Einzelbild herunterladen
 

Nr. 185.

Abonnements- Bedingungen: Abonnements-Preis pränumerando: Bierteljährl. 3,30 Mt., monatl. 1,10 mt., wöchentlich 28 fg. frei ins Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags: Nummer mit tauftrierter Sonntagss Beilage, Die Neue Welt" 10 Pfg. Poft­Abonnement: 1,10 Mart pro Monat, Eingetragen in der Poft Beitungss Preisliste für 1902 unter Dr. 7878. Unter Kreuzband für Deutschland   und Desterreich- Ungarn 2 Mart, für das übrige Ausland 3 Mart pro Monat.

Erscheint täglich außer Montags.

Vorwärts

Berliner Volksblatt.

19. Jahrg.

Die Insertions- Gebnye beträgt für die sechsgespaltene Rolonets geile oder deren Naum 40 Pfg., für politische und gewertschaftliche Vereins­und Versammlungs- Anzeigen 20 Pfg. Kleine Anzeigen" jedes Wort 5 Pfg. ( nur das erste Wort fett). Inserate für Die nächste mmer müssen bis 4 Uhr nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr abends, an Sonn- und Fefttagen bis 8 Uhr vormittags geöffnet.

Telegramm Adresse: Socialdemokrat Berlin"

Centralorgan der socialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Fernsprecher: Amt I, Nr. 1508.

Sonntag, den 10. August 1902.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3. Fernsprecher: Amt I, Nr. 5121.

Ein Feigenblatt für den Wahlkampf! spätestens bis zum 1. Januar 1910 zu verabschiedendes Gesetz zur Er hat das Recht, die vom Reichstage abgeänderten Vorlagen ab

-

Das Centrum braucht einen Tugendmantel, wenn es vor die proletarischen Wähler treten will. Borläufig greift es nach dem Feigenblatt in der Hoffnung, daß seine Wähler blind genug sind, die Blöße nicht zu entdecken.

un

Politische Mebericht. Berlin  , den 8. Auguft.

Ergebnis der Jahre 1895 bis 1902 übersteigt, ist durch ein besonderes, immer für den Reichstag unannehmbare Vorlagen bringen und er leichterung der Durchführung der Witiven und Waisenversorgung zulehnen. Welche Mittel hat denn der Reichstag  , den Bundesrat zu Als Adam und Eva   im Paradiese vom Baume der Erkenntnis Bestimmung zu treffen. gegessen, empfanden sie, daß sie nadt waren, und sie nahmen ein Bis zum Jukrafttreten eines solchen Gesetzes find die Mehr- wingen, wenn bis zu dem genannten Termin solches Gesetz nicht Feigenblatt, um ihre Blöße zu verdecken. Ganz ähnliche Gefühle, erträge für Rechnung des Reiches anzusammeln und verzinslich existiert? Und welche Mittel hat der Bundesrat, wenn er ein Gesetz erlassen will und der Reichstag   es ablehnt, den Reichstag zu zwingen, wie die Bewohner des Paradieses nach dem Sündenfall hatten, sind anzulegen." im Centrum hervorgebrochen, als es sich dazu antreiben Die zuletzt genannten Ziffern sind die Bezeichnungen für die nun doch seine Zustimmung zu geben? Zu dem nadten § 11a müssen noch Ausführungsgesetze gegeben werden. Oder es ließ, den Wettlauf mit mit den oftelbischen Juntern in der zuerst genannten Gegenstände in dem geltenden Tarif. muß im Zolltarif- Gesetz eine Bestimmung aufgenommen werden, Brotwucherpolitik zu unternehmen. Wie bei den ersten Menschen Abgesehen davon, daß nicht sämtliche Lebensmittel- Bölle ge daß der Zarif gleichzeitig mit dem Gesetz über die wohl weniger die Schlange als die in dent Menschen nannt sind es fehlen unter anderm Buchweizen, Hirse, witwen und Waisenversorgung in straft tritt, liegende Neigung zu Handlungen, die der Theologe Sünde nennt, Malz, sämtliche Hülsenfrüchte, Gemüse, Obst, Graupen usw. die Ursache des Sündenfalls war, so hat das Centrum auch seine werden den Arbeitern so große Stoften aufgebürdet, daß d. h. das Zolltarif- Gesetz muß entsprechend erweitert werden. Es zeugt von einem merkwürdig gearteten Herzen der Centrums­Verführer in den eignen Reihen zu suchen. die Witwen- und Waisenversorgung nur wie ein Brosamen leute, daß sie eine Politit treiben, die Tausende der Erschöpfung Die an der Spitze des Bundes der Landwirte stehende erscheint, der von der Reichen Tische fällt. Doch suchen konzentrierte Unfähigkeit hätte dem Centrum nie gefährlich werden wir zuerst die Summe zu ermitteln, welche eine Witwen- preis giebt. Ist der an Erschöpfung zu Grunde Gegangene Familien­vater, dann bietet man den Hinterbliebenen ein Almosen. können, wenn das Centrum eine Partei mit festen politischen und und Waisenversorgung tosten wird. Es fehlen zwar die genauen sind aber doch nicht nur Familienväter, die man dem Hunger über­socialen Grundsägen wäre. Wangenheim usw. sind nur die an die Oeffentlichkeit getretenen Nehmen wir an, daß die Zahl der zu unterstützenden Witwen in liefert. Die Kinder und Frauen mögen in dem Bewußtsein ver­Bertreter der fich gegen den wachsenden Einfluß der Kapitalisten demselben Verhältnis zu der Gesamtzahl der Witwen steht, wie die hungern, daß sie dazu beigetragen haben, die Mehreinnahmen der Großgrundbesitzer zu steigern. aufbäumenden Agrarier. Die Stimmung, aus welcher der Bund Bahl der verheirateten männlichen Arbeiter zu der Zahl der ver­der Landwirte hervorgegangen ist, hört da nicht auf, wo Mutter heirateten Erwerbsthätigen. Von je 100 verheirateten männlichen Gottes und andre Heiligenbilder an den Wegen und an den Feldern Erwerbsthätigen find 51,5 Lohnarbeiter oder Angestellte. Würde ein stehen. Darum hatte Süd- und Westdeutschland ebenso seine gleiches Verhältnis bei den Witwen sein, dann würden von den rebellierenden Agrarier wie Ostelbien. So wie Plötz und Wangen  - 1895 gezählten 2 208 579 Witwen 1137 318 Anspruch auf Rente heim die Führung der konservativen Partei übernahmen und haben. Die Zahl der Waisen schäßen wir nach den Rechnungs­die widerstrebenden Elemente rücksichtslos bei seite schoben, so über ergebnissen der Berufsgenossenschaften. Diese hatten 1900 für 43 409 nahm in katholischen Kreisen Graf Spee das Kommando und Witwen und 73 984 Waisen Renten zu zahlen. Es kam also auf schrieb dem scheinbar so mächtigen Centrum die Marschroute vor, jede Witive 1,7 Waisen. Wäre dasselbe Verhältnis durchweg zu­Die letzte Ausrede. Und welche Marschroute? Das Centrum, welches in den stark treffend, dann würden also zu den 1 137 318 Witwen noch 1933 427 bevölkerten Induſtriebezirken Westfalens   und des Niederrheins die Waisen kommen. Es wären also 3 070 745 Personen zu unterstützen. Die Freifinnige Zeitung" fährt fort, das schmähliche Arbeiter gebraucht, um als Macht glänzen zu können, suchte die Bei der ganzen Art, wie die sogen. Socialpolitik getrieben wird, Bollwucher Kartell des Freisinns in Bayern   zu entschuldigen. Arbeiter zu feffeln mit seinen Versprechungen auf dem Gebiete der läßt sich nicht annehmen, daß den Witwen und Waisen ein zum Sie giebt heute eine neue, aber nichts weniger als intelligente Socialpolitik. Manchen Wettlauf hat es fühn unternommen und es Leben ausreichender Betrag gegeben wird, aber eine Unterstützung in Ausrede des Fränkischen Kurier" wieder, der munter be suchte den liberalen und tonservativen Parteien um einige der Höhe, wie die Hinterbliebenen eines Arbeiters fie erhalten, der hauptet hatte, man hätte nach dem Princip des kleineren Nasenlängen zuvor zu kommen. Nun fommt Graf Spee durch Unfall getötet ist und einen Jahres- Arbeitsverdienst von 600 m. Uebels gehandelt. Ein Zollgegner könne in dem Wahlkreise mit seinem Anhang und befiehlt befiehlt eine Politit, die dem gehabt hat, würde Stumm wohl bewilligt haben. Die Unfall- Ber- nicht durchdringen. So habe es sich nur darum gehandelt, Arbeiter mit einen Schlage das Hundertfache bon dem ficherungsgesetze bewilligen den Hinterbliebenen je 20 Prozent des den Kandidaten zu unterstützen, der sich mit dem Regierungs­nimmt, was ihm durch die Socialpolitik gegeben. Mächtig und Jahres- Arbeitsverdienstes. Nach unsrer Annahme müßten also an 80ll begnügte". Das war der nationalliberale Mann, drohend steht Graf Spee mit seiner Armee. Er kann abschwenken jeden 120 M. oder insgesamt die Summe von rund 368 Millionen während der Bauernbündler und der Centrumskandidat in Forchheim  - Kulmbach   auf den 7/2 Mark- Roll schwören. und sich jederzeit mit seinen ostelbischen Klassengenossen vereinigen, Mark jährlich gegeben werden. Eine dümmere Ausrede läßt sich nicht leicht denken; denn sein Heer bleibt ihm treu. Bei aller Frömmigkeit erwartet der Käme es nur darauf an, die 368 Millionen aufzubringen, dann katholische Bauer doch mehr von hohen Preisen für Ackerbau- würde sich schon ein Weg finden lassen. Das Centrum schlägt aber gerade vom Standpunkt des kleineren Uebels und der Zoll­erzeugnisse als von der ewigen Seligkeit. Und es ist ja auch gar einen Weg vor, der dem Volke rund vier Milliarden foften gegnerschaft bedeutet der nationalliberale Anhänger des Regie­nicht sicher, daß die ewige Seligkeit gleich verloren geht. In den würde, wenn 368 Millionen für Witwen und Waisen abfallen rungszolls das größere Uebel. Den Zollgegnern könnte Religionsstunden hat er zwar gelernt, daß es Sünde ist, dem Armen das follten. Es follen, wie bereits erwähnt, nicht alle Mehrerträge der nichts Besseres geschehen, als wenn lauter 7%, Mart- Zöllner Wenige zu nehmen und den Hungrigen verkommen zu lassen. Aber mancher Lebensmittelzölle den Witwen und Waisen zugewendet werden. Da an Stelle der Regierungszöllner gewählt würden. Stirchenfürst hat schon ein üppiges Leben geführt, wenn die Gläubigen aber die Einfuhr im Durchschnitt nur ein Neuntel des Verbrauchs würde der Zolltarif sicher scheitern; denn dieser Zoll ist Wahn­bor Hunger starben, und die Kirchenfürsten sind doch selig geworden. darstellt, so muß das Volk jeden Pfennig, den die Witwen sinn und völlig unannehmbar für die Regierung. Die Gefahr Vorläufig verlangen die katholischen Agrarier ebenso wie die und Waisen erhalten, mit zehn Pfennigen bezahlen. besteht gerade in der Politik der mittleren Linie" des Zoll­evangelischen, daß Brottucherpolitik getrieben wird. Die katholischen Es fehlt hier der Naum, um die volle Wirkung des Zolltarifs auf wuchers und jede Verstärkung dieser gemäßigten Richtung" Agrarier bleiben beim Centrum, wenn dieses den Raubzug ausführt, die Lebenshaltung rechnerisch darzustellen. Es müßten dabei circa schwächt die Zolloppofition. sonst schließen sie sich ihren ebenso frommen protestantischen Klassen- 200 Nummern des Tarifs berücksichtigt werden. Um aber den Refern einen Begriff zu geben, wie viel gezahlt werden soll und wie das Gezahlte verteilt wird, greifen wir die ersten vier Positionen heraus. 1901 wurde mehr eingeführt als ausgeführt: 20 418 687 Doppelzentner

genossen an.

Das Interesse der Kirche gebietet, daß das Centrum einig und start bleibt, und darum muß das Centrum so handeln wie Graf Spee befiehlt. Es ist nur schlimm, daß diese Politik so furz vor den Wahlen betrieben werden muß. Deshalb suchte sich das Centrum, wie einst Adam und Eva   nach dem Sündenfall, ein Feigenblatt und da wollte sich kein anderes finden als die Witwen und Waisenversorgung.

Weizen Roggen. Gerste Safer

7 716 480

8 621 915

2 664 191

"

Da gegenwärtig für Roggen und Weizen 3,50 M., für Safer Hier will es mum die Fronie des Schicksals, daß diefes Feigen- 2,80 m. und Gerste 2 M. Zoll erhoben wird, so brachten die vier blatt nicht einmal ein Stück aus der socialpolitischen Rüstkammer des Getreidearten rund 123 Millionen Zoll. Jetzt ist der Minimalſatz Centrums ist. Die Ehre, diese Frage zuerst im Reichstage angeregt für alle vier Getreidearten auf 5,50 M. für den Doppelcentner fest­zu haben, gebührt dem bekannten Scharfmacher Frhru. v. Stumm. gesetzt; es wären also bei der gleichen Einfuhr rund 216 Millionen Er hatte den ganz vernünftigen Gedanken, daß es unrecht sei, Mark an Zoll zu entrichten. Die Einfuhr stellt aber nur ungefähr Witwen und Waisen in Elend verkommen zu lassen, wenn deren Er- ein Neuntel des Verbrauches dar. Nehmen wir aber an, daß vier nährer an einer Berufskrankheit verstorben ist, während man eine Neuntel des Verbrauches in der Landwirtschaft als Einsaat, Vich sogenannte Rente bewilligt, sobald die schädlichen Einflüsse so plöglich futter usw. verbraucht wird, hier also auszuscheiden hätte, dann Herausgebrochen sind, daß plöglicher Tod erfolgt ist. Stimmm sagte, würde doch noch eine künstliche Verteuerung des vom Volte als die Industrie kann die Lasten einer solchen Versicherung tragen. Nahrung verbrauchten Getreides un rund 1080 Millionen Mark ein­Stumm meinte freilich, die Arbeiter können zahlen. treten. Diese 1080 Millionen Mark würden wie folgt verteilt 8631/2 Millionen für die Grundbesitzer, 123 Millionen für den Reichsfiskus,

9312 Millionen für die Witwen und Waisen.

Es ist ja eine bekannte Erscheinung, daß mit den Begriffen werden: " Industrie" und Landwirtschaft" die seltsamsten Spielereien ausgeführt werden. Will man Liebesgaben oder sonstige Beute erwischen, dann will man es für die Großindustriellen und Grundbesitzer haben, sind es aber Lasten, dann sind dieselben immer für die Arbeiter be- Die Mehrausgaben des Boltes für Buchweizen, Hirse, Hülsen. stimmt. Wie jetzt schon die sogenannten Arbeitgeber- Beiträge zu der früchte, Gemüse, Obst, Malz, Graupen usw. teilen sich Reichsfistus Versicherung nur ein feststehender Teil des Lohnes sind, so hätten und Grundbesizer allein. auch die von Stumm gewünschten Beiträge für die Witwen- und Wollte man aber dem Grafen v. Spee und seinen Getreuen Waisenversicherung allein von den Arbeitern getragen werden glauben, dam würde überhaupt kein Pfennig für die Witwen und müssen. Aber doch war Stumm ein bewunderswerter Wohlthäter, Waisen übrig bleiben, Diese behaupten in ihren Eingaben, daß wenn man ihn mit den brotwucherischen Socialpolitikern des Cen  - durch die höheren Zölle die Erträgnisse der Landwirtschaft soweit ge­trums vergleicht. Nach Stumms Rezept hätten die Arbeiter die Last steigert werden, daß jede Einfuhr überflüssig wird. Wenn aber allein zu tragen gehabt; nach dem Rezept des Centrums sollen die nichts eingeführt wird, dann liefert der Zoll keine Mehreinnahmen, Arbeiter neun Mark zahlen, wovon dann eine Mark an die folglich bekommen die Witwen und Waisen gar nichts. Sicher ist, Witwen und Waisen gegeben werden soll. Der socialpolitische daß durch die Verteuerung der Nahrungsmittel der Konsumi herab­Antrag des Centrumis, mit welchem bei den nächsten Wahlen die gedrückt wird, und da ist anzunehmen, daß wohl die Grundbefizer und der Reichsfiskus den vollen Betrag, aber die Witwen und Waisen Arbeiter gefangen werden sollen, hat folgenden Wortlaut: sehr wenig erhalten, weil die 8olleinnahmen nicht im gleichen Ver­hältnis wie die Zölle und Preise steigen.

In dem Zolltarif- Gesez folgenden§ 11a einzuschalten: Ueber denjenigen Ertrag der Zölle aus den nach den Tarif­stellen 1.( Roggen), 2.( Weizen und Spelz), 3.( Gerste), 4.( Hafer), Eine wohl noch nicht dagewesene Politik des Leichtfinns ist es 102.( Rindvich), 103.( Schafe), 105.( Schweine), 106.( Federvieh). aber, solche Bahlungen für reine Zukunftsmusik zu beginnen. Es 107.( Fleisch), 132.( Butter). 133.( täie), 134( Eier), 160.( Mehl) und 163. zu verzollenden Waren, welcher den Durchschnittsbetrag heiß zwar das Gesetz über die Witwen- und Waisenversorgung der Zölle aus den nach den Tarifstellen 9a, 9ba, 9bb, 9c, 25, mus spätestens bis zum 1. Januar 1910 in Straft treten. Danach 25g1, 250, 25g2, 37b, 39b, 39c, 2ed, 896, 391, 89g, 39h, 39i, wären entgegen den Bestimmungen der Verfaffung Reichstag   und Bundes des Bolltarifs vom 24. Mai 1885 zu verzollenden Waren nach dem rat nicht mehr frei in ihren Entschließungen. Der Bundesrat tann

" 1

"

Dann

Wenn übrigens die Kreuz- 8eitung" behauptet, die Socialdemokratie sei durch das Verhalten des Freisinns enttäuscht und niedergeschlagen worden, so hat sie bereits ver­gessen, daß sie vor kurzer Zeit erst ihren Lesern mitteilen konnte, daß die Socialdemokratie den Gedanken des Kartells I der Linken" verhöhnt habe; und das war vor dem letzten Freisinns Verrat. Wir müßten sehr urteilslos sein, wenn wir jemals dem demokratischen Bürgertum" getraut hätten. In der Hinsicht giebt es für uns feine Enttäuschungen, höchstens fönnen wir gelegentlich überrascht werden durch den Grad der Jämmerlichkeit.

Zur Krönung.

London  , 7. August.  ( Eig. Ber.) Der Zauber der Krönung ist gebrochen. Eduard VII.   wird seine Popularität als a jolly good fellow, als ein guter lustiger Kerl nicht wieder erringen, auch wenn er sich in seinem todkranken Bu­stande in die Westminsterabtei bringen läßt. Einige hundert Meter von der Abtei steht die Whitehall  . Karl I.   starb dort unvergleichlich heroischer.

aus

-

Eduard VII  ,

Noch nie ist eine Monarchie tiefer und würdeloser gesunken, als die des zeitgenössischen England. Und das ist schließlich das Schicksal jeder Einrichtung, Schichte oder Klasse, die ihre sociale Funktion ver liert. Die Geschichte merzt die Drohnen in unbarmherziger Weise durch das Schwert wie Karl I.  , oder durch Lächerlichkeit wie Aber England hat eine besondere Vorliebe für Galgenhumor. Hier nennt man dies grim humour. Soyarth ist sein größter Stünstler." Hamlet  " sein größtes Drama. Charles Lamb  , der größte englische   Essayist, liebte Themata wie diese: Ueber den Charakter des Leichenbestatters", oder: Ueber die Unannehmlichkeiten des Gehängtwerdens". Jm Englischen flingt das unvergleichlich satirischer: On the inconveniences resulting from being hanged." Ueber die Unannehmlichkeiten des Gekröntwerdens wäre unter den obwaltenden Umständen kein übles Pendant. Aber kein Mensch nimmt die Krönung ernſt.

-

Keine der großen Nevüen hat Artikel über Eduard VII.   gebracht, und was von den Revien nicht beachtet wird, intereffiert die Bourgeoisie nicht. Das ist ein untrüglicher Maßstab. Die Tages­presse giebt sich zwar Mühe, ernst zu bleiben. Aber die Heuchelei gelingt ihr nicht; es ist feine gefährliche Tugend da, um ihre Kom­plimente zu machen. Unwillkürlich humoristisch war nämlich der Leitartikel der Times". Als nach der Erkrankung des Königs auch Stopfe erlitt, ba schrieb das großkapitalistische Organ in finniger Weise: Mr. Joseph Chamberlain   infolge eines Wagenunfalls eine Verlegung am da Diese Erkrankung ist ein wirkliches Unglück für das Reich. Seine Dienste können wir nicht entbehren." In der aufrichtigen Bestürzung über Chamberlains Bukunft sprach der Leitartikler auch die Wahrheit über Ghuard VII,