Nr. 74.
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9. Jahrg.
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Redaktion: Beuth- Straße 2.
Die
Schaffenkommission.
Das dem Reichstage zugegangene Regulativ für die Errichtung einer Kommission für Arbeiterstatistik hat folgenden Wortlaut:
§ 1. Zur Mitwirkung bei den statistischen Erhebungen, welche bei der Vorbereitung und Ausführung der die Verhältnisse der gewerblichen Arbeiter( Titel VII der Gewerbeordnung) betreffenden Gesetzgebung erforderlich werden, wird eine Kommission für Arbeiterstatistik errichtet.
2. Die Kommission besteht aus einem Vorsitzenden und zwölf Mitgliedern. Der Vorsitzende wird vom Reichskanzler ernannt. Von den Mitgliedern werden fünf vom Bundesrath und sechs vom Reichstag gewählt, ein Mitglied ernennt der Reichsfangler aus den Beamten des kaiserlichen Statistischen Amts.
Sonntag, den 27. März 1892.
schüsse Vertreter zu entfenden, welche jeder Zeit gehört werden müffen.
Buchstäblich hat sich erfüllt, was wir beim Bekanntwerden der ersten Nachrichten über die Kommission voraus gesagt haben( Nr. 44 vom 21. Februar):
Expedition: Beuth- Straße 3.
In allen Fragen, in welchen das kapitalistische Juteresse mit dem proletarischen Interesse in Widerstreit geräth und die soziale Statistik ist oder soll sein das Spiegelbild d. Vorgänge des Wirthschaftslebens, der Auseinanderjehung zwischen Kapital und Arbeit- in allen diesen Fragen wird das Zünglein der Waage sich zu Gunsten des Kapitalismus neigen. Trotz aller Schönreduerei ist es flipp und klar, daß die Bourgeoisie auch in dieser Kommission vor allem nur ihre Geschäfte besorgen wird.
Wenn sich der Gesezentwurf in dieser Bahnen bewegt, dann wird das ganze Unternehmen für die Erkenntniß der gefellschaftlichen Zustände noch unbrauchbarer werden, als wir von Anfang an vorausgesetzt haben. Bureaukratische Schablonenmacherei, Enge des Wirkungsgebietes, Mangel an ausreichenden Machtvollkommenheiten, Befangenheit zahlreicher Mit- Doch diese Thatsache einmal bei Seite gesetzt, welche glieder, Vorherrschen der Regierungs- und Unternehmerinter- Funktionen sind der Kommission zugedacht, welche Volleffen: furz eine tlaffenstaatliche Einrichtung, welche die Sozial- machten ihr zugebilligt? Sie ist das vollziehende Organ politit nicht fördern, sondern hemmen wird. Anstatt eine der Regierung, fie hat auf deren Anordnung hin„ die. Borftändige Institution nach Art der nordamerikanischen Bureausnahme statistischer Erhebungen, ihre Durchführung und für Arbeitsstatistit zu schaffen, wird man die sozialstatistische Verarbeitung, sowie ihre Ergebnisse zu begutachten." Es Schönfärberei amtlich organisiren." Ja, der Plan ist von uns beinahe noch immer zu opti- des Bundesraths, ob er überhaupt die Kommission hören liegt demnach in dem Belieben des Reichskanzlers oder § 3. Die Ernennungen erfolgen für fünf Jahre, die Wahlen mistisch beurtheilt worden. Nach dem Regulativ wird die will. Macht die Regierung von diesem fakultativen Recht für die Dauer jeder Legislaturperiode; jedoch verbleiben am Kommission vor allem ein Werkzeug in den Händen der Gebrauch, so sind die Vorschläge der Kommission für jene Schluffe einer Legislaturperiode die gewählten Mitglieder so Reichsregierung sein. Mit christlich germanischer Klugheit im besten Falleschäzbares Material", das benützt oder lange im Amt, bis die Neuwahlen vollzogen sind. Gewählte bietet auch hier der Klassenstaat statt des Brotes einen ignorirt werden kann, wie es gerade der Regierung genehm Mitglieder, welche während der Dauer der Legislaturperiode Stein, an Stelle einer brauchbaren sozialpolitischen In- ist. Wünscht die Regierung zur Erreichung bestimmter aus der Kommission ausscheiden, werden durch Neuwahlen stitution ein weſenloses Schemen. erfetzt.
§ 4. Die Rommission für Arbeiterstatistik hat die Auf
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Die preußische statistische Zentralfommission hat dies jüngste Unglückskind der Sozialreform von Oben aus der Taufe gehoben, und Pathenkind und Bathin sind in der That ein ander würdig. Die seit 1861 bestehende preußische Zentralfom mission hat nichts, aber auch gar nichts geleistet. Bon 1861 bis
ich widerhaarig zeigen, vorausgesetzt immer, daß sie überBivecke bestimmte Erhebungen, und sollte die Kommission haupt zu Rathe gezogen wird, so wandert das unbequeme Gutachten in den Papierkorb. Die amtliche Statistik wird das nöthige sodann getreu dem Winke von oben herausflopfen", wie der Kunstausdruck lautet. Einen thatsächlichen
gabe: 1. auf Anordnung des Bundesrathes oder des ReichsTanglers die Vornahme statistischer Erhebungen, ihre Durchführung und Verarbeitung, sowie ihre Ergebnisse zu be gutachten; 2. dem Reichskanzler Vorschläge für die Vornahme oder Durchführung solcher Erhebungen zu unterbreiten. § 5. Die Kommission ist befugt, Arbeitgeber und Arbeiter 1869 ist ihre Wirksamkeit Null , von 1870-1884 hat sie Einfluß auf eine vorzunehmende Ermittelung, eine positive in gleicher Zahl zu ihren Sizungen mit berathender Stimme an 21 Tagen ihre gutachtlichen Aeußerungen abgegeben. Einwirkung auf Grundsäße und Ausführung von Enqueten einer von Jahren ist sie
begutachtender Charakter.
ftatistischen Materials zur Aufklärung der Verhältnisse er ſammengetreten. forderlich erscheint, Auskunftspersonen zu vernehmen. Die Als Mitglieder der preußischen Zentralfommission sind Freilich, die Kommission kann dem Reichskanzler, BorZuziehung von Arbeitgebern und Arbeitern muß erfolgen, wenn thätig: a) der vom Minister des Junern berufene Vordies vom Bundesrath oder vom Reichskanzler angeordnet sitzende, b) Kommissarien der einzelnen Ministerien und des schläge für die Vornahme oder Durchführung" arbeiterwird. Die Kommission kann die Erledigung einzelner der ihr Reichsamtes des Jnnern, c) der Direktor und ein weiteres statistischer Erhebungen unterbreiten. Erfüllt sie diese ihre obliegenden Aufgaben und Befugnisse einem aus ihrer Mitte Mitglied des k. statistischen Bureaus, d) 6 Mitglieder des zweite Aufgabe", so besitzt sie auch nicht den Schatten gewählten Ausschusse übertragen. Die Einberufung der zu Den Sitzungen zuzuziehenden Arbeitgeber und Arbeiter und Landtages, von denen jedes der beiden Häuser drei zu eines Rechtstitels darauf, daß der Kanzler auf ihre Vordie Vorladung der Auskunftspersonen erfolgen durch den Vor- wählen hat, und e) solche Sachverständige, welche auf Bor- fchläge eingeht. Er kann sie zurückweisen, er kann thun schlag der Kommission durch den Minister des Innern zur was er will, eine Gewähr dafür, daß die Wünsche der fizzenden. § 6. Der Vorsitzende und die Mitglieder der Kommission, Theilnahme an deren Arbeiten eingeladen werden. Die Kommission Gehör finden, ist in keinem Betracht geleistet. Wie der Hausmeier den merowingischen Schattenkönig die zu den Sitzungen zugezogenen Arbeitgeber und Arbeiter, Organisation der Reichskommission ist nach diesem trefffowie die Auskunftspersonen erhalten nach im voraus durch lichen Muster eingerichtet, und der Abklatsch wird und muß beherrscht, so die Reichsregierung diese Schattenkommission, den Reichskanzler zu bestimmenden Sägen Ersatz ihrer baaren die gleichen Erfolge erzielen, wie das Urbild. Die Kommission ist ferner, befugt", Sachverständige vor Auslagen, die Arbeiter außerdem für entgangenen Arbeits- Schon die Zusammensetzung der Kommission bürgt ihre Schranken zu rufen, sie braucht aber von dieser Befugniß § 7. Die Einberufung der Kommission erfolgt auf An- dafür, daß stets der Wille der Reichsregierung zur Geltung feinen Gebrauch zu machen. Nur wenn die Regierung es ordnung oder mit Genehmigung des Reichskanzlers durch den kommit. Sieben Stimmen gehören ihr von vornherein, der anordnet, müssen Arbeiter und Unternehmer zugezogen Vorsitzende, die fünf vom Bundesrath ernannten Mitglieder, werden. Welcher Spielraum für die in der Kommission Vorsitzenden. 8. Die Kommission ist bei Anwesenheit von mindestens das aus dem kaiserlichen statistischen Amt vom Reichstanzler allmächtige Regierung, welch folgenschwere diskretionäre sieben Mitgliedern beschlußfähig; fie faßt ihre Beschlüsse nach delegirte Mitglied. Bei Stimmengleichheit giebt der Vor- Vollmacht auf einem Gebiet, bei dessen Erfoschung gerade die Stimmenmehrheit; bei Stimmengleichheit giebt die Stimme fizende den Ausschlag. Bleiben die sechs vom Reichstag tiefgründige, sachliche Vernehmung der Interessenten, und des Vorsitzenden den Ausschlag. Im Uebrigen wird die Ge gewählten Mitglieder. Da die Bourgeoisie im Parlament zwar beider Theile, eine gebieterische Nothwendigkeit ist. Die schäftsordnung der Kommission zunächst vorläufig, demnächst die Mehrheit besitzt, steht es von vornherein fest, Konsequenzen des von der Reichsregierung beliebten Vernach Anhörung der Kommission endgiltig vom Reichskanzler daß die Majorität auch dieser Mitglieder bürgerliche fahrens sind einleuchtend. Statt des Zwanges die Willkür, § 9. Der Neichskanzler, sowie die Bundesregierungen Tendenzen vertreten wird, ganz gleich, ob die Beauftragten statt der Ordnung das Belieben! Und man beachte, daß find befugt, zu den Sigungen der Kommission und ihrer Ans- der Agrarier oder der gewerblichen Unternehmer vorwiegen. teine Zeile des Regulativs darüber etwas besagt, wie
verdienst.
erlaffen.
Feuillefont.
Nachdrud verboten.]
Am Webstuhl der Zeit.
( 74
Siebentes Kapitel.
Ein politischer Prozeß.
die sie haben mögen, als nothwendig und mehr oder minder richtig anerkannt. Schon der Verdacht, gegen solche Gesetze Mit großer Spannung sah man in der Hauptstadt den gefehlt zu haben, erweckt eine Art von Schen vor dem Tag herankommen, an welchem die drei Redner der letzten damit Behafteten; und den Verurtheilten bemitleiden zwar Boltsversammlung vorgeladen waren, um sich öffentlich Biele, aber nur selten und nur von Wenigen wird er ferner wegen der in ihren Reden vom Staatsanwalte heraus- hin geachtet.
verantworten.
gefundenen aufreizenden Aeußerungen, Schmähungen von Ganz anders steht es mit dem sogenannten politischen Staatseinrichtungen, Gefährdung des öffentlichen Frie- Verbrecher. Bei dem nimmt man an, daß nicht persondens u. s. w. vor den bestellten Richtern des Landes zu licher Vortheil oder sonst eine böse Leidenschaft auf ihn ge wirkt, bei dem setzt man fast durchgängig voraus, daß eine innerliche Begeisterung, ein Drang nach besseren und freieren Zuständen sein Thun geleitet, denn sonst hätte er ja Gelegenheit genug, feine Talente, wenn er solche unbestreit„ Wir werden eine Sänfte nehmen müssen, doch woher?" verursacht, da die stenographischen Aufzeichnungen von den der zu verwerthen. Jedermann fühlt es, daß alle staatfragte der Schriftsteller verlegen. Sermine aber schüttelte mit dem Kopf und zeigte nach öffentliche Verhandlung konnte deshalb schon zwei Monate bedürftig sind, daß die alten Zustände häufig nur festgehalten Die werden aus Egoismus, aus Denkfaulheit oder Rechthaberer; dem Mädchen, welches sich schnell in bessere Bekleidung ge- Staatsanwaltschaft hatte angenommen, daß bei Begehung man weiß, daß über kurz oder lang die verurtheilten BeDas Mädchen soll Sie führen helfen?" fragte der in Frage stehenden Verbrechen Verabredung zum ge- strebungen doch zum Siege kommen müssen, und dann find meinschaftlichen Handeln, also Verschwörung, unter den drei die Verurtheilten nichts weiter als Märtyrer, denen man Hermine nickte; das Mädchen flog herbei. Geführt auf Angeklagten stattgefunden, und deshalb beantragt, daß das eines Tages die Bürgerkrone auf das greife Haupt oder beiden Seiten konnte die Kranke mittels der Versenkungs- Verfahren gegen diefelben zu einer einzigen Auflage tom- auf das frühe Grab legt. vorrichtung in die Höhe gelangen und langsam der Aus- binirt werde. Dies geschah; und die zahlreich im Gerichts
,, Wollen Sie nun mit uns gehen, gnädiges Fräulein?" Die Angeklagten Frank, Barth und Dr. Lange waren fragte er. Sie nichte mit dem Kopfe und wollte aufstehen, aber bereits zu wiederholten Malen vor dem Staatsanwalte und die Kräfte versagten ihr und Lange mußte ihr den Arm dem mit der Untersuchung betrauten Gerichtsrathe gewesen. reichen. Aber auch so vermochte sie nicht zu gehen.
hüllt hatte.
Lange.
gangspforte zuschreiten, welche unter Noad's und Wießner's saale versammelte Menge betrachtete mit Intereffe die drei Charakter giebt, ist der Umstand, daß hier gewissermaßen
Leitung nun nicht mehr verfehlt werden konnte.
Im benachbarten Dorfe Moorungen harrte Helene mit ihrem Wagen; sie war in Begleitung von Barth und Elisen. Die beiden Frauen wurden stillschweigend im Wagen aufgenommen, während die vier Männer zu Fuß nach der Stadt zurückkehrten.
Und was den politischen Prozessen noch einen besonderen Männer, welche es gewagt hatten, mit Entschiedenheit gegen eine Partei die andere verurtheilt. Der Staatsanwalt tritt die bestehende Ordnung oder Unordnung aufzutreten. da in den Angen des Volkes nicht mehr rein als Ankläger, Ein politischer Prozeß trägt einen entschieden anderen im Namen des verletzten Gesetzes, sondern ganz ausdrücklich Charakter, als ein gewöhnlicher Kriminalprozeß. Die als Anwalt der im Staate herrschenden Partei auf, und meisten Kriminalgesetze basiren auf einem allgemeinen mora- wenn er sich's nicht bewußt ist, so thut er's häufig unlischen Standpunkte, werden darum trotz aller Gebrechen, willkürlich, denn vermöge seiner Stellung ist es ihm nicht