Einzelbild herunterladen
 

Nr. 73.

Erscheint täglich außer Montags. Abonnements Preis für Berlin : Bierteljährlich 3,30 Mt., monatlich 1,10 mt, wöchentlich 28 Pfg. frei in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags- Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30 Mt.pro Quartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Desterreich­Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mr.pr.Monat. Gingetr. in der Post- Zeitungs- Preisliste für 1892 unter Nr. 6652.

9. Jahrg.

Vorwärts M

Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren­Raum 40 Pig., für Vereins- und Versammlungs- Anzeigen 20 Pfg Inserate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Erpedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonn­und Festtagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet. fern( pred- Anschluß: Amt I, Nr. 4186.

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: Beuth- Straße 2.

Noblesse oblige.

Das heißt zu deutsch : Adel verpflichtet. Wenn man unter diesem Spruche verstehen will, daß Adel seinem Träger Pflichten auferlegt, so widerspricht dem die Geschichte aller Beiten und Völker. Der Spruch hat nicht mehr Bedeutung als die Devisen auf den Wappenschildern. Der Spruch hat richtiger den Sinn, daß der Adel alle Anderen außer seinem Träger verpflichtet. Frei von den Lasten des Staates zu sein betrachtete der Adel als sein edelstes Vorrecht, und dazu beanspruchte er noch aus den Fleischtöpfen des Staates die besten Brocken für sich.

Sonnabend, den 26. März 1892.

Expedition: Beuth- Straße 3.

glaubte seinen Thron um so höher zu stellen, wenn er den Wir würden e3 für das höchste Unrecht halten, jenen Standesherren eine recht hohe Stellung über das Volk ge- Reichsten der Reichen dafür, daß sie so viele Jahre hindurch währte. Von demselben Dünkel war sein Nachfolger, von den Lasten verschont waren, welche die Aermist en im Friedrich Wilhelm IV. beseelt. Die Gesetzgebung von 1848 Wolfe zu tragen haben, noch Entschädigungen zu zahlen. und 1849 beseitigte zwar die Steuerfreiheit der Standes- Als ob nicht Jene dem Volke schadenersaßpflichtig wären herren, aber der auf Grund eines durch Staatsstreich ge- für ihr gemeinschädliches Privileg! schaffenen Wahlrechts gebildete Landtag stellte die Steuer­freiheit wieder her.

-

-

Dem kleinen Refte der Feudalherren gegenüber stellt sich der Staat als Gleichberechtigten und Nebengeordneten, verhandelt und paktirt mit ihnen und läßt sich auch noch von ihnen Trotz bieten. Und das 103 Jahre nach der großen französischen Revolution!

Und glaubt man, der abgefundene Standesherr wäre auch genöthigt, wirklich seine Steuern zu zahlen? Wenn es ihm beliebt, säckelt er seine Entschädigung ein, verlegt seinen Wohnfig ins Steuer Ausland, nach Bayern , Elsaß­Lothringen, so ist er jeder Verpflichtung ledig. Er hat sein Geld, der Staat bekommt keine Einkommensteuer.

=

Es kamen die neuen Umwälzungen im deutschen Staats­leben, die Bildung des Deutschen Reichs . Die Wogen der nationalen" Begeisterung steigerten sich zu einem förmlichen Rausch; die Standesherren blieben hübsch nüchtern. Da Erst die große französische Revolution, welche die Herr- war nichts von jener Begeisterung, welche den französischen schaft der Bourgeoisie begründete, brachte die Privilegien Adel in der Nacht vom 14. August 1789 antrieb, alle seine des Adels zu Falle. In Deutschland ist dies nur theilweise Privilegien die freilich dem Revolutionssturm nicht lange gelungen; die Bourgeoisie im Kampfe um die Macht blieb widerstanden hätten als Opfergabe anzubieten, obwohl auf der Hälfte des Weges stehen und half in der Furcht gerade die kleinen deutschen Herren allen Anlaß hatten, ihr Nicht genug, daß das Deutsche Reich in 26 Staaten vor dem emporstrebenden Proletariat Die Reste des Steuerprivileg aufzugeben, um die wenig rühmliche Rolle, Feudalismus stüßen, um sich mit ihm zu verbinden. In die ihre Namen in der Geschichte der deutschen Zersplitterung gespalten ist, haben wir in diesen noch die vorerwähnten petits Preußen, das vorzugsweise Militär- und Beamten staat, ist und Schande spielten, vergessen zu machen. Eher hätte seigneurs( fleine Herren) mit ihrem Hofstaat und ihrem Dünkel und einer geradezu deutschen Vornehmheit des trotz aller politischer Umwandlungen der Adel noch heute Shylock seinen Schein, als sie ihr Privileg geopfert. eine privilegirte Macht; ein Blick auf die militärische und Ein Recht", von den allgemeinen staatsbürgerlichen Adels. Der englische und der französische hohe Adel sind zu zivile Rangliste zeigt dies.. Die höchsten militärischen Pflichten dispensirt zu werden, haben die Standesherren stolz, um Steuerbefreiung zu beanspruchen; der deutsche Würden gehören fast ausschließlich dem Adel, vor nicht. Jm modernen Staate beruhen die allgemeinen Adel schämt sich nicht, den Adel zu benutzen, um Geld­wiegend auch die höchsten Verwaltungsstellen im Zivil, bürgerlichen Pflichten und Rechte nur auf allgemeiner staats- vortheile zu behaupten. Sein Stolz ist, nicht zu zahlen, dienst. gesetzlicher Grundlage und können nicht durch Privat- und weil er nicht zahlt, wo Alle zu zahlen verpflichtet Die Steuerfreiheit des Adels ist zwar im allgemeinen verträge erworben oder verloren werden. Die Gesetzgebung sind, glaubt er erst recht ein Recht zu haben, sich über das gefallen, aber fonservirt ist sie bis zum heutigen Tag für die hat auch nicht Anstoß genommen, auf anderen Gebieten, Bürgerthum zu erheben, das freilich zu bedientenmäßig ist, Standesherren und deren Familien. Als Standesherren werden der verbrieften Rechte" ungeachtet, die allgemeinen Bürger- um diesen Uebermuth zu beugen. die im Jahr 1806 und später mediatisirten Fürsten und pflichten zur Geltung zu bringen. Die Militärfreiheit der Herren angesehen, die damals ihre Reichsummittelbarkeit Mennoniten beruhte jedenfalls auf festerem Rechtsboden, als der Steuerfreiheit einbüßten und unter die Landeshoheit anderer Fürsten die ehemaligen Reichsunmittel tamen. Napoleon war es, der besonders unter diesen baren, aber sie mußte der allgemeinen Wehrpflicht fleinen Fürsten aufräumte und deren Ländchen meistens den weichen. Die preußische Regierung selbst, als sie das Ein­ihm verbündeten anderen deutschen Fürsten schenkte oder kommensteuer- Gesetz vom 24. Juni 1891 einbrachte, glaubte im Austausch gegen andere Gebietsabtretungen gab. Der so wenig an ein Recht" der Standesherren auf Steuer­

Politische Uebersicht.

Berlin , den 25. März.

größte Theil der deutschen Fürsten waren die feilsten freiheit, daß sie dieselbe in ihrer Vorlage geradezu beseitigen Neue Laste. Ein am 25. d. M. veröffentlichter Ver­Speichellecker und Lakaien Napoleon's , der ihnen übrigens wollte, und nur die Mehrheit des Abgeordnetenhauses, die trag zwischen Preußen und Bremen wegen des Hafenlands seine Verachtung nicht verhehlte. Bei dem Sturze Na Kartellparteien, setzte es durch, daß die Aufhebung der in Bremerhaven enthält die Verpflichtung für Bremen , für poleon's und der Neuordnung Deutschlands büßten noch Steuerfreiheit von einem besonderen Gesetz der Ent- bie Reichsmarine die Schleusentiefe der Hafeneinfahrt von einige weitere kleine Fürsten, die durch die Gnade Na- schädigung der Standesherren abhängig gemacht wurde. fechseinhalb auf sieben Meter zu erhöhen, ferner ein großes poleon's noch ihre Souveränetät behalten hatten, diese ein. Die Regierung trat darauf mit diesen in Verhandlungen massives Trockendock für die größten Kriegsschiffe zu bauen. Die deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815 be- und bot ihnen den 13/3 fachen Betrag der Steuer, die sie Die Mehrkosten von etwa zwei Millionen Mark trägt das stimmte betreffs der Standesherren: von Rechtswegen zahlen mußten, als Entschädigung an; Reich. Die Genehmigung des Reichstags bleibt vorbehalten. " Sind die Häupter dieser Häuser die ersten Standesherren die Herren aber weigerten sich, theils sich überhaupt in Die herrliche Kriegsflotte wird immer kostspieliger, die An­in dem Staate, zu dem sie gehören. Sie und ihre Familien Verhandlungen einzulassen, theils verlangten sie Ent- sprüche des Marinebudgets wachsen in's Ungeheuerliche. bilden die privilegirteste Klasse in demselben, insbesondere in schädigungen bis zum 20- und 25 fachen Betrag der Jahres­Ansehung der Besteuerung." steuer. Auch ein Beitrag zur Bergwerks Novelle. Die Jetzt hat mun die Regierung im preußischen Landtag Harpener Bergwerks Gesellschaft hat im Februar 1892 einen Gesezentwurf, betreffend die Aufhebung der Be- einen Betriebsgewinn von ca. 615 000 m. erzielt. Das von ordentlichen Personalsteuern gegen Ent- Ergebniß nennen die Handelsblätter ,, überraschend", nachdem freiung von ordentlichen Personalsteuern der Gewinn in Kreisen der Verwaltung auf nur 400 000 m. schädigung, eingebracht. Als Entschädigung soll gelten der 13/3 fache Betrag veranschlagt worden war. Der Februar Gewinn hält sich der für das Jahr 1892/93 rechtskräftig veranlagten Ein­fommensteuer; die auszuzahlende Summe wird in den Motiven auf rund drei Millionen veranschlagt.

Von Steuerfreiheit ist hier nicht die Rede. In Preußen gewährte ihnen jedoch das Edikt vom 21. Juni 1815 die selbe. Nach den sogenannten Freiheitskriegen" hatten die Regierungen, vor allem die preußische vor nichts mehr Scheu als vor dem Volk. Dem König Friedrich Wilhelm III. war die Erhebung gegen Napoleon vom Volte aufgedrängt worden, und nichts war diesem engherzigen, fleinlichen Fürsten verhaßter, als jede selbstthätige Volksregung. Er

Feuilleton.

Nachbruck verboten.]

Am Webstuhl der Zeit.

( 73

Beitgenössischer Roman in 3 Büchern von A. Otto Walster .

Damit lief das brave Mädchen nach der einen Seite des Zimmers, schlug die Atlastapete zurück und befand sich einer kleinen Thür gegenüber, die sie zu öffnen im Begriffe stand, als diese sich mit einem Male wie von selbst öffnete. Sie stieß einen Schrei des Schreckens aus und wich einige Schritte zurück.

Aus dem Dunkel des äußeren Raumes trat die hohe Gestalt eines Mannes.

Es war Howald, der finstern Gefichts und schweigend herein und auf sie zutrat.

"

" Du hier, Veronica?" rief er mit strengem Tone. Was habe ich Dir heute Abend gesagt?"

Das Mädchen wich seinen Blicke aus und murmelte einige unverständliche Worte. Sie zog sich nach dem Orte zurück, wo ihr der Mantel entfallen, der allein ihre Gestalt verhüllt hatte, und schlug ihn um die Schultern.

" Was machst Du hier, entgegen meinen Befehlen?" fragte Howald von Neuem, indem er den starren Blick auf ihr ruhen ließ.

Ich mußte zu ihr," stammelte sie verlegen. " Du mußteft zu ihr? Warum mußtest Du zu ihr? Gieb Antwort!"

" Ich weiß nicht, ein innerer Drang, ich mußte zu ihr." " Du bist eifersüchtig?"

Ein verächtliches Lächeln trat auf die Lippen des Mädchens, indem es erwiderte:

"

" Eifersüchtig, ich eifersüchtig? Nach diesem Abend?" Du bist es, lengne nicht. Aber Deine Furcht ist unbegründet. Ich liebe sie nicht, aber ich brauche sie, weil sie reich ist."

Du

Reich? Sie ist reich? Sehr reich?" " Sie ist die Tochter eines reichen Fabrikanten; siehst nicht die kostbare Perlenkette, Armspangen und Ringe?" Es ist ja wahr, sie ist reich, sie ist eine Fabrikanten­tochter. D, dann fann es mir doch ganz gleichgiltig sein, will ich getrost gehen. Viel Vergnügen mit ihr! Ich bin nicht eifersüchtig; nein, gar nicht eifersüchtig."

da

"

Die mitleidigen Blicke, mit denen sie das Opfer betrachtet hatte, verwandelten sich in ein höhnisches Lächeln, als sie an bem Mädchen vorbei nach der Thür schritt. Dort aber blieb fie einen Augenblick stehen; Howald konnte es ihr anmerken, daß sie innerlich einen Rampf zu bestehen hatte; er beobs achtete sie mit finsterer Miene und wollte sie eben mit einer harten Weisung vollends verscheuchen, als sie mit einem Sprunge wieder an die Seite der Schlummernden eilte, dort niederkniete, die herabhängende Hand von Neuem küßte und unter Thränen rief:" Nein, aber Du bist wirklich gut, Du bist gut, man sieht Dir's an, Du bist nicht wie die Anderen, die auf die Armen treten. Ich kann Dich nicht verlassen, ich muß Dir beistehen in Deiner schrecklichsten Stunde; Du würdest es auch gethan haben, mir sagt's mein Herz."

Wird die Komödie nun aufhören?" rief Howald er

grimmt.

=

annähernd auf dem Januar Niveau, welcher Monat 675 000 M. ergeben hatte. Für die ersten 8 Monate des laufenden Geschäftsjahres stellte sich der Gewinn auf zirka

Das Mädchen rührte sich nicht.

Soll ich Dich mit Gewalt hinausbringen, Veronika? Du kennst mich!" begann er von Neuem und faßte die Widerspenstige so rauh am Arme, daß sie aufschrie.

Laß mich, Ungeheuer, ich will nicht, hörst Du? Ich will nicht, daß Du Diese mordest, wie Du mich gemordet hast. Ich schreie, daß die Mauern zittern, wenn Du mich nicht losläßt."

" Wahnsinniges Frauenzimmer, ich vernichte Dich, wenn Du noch einmal schreift! Romm', sage ich Dir, und sei verdammt, wenn Du nicht gehorchst wie ein Hund!"

Mit beiden Händen versuchte Howald nunmehr die Widerstrebende von dem Divan loszuringen, an den sie sich unter lauten Hilferufen antlammerte. Bei diesem Schreien erhob sich die Schlummernde auf ihrem Lager, strich die schlaffen Locken aus dem Gesichte und machte die äußersten Anstrengungen, um das fliehende Bewußtsein festzuhalten. Howald sah es, seine Wuth erreichte den Gipfelpunkt, das Blut schoß ihm stromweise nach dem Gesichte, die Stirn­adern schwollen mächtig an, und Schaum trat ihm vor den Mund. Da nimm und sei verdammt!" rief er mit heiserer Seine Rechte ließ die Unglückliche los, welche im nächsten Augenblicke, von seiner Faust getroffen, mit einem dumpfen Schrei bewußtlos zusammenfant.

"

Stimme.

Diese fürchterliche Szene blieb nicht ohne Zeugen; mit einem Krach ging die Thüre auf, der seidene Vorhang riß an einer Stelle in Stücke und, Einer hinter dem Anderen traten Noack, Wießner und Lange auf den Schauplatz de eben geschehenen barbarischen That,