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Beilage zumVorwärts" Berliner Volksblatt. Nr. 98. Mittwoch, den 27. April 1893. 9. Iichrg. Auf einem Ausfluge, den die Parteigenossen von Wald «r Solingen am 1. ofterfeiertoge nach Kellerthor, Haan   und Manertermühle unternahmen, wurde eine große Anzahl Zeitungen verschiedener Art. Nummern desWahren Jakob" und Broschüren verbreitet. Aus das Nützliche solcher Ausflüge ist schon wieder« holt hingewiesen worden. <» Zur Berautwortlichkeit* der Nichter und Staats­anwälte. Bekanntlich hatte der Stadtrath zu Mittweida   während der Sitzungen des Reichstages gegen den Abgeordneten Schmidt einen Strafbefehl wegen groben Unfugs erlassen, der darin er- blickt wurde, daß Schmidt in unserem von ihm redigirten Schwesterorgan zu Burgstädt   unter Darlegung der sozialdemo­kratischen Bestrebungen zum Abonnement auf dasselbe aufforderte. Das Landgericht zu Chemnitz   hatte ein freisprechendes Urtheil gefällt. Stadthagen   hatte dann Strafantrag gegen den Stadt- rath zu Mittweida   gestellt, weil letzterer sowohl hätte wissen müssen, daß grober Unfug nicht vorliegt, wie daß die Straf- Verfolgung während der Tagung des Reichstages unzulässig ist. Desgleichen war beantragt, gegen den Staatsanwalt zu Chemnitz  und die dortigen Richter strafrechtlich vorzugehen, welche die un- statthaste Strafverfolgung und die gewaltsame Vorführung des Genossen Schmidt wegen zehn anderer angeblicher Strasthaten während der Dauer der Session veranlaßt hatten. Der General- Staatsanwalt j hatte mit der Untersuchung wegen dieser und der weiteren Anschuldigung, daß in einer Ausführung der Gründe des das Hauptverfahren eröffnenden Beschlusses eine Majestätsbeleidigung und in der Ausführung des Staatsanwalts daß der unbestrafte Genosse Schmidt eingewerbsmäßiger Ehr- abschneider", eine Beleidigung liege, den Ersten Staats- anwalt zu Dresden   beaifftragt. Dieser hat jetzt die Strafverfolgung abgelehnt. Die betreffenden Be- Hörden und Beamten hätten sich schlimmstenfalls in entschuldbarem Rechtsirrthum befunden, die Aeußerung des Staats- anwalts, bezüglich deren der General-Staatsanwalt im Reichstage erklärt hatte, sie sei weder zweckmäßig noch nothwendig gewesen, er habe deshalb den Richter rektifizirt, sei nicht rechtswidrig erfolgt u. f. w. Gegen diesen Beschluß hat Rechtsanwalt Stadthagen   Beschwerde eingelegt. Die Be- schwerde wird den Erfolg haben, daß die sächsischen Oberbehörden Stellung zu der Frage zu nehmen haben, ob ein Richter und ein Staatsanwalt in der That wegen vom Reichsgericht für u n- st a t t h a f t erklärter Handlungen und deren Folgen nicht ver- antwortlich sei, während jeder Arzt. Apotheker und Kutscher nach dem Stras-Gesetzbuch für jede fahrlässige Berufshandlung die z. B. eine Körperverletzung zur Folge hat, zu haften hat und die Unkenntniß eines Laien, eines Nichsturisten bekanntlich diesen vor Strafe nicht schützt. Wird die Frage abermals verneint, so wird die weitere Frage vielleicht den Reichstag zu beschäftigen haben: aus welchem Grunde sind gelehrte Richter nothwendig, wenn diese ohne irgend welche Folgen in Ausübung ihres Be- rufes irren und Staatsbürger verfolgen und in ihrer Freiheit behindern dürfen? Sozialdemokratische und bürgerliche Presse Elsaff Lothringen»..Konsequent, zielbewußt und farbebekennend ist in Elsaß-Lothringen   eigentlich nur die sozialdemokrattsche Mül- hauserBolkszeitung".»in Blatt, in dem wir mehr wirklich ge- diegene und intereffante Artikel finden, deren einseittger Partei« standpunkt ihren Werth nicht mindert, als in unseren sämmtlichen seichten Waschblättern von Mülhausen   bis Metz   zusamnien« genommen." Dieses Urtheil fällt das nichtsozialdemokrattsche Straßburger Tageblatts in Nr. 92 vom 20. April. Kanzelblüthe. Wie die'Märkische Arbeiter-Zeitung" in Nr. 37 vom 23. April mittheilt, hat in der D u, s b u r g e r JosefSkirche ein Pater bei einer Predigt über die angeblich gotteslästerlichen Tendenzen der Sozialdemokratie die Sozialisten in folgende zwei Mafien geschieden: a) Stimmvieh, d. h. solche, welche durch Unglauben, Elend und Verzweiflung nicht wissen, was sie thun; d) solche, welche die Ziele der Partei kenne». Letztere sind ohne Unterschied Menschen mit einem Charakter und Gewissen, daß jeder anständige Mensch sich schämen muß, mit ihnen über die Straße zu gehen, geschweige denn zu ver- kehren. Wenn die Ultramontanen sich gelegentlich über eine nicht ganz salonmäßige Behandlung durch unsere Genossen beschweren, mag man ihnen nur vorstehende boshaft-alberne Klassifizirung zu Gemüthe führen, die einer ihrer Zionswächter verübte. Die Sozialdemokratie Bayern  » hält am 26. Juni in RegenSburg   einen Parteitag ab. Auf der vorläufigen Tagesordnung befinden sich folgende Punkte: Die Thätigkeit des bayerischen Landtags und die Wahlen zu demselben im Jahre 1893, Agitation und Organisation. Einberufer des Parteitages sind die Nürnberger   Genossen� Joh. Sch erm und Martin S e g i tz. Der 3. pfalzische Arbeitertag findet während der Psingst« feiertage im Eaalbau zu a i s e r s l a u t e r n statt. Wa»politische Gegenstande" find, ist in neuerer Zeit schon mehrfach infolge einer Entscheidung des Reichsgerichts de- sprachen worden. Bei der Wichtigkeit der Sache ist es nicht un- angebracht, nochmals auf die Frage zurückzukommen, da die preußischen Polizeibehörden die Fachvereine vielfach als politische Vereine im Sinne des§ 8 des Vereinsgesetzes vom II. März 1850 behandelt haben. Auch der Regierungspräsident von Schleswig   macht gerade deshalb neuerdings darauf aufmerksam, daß nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts als politische An­gelegenheiten nur diejenigen anzusehen sind, welche Ver- fassung, Verwaltung. Gesetzgebung des Staates, die staatsbürgerlichen Rechte der Unterthanen und die internationalen Be- ziehuygen der Staaten zu einander m sich begreifen. Die Ausübung der im ß 132 der Reichs-Gewerbe- Ordnung verbürgten Koalitionsfreiheit, wie überhaupt die Arbeitsverträge zwischen Arbeitern und Arbeitgebern unterliegen der freien Vereinbarung der Vertragschließenden und gehören dem Privatrecht, nicht der Politik an. Es handelt sich der der Bestimmung des Begriffspolitische Gegenstände" nicht darum, durch irgendwelche Kombinationen zu ermitteln, ob der fragliche Gegenstand nicht unter irgeud welchen Umständen in die Auf- gaben und Interessen des Staates hinübergreifen kann, sondern ausschließlich dämm, ob der Gegenstand als solcher un mittel« bar den Staat, seine Gesetzgebung oder Verwaltung berührt, seine Organe und Funktionen in Bewegung setzt. Diese Gesichts- punkte sind in einem neueren Erkenntnisse des Reichsgerichts ge- rade in Bezug auf die Fachvereine ausgestellt worden. Die Fachvereine wären hiernach als politische Vereine nur dann an- zusehen, wenn besondere Thatsachen dies im einzelnen Falle recht- fertigen, insbesondere, wenn trotz des Statuts das etwa die Beschäftigung mit politischen Dingen ausdrücklich ausschließt thatsächlich in ihren Versammlungen in einer Reihe von Fällen politische Gegenstände erörtert worden sind. Der erste Frauentag hat kürzlich in Le mberg statt­gefunden. Derselbe gestaltete sich, wie die Wiener  Arbeiterinnen� Zeitung" in Nr. 8 schreibt, zu einer sozialdemokratischen Kund- gebung. Den Vorsitz führte Frau Pruchnik, welche für die politischen Rechte der Frauen in einem ausgezeichneten Referate eintrat. Frau Czajkovska und Kobryiaska(Bolcchow) sprachen über die Zulassung der Frauen zu den Mittel- und Hochschulen und Genossin Koszycka über die Lage der Arbeiterinnen. Das Referat der Genossin Koszycka machte auf das ungemein zahlreich versammelte Publikum einen großen Eindruck. Als die Referentin in schlichten Worten die"Lage der Arbeiterinnen in Lemberg   schilderte, konnten sich viele Anwesende des Weinens nicht enthalten. Alle Referate behandelten die Frauenfrage als einen Theil der sozialen Frage, die nur mit dieser gelöst werden könne. Hervorzuheben ist noch das muthige Auf- treten der Lehrerin Goldfarb, welche, alle Rücksichten außer Acht lassend, die Lage der Lehrerinnen besprach. Tie Weiber der Bourgeosie hatte» ohne Erfolg den riesigen Besuch der Ver- sammlung zu verhindern gesucht, indem sie zu gleicher Zeit eine patriotische Versammlung einberiefen und als Paradepferd den eigens zu diesem Zwecke aus Krakau   bezogenen Dichter Asnyk  vorführten. Die Dämchen glaubten ihre Jugendsünden am besten vergessen zu machen, wenn sie von Haus zu Haus herumliefen und die Anhängerinnen des Frauentages durch Bitten und Drohungen zu bewegen suchten, von dem Besuche der Versammlung abzustehen. Am Frauentag nahmen Angehörige aller Nationali- täten des Landes in echt sozialdemokratischer Weise friedlich für die gemeinsame Sache mit einander wirkend, theil. »» Au» New-Dork wird uns geschrieben: Der Antrag auf Vereinigung der beiden sozialistischen   Frak- t i o n e n ist in der Urabstimmung auf beiden Seiten mit großer Majorität angenommen worden; die meisten Sektionen waren einstimmig dafür. Damit ist aber die Vereinigung noch nicht vollzogen, sondern es soll dieselbe erst durch einen gemein- samen Kongreß, dem beiderseitige Konferenzen vorausgehen, end- giltig herbeigeführt werden. Aber obwohl es auf dem Kongreß zu einigen heftigen Auseinandersetzungen kommen dürste, ist doch nicht zu bezweifeln, daß sich die Sozialisten Amerikas   binnen wenigen Monaten wieder in einer gemeinsamen Organisation befinden werden. Und wenn dies auch unter den obwaltenden Umständen kein Ereigniß von einflußreicher Bedeutung für die Entwicklung der amerikanischen Arbeiterbewegung im Gesammten ist, so ist doch damit ein Zustand beseitigt, welcher deprimirend auf die sozialistischen   Arbeiter selbst wirkte und denpolitischen Drahtziehern" in den gewerkschaftlichen Organisationen so weit sich jene in ihrer Ignoranz überhaupt um derartige Tinge kümmern Gelegenheit gab, auf die Zersplitterung unter den fortschrittlich gesonnenen Arbeitern zu verweisen. Todtenliste der Partei, i&n Enkheim ist am 21. der Steinmetz Heinrich Günther gestorben. April UoKerlos. Die Lokalkommissiou macht bekannt, daß Herr Philipp, Rosenthalerstr. 33, von der Boykottliste zu streichen ist, indem derselbe das Zirkular der Kommission unterschrieben hat. Der Restaurateur Albert W e g e r, Inhaber vom Reichsgarten auf Pichelsberg?, hat ebenfalls unterschrieben, Saal und Garten jeder Zeit zur Verfügung zu stellen. I. A.: I. Wernau, Rosenstr. 30. Der Zentralverein für Arbeitsnachweis hat soeben seinen Geschäftsbericht für das Jahr 1891 erscheinen lassen. Derselbe ist zu einer umfangreichen Broschüre angewachsen und hat einen Inhalt, der viel Interessantes bietet. Der Bericht zerfällt in drei Abtheilungen: in denArbeitsnachweis für männliche Per- sonen", den fürweibliche Personen" lmd eine Rubrik ist den vielgerühmtenWärmehallen" gewidmet. Die statistischen Zu- sammenstellungen ergeben, wie viel und wie wenig Arbeitskräfte an dieser Börsegehandelt" worden sind. Den einleitenden Worten entnehmen wir, daß der Bau der Lokalitäten in den Stadtbahnbögen 103/104 ca. 11 000 M. gekostet hat. Das Vor- standsmttglieo, der freisinnige Baumeister und noch freisinnigere Stadtverordnete Herr Wohlgemuth hat die Bescheidenheit besessen, diesen Bau zum Selbstkostenpreise auszuführen. Damit hat sich der Herr um das Wohl der arbeitenden Klasse Verdienste er- worden, die sich derselbe sicher nicht zu gering anrechnen wird. Ter Verein selber kam durch die Bauerei in eine sehr mißliche Lage, seine Mittel waren vollständig erschöpft, durchnamhafte Zuwendungen" verschiedener Millionäre und durch einen b e- deutenden Zuschuß der Berliner   Gemeindebehörde ist es möglich gewesen, daß sich der Verein über Wasser halten konnte. Die Stadt Berlin   hat übrigens für den Verein Vorsitzen- der Herr Magistratsassessor Dr. jur. R. Freund stets eine offene Hand gehabt. Da ist zuerst gezahlt worden die im städtischen Etat ausgeworfene Summe von 3000 Mark. Dann kommt noch unter deneinmaligen Beiträgen" eine außerordent liche Subvention im Betrage von 5000 M. Das ergiebl 3000 M., ein Beweis, welches Interesse die städtischen Behörden diesem Arbeits.markt" entgegenbringen. Die Antheilscheine sind zum größten Theil von Vorstandsmitgliedern gezeichnet, die Herren sind so besorgt um das Wohl und Wehe der Arbeiter, daß sie an dieser Sorge sogar ihren Geldbeutel theilnehmen lassen. Diese Antheilscheine sind unkündbar und unverzinslich und sollen mög- lichst mit 10 pCt. jährlich zurückgezahlt werden. Da es aber dem Verein in diesem Jahre so trübselig ergangen ist, mußte von einer Rückzahlung Abstand genommen werden, gewiß zum größten Vergnügen der armen Besitzer von Antheilscheinen. Als der Magistrat dem Verein die Unterstützung zusagte, stellte er die Bedingung, daß dieVermittlungsgebühr" fortfallen müsse. Der Verein mußte, wenn er mit den städtischen Behörden auf gutem Fuße stehen bleiben wollte, in diesen sauren Apfel beißen. In dem Geschäftsbericht heißt es, daß derVorstand diese Bedingungmit Freuden akzeptirte". Das ist offizieller Stil! Aber der Vorstand wußte sich zu helfen: er verminderte den Ausfall durch eine Einschreibegebühr beim Arbeitsnachweis für weibliche Per- sonen. Diese brachte 177,60 Mark ein. Das ist nicht viel, aber es hilft doch ein Loch zustopfen! Nachdem noch mitgetheilt worden ist, daß die umfangreiche Insertion und Versendung von Zirkularen mit dazu beigetragen haben, die Kosten erheblich zu erhöhen, wird mit Stolz gemeldet. daß die Mitgliederzahl von 374 aus 520 gestiegen ist und daß hochgestellte Personen dieGnade gehabt haben, dem Verein nam- haste Beiträge zu überweisen". Es ist also die Geldklemme des Vereins kaum zu erklären. Den drei Abtheilnngen über die einzelnen Unternehmungen des Vereins werden wir noch besondere Artikel widmen nament­lich dieWärmehallen" verdienen eine entsprechende Kritik. Was da alles für das Wohl der Arbeiter gethan wird, läßt sich kaum schildern. Es schließt übrigens der Vorbericht der Vereinsmittheilungen mit folgendem Satz, der bezeichnend ist, für die Sorgen, mit denen sich die Leute tragen müssen: Dem Inspektor Herrn Scheibe ist der Titel Ober inspektor beigelegt worden". Und die Welt steht noch fest in ihren Angeln! WohlfahrtS-Konferenz. Gestern fand die zweite und Schluß-Versammlung statt. Zur Verhandlung stand:Diezweck- mäßige Verwendung der Sonntags- und Feierzeit". Das sanft- lebende Fleisch von Dresden  , Geh. Rath Prof. Dr. Böhmert, wiederholte seine von uns bereits vor einiger Zeit mitgetheilten Vorschläge. Es beruhen diese auf dem Geist der Bevormundung der Arbeiter, wenn auch mehrfach gesagt wird, die Bevormundung sei auszuschließen. Der Vorschlag 4 lautet:Der Unternehmer sollte sich an den Erholungen seiner Arbeiter nicht nur mit Gaben, sondern mit seiner Person, aber nicht als Herr, sondern als Ge- nosse unter Genosse» belheiligen." Für diesen Bauernfang fehlt heute denn doch den Arbeitern die Empfänglichkeit. Mag sich der Prinzipal bei der Arbeit und Lohnzahlung seinen Arbeitern als Genosse bewähren, möge er ihre Gleichberechtigung aner» kennen, möge er nicht ihr Vereinigungsrecht vergewaltigen, dann mag er an den Vergnügungen der Arbeiter Theil nehmen. So aber wird er immer nur als Störer der Gemüthlichkeit erscheinen, die Arbeiter werden auf ihn wie auf einen Zuchtmeister blicken, der sie auch bei ihren Vergnügungen verfolgt. DieArbeiten" der WohlfahrtS-Konferenz, der so viele Minister und Geheimräthe beiwohnten, bestanden einfach darin, daß man leeres Stroh drosch. Die Lehrlingsausbentung ist eine der schändlichsten Formen der kapitalistischen   Ausbeutung und steht in üppigster Blüthe. Wir heben hier nur einen Fall hervor, der leider noch lange nicht zu den schlimmsten gehört. In einer Alfenidewaaren- Fabrik werden 17 Lehrburschen und nur 9 Gesellen und 1 Werk- führer beschäftigt. Haben die Lehrlinge 4 Jahr gearbeitet, dann haben sieausgelernt" und werden entlassen. Die Ausbildung, die sie genießen, ist selbstverständlich nur eine äußerst einseitige, die Hauptsache ist die Ausbeutung der jugendlichen Arbeitskraft. Das erste Jahr bekommen sie als Lehrling 3 M. wöchentlich, wovon 25 Pf. für Krankenkasse und Alters- und Jnvaliditätskasse und 10 Pf. Spargeld abgezogen werden, so daß sie, wenn sie nicht einmal einige Minuten zu spät zur Arbeit kommen, wofür Straf- geld abgezogen wird, 2,65 M. erhält. In jedem folgenden Jahr steigt der Lohn um 1 M., als» auf 4, 5 und 6 M.. und im Vcrhültniß auch die Abzüge. Dann sieht er nach 4 Jahren auf der Straße; während seiner Lehrzeit sind eine ganze Anzahl neue Lehrlingeangelernt", denen das gleiche Schicksal bevorsteht. Da ihre Ausbildung nur eine lückenhafte ist und vielfach blas in der Ausfertigung einiger Spezialitäten besteht, sind sie ander- wärts kann» zu verwenden. Solche junge Burschen sind oft die einzige Hoffnung ihrer Mutter; was sie erschwingen konnte, hat sie sich'wahrend der Lehrzeit für ihren Sohn am Munde ab- gespart, und jetzt nach beendeter Lehrzeit, wo sie in ihm eine Stütze zu haben denkt, fällt er ihr womöglich erst recht zur Last. Die Gesellschaft ächtet die offenkundigen Wucherer, man meidet die Kuppelwirthe und Zuhälter, man kann sich vor Entrüstung nicht lassen über die Weibsbilder, welche Kindern auf der Straße die Ohrringe aushängen, aber solchen Knabenschindem, welche junge Leute unter den: Vorwande, sie auszubilden, an sich locken, nur um sie auszubeuten und sie dann einem verfehlten Leben zu- zutreiben, gegen solch- Leute verhält man sich durchaus nicht abwehrend, sie gelten als Ehrenmänner und ihre Verdienste um die Erziehung der Jugend werden gepriesen, und doch sind sie schädlicher und verderbenbringender, als die oben genannten Kategorien, welche die allgemeine Verachtung straft. Der Verein zur Besserung der Strafaefangeue« hat in feiner am Sonnabend abgehaltenen dieszährigen Haupt- Versammlung auss Neue bewiesen, daß er seinem Prinzip, den Großgrundbesitzern Arbeiter zu verschassen, auch in dem ab- gelaufenen Jahre treu geblieben ist. Wir haben uns schon vor ein und zwei Jahren wiederholt mit der Thättgkeit dieses Ver- eins beschäftigt. Vor einem Jahre glaubte der Dirigent des Ar� beitsnachweise-Bureaus Kaufmann Bischoss noch, den Verein öffentlich gegen den von uns erhobenen Vorwurf verwahren zu müssen, daß er schließlich blos die Interessen der Großgrund- besitzer fördere und seinePfleglinge" zu Arbeitgebern bringe, die sie gegen einen wahrenSpitzbubenlohn" beschäftigen. Diesmal wurde das gar nicht mehr für nöthig gehalten, sondern es wurde offen zugegeben, im Jahresbericht wie auch von dem stellvertretenden Vorsitzenden Geh. Ober-Justizrath Dr. Starcke, daß der Verein sich bemüht,gleichzeitig die Interessen der Gegenden, in denen es an Ar- beitern fehlt, zu fördern", daß die Arbeitgeber,anfangs oft nur durch die Unmöglichkeit, in anderer Weise Arbeiter zu erhalten. zu dem Entschlüsse zu bringen sind, Strafentlassene aufzunehmen", und daß sieihre eigenen Interessen bei dem guten Werke, welches sie an den Strafentlassenen verrichten, nicht schädigen". Das ist wenigstens offen und ehrlich gesprochen, wenngleich das Geständniß etwas spät kommt. Dagegen verhalten sich die Herren hinsichtlich der an die Strafentlassenen von Seiten der Großgrundbesitzer gezahlten Löhn« nach wie vor sehr zugeknöpft. Für die aufs Neue aufgestellte Behauptung, daß sich die Straf- entlassenen als Landarbeiter gar nicht schlecht stünden, ist man, von einigen allgemeinen Redensarten abgesehen, aufs Neue den Beweis schuldig geblieben. Der Berein hat sich immer noch nicht entschließen können, mit einer genauen Statistik über die Löhne dieser Landarbeiter vor die Oeffentlichkeit zu treten. Wir wiederholen, daß diese nun bereits zum dritten Male von uns gestellte Forderung um so leichter zu erfüllen ist, da der Verein mit seinenPfleglingen" wie mit deren Arbeitgebern noch lange Zeit in persönlichem oder brieflichem Verkehr bleibt. Diejenigen Angaben, welche man dem Jahresbericht über 1891 einzureihen gewagt hat. bieten übrigens immer noch genug Material, um danach den Werth der Thätigkeit des Vereins be- urtheilen zu können. Die Zahl der Hilfesuchenden(3930), wie die der in Stellung Gebrachten(3302) sind beide gegen 1890 ge- wachsen. In den kältesten Monaten, in denen Arbeit am schwersten zu finden und die Hilfe auch aus anderen Gründen am nöthigsten ist, war auch diesmal wieder, wie in den Vor- jähren, der Andrang am stärksten, die Zahl der nachgewiesenen Stellungen dagegen am geringsten. Landarbeiter werden eben im Winter schon gar nicht gebraucht. In den warmen Monaten war von Allem genau das Gegentheil der Fall. In der Ernte- zeit besonders scheinen die Strafentlassenen bei den mecklen- burgischen Junkern ein sehr begehrter Artikel gewesen zu sein. Der Verein berücksichtigt daher bei der Unterbringung derPfleglinge" thatsächlich fast nur noch dienothleidenden" Großgrundbesitzer. Die Zahl der als Landarbeiter(Knechte, Hofgänger) Untergebrachten war 1888: 687, 1889: 736, 1890: 1413, 1891: 1729. Im Jahre 1391 wurden außerdem noch 960 als Erd- und Ziegelei-Arbeiter und 165 als Fabrikarbeiter unter- gebracht, sodaß von im Ganzen 3302 allein 2854(= 86 pCt) alsArbeiter", wie sie im Bericht genannt werden, Beschäftigung erhielten. Ob dieses Ergebniß einErfolg" zu nennen ist, läßt sich erst dann richtig beurtheilen, wenn dieArbeiter" neben die andere Gruppe vonPfleglingen", die Beamten, Kaufleute, Buch« Halter, Verkäufer, Aufseher, Schreiber, Handwerker, Kutscher, Hausdiener, gestellt werden. Zu Gruppe 1 gehörten nach ihrem