M. A. 2. Stilllgt des„Nsmärts" Kerlilltt Wldsdllltt.»«m». 17. z-m WZ. berliner f)artei-?Zngelegenkeiten. Treptow -Baumschnlenweg. Heute Mittwoch, abends S'/z Uhr, im Restaurant Ackermann: Wahlvereins-Versammlung. Tagesordnung: 1. Die gestrigen Reichstagswahlen und unsre ferneren Arbeiten. Referent: Genosse A. G e r i s ch. 2. Vereinsangelegen- heiten und Verschiedenes. lokales. Konservative Harlekinade. Im vierten Wahlkreis, wo der famose Dr. Wegner als konservativer Durchfallskandidat figuriert, wurden heute Handzettel folgenden Inhalts verbreitet: Zur schleunigen Aufklärung! Der„Vorwärts" bringt in letzter Stunde vor der Wahl un- wahrhaftige Behauptungen über die Stellungnahme des nationalen Kandidaten Schriftsteller Wegner.— Deutsche Wähler werden jetzt erst recht heute Wegner wählen. Den„Vorwärts" hat Herr Wegner sofort wegen verleumderischer Beleidi- gung belangen lassen. Der Wahlknisf sieht ganz so aus, als ob er von dem Dr. Wegner selbst ausgeheckt wäre. Etwas Ungeschickteres hätte sich wohl nicht austifteln lassen. Schade nur. daß die„schleunige Aufklärung" zur Aufklärung der Wegnerschen Harlekinade so gar nichts beiträgt. Weil Herr Wegner den„Vorwärts" vor den Kadi schleppen lassen will, soll er gewählt werden? Selbst wir vermögen nicht zu er- raten, womit wir den guten Mann beleidigt, und nun gar„der- leumderisch beleidigt" haben sollen! Mit um so heiterer Spannung sehen wir der uns angedrohten hochnotpeinlichen gerichtlichen Exekution entgegen. Sich am Biertisch zu erschießen versuchte am Montagabend in der Wirtschast von Karl in der Swinemünderstraße Nr. 114 ein 30 jähriger Maurer Gustav Krautwinkcl, ein herkulisch gebauter Mann. Krautwinkel lebt seit vier Monaten von seiner Frau getrennt. Gestern sah er seinen verineintlichen Nebenbuhler auf der Straße und wollte ihn einholen, um ihn zur Rede zu stellen. Da ihm das nicht gelang, war er den ganzen Tag sehr ärgerlich. Abends saß er mit einigen Freunden und Freundinnen bei Carl an einem Tisch. Während die ganze Gesellschaft das Lied„Verlorenes Glück" sang, saß er schweigend da. Plötzlich sprang er auf, zog seinen Revolver aus der Tasche und schoß sich stehend eine Kugel in die rechte Schläfe. Die Mädchen schrien laut auf, während die Männer den Verwundeten, der zusammengebrochen war, aufhoben und vorläufig auf einen Stuhl setzten. Auf Veranlassung von Leuten, die draußen den Schuß fallen hörten und an Mord und Totschlag dachten, kamen gleich vier Schutzmänner vom 90. Revier herbeigeeilt. Da der Verwundete, der bei Besiniwng geblieben war, sich gegen Hilfe sträubte, weil er unter allen Umständen sterben wollte, so trugen ihn zwei Beamte nach der Revierwache, wo man ihm mit Gewalt einen Verband an- legte. Um ihn dann mit einem Lückschen Rettungswagen nach einem Krankenhause bringen zu können, mußte man ihm vorher Fesseln anlegen. Bei der Arbeit vom Tode überrascht wurde gestern ein 43 Jahre alter Tischlergeselle Max Henke, der seit drei Wochen in der Tischlerei von Gieseler m der Görlitzerstr. 39 beschäftigt loar. Der Mann litt seit zehn Jahren an Krämpfen. Gestern mittag bekam er bei der Arbeit einen Anfall und starb nach fünf Minuten, bevor noch seine Mitgesellen, die gleich hinausgeeilt waren, um Hilfe zu holen, mit einem Arzte nach der Werkstelle zurückkehrten. Unfall oder Selbstmord? Heute vormittag wurde auf den Schienen zwischen den Stationen Schmargendorf und Wilmersdorf- Friedenau die Leiche eines Mannes gefunden, der überfahren war. Derselbe gehört anscheinend dem Arbeiterstande an, ist 35— 40 Jahre alt, ca. 1,70 Centiiueter groß, hat schwarzes Haar, schon etwas dünn, Vollbart und blaue Augen. Er trägt hellgrauen Hut mit der Firma Karl Hellmundt in Bingen a. Rhein , braunes Jackett, grüne Hosen und schwarze Schnürstiefel. Ein Bootsunfall ans der Havel . Vier Personen gerieten gestern durch den häufig gerügten Leichtsinn, im Boote die Plätze zu wechseln, in ernste Lebensgefahr. Gegen 3 Uhr nachmittags mieteten zwei junge Leute an der Bootsverleihstelle des Schröterschen Restaurants in Schildhorn ein Boot für vier Personen und bestiegen dasselbe mit zwei Damen. Sie hatten kann: von der Ankerstelle abgestoßen und waren etwa 20 Meter vom Ufer entfernt, als sie schon die Plätze in dem Nachen wechselten. Hierbei geriet das Fahr- zeug in schaukelnde Bewegung, wodurch die weiblichen Insassen in lebhaste Unruhe versetzt wurden und sich nach der Seite hinüber bogen. Das Boot verlor infolgedessen das Gleichgewicht und schlug um. Der Vorfall war glücklicherweise vom Ufer aus beobachtet worden und in fünf Kähnen eilte man den Ertrinkenden zu Hilfe. Es gelang auch, alle vier Personen zu retten, bevor sie ernsteren Schaden genommen hatten. Vor den Augen ihrer Mutter aus dem Fenster gestürzt hat sich die 42 Jahre alte Buchhaltersstau Luise Voß aus der Oranien- straße 194. Die Frau war seit 15 Jahren verheiratet und Mutter eines 11jährigen Sohnes und einer Tochter von 10 Jahren. Bei ihr Ivohnte auch ihre betagte Mutter. Durch ein hartnäckiges Leiden sehr nervös geworden, wollte die unglückliche Frau vor einem Viertel- jähre mit ihrem Sohne in Treptow ins Wasser gehen. Der Knabe sträubte sich aber aus_ Leibeskräften und es gelang ihm, nicht nur sich zu retten, sondern auch seine Mutter vom Wasser mit wegzuziehen. Am vergangenen Sonnabendabend wollte Frau Boß sich aus einem Fenster der im dritten Stock gelegenen Wohnung auf den Hof hinabstürzen, wurde aber noch rechtzeittg zuriickgerissen. Aber schon am nächsten Morgen be- nutzte sie eine Gelegenheit, ihren Selbstmordplan doch noch auszu- führen. Als ihr Mann kurz nach 0 Ilhr die Wohnung auf einen Augenblick verlassen hatte, und die Kinder noch schliefen, erhob sie sich rasch, erklärte ihrer Mutter, daß sie das Leben nicht länger er- trage, riß ein Fenster auf und stürzte sich, bevor die alte Frau sie noch daran hindern konnte, auf den Bürgersteig der Straße hinab. Mit einem Bruch der Arme und der Wirbelsäule wurde sie nach dem Krankenhause Bethanien gebracht, wo sie an den Folgen der Ver- letzungen starb. Hua den Nachbarorten. Steglitz . Die letzte Gemeindevertreter-Sitzung faßte N. a. den Beschluß, von Gemeindewegen im April nächsten Jahres eine höhere Madchen schule zu errichten. Bis jetzt hatten wir in unsrem Orte nur zwei Privatschulen, welche zur Zeit von ins- gesamt 633 Schülerinnen besucht werden; nach den Ausführungen des Amtsvorstehers ist es bei dem starken Anwachsen unsres Ortes eine unbedingte Notwendigkeit, daß die Gemeinde eine höhere Mädchenschule errichtet, da die Privatschulen in absehbarer Zeit über- füllt und die Eltern dann gezwungen sein würden, ihre Töchter nach Berlin zu schicken oder ihren Wohnsitz nach einem andren Orte zu verlegen. Betreffs eiires Schulhauses wurde noch kein Beschluß gefaßt: es ist geplant, die jetzige Realschule, welche für ihre Zwecke nicht mehr genügt, später für die höhere Mädchenschule zu benutzen und auf dem Platze zwischen Elisen-, Ring- und Steinstraße für die Ober-Realschule ein neues Gebäude zu errichten.— Ferner bewilligte die Versammlung eine neue Lehrerstelle fiir die Gemeindeschule in der Plantagenstrnße. Von Wichtigkeit ist noch die Mitteilung, daß die Gemeinde mit dem Eisenbahnfiskus in Unterhandlung steht wegen Unterfü hrung der Eisenbahn im Zuge der Lindenstraße, allerdings nur für Fußgängerverkehr; dadurch wird fiir einen großen Teil unsres Ortes eine läng st gewünschte bessere Verbindung mit dem Bahnhof geschaffen werden, auf die allerdings die gerade in jener Gegend sehr zahlreich wohnende Arbeiter bevölker ung noch lange hätte warten können, wenn nicht in der Belfortstraße der Beamten-Wohnungsverein Häuser für seine Mit- glieder gebaut hätte, welch letztere auch gezwungen sind, die Bahn zu benutzen, um an ihre Arbeitsstätte zu gelangen. Sericbts-Leitung. Ein Oberleutnant als Tefraudant. Eine komplizierte Anklage wurde am Montag vor der vierten Strafkammer des Landgerichts I unter Vorsitz des Landgerichtsrats Busch verhandelt. Aus der Untersuchungshaft wurde der Ober- lcutnant a. D. Friedrich Wilhelm Paul M a t h a u s vorgeführt, um sich wegen Betrugs, Urkundenfälschung und Unterschlagung zu verantworten. Er wurde vom Rechts- anwalt Dr. S ch w i n d t verteidigt. Gleichzeitig war der Kaufmann Alfons de B o o h aus Aachen angeklagt, der beschuldigt wurde, in einem Falle in Gemeinschaft mit Mathaus sich des Betruges schuldig gemacht zu haben. Mathaus war Leutnant im Dragonerregiment Nr. 22 in Mühlhausen i. E. Ende 1900 wurde er als Lehrer zur Kavallerie-Telegraphenschule nach Berlin abkommandiert und zog mit seiner Familie hierher. Als er im Jahre 1894 heiratete, besaß er ein Vermögen von 127 Tausend Mark, tvelches in 87 000 Mark süddeutsche Bodenkredit-Aktien und 40 000 Mark Pfandbriefen der Preußischen Hypotheken-Akttenbank bestand. Letztere hatte er selbst im Besitz, die Bodenkredit-Aktien waren bei dem Bankhause Leopold Blumenthal in Mühlhausen als Contocorreut-Unterlage deponiert. In den sieben Jahren seiner Ehe hat Mathaus nicht nur diese 87 000 Mark verbraucht, sondern die Abrechnung ergab schließlich, daß er bei Blumenthal noch eine Schuld von 1 7 0 0 0 Mi a r k hatte. Da in- zwischen die Sanden-Bank zusammengebrochen und die Pfandbriefe wertlos geworden waren, so ivar er nicht imstande, diese 17 000 Mark zu bezahlen. Der Regimentskommandeur erfuhr von dieser Schuld und setzte ihm eine Frist bis zum 10. Juni 1901, bis zu welchem Tage die Angelegenheit bei Vermeidung weiterer schädlicher Folgen erledigt sein müsse. Nun war guter Rat teuer. Die Mutter des Angeklagten hatte schon so viele Opfer für den Sohn gebracht, daß sie jede weitere Hingabe von Geld ablehnte. Der Angeklagte wandte sich nun an ehemalige und auch an noch aktive Regiments- kameraden, üm mit deren Hilfe sich Geld zu verschaffen, und eS gelang ihm auch, einige dazu zu bewegen, ihm Accepte in beträchtlicher Höhe zu geben, bezw. die Bürgschaften zu übernehmen und mit Hilfe dieser Wechsel die nötigen Mittel zu beschaffen, um seinen drängendsten Verpflichtungen nachzukommen und„standesgemäß" leben zu können. Es handelte sich bei diesen Wechseln um Summen von 30 000 Mark und darüber. Der Angeklagte,-dem die Sache über den Kopf lvuchs, mußte um seinen Abschied einkommen, der ihm auch m Gnaden erteilt wurde: er kämpfte noch eine Zeit lang weiter, um von den Wogen nicht völlig verschlungen zu werben, die schiefe Ebene, auf die er sich begeben hatte, mußte aber unvermeidlich ins Verderben führen. Wenn die Wechsel fällig waren und eingelöst werden mußten, ging die Jagd nach Acccptanten und Bürgen von neuem los und wenn auch schließlich die Mutter noch einmal eine Riesen- summe opferte, so war der Angeklagte doch nicht mehr zu retten, denn es waren schon Strafanzeigen gegen ihn erstattet, daß er auf Grund falscher Vorspiegelungen die Wechselacccpte und Bürgschaften sich verschafft und in einem Falle ein in seinen Händen befindliches Blanko-Accept unberechtigt mit 30 000 Mark ausgefüllt habe. Auf einen dieser Wechsel hatte er von dem Mitangeklagten de Booy Geld bekommen. Diesem wird nun zur Last gelegt, daß er bei Jnanspruch- nähme eines Bürgen falsche Angaben über die Höhe der Schulden des Herrn Mathaus gemacht habe. Er bestreitet dieses mit aller Entschiedenheit. Mathaus hatte das seltene Glück, im größten Un- glück eine Erwerbsquelle zu finden. Er übernahm im März 1902 die Vertretung der Oberrheinischen Metallwerke zu Mannheim "'für Berlin . Er erhielt ein Gehalt von monatlich 200 Mark und hatte die Verpflichtung, die eingehenden Gelder an die Metallwerke abzu- liefern. Er hat nun in kurzer Zeit etwa 2000 Mark, die für seine Firma eingegangen waren, nicht abgeliefert, sondern für sich ver- tvendet. Er bestritt im Termin, sich bei den Versuchen, mit Hilfe seiner Kameraden sich aus seiner Notlage zu retten, falsche Vor- spiegelungen gemacht zu haben. Bei der Ausfüllung des Blanko- Accepts will er sich im guten Glauben befunden haben. Auch die Unterschlagung bestritt er und behaupete, daß er sich die 2000 Mark als„Vorschüsse" habe geben lasten, nachdem ihm sein Buchhalter auf seine Frage bestätigt habe, daß solche Entnahme keine Unterschlagung sei.— Nach langer Verhandlung mußte der auf Betrug und Urkunden- fälschung bezügliche Teil der Anklage vertagt werden, da einige wichtige Zeugen nicht zur Stelle waren. Für die Unterschlagung be- antragte der Staatsanwalt 6 Monate Gefängnis. Es liege doch ein großer Vertrauensbruch vor, wenn ein finanziell völlig zusammen- gebrochener Miann, der das Glück gehabt, trotz alledem eine gute Stellung zu erringen, sich in solcher Weise vergehe.— Rechtsanwalt Dr. Schwindt bedauerte, daß durch die Zurückstellung des andern Teils der Anklage, bei welchem der Angeklagte auf völlige Frei- sprechung hoffe, nun ein schlechtes Licht auf diesen geworfen werde. Man solle doch bedenken, daß der in O f f i z i e r s- A n s ch a u- u n g e n aufgewachsene Angeklagte sehr wohl des Glaubens gewesen sein könne, daß er berechtigt sei, sich die qu.„Vorschüsse" zu entnehmen(I). Der Verteidiger beantragte Freisprechung, eventuell nur eine Geldstrafe und auf alle Fälle H a f t e n t- l a s s u n g. Der letzteren widersprach der Staatsanwalt nachdrück- lichst. Wie er hervorhob, befindet sich in den Atten Material, Inhalts dessen der Angeklagte in Rom , wo sein Bruder wohne, zum katholischen Glauben überg«treten ffei und sich zum Zwecke der Verheiratung mit einer sehr reichen Dame den Grafentitel verschafft habe. Er würde sich also dem Arme der Gerechtigkeit zweifellos entziehen. — Der Angeklagte gab seinen Glanbenswechsel zu, bestritt aber den Besitz des Grafentitels und die Absicht, sich zu verheiraten.„Er habe von seiner ersten Heirat mehr als genug."— Der Gerichtshof verurteilte den Angeklagten zu 4 Monaten Gefängnis unter Anrechnung von 2 Monaten Untersuchungshaft. Der' Antrag auf Haftentlassung wurde abgelehnt. Die Tragödie„Salome" von Oskar Wilde vor dem Ober- Berwaltungsgericht.(„Salome" freigegeben.) Das „Kleine Theater" in Berlin wollte das Drama„Salome" von Oskar Wilde öffentlich aufführen. Der Polizeipräsident verbot aber die Aufführung und blieb auch später nach der Vornahme von Streichungen bei dem Verbot. Er berief sich darauf, daß der Inhalt des Stückes und die Behandlung des Stoffes geeignet erscheine, das religiöse Empfinden der christlichen Bevölkerung zu verletzen und in sittlicher Beziehung Anstoß zu erregen. Der Polizeipräsident hielt auch einen ministeriellen Runderlaß für maßgebend, der besagt, daß ganz allgemein die Aufführung von Theaterstücken, welche Gegen« stände der biblischen Geschichte behandeln, unzulässig wäre.— Der Direktor des Theaters klagte nunmehr beim Bezirksausschuß und ver- wies u. a. darauf, daß die Aufführung der„Salome" vor einem geladenen Publikum auf dieses einen tiefen Eindruck gemacht habe. und durchweg günstig kritisiert worden sei. Der Bezirksausschuß wies die Klage ab und führte aus: Lediglich wegen der Behandlung eines biblischen Stoffes ein Stück zu verbieten, sei nicht angängig. Keinesfalls könne ein Verbot auf die entsprechenden ministeriellen Vorschriften gestützt werden, die schon die Behandlung eines solchen Stoffes für ausschlaggebend erachten und Ausnahme auf diesem Ge- biet nur mit ministerieller Erlaubnis zulassen wollen. Diese Bor- schriften könnten nur als Instruktionen der Polizeibehörden gelten, für den Verwaltungsrichter seien sie bei der Prüfung, ob ein Verbot gerechtfertigt sei, in keiner Weise matzgebend. Er habe allein § 10 II. 17 Allgemeinen Landrechts zu berücksichtigen, wonach es zu den Aufgaben der Polizei gehöre, gegen eine dem Publikum drohende Gefahr der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit einzu- schreiten. Davon ausgehend, habe das Gericht zu prüfen, ob „Salome" geeignet erscheine, in Aergernis erregender Weise das religiöse Empfinden oder das Scham- und Sittlichkeitsgefühl der Zuschauer zu verletzen, so daß das öffentliche Interesse ein Verbot rechtfertigte. Der Bezirksausschutz nehme nun an, daß einzelne Stellen in der Rolle der Salome das Sittlichkeits- und Schamgefühl verletzen. Der Probeaufführung sei Bedeutung nicht beizuLegen, weil sie vor geladenem Publikum erfolgte und mit Recht angenommen Iverden müsse, daß dieses Publikum zum größten Teil, wenn nicht ausschließlich, aus Anhängern einer der Wildesche» Richtung günstig gestimmten Richtung zusammengesetzt gewesen sei. Das Ver- bot sei berechtigt. Gegen dieses Urteil legte Dr.Oberländer von„Schall und Rauch" Berusung ein. über die das Ober- Berwaltungsgericht gestern zu besinden hatte. Rechtsanwalt Rosen st ock suchte als Vertreter des Klägers nachzuweisen, daß das Stück zwcffcllos ein Kunstwerk sei; von einzelnen Kritikern sei es sogar als ein geniales Werk bezeichnet worden. Es diene durchaus nicht dem Sinnenkitzel. wenn auch die perversen Neigungen der Salome in ihrer Liebes- raserei zu Johannes zum Ausdruck käme. Im übrigen sei der Eindruck der Aufführung im„Kleinen Theater" entscheidend, wes- halb er beantragt habe, der Gerichtshof möge sich mal eine Auf- führung der„Salome" selber ansehen. Der Vertreter des Polizeipräsidenten betonte, was auch schon vorher im Referat berührt worden war. daß Wilde selber perversen Neigungen huldige, und deshalb zu zwei Jahren Kerker verurteilt worden sei. In der„Salome" präge sich die perverse erotische Neigung des Dichters deutlich aus. lieber dem ganzen Werk liege eine krankhaft perverse schwüle Atmosphäre, die besonders in den Worten und dem Benehmen der Salome sich Ausdruck verschafft. Das Nötige habe schon dxr Bezirksausschuß gesagt, worauf er Bezug nehme. Der Bezirksausschuß spricht an den Bezug genommenen Stellen von dem Hervortteten der geilen sinnlichen Liebesrasere, der Salome zu Johannes dem Täufer. In schwülsttger Weise preise sie seine körperlichen Vorzüge und nachdem sie von ihm zurückgewiesen und verflucht worden sei, sichere sie sich das Haupt des auf ihren Wunsch gemordeten Johannes und küsse leidenschaftlich, jetzt triumphierend, die toten Lippen. Eine solche Darstellung wider- natürlich krankhaft sinnlicher geiler Triebe könne bei einem großen Teil des Publikums in Aergernis erregender Weise das Scham- und Sittlichkeitsgefühl verletzen, und auch das religiöse Gefühl, da eine Episode der biblischen Geschichte in Frage komme. Das Ober-Verwaltungsgericht gab nach 1V-- stündiger Berattmg der Klage statt und hob das Verbot der öffentlichen Aufführung der„Salome" auf. Die Behandlung bedenklicher sittlicher Eigenschaften und Verhälwisse von Personen sei im vorliegenden Stuck eine so ernste, daß von der öffentlichen Aufführung eine Störung der öffentlichen Ordnung mit Bezug auf die Sittlichkeit nicht befürchtet werden könne. Es sei zu leugnen, daß die Aufführung Gefahren für das Publikum oder einzelne Mitglieder desselben mit sich brächte. Auch eine Störung der öffentlichen Ordnung mit Bezug auf die religiöse Seite sei nicht zu befürchten, da die Person des Johannes dargestellt sei. wie sie nach der Ueberlieferung wirklich sei, und unberührt bleibe von den daneben sich abspielenden Vorgängen. Die Verfügung des Polizeipräsidenten sei darum außer Kraft zu setzen. Obcr-Berwnltmiqsgcricht. Nach der Städte-Ordnung dürfen Brüder nicht zugleich Mitglieder der Stadtverordneten-Versammlung sein. Sind sie zugleich erwählt, so wird der ältere allein zugelassen. In Münster war ein Herr Schmetting in der 2. Abteilung am 10. November, sein älterer Bruder in der 1. Abteilung am 11. November zum Stadtverordneten gewühlt worden. Die Stadtverordneten-Versammlung ließ den jüngeren Sch. als vorher gewählt zu und verweigerte dem älteren die Einführung. Das Ober-Verwaltungsgericht hat nun jetzt entschieden, daß der ältere einzuführen fei, weil eine gleichzeitige Erwählung im Sinne der Städte-Ordnung anzunehmen wäre, wenn auch die zweite Abteilung, die den jüngeren erkor, einen Tag vor der ersten Ab- teilung tvählte. Der ältere habe somit den Vorzug.— Auch sprach das Gericht aus, daß jemand stühestens Stadtverordneter sei, wenn seine Erklärung, die Wahl anzunehmen, vorliege. Vermischtes. Zwei Dampfer gescheitert. Einer bei der Reedereigesellschast Fraissinet eingegangenen Drahtmeldung zufolge ist der englische Dampfer„Ossa" be: dem Versuch, den bei Carawoe an der Elfen- beinküste gescheiterten Dampfer„Antoine Fraissinet" steizumachen. ebenfalls am gleichen Ort gescheitert. Der Verlust beider Schiffe sei als sicher zu betrachten. Wolkenbruch- Katastrophe in Amerika . Nach einem Kabel- telegramm aus Spokane ist die Stadt Heppner in Oregon durch einen Wolkenbruch zerstört worden: 350 bis 500 Personen sollen er- trunken, 105 Leichen bereits gestmden sein. Nach einer späteren Meldung ist auch das Dorf Lexington zerstört. Zwei Drittel der Häuser der von dem Wolkenbruch heimgesuchten Orffchaft Heppner im Staate Oregon wurden von den niedersttömenden Fluten, die sich l'/z Stunden lang mit der Gewalt eines Sturzbaches über die Stadt ergossen, weggeschwemmt. Ebenfalls durch einen Wolkenbruch wurde das Thal bei Park-Cith im östlichen Montana verwüstet. Die Eisenbahnbtticke der Northern Pacific-Bahn wurde weggerissen. Hoch- Wasser, das von Wolkenbrnchen herrührt, die in den Jemezbergen niedergegangen sind, bedroht die Stadt Albequerque im Staate Neu« Mexiko._ WitternngSübersicht vom 16. Juni 1903. morgens 8 Uhr. Wetter-Prognose für Mittwoch, den 17. Juni 1903. Zeitweise aufklarend, vorwiegend trübe mit leichten Regensällen und chwachen westlichen Winden: Temperatur wenig verändert. Berliner Wetterbureau.
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten