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lich war, weil meine Freunde mich im Stich ließen. Daß die konservative Partei sich damals ebenso ausgiebig wie heute an der Debatte hätte betheiligen können(Heiterkeit), bezweifle ich nicht: es giebt ja in derselben wohl auch Redner, die ohne er- sichtliche Ermüdung einige Viertelstunden über diese Dinge reden können, wie über manche andere Dinge. Gegen den Nachtrags- etat haben wir nichts einzuwenden, lieber die Trennung des Reichskanzleramts von dem Ministerpräsidium ist im Reichstage schon vergandelt worden; man gab allgemein der Ansicht Aus- druck, daß man abwarten müsse. Vom preußischen Standpunkt aus liegt kein Bedenken vor; man könnte vielleicht fragen, ob in der Trennung nicht ein Vortheil für Preußen liegt. Ich habe auch das Bedürfniß, dem früheren Kultusminister Graf Zedlitz nachzusagen, daß er nicht nur seine eigene Sache vertrat, sondern auch die Motive der Gegner zu erkennen suchte. Das Bedauern über den Fall des Volksschul- Gesetzes ist aber nur von einer kleinen Minderheit im Volke und selbst unter den Konservativen «zetheilt worden. Wir hätten in der Kommission und im Plenum gegen das Schulgesetz gekämpft und wir hätten wohl dem Volke klar gemacht, daß wir die idealen Interessen vertreten. Aber im Interesse des Landes war es besser, daß der Kampf aufhörte. Wir sind dem König dankbar dafür, daß er den Kampf beendigt hat. Denn wir waren auf ein Gebiet gekommen, wo alle Disputationen die Menschen immer weiter entfernen und sie nicht zusammen bringen. Abg. von Kardorss(fk.): Die Erklärung des Herrn von Rauchhaupt läßt manches zu wünschen übrig. Er bedauert, daß den Konservativen nicht Zeit gelassen sei, die Gesehe zu über- winden und eine Verständigung herbeizuführen. Mit wem sollte die Verständigung herbeigeführt werden? Die Verständigung wurde doch nur ausschließlich mit dem Zentrum versucht und nicht mit uns. Uns will es so vorkommen, als wenn eine schärfere Tonart in der konservativen Partei die Oberhand gewonnen hat; es>vird als eine Art Spott betrieben, die Mittelparteien an die Wand zu drücken; nur das in Acht und Bann gethane Organ deS Herrn von Helldorff führte eine andere Sprache. Herr von Rauchhaupt nahm vielleicht zum Volksschul-Gesetz eine andere Stellung ein als die Herren von Hammerstein und Ge- »offen. Sein Standpunkt näherte sich vielleicht mehr dem unserigen. Aber von Seiten der Konservativen ist eine Ver- ständigung mit uns nicht angebahnt worden; sobald Herr v. Huene sich gegen unsere Anträge erklärte, waren dieselben ab- gethan. Wäre Herr v. Rauchhaupt hier gewesen, so wäre es vielleicht etwas' anders geworden. Jetzt könnte er an dem Schicksal des Schulgesetzes nichts mehr ändern; es wäre ihm vielleicht dasselbe Schicksal wie Herrn v. Helldorff zu Theil ge- »'orden.  (Widerspruch rechts.) Noch niemals ist ein Führer von einer Partei so schroff behandelt worden, wie Herr v. Helldorff. Die Konservativen wollten mit dem Zentrum zusammen im Gegensatz zu den Mittelparteien das Schulgesetz machen; sie wollten keine Verständigung mit uns. Danach mußten wir die Hoffnungen auf eine Verständigung aufgeben, namentlich als der Reichskanzler die Christen und die Atheisten in Gegensatz gestellt hatte. Ich habe die Vorlage wie alle großen Vorlagen, welche die Stagnation der Gesetzgebung beseitigen sollten, für einen Jehler gehalten. Fürst Bismarck   würde das Goßler'sche Schul­gesetz, die Landgemeinde-Ordnung und auch das Einkommensteuer- Gesetz wohl nicht in dieser Form eingebracht haben; er hätte sich gehütet, bei den verschiedenen Parteien damit Anstoß zu erregen. Abg. Stöcker(k.): Herr von Kardorss hat in die uns be- schäftigende Angelegenheit eine Menge von Persönlichem hinein- getragen, was beweist, daß er die Sache nicht recht klar ver- steht. Ich bin in Sachsen   für einen konservativen Antisemiten, »icht gegen einen nationalliberalen, sondern gegen einen national- liberalen Antisemiten solche Eremplare giebt es nämlich (Heiterkeit) eingetreten. Gegen"den Vorwurf hierarchischer Bestrebungen muß ich mich verwahren. Die evan- gelische Kirche kennt solche Bestrebungen nicht. Wer sich Ihnen hingeben würde, würde vom evangelischen Volke verlassen werden.(Unruhe links.) Die ganzen Ausführungen be­weisen, daß die ganze Bewegung nicht gegen da? Schulgesetz an sich ginge, sondern daß es sich dabei um die nächsten Wahlen handelte.(Widerspruch links und bei den Freikonservativen.) Zu ernsthasten Versuchen der Verständigung ist es überhaupt nicht gekommen und aus der andern Seite war man auch gar nicht geneigt, eine Verständigung herbeizuführen. Wir haben zu An- sang der Verhandlungen dem Antrage Rickert zugestimmt. «Lachen links) und damit den staatlichen Charakter der Volks- schule anerkannt. Bei den Privatschnlen und bei dem Veto wäre auch eine Verständigung zu ermöglichen gewesen. Die katholische Kirche   bestreitet dem Staate das Recht, den Religionsunterricht zu ertheilen und zu beaufsichtigen; durch die kleinen Konzessionen des Schulgesetzes hätte man diese Streitsrage beseitigen können. Diese Tragweite hat aber die linke Seite des Hauses nicht er- lanut. Die Unmöglichkeit der Verständigung ist nur eine Koulifle; was wir hinter uns haben, ist eine Tragödie der Irrungen Wenn eine Mehrheit im Lande sich gegen die Beschlüsse des Hauses gesträubt hätte, so wäre die Zurückziehung verständlich gewesen. Aver der Gegensatz draußen im Lande wurde künstlich geschürt. Die Entwickelung hat dem Ministerpräsidenten Recht gegeben, daß es sich dabei um einen Kampf zwischen Christenthum und Antichristenthum handelte.(Lebhafter Widerspruch links.) Das Anti- christenthum wurde namentlich von nationalliberalen Blättern ver- treten. Soweit kann ich nicht gehen, daß bei dem Gesetz auch für den unterliegenden Tbeil noch eine gewisse Befriedigung vorhanden �ein muß. Wohm sollen wir kommen, wenn solche Momente »für die Gesetzgebung ausschlaggebend sein sollen? Die erregte öffentliche Meinung war auf dem Holzwege.(Lachen links). Was uns die Furcht vor der gegenwärtigen Situation einflößt, ist der Umstand, daß wir auf ein Schwanken der Regierung vor der öffentlichen Meinung gestoßen sind. Ich habe die Furcht, daß eS uns schaden wird, daß die öffentliche Meinung zu stark auf die Regierung eingewirkt hat. Wir brauchen eine Regierung und parlamentarische Körperschaften, welche mit vollster Energie auf ihrem Posten stehen. Für mich ist der erste Parteigegensatz: Gentleman oder keiner.(Gelächter links.) Tie Herren vom Fortschritt verstehen das leider nicht.(Heiterkeit rechts). Ich kann ja den beiden Ministern, die unter uns sind, nur mein Vertrauen für die Zukunft entgegenbringen. Aber das glaube ich doch, wenn der Kultusminister sich mehr auf die Verwaltung seines Ressorts beschränken zu sollen geglaubt hat, als auf die Weiterbildung der Gesetzgebung, so versteht er die Situation »icht. An Gewissenszwang denkt Niemand.(Widerspruch links). Das ist ein Agitationsmittel, welches man nicht gebrauchen sollte. Friedrich der Große   trat, trotz seiner Ausklärung, für die christliche Schule ein. Gott  . Tugend und Unsterblickkeit wurde da- mals anerkannt; heute leugnet man alle überirdischen Dinge. Die Waffen zum Kampfe gegen das Ueberirdische werden aus dem Arsenal des Liberalismus genommen. Ich verkenne die Be- deutung des Bürgerthums nicht: aber wenn ich es ans dem Wege der Bekämpfung des Christenthums finde, dann beruhigt es mich nicht, daß es sich um ein liberales Bürgerthnm handelt. Warum spricht man nicht immer so heftig gegen Anarchie, wie gegen die Hierarchie?(Widerspruch.) Darum glaube ich. daß es die Auf­gäbe des Kultusministers ist, der Anarchie eine starke Kirche auch im Schulleben entgegenzusetzen. Womit wollen Sie gegen den Umsturz und die Entsittlichung arbeiten? Wir sind auf einer schiefen Ebene und es ist Alles nöthig, um uns vor dem Herab- rollen zu bewahren. Graf von Zedlitz hat sich als politischer Geist gezeigt, als er den Muth hatte, dieses Gesetz vorzulegen. (Beisall rechts.) Wir müssen bald etwas thun, denn wir haben nicht mehr viel Zeit zu verlieren, sonst machen wir den Eindruck der Unfähigkeit vor dem Umsturz. Darum kann ich den Worten des Abg. Hobrecht keine Bedeutung beilegen. Die Früchte der nationalliberalen Arbeit genießen die Rothen und die Jnter- nationalen. Wenn wir solche Theaterdirektoren wären wie Sie(links), dann hätte es uns leicht werden sollen, einen Sturm von Zustimmungserklärungen für das Schulgesetz beizubringen. Sie reden immer von unserem rechten und linken Flügel, wir haben gar keinen Flügel.(Große Heiterkeit.) Ein konservatives Zentrum können und wollen wir garnicht gründen, das würde den Prinzipien der Reformation wider- sprechen. Wenn Herr Rickert von unserem Programm u. s. w. gesprochen hat, so sind das agitatorische Rede», die nicht hierher gehören. Wenn er auch dem nächsten Volksschulgesetz den Kampf bis auf das Messer angekündigt hat, so glaube ich das auch: Das Messer wird dasselbe bleiben und das Aufschneiden auch. (Große Heiterkeit; Beifall rechts.) Abg. Richter: Herr Stöcker hat es bedauert, daß Fürst Bismarck   die Indemnität   beantragt hat. Die Regierung hat nach vierjährigem, eidbrüchigem Regiment selbst das Gefühl ge- habt, daß sie von der Volksvertretung eine Indemnität haben müsse. Haben Sie nicht dasselbe Gefühl vor dem Eid, Herr Stöcker,'wie andere Leute? Heute kennt man die Gefahr, in welcher sich Preußen 1866 befand. Geradezu unverantwortlich würde Fürst Bismarck   gehandelt haben, wenn er nicht die In- demnität nachgesucht hätte. Unserer Ansicht nach hätte er da- mals mehr thun müssen als er gethan. Herr Stöcker hält es für unchristlich, über die natürliche Moral im Zu- sammenhang mit religiösen Dingen zu sprechen. Kennt Herr Stöcker die Bekenntnisse des Feldmarschalls Moltke   nicht? Graf Moltke   sprach von Geistlichen, die die Leute mehr aus der Kirche herauspredigen als hinein. Herr Stöcker sollte sich prüfen, ob er nicht zu diesen Geistlichen gehört. Die Berliner   sind nicht blos groß im Verweigern der Steuern, sie wollen das Geld nur nicht bezahlen für orthodoxe Geistliche, die das Geld nicht werth sind. Herr Stöcker hat nach dem Vorbild von Komikern, um einen guten Abgang zu haben, mit einem Kalauer geschlossen, nicht nach dem Vorbilde der klassischen Theaterdirektoren, sondern wie die Theaterunternehmer, welche ihr Gewerbe im Umherziehen betreiben. Herr Stöcker arbeilet ja nicht hier in den Kommissionen, sondern zieht im Lande umher und hält Reden. Wie kann er dann davon reden, daß die öffentliche Meinung gar nichts werth fei? Sind die parlamentarischen Körperschaften nicht der geordnete Ausdruck der öffentlichen Meinung? Wenn die Welt jetzt so schlecht ist, ist der Liberalismus daran schuld? Sind die Minister nicht alle konservativ? Ein Freisinniger kann ja höch- stens Landgerichtsdirektor werden. Sind die schlechten Verhält- nisse nicht daher gekommen, daß zu viel konservativ regiert worden ist? Aus den anarchistischen Vorgängen, die sich in katho- lischen Ländern bemerkbar gemacht haben, sollte weder Herr von Huene, noch Herr Stöcker Kapital zu schlagen suchen. Daß der Ministerpräsident bereits ernannt ist, zwingt uns nicht zur Annahme des Nachtragsetats; wenn die politische Situation danach angethan wäre, könnten wir trotzdem das geforderte Geld ablehnen. Herr v. Huene hat von dersogenannten Kultur" ge< sprachen. Das Wort verdiente ein geflügeltes zu werden; das Christenthum hat sich mit der Kultur vertragen; seine wahre Natur wird dadurch nicht geändert, höchstens einige Aeußerlich- leiten. Das Schulgesetz wäre kein Bollwerk des Christeuthums gewesen, sondern nur der geistlichen Herrschast und des die Nation zerreißenden Confessionalismus. Mir ist es sehr zweifelhaft, ob selbst innerhalb des konservativ- klerikalen Bundes eine Verstän- dignng erfolgt wäre: die Frage der Privatschulen und einige andere Dinge wurde zurückgestellt, weil man die Verständigung darüber für schwierig hielt. Das Gesetz wäre überhaupt nicht zu Stande gekommen. Wie kam es denn, daß Gras Zedlitz seine Entlassung nahm? Man hat in der Presse von den unverant- wörtlichen Rathgebern der Krone gesprochen. Ich bin der Meinung, daß es dem Träger der Krone unbenommen sein muß, seine Politik in jedem Augenblick zu ändern, auch auf Grund von Rathschlägen, die er erhalten hat von anderen Personen als von seinen Ministern; denn sonst wurde er ja unter der Vormundschaft seines Ministeriums stehen. Wenn ein solcher Wechsel der Politik erfolgt, dann müssen die Minister und die Landesvertretung die Konsequenzen ziehen. Graf Zedlitz hat sie gezogen, und ich wünsche nur, daß alle Minister so handeln, daß sie mit ihrer Politik stehen und fallen. Ich hätte eS für konstitutioneller gehalten, daß die sämmtlichen Minister so ehandelt hätten: denn es ist mir unverständlich, wie man ein Schulgesetz einbringen kann und es nachher ablehnt, dafür ein- zutreten. Aber wie werden die einzelnen Minister ausgewählt? Nach der Werthschätzung ihrer Person für das betreffende Ressort, aber es wird nicht danach gesehen, daß sie in ihrer politischen Ueberzeugung zusammenpassen. Der Wechsel der Politik würde vielleicht nicht eingetreten sein, wenn nachher mit der Mehrheit nicht mehr auszukommen wäre. Aber die Mehrheit läßt sich alles oefallen; die Opposition ist über das bischen Zischen bei der ersten Rede des Ministerpräsidenten nicht hinausgetommen. Herr von Huene ist für das Zentrum sehr tapser eingetreten; aber er ist leider ans die Bundesgenossenschaft der Konservativen angewiesen, und für deren Wiederkehren nach den Wahlen kann er keine Sicherheit übernehmen. Alle Parteien haben dem Grafen Zedlitz ihre Anerkennung ge- zollt; nur die Konservativen nicht. Sie haben den betreffenden Aeußerungen des Zentrums Beifall gezollt; aber über die un- artikulirten Laute sind sie nicht hinausgekommen. Wie man oben will, wir halten still! Das ist die Parole der Konservativen. Sie haben sich den Goßler'schen Entwurf gefallen lassen und de» Zedlitz'schen. Wozu soll man auf die Konservativen Rücksicht nehmen? Die Konservativen sind nun einmal eine gouvernementale Partei, abhängig von der Regierung bei den Wahlen. Im Herrenhause erlaubte man sich schon mehr. I» der konservativen Partei des Abgeordnetenhauses ist ein gemischter Charakter vor- handen, Abhängigkeit und Selbständigkeit ist gemischt. Ich wünschte, daß die Herren etwas unabhängiger werden; fassen Sie nur Muth, es wird schon gehen!(Heilerkeit.) Ich bin>»>- besorgt, allzu weit werden Sie in der Selbständigkeit nicht kommen.(Heiterkeit.) Die heutigen Ausführungen des Minister- Präsidenten haben unsere Bedenken über die Trennung der Remter des Reichskanzlers und des Ministerpräsidenten nicht bc- seitigt; jeder der Träger der beiden Aemter hat nicht mehr die Bedeutung wie früher. Aus der Rede des Kultusministers können weder die Konservativen, noch die Liberalen eine Schlußfolgerung ziehen. Die Rede war sehr gefällig und konnte keinen Anstoß erregen. Eines hat mir gefallen. Die Verwahrung gegen die Ausübung des Gewissenszwanges. Da müßte der Kultusminister das Reskript des Grafen Zedlitz über den Religionsunterricht der Dissidenten wieder aufbeben, er würde sich dabei mit der Mehrheit des Hauses zusammenfinden. Das Unterrichtsgesetz ist durch einen einzigen legislatorischen Akt nicht geschassen. Man sollte die Berfassungs- bestimmung beseitigen und in einzelnen Abschnitten des Unter- richtswesen gesetzlich regeln. Bezüglich der Schuldotationsfrage stehen die.Herren von der Rechten in ihrer Erregung feindlicher als früher. Ich resumire mich dahin: Wir befinden uns in provisorischen Zuständen; die j�zige Krisis ist nicht die letzte und schwerste gewesen, wir befinden uns im Uebergangsstadium, wo ein übermächtiger Wille alles diktirt, in einem Stadium/ wo die staatlichen Machtfaktoren sich eine gewisse Selbständigkeit er- ringen werden. Wir können nur wünsche», daß die nächsten Wahlen uns Bürgschaften geben, daß eine Mehrheit im Hause ist. welche Neigungen zur liberalen Gesetzgebung hat.(Beifall links.) Ministerpräsident Graf Eulenburg: Ich muß aufs Eni- schiedenste Verwahrung dagegen einlegen, daß hier einer früheren Regierung der Vorwurf gsmacht wird, daß sie sich des Eidbruchs schuldig gemacht hätte. Tie Verhältnisse sind mir bekannt wie Herrn Richter, aber ein Eidbruch liegt nicht vor. Nach einigen persönlichen Bemerkungen wird die weitere Debatte gegen 4 Uhr bis Freitag 11 Uhr vertagt. Ooltnles; f; A« die Arbeiterschaft BerlinS  ! Einem lange gefühlten Bedürfnisse entsprechend, find nun- mehr die Sammelbons für den Nnterstützungsfonds der sozial- demokratischen Partei für alle 6 Berliner   Reichstags-Wahlkreise gleichmäßig hergestellt. Diese Bons gelangen vom 1. M a i an zur Ausgabe. Alle bisher gebräuchlichen sind daher ungiltig und aus diesem Grunde zurückzuweisen. Der neue Bon enthält in schwarzer Schrift We Worte: Für den sozialdemokratischen Unterstützungsfonds 10 Pfennige. Es befinden sich ferner auf den BoNs die rothen Buchstaben 3. P. D. B., welche bedeuten: Sozialdemokratische Partei Deutsch­ lands  , Berlin  . Als besondere Erkennungszeichen befinden sich im Papier der Bons 2 schräge Striche, ein sogenanntes Wasserzeichen, um unbefugtem Nachahmen vorzubeugen. Die Parteigenossen werden ersucht, die in ihrem Besitz be- findlichen alten Bons bei den Vertrauensmännern sofort um- tauschen zu wollen. Vertrauensmann der sozialdemokratischen Partei, Berlin I  . Die Adressen der Vertrauensleute sind: August Täterow, Mauerstr. S. vorn M. Ferd. Kleinert, Lützowstr. IIS. Wilhelm Börner, Ritterstr. 108, Zigarrengeschäft. St. Fritz, Simeonstr. 22, Hof II. Fritz Zubeil  , Naunynstr. 86. obert Wenzels, Koppenstr. 41. einrich Baum garten, Posenerstr. 4, III. udwig Möller, Sophienstr. 12, III. W. Gi es h o it, Boyenstr. 40, pari. Wilhelm Grunwaldt, Chorinerstr. 80, vorn IV. Gustav W i tze l, Elisabethkirchstr. 18. Johann Pfarr, Wilsnackerstr. 40. Schnljnstiz. Am 22. März d. I. fand vor einer hiesigen Gemeindeschule ein kleiner Auflauf statt, deren Mittelpunkt zwei Knaben waren, die weinend einer Anzahl theilnehmender Passanten ihr Leid klagten. Die Knaben erzählten, und ihr Körperzustand bewies die Richtigkeit ihrer Mittheilung, daß der Rektor Bondick sie wegen verspäteten Eintreffens, und weil ihre Füße mit Pantoffeln bekleidet gewesen, erst geschlagen und dann aus der Schule entfernt habe. Nun standen die Aermsten, welche eine sehr bedeutende körperliche Züchtigung erhallen haben mußten, denn das Blut rann ihnen über das Gesicht, und ihre Strümpfe waren bei der Züchtigung zerrissen werden, auf der Straße darüber klagend, daß ihnen wegen der mangelhaften Fußbekleidung der Schulbesuch vom Rektor verwehrt war, während doch ihr Vater zu arm sei, um ihnen Lederschuhe oder Stiefel zu kaufen. Der Vorfall wurde zur Kenntniß des in jenem Bezirk ge- wählten Stadtverordneten gebracht und von diesem mit der Bitte um Untersuchung an die städtische Echuldeputation weiter­gegeben. Bon Letzterer ist folgend« Antwort eingegangen: Berlin  , den 26. April 1392. Auf Ihre Beschwerde vom 31. März d. I. über dm Rektor Bondick erwidern wir ergebenst nach Vernehmung des Rektors und des Drechslers Balzer durch den zustän- digen Kreis-Schulinspektor, daß nach Angabe des Rektors die Knaben Balzer bestraft worden sind, weil sie wiederum, wie schon oft, zu spät und in unsauberen Pantoffeln zur Schule gekommen waren. Auch sollen die Strümpfe bereits zerrissen gewesen sein. Mit der Art der Bestrafung sind wir nicht einverstanden und haben in dieser Hinsicht das Erforderliche veranlaßt Es versteht sich, daß Pantoffeln als Fußbekleidung nicht verboten sind. Städtische Schul-Deputation. Schreiner. Hoffentlich wird nun in den Gemeindeschulen nicht mehr gehauen, wenn die Kinder der Arbeiter nicht im Stande sind sich in elegantem Schuhwerk zu präsentiren. Eine Zierde deS echtpreusiischen alte» Beamten- standeS, bei dessen Nennung jeber Richter'sche Freisinnige ebenso den Hut zieht, als wenn von denFriedericianischen Traditionen" die Rede ist, starb am I. Januar d. I. mit dem königlichen Rech- nungsrath Prädickow, dem Verwalter der Huseland'schen Stiftung, eines zum Besten der nothleidenden Aerzle und deren Wittwen gegründeten Instituts. Nach seinem Tode, und zwar schon am ü. Januar, entdeckte man, daß der Ehrenmann von den ihm an- vertrauten Geldern die Summe von ca. 12 000 M. veruntreut hat. Durch den soeben vom Direktorium der Stiftung veröffent- lichten(61.) Jabresbericht kommt dieser Diebstahl zu allgemeinerer Kenntniß. Christlich  -patriotische Gesinnung zur Schau tragen und Wittwen und Waisen bestehlen, das geht heute recht bequem neben einander es gehört neben der Schneidigkeit mit zum neu-deutschen La äu sisclo. Er kaust die Katze im Tack nicht, nämlich der Herr Gutsbesitzer G. Mendt in Alt-Bleyen bei Küstrin  . Er suchte durch eitungsannonee einen Kutscher, woraufhin sich ein solcher aus erlin meldete. Dieser erhielt darauf folgenden Zettel: Mittheilung von G. Mendt, Gutsbesitzer, an Kutscher Schreiber, Berlin  . Alt-Bleyen bei Küstrin  , den 23. April 1392. Wenn man einen Kutscher annimmt, will man doch erst sehen, wie er sich in den Vordiensten geführt hat, wie alt cr ist, welcher Religion, wie alt die Frau und Kinder, wozu die Frau zu gebrauchen, denn hier auf dem Lande muß die Kutscherfrau im Garten, im Hause und wenn Roth am Mann in dcr Ernte auch Getreide wegbringen helfen. Reichen Sie also Zeugnisse ein. wenn nach vorstehend Gesagtem Sie z» der Stelle, die erst I»" vakant wird, Lust haben sollten. Auch ist nicht einmal»'j sehen, ob Sie Soldat gewesen und wobei gedient, es sind die--- doch selbstverständlich Sachen, die man wissen muß, man kaust doch nicht die Katze im Sack, sondern man sieht sich dieselbe erst an. Der Guisbesitzer G. Mendt. Vielleicht besinnt sich Herr Gutsbesitzer Mendt noch, ob er nicht noch einiges, was manselbstverständlich" wissen muß, zu fragen vergessen hat. Uebrigens mag Herr Mendt, wenn cr Arbeiter durch Annoncen sucht, doch gleich mittheilen, was er von ihnen verlangt, damit sie sich nicht unnütz bemühen; das würde freilich die Jnsertionskosten etwas steigern. Großartige Großmuth. Wir erhnlten folgende Zuschrift: Die Redaktion desVorwärts" hat immer der Regierung was ans Zeug zu flicken und die Leute aufzuhetzen. Auf der einen Seite sagt sie, daß die Regierung, wenn es für die reichen Leute geht, das Geld man so zum Fenster hinauswirft, auf der anderen s-eite aber bei den Arbeitern und Unterbeamten knausert. Da raisonniren Sie, daß die Regierung einem ver- wirthschafteten Dömäuinpächtec unter die Arme greift. Soll sie ihn etwa mit dem weißen Stab in der Hand aus seiner Pachtung gehen lassen? Oder soll sie einen Mann, der sein Lebelang täg- lich an seinen Champagner und Braten und Hummer und was es sonst Gutes giebt gewöhnt ist, auf die Wärmestuben und das Asyl für Obdachlose verweisen? Das steht doch jedes 5kind ein, daß das nicht geht, und daß so ein zehntausend Thälerchen doch das wenigste sind, was sie ihm als verschämtes Almosen geben kann. Daß der Staat aber ebenso großherzig auch gegen die niedrig gestellten Beamten und Arbeiter seiner Verwaltung verfährt, dafür kann ich Ihnen ein deutliches Beispiel geben. Im Amtsblatt der königlichen Eisenbahndirektion zu Magdeburg  ' können Sie folgende Bekanntmachung lesen: