Zu­Begriffen. Weil sie nicht leiden, darum ist ihnen auch die Befreiung versicht ofterlicher Erfüllung und den Mut, sie zu erringen, gelehrt nichts. es ist ein reiner und sinnvoller Festdienst, wenn diese Ostern ihm huldigen.

Es ist darum kein Zufall, daß das Proletariat, dem das Glück einer einheitlichen Weltanschauung beschieden ist, ein feineres Empfinden für den Gehalt der christlichen" Feste hat, obwohl es la Politische Uebersicht. Alljährlich wird in der Berliner Singakademie am Karfreitag dem alten dogmatischen Glauben entwachsen ist, als die lauten und Bachs Matthäus- Passion aufgeführt. Damen und Herren vom Hofe aufdringlichen Bekenner der herrschenden Kirchlichkeit. Die Ungläubigen Berlin, den 29. März. erscheinen in der Loge. Der Dirigent besteigt nicht früher das werden so zu den ehrlichen Trägern der religiösen Gedanken. Die Ministerzufammenkunft in Venedig giebt den Zeitungen Podium, bis die hohen Herrschaften zur Stelle sind, auch wenn er Denn das Proletariat selbst geht den Passionsweg in diesen stillen Tagen Stoff zu allerlei Mutmaßungen und diplo­den programmgemäßen Anfang um eine Viertelstunde verzögern zur Erlösung! matisierendem Schwaz . Thatsächlich weiß niemand sicher, was Graf muß. Erscheinen diese Gäste, dann verbeugt sich der Dirigent Freilich es ist ein neuer Passionsgedanke und ein neuer Oster- Bülow mit Herrn Prinetti, dem italienischen Minister der respektvoll nach der Loge hin und hebt den Taktstock. Die Paffion glauben, der im Socialismus lebt. Das war die gefährlichste Tendenz auswärtigen Angelegenheiten, zu besprechen hat. Fest steht allein, beginnt. Das Bublifum aber schaut tief ergriffen nach der Hof- des Christentums, daß es in Wüsten floh, weltabgewandt, zerknirscht, daß die beiden Herren sich gegenseitig zum Frühstück beziehentlich loge, raunt sich die Namen der Erlauchten in die Ohren, und in demütig, daß es die Idee der strengen, kämpfenden Gerechtigkeit in das zum Diner eingeladen haben, welches Frühstück und welches Diner der Pause zwischen den beiden Teilen des heiligen Werkes unklare, verwirrende und mißbrauchte Gefühl des liebeseligen Mit- sehr glänzend gewesen sein sollen. Es ist aber auch sehr gafft es unablässig, mit Operngläsern bewehrt, zu der Hof- leids erweichte; fo schmiedete sich die Kirche ihr wirksamstes geistiges überflüssig, sich den Kopf zu zerbrechen, welches der etwaige Toge empor. Das Interesse an dem lebendigen Prunk weltlicher Bändigungs- und Unterjochungsmittel für die Massen. Der Herr, politische Sinn und Erfolg der Zusammenkunft. gewefen Majestät überwiegt bei weitem die Hingebung an die dieser Gesell- der zum se ne cht sprach:" Liebe Deinen Nächsten", fonnte bequemer sein mag. Neues wird sich nicht zugetragen haben. Graf Bülow schaft innerlich weltenferne Leidenstragödie des Märtyrers des die Geißel schwingen; dieser christliche Sklave war leichter auszubenten wird den Italienern wiederholt haben, daß sie ihre Extratour mit jüdischen Proletariats, selbst wenn sie erscheint in der Kunst des als der Sklave, den man im Namen der Gerechtigkeit belehrie, Frankreich getrost fortsetzen dürfen, für welche gütige Gewährung größten, vielleicht des einzigen Meisters, den der reine, ideal ge- daß es es sein Recht sei, ein Auge zu fordern, wenn ihm Herr Prinetti die Treue Italiens im Dreibund neubekräftigte. dachte Protestantismus hervorgebracht hat. In Bachs Passion ist der Herr gewaltthätig das seine ausgestoßen. Dieses Unter- Weiter werden sich die Herren über die Handelspolitik nichts von der bunten katholisierenden Weltlichkeit. Streng und ernst gehen in unterwürfige, still leidende Liebe, dieses Dulden zwischen den beiden Staaten unterhalten haben und Graf Bülow streben ihre Pfeiler in einen vergeistigten Himmel. Kein üppiges des Uebels, wie es heute noch schlimm verführend, wenn auch in wird gesagt haben, daß er trotz der preußischen Agrarier den Abschluß äußerliches Schivelgen in Blut und Wunden, keine ekstatische reinster Absicht Tolstoj predigt, war in der That eine Sklavenmoral, eines neuen Handelsvertrages mit allem Eifer wünsche. Nach solchen Schwärmerei, und wo sich die Schivere eines erhabenen Menschen- aber nicht eine Moral zu Gunsten der Sklaven, wie ein krauser Mode- gewichtigen Leistungen wird niemand dem Herrn Reichskanzler einige schicksals in die weiche Junigkeit des Schmerzes auflöst, auch dort philosoph der Welt einzureden suchte, sondern eine Herrenmoral gegen Tage ofterlicher Erholung im schönen Benedig mißgönnen.- fein greller, wühlender Ueberschwang des Gefühls; diese weinenden Sklaven. Das Christentum in seinem firchlichen Gebrauch wurde zu Augen verbergen ihre Thränen. einer Rechtsentäußerung der unterdrückten Klassen. Die Passion weckte nicht die Auferstehung, sondern sie ward nur eine Vorbereitung. um Ostern im Jenseits zu erhoffen.

wird.

Lehrer als konservative Zwangsagitatoren. Es giebt keine eblere Verklärung des Passionsgedankens, der zur Aus Ostpreußen wird uns geschrieben: Auferstehung der Ostern führt, als Bachs Matthäus- Passion . Und Neue Aufgaben für die Lehrer haben die Konservativen in Ost doch vermag die Allgewalt dieser feierlichen Kunst die Hörer nicht Das Proletariat aber trägt nicht in Demut sein Streuz. Es preußen herausgefunden. Es genügt ihnen nicht, daß die Landlehrer derart in Besitz zu nehmen, daß ihre neugierige Teilnahme an dem schreitet nicht gebeugt den Passionsweg. Es hat das Leiden als Kolporteure mit agrarischen Kalendern, Abonnentensammler für fon-, Sein und Gehaben höfifcher Personen nur im mindesten vermindert einen Mißbrauch menschlicher Gewalt erkannt, und es erkämpft fervativ- muderische Blätter, in denen die Socialdemokratie vernichtet trogig sein Osterrecht. Die Pein des gefesselten Prometheus treibt wird, Wahlmacher usw. sind. Die Lehrer sollen dafür Sorge tragen, Es scheint uns, als ob in diefem kleinen Bug sich die ganze Zwei- es, und in der Osternacht reißen seine Ketten. Nicht das zerknirschte daß in die tonservative Parteitasse, an welche die Agitation gegen deutigkeit und Univahrhaftigkeit unsrer bürgerlichen religiösen Kultur Leiden- Müssen ist der Gedanke der neuen Passion, sondern das freie die Socialdemokratie so hohe Anforderungen stellt, daß Ebbe ein­offenbart, die auf einem widerspruchsvollen Doppelleben ruht. Im Nicht Leiden Sollen. Und nicht das Wunder läßt Ostern erstehen, getreten ist, neue Mittel fließen. Grunde haftet ihre Religiofität an der Oberfläche, sofern sie nichts sondern die bewußte Arbeit. Im Kreise Na gnit, den Graf Kanit vertritt, sind die Kons Schlimmeres ist, und ihre religiösen Feste haben für sie gar keinen Dergestalt ist unser Paffions- und Osterngedanken in Weg und fervativen besonders rührig, weil sie den Streis für sehr gefährdet, Sinn. Wie sollten sie auch aufrichtig von dem Leiden eines Menschen Ziel durchaus gegensätzlich zu jener Mystik, die von der Kirche durch die Socialdemokratie halten. Dort find die Lehrer im ergriffen werden, der für eine Idee in den Tod ging, die nicht mit gelehrt wird. Gleichwohl bildet die Idee der Wandlung der Februar dieses Jahres durch ein Schreiben beglückt worden, das dem Interesse der Herrschenden verknüpft war. Einen Hochverräter Karfreitags - Trauer in die Osterfreude und die Forderung der zu jetzt der" Tilfiter Allg. 8tg." zugestellt ist. Dasselbe hat folgenden und Voltsaufwiegler traf die gesetzliche Strafe und unfre bürgerliche jedem Opfer bereiten idealistischen Hingebung an die große Sache Inhalt: Gesellschaft, diese realpolitische, gelderwerbende Gesellschaft, die jedes eine Berührung mit der alten Legende, die das Proletariat befähigt, fittliche Princip aus dem Kalkül ihres politischen Getriebes beseitigt hat, tiefer den Gehalt dieser Festzeit zu verstehen als ihre Prediger selbst. sollte in echter religiöser Inbrunst von dem Geschick dieses Märtyrers Am Ostermorgen wird die Hülle vom Gedenkstein unsres Wilhelm gerührt werden! Diese Leute sollten vor der todesmutigen Ueber- Liebknecht fallen, der nach der Rechnung dieses Jahres- zeugung in Ehrfurcht knien, sie, die heute mehr denn je zuvor der zwischen Karfreitag und Ostern geboren ward. In ihm verehren Obrigkeit die maßgebende Nichtung.grer Meinungen überlaffen! wir einen Nepräsentanten jenes modernen Befreiungsgeistes, der Sie sollten staatsgefährlichem, revolutionärem Thun fanatisch Vor- aufrecht und tapfer auf dieser schönen reichen Erde stehend und schub leisten ach nein: man gafft nach der Hofloge! schreitend unverzagt das martervoll leidende Proletariat zum Oster­

An den Alten.

Eine Epistel in gereimter Brosa.

Ein Denkmal weiht man Dir aus Stein und Erz, Ein kühner Wurf: Der Arbeit Sohn, vom Schmerz Sich stolz erlösend, reicht der Wissenschaft Getrost die Rechte, um in Werbekraft Dem hehren Weib verbündet eine Welt Nach Deinem Bilde kämpfend zu gewinnen, Nach Deinem Bild ein Dasein zu beginnen, Das ihn in Freiheit auf sich selber stellt.

Das Werk ist schön; des Künstlers Genius , Ich will ihn wahrlich nicht vermessen schelten. In Ehrfurcht laß' ich seine Schöpfung gelten, Und dennoch komm' ich zu dem leid'gen Schluß: Dies Denkmal, als ein künstlerisch Gedicht Wird's wirken, doch mein Denkmal ist es nicht.

Es zeigt Dich, Alter, wie Du Deine Kraft In großen Zügen haft der Welt geweiht. Du blickst, gewappnet mit der Wissenschaft Hin auf Dein Volt, Du siehst es kampfbereit An Deinen Lippen hängen: Und Dein Wort Weiß Herzen zu entzünden sonder Zahl, Der Rede Wucht reißt die Gemüter fort, Die eh'dem in Verzweiflung dumpf befangen, Die Du erlöset aus der Knechtschaft Qual, Die Du gelehrt, zur Freiheit zu gelangen.

Das Bild in Erz geformt von Künstlerhand, Es zeigt als Herrscher Dich im Reich der Geister; Nicht nur gebunden an Dein deutsches Land, Nicht nur allein der deutschen Sprache Meister, So lehrt es, ward Dir Englands Proletar, Ward Frankreichs Blusenmann Dir zum Verehrer Doch bliebst uns Deutschen Du der stärkste Mehrer Des Reichs der Freiheit, weil im grauen Haar Du hier für sie im Kerker hast gelitten, Wie Du für sie als Jüngling hast gestritten Auf Deutschlands Flur im Völkerfrühlingsjahr.

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Das alles lehrt das Bild auf Deiner Gruft, Doch gab es damit Dich schon ganz mir wieder?- O, nein, so wenig wie der Rose Duft Und wie der Lerche frühlingsfrohe Lieder Zu meißeln sind, so hält des Künstlers Hand, So hält sein Sinn in diesem Bild umspannt Die lieben Züge Deiner Menschlichkeit, So wie sie mir intim sich offenbarten, Wie sie, ob scheinbar oft in Widerstreit, So doch in reicher Harmonie sich paarten. Es war nicht immer der Kothurn, worauf Du durch die weiten Lande bist geschritten, Des Rheinstroms Reben hemmten Deinen Lauf Das Testament" im Nebelheim der Briten Und wenn Dich heimwärts Deine Umsicht rief, Um hier die Ordnung wieder herzustellen, Die von uns bösen, windigen Gesellen Berachtet wird so manches stand da schief Dann ging's nicht ohne Zank und Hader ab, Dann gingen Koboldgeister ans Rumoren, Und ich gesteh', zu jenen schlimmen Thoren, An denen Malz und Hopfen schien verloren, Gehör auch ich... Du grollst mir nicht im Grab.

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Der Delegierte des Ostpreußischen fonservativen Vereins.

Althof- Nagnit, Februar 1902.

Die stetig anwachsende Agitation der Socialdemokraten und die herannahende Reichstagswahl nötigen dazu, der konservativen Parteitasse Mittel zuzuführen, um wirksame Gegenmaßregeln ergreifen zu können. Die Verteilung von Kalendern und die Bera breitung andrer guter Volksschriften verursachen fortgesetzte Aus­lagen, für welche ebenfalls Deckung beschafft werden muß.

Doch solch' ein leidiger Gewitterschauer Zog bald an Deinem Sonnengeist vorüber, Er trennte immer nur auf kurze Dauer Von Deinen Kindern Dich, und sieh', je trüber Der Werfeltag gewesen, um so mehr Stand auf die Festtagsfreude Dein Begehr.

Das war ein wundervoll, ein froh Beginnen, Wenn Du, zur glückgeweihten Feierstunde Uns für die Schönheit wußtest zu gewinnen, Mit Zauberkraft entströmt' es Deinem Munde- Und es entstand ein buntes Märchenreich Aus holder Kinderphantasie geboren, Da wanden Blumen sich um jeden gleich, Den Du zu solcher Gasterei erkoren. Es that sich auf ein weiter Palmenhain, Es sprühten Wunderflammen, Wunderlieder Und Sie erschien, allein vom Sternenschein Der Tropennacht verhüllt die weißen Glieder...

Fast scheint mir's sträfliche Vermessenheit, Daß ich der Schönheit jetzt den Schleier lüfte; Es wäre anders wohl Gelegenheit

Als hier zur Weihestund' im Reich der Grüfte. Doch laß mich, Alter, immerhin enthüllen, Fast glaub' ich Deinen Willen zu erfüllen, Wenn ich ein Schalt zum Fabeln froh bereit Des Denkmals Sinn nach meinem Sinn ergänze, Nach meinem Sinn Dein liebes Haupt bekränze. Du läßt ja gern die Phantasie sich tollen- Und auch der Künstler wird gewiß nicht grollen! W. S.