Beilage zum„Vorwärts" Berliner Volksblatt.Nr. 98.Mittwoch, den 27. April 1893.9. Iichrg.Auf einem Ausfluge, den die Parteigenossen von Wald«r Solingen am 1. ofterfeiertoge nach Kellerthor, Haan undManertermühle unternahmen, wurde eine große Anzahl Zeitungenverschiedener Art. Nummern des„Wahren Jakob" und Broschürenverbreitet.— Aus das Nützliche solcher Ausflüge ist schon wieder«holt hingewiesen worden.<»Zur Berautwortlichkeit* der Nichter und Staatsanwälte. Bekanntlich hatte der Stadtrath zu Mittweida währendder Sitzungen des Reichstages gegen den Abgeordneten Schmidteinen Strafbefehl wegen groben Unfugs erlassen, der darin er-blickt wurde, daß Schmidt in unserem von ihm redigirtenSchwesterorgan zu Burgstädt unter Darlegung der sozialdemokratischen Bestrebungen zum Abonnement auf dasselbe aufforderte.Das Landgericht zu Chemnitz hatte ein freisprechendes Urtheilgefällt. Stadthagen hatte dann Strafantrag gegen den Stadt-rath zu Mittweida gestellt, weil letzterer sowohl hätte wissenmüssen, daß grober Unfug nicht vorliegt, wie daß die Straf-Verfolgung während der Tagung des Reichstages unzulässig ist.Desgleichen war beantragt, gegen den Staatsanwalt zu Chemnitzund die dortigen Richter strafrechtlich vorzugehen, welche die un-statthaste Strafverfolgung und die gewaltsame Vorführung desGenossen Schmidt wegen zehn anderer angeblicher Strasthatenwährend der Dauer der Session veranlaßt hatten. DerGeneral- Staatsanwalt j hatte mit der Untersuchung wegen dieserund der weiteren Anschuldigung, daß in einer Ausführung derGründe des das Hauptverfahren eröffnenden Beschlusses eineMajestätsbeleidigung und in der Ausführung des Staatsanwaltsdaß der unbestrafte Genosse Schmidt ein„gewerbsmäßiger Ehr-abschneider", eine Beleidigung liege, den Ersten Staats-anwalt zu Dresden beaifftragt. Dieser hat jetztdie Strafverfolgung abgelehnt. Die betreffenden Be-Hörden und Beamten hätten sich schlimmstenfalls inentschuldbarem Rechtsirrthum befunden, die Aeußerung des Staats-anwalts, bezüglich deren der General-Staatsanwaltim Reichstage erklärt hatte, sie sei weder zweckmäßig nochnothwendig gewesen, er habe deshalb den Richter rektifizirt, seinicht rechtswidrig erfolgt u. f. w. Gegen diesen Beschlußhat Rechtsanwalt Stadthagen Beschwerde eingelegt. Die Be-schwerde wird den Erfolg haben, daß die sächsischen OberbehördenStellung zu der Frage zu nehmen haben, ob ein Richter und einStaatsanwalt in der That wegen vom Reichsgericht für u n-st a t t h a f t erklärter Handlungen und deren Folgen nicht ver-antwortlich sei, während jeder Arzt. Apotheker und Kutscher nachdem Stras-Gesetzbuch für jede fahrlässige Berufshandlungdie z. B. eine Körperverletzung zur Folge hat, zu haften hat unddie Unkenntniß eines Laien, eines Nichsturisten bekanntlich diesenvor Strafe nicht schützt. Wird die Frage abermals verneint, sowird die weitere Frage vielleicht den Reichstag zu beschäftigenhaben: aus welchem Grunde sind gelehrte Richter nothwendig,wenn diese ohne irgend welche Folgen in Ausübung ihres Be-rufes irren und Staatsbürger verfolgen und in ihrer Freiheitbehindern dürfen? � �Sozialdemokratische und bürgerliche Presse ElsaffLothringen»..Konsequent, zielbewußt und farbebekennend istin Elsaß-Lothringen eigentlich nur die sozialdemokrattsche Mül-hauser„Bolkszeitung".»in Blatt, in dem wir mehr wirklich ge-diegene und intereffante Artikel finden, deren einseittger Partei«standpunkt ihren Werth nicht mindert, als in unseren sämmtlichenseichten Waschblättern von Mülhausen bis Metz zusamnien«genommen." Dieses Urtheil fällt das nichtsozialdemokrattsche„Straßburger Tageblatts in Nr. 92 vom 20. April.Kanzelblüthe. Wie die„'Märkische Arbeiter-Zeitung" inNr. 37 vom 23. April mittheilt, hat in der D u, s b u r g e rJosefSkirche ein Pater bei einer Predigt über die angeblichgotteslästerlichen Tendenzen der Sozialdemokratie die Sozialistenin folgende zwei Mafien geschieden: a) Stimmvieh, d. h. solche,welche durch Unglauben, Elend und Verzweiflung nicht wissen,was sie thun; d) solche, welche die Ziele der Partei kenne».Letztere sind ohne Unterschied Menschen mit einem Charakter undGewissen, daß jeder anständige Mensch sich schämen muß,mit ihnen über die Straße zu gehen, geschweige denn zu ver-kehren.—Wenn die Ultramontanen sich gelegentlich über eine nichtganz salonmäßige Behandlung durch unsere Genossen beschweren,mag man ihnen nur vorstehende boshaft-alberne Klassifizirung zuGemüthe führen, die einer ihrer Zionswächter verübte.Die Sozialdemokratie Bayern» hält am 26. Juni inRegenSburg einen Parteitag ab. Auf der vorläufigenTagesordnung befinden sich folgende Punkte: Die Thätigkeit desbayerischen Landtags und die Wahlen zu demselben im Jahre 1893,Agitation und Organisation. Einberufer des Parteitages sinddie Nürnberger Genossen� Joh. Sch erm und Martin S e g i tz.Der 3. pfalzische Arbeitertag findet während der Psingst«feiertage im Eaalbau zu a i s e r s l a u t e r n statt.Wa»„politische Gegenstande" find, ist in neuerer Zeitschon mehrfach infolge einer Entscheidung des Reichsgerichts de-sprachen worden. Bei der Wichtigkeit der Sache ist es nicht un-angebracht, nochmals auf die Frage zurückzukommen, da diepreußischen Polizeibehörden die Fachvereine vielfach als politischeVereine im Sinne des§ 8 des Vereinsgesetzes vom II. März1850 behandelt haben. Auch der Regierungspräsident vonSchleswig macht gerade deshalb neuerdings darauf aufmerksam,daß nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts als politische Angelegenheiten nur diejenigen anzusehen sind, welche Ver-fassung, Verwaltung. Gesetzgebung desStaates, die staatsbürgerlichen Rechte derUnterthanen und die internationalen Be-ziehuygen der Staaten zu einander m sichbegreifen. Die Ausübung der im ß 132 der Reichs-Gewerbe-Ordnung verbürgten Koalitionsfreiheit, wie überhaupt dieArbeitsverträge zwischen Arbeitern und Arbeitgebern unterliegender freien Vereinbarung der Vertragschließenden und gehören demPrivatrecht, nicht der Politik an. Es handelt sich der derBestimmung des Begriffs„politische Gegenstände" nicht darum,durch irgendwelche Kombinationen zu ermitteln, ob der fraglicheGegenstand nicht unter irgeud welchen Umständen in die Auf-gaben und Interessen des Staates hinübergreifen kann, sondernausschließlich dämm, ob der Gegenstand als solcher un mittel«bar den Staat, seine Gesetzgebung oder Verwaltung berührt,seine Organe und Funktionen in Bewegung setzt. Diese Gesichts-punkte sind in einem neueren Erkenntnisse des Reichsgerichts ge-rade in Bezug auf die Fachvereine ausgestellt worden.— DieFachvereine wären hiernach als politische Vereine nur dann an-zusehen, wenn besondere Thatsachen dies im einzelnen Falle recht-fertigen, insbesondere, wenn trotz des Statuts— das etwa dieBeschäftigung mit politischen Dingen ausdrücklich ausschließt—thatsächlich in ihren Versammlungen in einer Reihe von Fällenpolitische Gegenstände erörtert worden sind.Der erste Frauentag hat kürzlich in Le mberg stattgefunden. Derselbe gestaltete sich, wie die Wiener„Arbeiterinnen�Zeitung" in Nr. 8 schreibt, zu einer sozialdemokratischen Kund-gebung. Den Vorsitz führte Frau Pruchnik, welche für diepolitischen Rechte der Frauen in einem ausgezeichneten Referateeintrat. Frau Czajkovska und Kobryiaska(Bolcchow) sprachenüber die Zulassung der Frauen zu den Mittel- und Hochschulenund Genossin Koszycka über die Lage der Arbeiterinnen. DasReferat der Genossin Koszycka machte auf das ungemeinzahlreich versammelte Publikum einen großen Eindruck. Als dieReferentin in schlichten Worten die"Lage der Arbeiterinnenin Lemberg schilderte, konnten sich viele Anwesende des Weinensnicht enthalten. Alle Referate behandelten die Frauenfrage alseinen Theil der sozialen Frage, die nur mit diesergelöst werden könne. Hervorzuheben ist noch das muthige Auf-treten der Lehrerin Goldfarb, welche, alle Rücksichten außerAcht lassend, die Lage der Lehrerinnen besprach. Tie Weiberder Bourgeosie hatte» ohne Erfolg den riesigen Besuch der Ver-sammlung zu verhindern gesucht, indem sie zu gleicher Zeit einepatriotische Versammlung einberiefen und als Paradepferd deneigens zu diesem Zwecke aus Krakau bezogenen Dichter Asnykvorführten. Die Dämchen glaubten ihre Jugendsünden am bestenvergessen zu machen, wenn sie von Haus zu Haus herumliefenund die Anhängerinnen des Frauentages durch Bitten undDrohungen zu bewegen suchten, von dem Besuche der Versammlungabzustehen. Am Frauentag nahmen Angehörige aller Nationali-täten des Landes in echt sozialdemokratischer Weise friedlich fürdie gemeinsame Sache mit einander wirkend, theil.»»Au» New-Dork wird uns geschrieben: Der Antrag aufVereinigung der beiden sozialistischen Frak-t i o n e n ist in der Urabstimmung auf beiden Seiten mit großerMajorität angenommen worden; die meisten Sektionenwaren einstimmig dafür. Damit ist aber die Vereinigung nochnicht vollzogen, sondern es soll dieselbe erst durch einen gemein-samen Kongreß, dem beiderseitige Konferenzen vorausgehen, end-giltig herbeigeführt werden. Aber obwohl es auf dem Kongreßzu einigen heftigen Auseinandersetzungen kommen dürste, ist dochnicht zu bezweifeln, daß sich die Sozialisten Amerikas binnenwenigen Monaten wieder in einer gemeinsamen Organisationbefinden werden. Und wenn dies auch unter den obwaltendenUmständen kein Ereigniß von einflußreicher Bedeutung für dieEntwicklung der amerikanischen Arbeiterbewegung im Gesammtenist, so ist doch damit ein Zustand beseitigt, welcher deprimirendauf die sozialistischen Arbeiter selbst wirkte und den„politischenDrahtziehern" in den gewerkschaftlichen Organisationen— soweit sich jene in ihrer Ignoranz überhaupt um derartige Tingekümmern— Gelegenheit gab, auf die Zersplitterung unter denfortschrittlich gesonnenen Arbeitern zu verweisen.Todtenliste der Partei, i&n Enkheim ist am 21.der Steinmetz Heinrich Günther gestorben.AprilUoKerlos.Die Lokalkommissiou macht bekannt, daß Herr Philipp,Rosenthalerstr. 33, von der Boykottliste zu streichen ist, indemderselbe das Zirkular der Kommission unterschrieben hat. DerRestaurateur Albert W e g e r, Inhaber vom Reichsgarten aufPichelsberg?, hat ebenfalls unterschrieben, Saal und Gartenjeder Zeit zur Verfügung zu stellen.I. A.: I. Wernau, Rosenstr. 30.Der Zentralverein für Arbeitsnachweis hat soeben seinenGeschäftsbericht für das Jahr 1891 erscheinen lassen. Derselbeist zu einer umfangreichen Broschüre angewachsen und hat einenInhalt, der viel Interessantes bietet. Der Bericht zerfällt indrei Abtheilungen: in den„Arbeitsnachweis für männliche Per-sonen", den für„weibliche Personen" lmd eine Rubrik ist denvielgerühmten„Wärmehallen" gewidmet. Die statistischen Zu-sammenstellungen ergeben, wie viel und wie wenig Arbeitskräftean dieser Börse„gehandelt" worden sind. Den einleitendenWorten entnehmen wir, daß der Bau der Lokalitäten in denStadtbahnbögen 103/104 ca. 11 000 M. gekostet hat. Das Vor-standsmttglieo, der freisinnige Baumeister und noch freisinnigereStadtverordnete Herr Wohlgemuth hat die Bescheidenheit besessen,diesen Bau zum Selbstkostenpreise auszuführen. Damit hat sichder Herr um das Wohl der arbeitenden Klasse Verdienste er-worden, die sich derselbe sicher nicht zu gering anrechnen wird.Ter Verein selber kam durch die Bauerei in eine sehr mißlicheLage, seine Mittel waren vollständig erschöpft, durch„namhafteZuwendungen" verschiedener Millionäre und durch einen b e-deutenden Zuschuß der Berliner Gemeindebehörde ist esmöglich gewesen, daß sich der Verein über Wasser halten konnte.Die Stadt Berlin hat übrigens für den Verein— Vorsitzen-der Herr Magistratsassessor Dr. jur. R. Freund— stets eineoffene Hand gehabt. Da ist zuerst gezahlt worden die imstädtischen Etat ausgeworfene Summe von 3000 Mark. Dannkommt noch unter den„einmaligen Beiträgen" eine außerordentliche Subvention im Betrage von 5000 M. Das ergiebl 3000 M.,— ein Beweis, welches Interesse die städtischen Behörden diesemArbeits.markt" entgegenbringen. Die Antheilscheine sind zumgrößten Theil von Vorstandsmitgliedern gezeichnet, die Herrensind so besorgt um das Wohl und Wehe der Arbeiter, daß siean dieser Sorge sogar ihren Geldbeutel theilnehmen lassen. DieseAntheilscheine sind unkündbar und unverzinslich und sollen mög-lichst mit 10 pCt. jährlich zurückgezahlt werden. Da es aberdem Verein in diesem Jahre so trübselig ergangen ist, mußte voneiner Rückzahlung Abstand genommen werden,— gewiß zumgrößten Vergnügen der armen Besitzer von Antheilscheinen. Alsder Magistrat dem Verein die Unterstützung zusagte, stellte erdie Bedingung, daß die„Vermittlungsgebühr" fortfallen müsse.Der Verein mußte, wenn er mit den städtischen Behörden aufgutem Fuße stehen bleiben wollte, in diesen sauren Apfel beißen. Indem Geschäftsbericht heißt es, daß derVorstand diese Bedingung„mitFreuden akzeptirte". Das ist offizieller Stil! Aber der Vorstandwußte sich zu helfen: er verminderte den Ausfall durch eineEinschreibegebühr beim Arbeitsnachweis für weibliche Per-sonen. Diese brachte 177,60 Mark ein. Das ist nicht viel, aberes hilft doch ein Loch zustopfen!Nachdem noch mitgetheilt worden ist, daß die umfangreicheInsertion und Versendung von Zirkularen mit dazu beigetragenhaben, die Kosten erheblich zu erhöhen, wird mit Stolz gemeldet.daß die Mitgliederzahl von 374 aus 520 gestiegen ist und daßhochgestellte Personen die„Gnade gehabt haben, dem Verein nam-haste Beiträge zu überweisen". Es ist also die Geldklemme desVereins kaum zu erklären.Den drei Abtheilnngen über die einzelnen Unternehmungendes Vereins werden wir noch besondere Artikel widmen— namentlich die„Wärmehallen" verdienen eine entsprechende Kritik. Wasda alles für das Wohl der Arbeiter gethan wird, läßt sich kaumschildern.Es schließt übrigens der Vorbericht der Vereinsmittheilungenmit folgendem Satz, der bezeichnend ist, für die Sorgen, mit denensich die Leute tragen müssen:„Dem Inspektor Herrn Scheibe ist der Titel Ober inspektorbeigelegt worden".Und die Welt steht noch fest in ihren Angeln!WohlfahrtS-Konferenz. Gestern fand die zweite undSchluß-Versammlung statt. Zur Verhandlung stand:„Diezweck-mäßige Verwendung der Sonntags- und Feierzeit". Das sanft-lebende Fleisch von Dresden, Geh. Rath Prof. Dr. Böhmert,wiederholte seine von uns bereits vor einiger Zeit mitgetheiltenVorschläge. Es beruhen diese auf dem Geist der Bevormundungder Arbeiter, wenn auch mehrfach gesagt wird, die Bevormundungsei auszuschließen. Der Vorschlag 4 lautet:„Der Unternehmersollte sich an den Erholungen seiner Arbeiter nicht nur mit Gaben,sondern mit seiner Person, aber nicht als Herr, sondern als Ge-nosse unter Genosse» belheiligen." Für diesen Bauernfang fehltheute denn doch den Arbeitern die Empfänglichkeit. Mag sichder Prinzipal bei der Arbeit und Lohnzahlung seinen Arbeiternals Genosse bewähren, möge er ihre Gleichberechtigung aner»kennen, möge er nicht ihr Vereinigungsrecht vergewaltigen, dannmag er an den Vergnügungen der Arbeiter Theil nehmen. Soaber wird er immer nur als Störer der Gemüthlichkeit erscheinen,die Arbeiter werden auf ihn wie auf einen Zuchtmeister blicken,der sie auch bei ihren Vergnügungen verfolgt.Die„Arbeiten" der WohlfahrtS-Konferenz, der so vieleMinister und Geheimräthe beiwohnten, bestanden einfach darin,daß man leeres Stroh drosch.Die Lehrlingsausbentung ist eine der schändlichsten Formender kapitalistischen Ausbeutung und steht in üppigster Blüthe.Wir heben hier nur einen Fall hervor, der leider noch langenicht zu den schlimmsten gehört. In einer Alfenidewaaren-Fabrik werden 17 Lehrburschen und nur 9 Gesellen und 1 Werk-führer beschäftigt. Haben die Lehrlinge 4 Jahr gearbeitet, dannhaben sie„ausgelernt" und werden entlassen. Die Ausbildung,die sie genießen, ist selbstverständlich nur eine äußerst einseitige,die Hauptsache ist die Ausbeutung der jugendlichen Arbeitskraft.Das erste Jahr bekommen sie als Lehrling 3 M. wöchentlich,wovon 25 Pf. für Krankenkasse und Alters- und Jnvaliditätskasseund 10 Pf. Spargeld abgezogen werden, so daß sie, wenn sie nichteinmal einige Minuten zu spät zur Arbeit kommen, wofür Straf-geld abgezogen wird, 2,65 M. erhält. In jedem folgenden Jahrsteigt der Lohn um 1 M., als» auf 4, 5 und 6 M.. und imVcrhültniß auch die Abzüge. Dann sieht er nach 4 Jahren aufder Straße; während seiner Lehrzeit sind eine ganze Anzahl neueLehrlinge„angelernt", denen das gleiche Schicksal bevorsteht. Daihre Ausbildung nur eine lückenhafte ist und vielfach blasin der Ausfertigung einiger Spezialitäten besteht, sind sie ander-wärts kann» zu verwenden. Solche junge Burschen sind oft dieeinzige Hoffnung ihrer Mutter; was sie erschwingen konnte, hatsie sich'wahrend der Lehrzeit für ihren Sohn am Munde ab-gespart, und jetzt nach beendeter Lehrzeit, wo sie in ihm eineStütze zu haben denkt, fällt er ihr womöglich erst recht zur Last.Die Gesellschaft ächtet die offenkundigen Wucherer, man meidetdie Kuppelwirthe und Zuhälter, man kann sich vor Entrüstungnicht lassen über die Weibsbilder, welche Kindern auf der Straßedie Ohrringe aushängen, aber solchen Knabenschindem, welchejunge Leute unter den: Vorwande, sie auszubilden, an sich locken,nur um sie auszubeuten und sie dann einem verfehlten Leben zu-zutreiben, gegen solch- Leute verhält man sich durchaus nichtabwehrend, sie gelten als Ehrenmänner und ihre Verdienste umdie Erziehung der Jugend werden gepriesen, und doch sind sieschädlicher und verderbenbringender, als die oben genanntenKategorien, welche die allgemeine Verachtung straft.Der Verein zur Besserung der Strafaefangeue« hatin feiner am Sonnabend abgehaltenen dieszährigen Haupt-Versammlung auss Neue bewiesen, daß er seinem Prinzip, denGroßgrundbesitzern Arbeiter zu verschassen, auch in dem ab-gelaufenen Jahre treu geblieben ist. Wir haben uns schon vorein und zwei Jahren wiederholt mit der Thättgkeit dieses Ver-eins beschäftigt. Vor einem Jahre glaubte der Dirigent des Ar�beitsnachweise-Bureaus Kaufmann Bischoss noch, den Vereinöffentlich gegen den von uns erhobenen Vorwurf verwahren zumüssen, daß er schließlich blos die Interessen der Großgrund-besitzer fördere und seine„Pfleglinge" zu Arbeitgebern bringe,die sie gegen einen wahren„Spitzbubenlohn" beschäftigen. Diesmalwurde das gar nicht mehr für nöthig gehalten, sondern es wurde offenzugegeben, im Jahresbericht wie auch von dem stellvertretendenVorsitzenden Geh. Ober-Justizrath Dr. Starcke, daß der Verein sichbemüht,„gleichzeitig die Interessen der Gegenden, in denen es an Ar-beitern fehlt, zu fördern", daß die Arbeitgeber,„anfangs oft nurdurch die Unmöglichkeit, in anderer Weise Arbeiter zu erhalten.zu dem Entschlüsse zu bringen sind, Strafentlassene aufzunehmen",und daß sie„ihre eigenen Interessen bei dem guten Werke,welches sie an den Strafentlassenen verrichten, nicht schädigen".Das ist wenigstens offen und ehrlich gesprochen, wenngleich dasGeständniß etwas spät kommt. Dagegen verhalten sich dieHerren hinsichtlich der an die Strafentlassenen von Seiten derGroßgrundbesitzer gezahlten Löhn« nach wie vor sehr zugeknöpft.Für die aufs Neue aufgestellte Behauptung, daß sich die Straf-entlassenen als Landarbeiter gar nicht schlecht stünden, ist man,von einigen allgemeinen Redensarten abgesehen, aufs Neue denBeweis schuldig geblieben. Der Berein hat sich immer noch nichtentschließen können, mit einer genauen Statistik über die Löhnedieser Landarbeiter vor die Oeffentlichkeit zu treten. Wirwiederholen, daß diese nun bereits zum dritten Male von unsgestellte Forderung um so leichter zu erfüllen ist, da der Vereinmit seinen„Pfleglingen" wie mit deren Arbeitgebern noch langeZeit in persönlichem oder brieflichem Verkehr bleibt.Diejenigen Angaben, welche man dem Jahresbericht über1891 einzureihen gewagt hat. bieten übrigens immer noch genugMaterial, um danach den Werth der Thätigkeit des Vereins be-urtheilen zu können. Die Zahl der Hilfesuchenden(3930), wiedie der in Stellung Gebrachten(3302) sind beide gegen 1890 ge-wachsen. In den kältesten Monaten, in denen Arbeit amschwersten zu finden und die Hilfe auch aus anderen Gründenam nöthigsten ist, war auch diesmal wieder, wie in den Vor-jähren, der Andrang am stärksten, die Zahl der nachgewiesenenStellungen dagegen am geringsten. Landarbeiter werden ebenim Winter schon gar nicht gebraucht. In den warmen Monatenwar von Allem genau das Gegentheil der Fall. In der Ernte-zeit besonders scheinen die Strafentlassenen bei den mecklen-burgischen Junkern ein sehr begehrter Artikel gewesen zusein. Der Verein berücksichtigt daher bei der Unterbringungder„Pfleglinge" thatsächlich fast nur noch die„nothleidenden"Großgrundbesitzer. Die Zahl der als Landarbeiter(Knechte,Hofgänger) Untergebrachten war 1888: 687, 1889: 736, 1890:1413, 1891: 1729. Im Jahre 1391 wurden außerdem noch 960als Erd- und Ziegelei-Arbeiter und 165 als Fabrikarbeiter unter-gebracht, sodaß von im Ganzen 3302 allein 2854(= 86 pCt)als„Arbeiter", wie sie im Bericht genannt werden, Beschäftigungerhielten. Ob dieses Ergebniß ein„Erfolg" zu nennen ist, läßtsich erst dann richtig beurtheilen, wenn die„Arbeiter" neben dieandere Gruppe von„Pfleglingen", die Beamten, Kaufleute, Buch«Halter, Verkäufer, Aufseher, Schreiber, Handwerker, Kutscher,Hausdiener, gestellt werden. Zu Gruppe 1 gehörten nach ihrem