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Gerichts-Zeitung. Die Jersitzer Krawalle vor dem Schwurgericht. Tor dem Schwurgericht in Posen wurde vom 1. biZ 3. Juli gegen 16 Angeklagte verhandelt, die sich wegen schweren Auf ruhrs, öffentlicher Beamtenbelcidigung, Widerstandes gegen die Staatsgewalt, bezw, schlverer Körperverletzung zu verantworten hatten. Die Krawalle erregten seiner Zeit großes Aufsehen; zu der Verhandlung waren gegen 80 Zeugen geladen. Der Anklage liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Am Sonntag, den 22. Februar, nachmittags, fand sich gelegentlich eines Brandes in dem Posener Vorort Jersitz eine größere Menge zum Teil angetrunkener Menschen an der Brandstelle ein, die so nahe wie möglich heranzukommen suchten. Die herbeigeeilte Feuerwehr. welche die Menge bereits erregt fand, erbat durch den Brandmeister polizeilichen Beistand. Die hinzugekommenen Schutzleute unter Polizeikommissar Görke drängten nun die inzwischen auf ca. 3000 Köpfe angewachsene Menschenmenge die Straße hinunter, dem Bahndamni zu Die Schutzleute sind hierbei nicht sanft vorgegangen, wodurch die Menge noch mehr gereizt wurde, so daß diese schließlich Widerstand ent- gegensetzte. Hierbei sollen zwei Schutzleute mit Stöcken geschlagen worden sein: sie zogen darauf blank und einer von ihnen, der Schutzmann Daum, hieb dem Schmied Andreas Engel zweimal über den Kopf, so daß dieser blutüberströmt zusammenbrach und in ein Nachbarhaus geschafft werden mußte. Nun wurde die Menge empört. Ein Hagel von Steinen und Schmutz empfing die Schutzleute, Polizeikommissar Kwasniewski erhielt einen Steinwurf ins Gesicht, Polizeikommissar Görke einen Stoß vor die Brust, dem Schutzmann Daum versuchte man den Säbel zu entreißen, die Schutzleute, die Verhastete abführen wollten, wurden auf dem Wege zur Wache fortgesetzt mit Steinen beworfen. Als endlich zwei Compagnien des 6. Grenadier-Regiments eintrafen, konnte die Ruhe wieder hergestellt werden. Nach der Anklage sollen auch fortgesetzt beleidigende Aeutzerungen gefallen sein, wie:.Schlagt die Hunde totl"Die Schutzleute tot!" Einer der Angeklagten soll gerufen haben:Haben Sie Kaffer auch etwas zu sagen? Zu Hause haben Sie Schweine gehütet, Wenn Sie eben nicht mit Leuten umzugehen verstehen, dann kehren Sie lieber zu Ihren Schafen zurück. Arbeiten wollen Sie nicht, sondern nur über einen Bürger und Steuerzahler den großen Jperrn spielen." Den Soldaten soll zugerufen worden sein:Geht löeber auf die Schutzleute los und stecht sie totl" Die ISjährige Pomianowski haste eine Schürze voll Steine und soll zusammen mit dem gleichaltrigen Senstleben nach den Schutzleuten ge warfen haben. Nach den Aussagen einiger Entlastungszeugen stellt sich jedoch die Sache etwas anders dar. Auch behaupten der schwerverletzte Engel und dessen Bruder, daß sie nicht mit Stöcken geschlagen haben, sondern ohne weiteres, weil sie durchaus zur Brand­stelle wollten neben der brennenden Scheune stand das Haus seines Nachbars  . vom Schutzmann in so gefährlicher Weise verletzt wurden. Darüber habe sich die Menge dann empört. Auch wollen sie betrunken gewesen sein. Die andren Angeklagten leugnen eben falls ihre Schuld oder stellen sie ganz anders dar. Der Staatsanwalt nahm sich mit großem Eifer der Polizeibeamten an. Ohne jeden Grund, ohne jede Belässtgung seien die Angeklagten gegen die Schutzleute vorgegangen; die Beamten seien den, Publikum von vomherein versöhnlich entgegengetreten. Ms die Beamten angegriffen wurden, sei es ihre Pflicht gewesen, blank zu ziehen. Die Verteidigung schloß sich dem Lobe des Staatsanwalts in keiner Weise an. namentlich müßte der Schutzmann Daum hiervon ausgenommen werden. Ms der Schutzmann blank zog, sei noch absolut keine Gefahr vorhanden gewesen, um so wemger sei es notwendig gewesen. daß der Schutzmann nicht nur einmal, sondern zweimal scharf zuschlug. Damit sei er weit über seine Bestignis hinausgegangen. Ueberhaupt handle es sich bei der ganzen Affaire keineswegs um Auffuhr. Die Menge habe nur aus Neugierigen bestanden, wie sie sich bei jedem Brande, zumal des Sonntags, zusammenfinde. Weil sie dicht zusammengedrängt war, habe sie nicht so schnell entweichen können und sei dann erst durch das schroffe Verhalten der Polizeibeamten gereizt worden. Nach dreitägiger Verhandlung wurde am 3. Juli, nachts 11'/, Uhr, das Urteil gefällt. Es lautet: Es werden ffeigesprochen: t. der Arbeiter Lorenz Hirsch, 2. Eisenbahnarbeiter Kasimir Gawronski, 3. Arbeiter Martin Kujawa, 4. Bäcker Franz Lenartowski, 5. Arbeiter Stanislaus Senstleben. Verurteilt werden: 1. Schmied Andreas Engel wegen Teilnahme am Auffuhr als Rädelsführer und Widerstandes zu 3 Jahren Gefängnis; 2. Sastler Josef Engel wegen desselben Vergehens zu 2 Jahren 6 Monaten Gefängnis; 3. Arbeiter Johann Majchrzak wegen Teil- nähme am Aufruhr zu S Monaten Gefängnis; 4. Arbeiter Stanislaus Lewandowski wegen Beanitenbeleidigung zu fünf Monaten Gefängnis; 6. Knecht Ignatz Zalewski wegen Teil- nähme am Auffuhr zu 1 Jahr 6 Monaten Gefängnis; 6. Arbeiter Kasimir Skudelsst wegen desselben Vergehens zu 2 Jahren 8 Monaten Gefängnis; 7. Zimmermann Valentin Jendrzejczak wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt zu 1 Jahr Gefängnis; 8. Maurer Adam Burek wegen Körperverletzung zu 1 Jahr £ Monaten Gefängnis; S. Schuhmacher Franz Olszewski wegen Widerstandes zu 1 Jahr Gefängnis; 10. Arbeiterin Marianne Pomianowski wegen desselben Vergehens zu 2 Monaten Gefängnis. Bezüglich des jugendlichen Angeklagten Senstleben lautete der Spruch der Geschworenen auf schuldig des Widerstandes, er wurde aber freigesprochen, weil die Geschworenen die Frage bejaht hatten, ob ihm die zur Erkenntnis der Strafbarkeit seiner Handlung erforder- liche Einsicht gefehlt habe._ Ein Familiendrama beschäftigte gestern wiederum das Schwur- gericht des Landgerichts I  . Der aus der Untersuchungshaft vor- geführte 54 Jahre alte Möbelpolierer Wilhelm S ch w a h n war be- schuldigt des versuchten Mordes in zwei Fällen, be- gangen gegen seine Eheffau und seine verheiratete Tochter Marie Berg geb. Schwahn. Der Angeklagte ist M.Jahre lang ein wahrer Mustermensch gewesen. Er war ununterbrochen bei einer Firma beschäftig hatte er eine und dieselbe Wohnung inne. 3 glück, daß ihm eine Hand verkrüppelt wurde. Berechtigung mußte im Wege der Klage erstritten werden, er erhielt dann monatlich 16 M. Unterstützung und 200 M. mit einem Male nachbezahlt. Von diesem Zeitpunkt ab war der Angeklagte wie um- gewandelt. Er gab jegliche Arbett auf, obwohl er trotz seiner ver- krüppelten Hand noch teilweise erwerbsfähig war und ergab sich dem Müßiggang   und dem Trünke. Häßliche Sffeitereien mit seiner Familie waren jetzt an der Tagesordnung. Sein Schwiegersohn, der Tischler Berg, mußte damals eines Lungenleidens wegen sein Ge- werbe aufgeben. Er übernahm eine in der Schmidtstraße belegene Filiale der Desttllattonsfirma Meher u. Co. und hierzu borgte der Angeklagte ihm MM. zu der Kautton. Um den letzteren aus bessere Wege zu bringen, wurde beschlossen, daß die alten Leute bei ihren Kindern Unterkunst und Verpflegung erhalten sollten, wogegen der Angeklagte die Monatsrente von 16 M. dem gemeinsamen Haushalte zuführen sollte. Das Zusammenleben war ein wenig ersprießliches, der Angeklagte konnte dem Alkoholgenuß nicht entsagen und es kam in der Familie zu bösen Austritten. Schließlich gab sein Schwiegersohn ihm die vorgeschossenen S0 M. wieder heraus und wies ihn aus der Wohnung. Die alten Leute bezogen wieder eine eigne Wohnung, als es mit ihnen immer mehr bergunter ging, nahmen die Kinder sie nach kurzer Zeit wieder auf. Der Angeklagte hatte von den M M. bereits 56 M. vertrunken, den Rest von 34 M. händigte er seinem Schwiegersohn aus. Aber eS dauerte nicht lange, das Zusammenleben mit dem Angeklagten war unmöglich. Er nmßte bald wieder ausziehen. Von jetzt ab zeigte der Angeklagte ein gedrücktes Wesen mid eine verbitterte Stimmung. Wiederholt stteß er seiner Frau und Tochter gegenüber Drohungen aus wie:Erst kommt Ihr heran, dann ich I" Am 3. Januar hatte er seine Invalidenrente abgehoben. Er ging zu einem Waffeuhändler, kaufte 23 Jahre hindurch und ebenso lange ann hatte er das Un- Seme Jnvaliditäts sich einen Revolver, dessen Anwendung er sich erklären und dann laden ließ. Er gab an, daß er Bauwächter sei und zu seinem Schutze eines Revolvers bedürfe. Gegen Mittag begab er sich nach der Wohnung seines Schwiegersohnes. Er traf dort nur seine Frau und seine Tochter an. Kaum hatte der Angeklagte die Stube betteten, als er seiner Eheffau die Worte zu rief:Kannst Du beten, so betet" Als die Bedrohte die auf sie gerichtete Schußwaffe sah, stieß sie einen Schreckenslaut aus und wandte sich, um die Thür zur Küche zu gewinnen. Nun feuerte der Angeklagte drei Schüsse auf die Fliehende ab, die aber sämtlich fehl gingen. Die Tochter stellte sich jetzt zwischen die Eltern, um die Mutter mit ihrem Körper zu decken, in dem- selben Augenblick feuerte der Angeklagte einen vierten Schuß ab, und, in den Rücken getroffen, sank seine Tochter mit lautem Auffchrei zu Boden. Der Angeklagte entfernte sich nach der That anscheinend ruhig, begab sich wieder zum Waffen Händler und bat mit der Bemerkung,der Revolver schießt gut'/ denselben nochmals zu laden. Nachdem dies geschehen, entfernte er sich wieder. Als er die Straße betrat, wurde er festgenommen Seine Tochter hatte eine lebensgefährliche Verletzung erlitten, ist aber wieder genesen. Der Angeklagte bestritt in der Haupt- Verhandlung, die That mit Ueberlegung begangen zu haben was vorgekommen sei, nachdem er das Zimmer seiner Tochter betteten, sei für ihn in Dunkel gehüllt. Er habe sich selbst das Leben nehmen wollen und würde dies auch noch aus- geführt haben, wenn er nicht festgenommen worden wäre. Der Staatsanwalt verttat nach Schluß der Beweisaufnahme den Stand- puntt, daß der Angeklagte die That bewußt, gewollt und mit lieber legung begangen habe und deshalb des versuchten Mordes schuldig zu sprechen sei. Der Verteidiger, Rechtsanwalt Behrend, suchte da gegen nachzuweisen, daß weder versuchter Mord noch ver- suchte Tötung, sondern höchstens nur Körperverletzung mittels einer Waffe borliege. Er meinte, daß der geistig und körperlich heruntergekommene Angeklagte nicht Herr seiner Sinne wesen sei. Der Spruch der Geschwornen lautete nur auf schuldig der schweren Körperverletzung mittels einer Waffe. Der Staatsanwalt beanttagte eine Gefängnisstrafe von 5 Jahren, das höchste zulässige Sttafmaß. Das Urteil lautete auf 3 Jahre 6 Monate Gefängnis, wovon 3 Monate durch die Untersuchungshaft für verbüßt erachtet wurden. Keine berechtigten Interessen. Leipzig  , 3. Juli. Wegen Be leidigung des Rechtsanwalts Lewinski ist am 17. Januar vom Landgericht I   in Berlin   der frühere Bureauvorsteher Gustav au er, Redakteur der ZeitschriftDer Bureau-Angestellte" zu 50 M. Geldsttafe verurteilt worden. Gleichfalls verurteilt ist der Redakteur derStaatsbürger-Zeiwng", Dr. B a ch l e r. Beide Air geklagte hatten Revision eingelegt, doch konnte heute nur über die des Bauer verhandelt werden, da Dr. Bachler kürzlich gestorben ist. Bauer hatte in seinem Blatte Angaben über die Löhne und Arbeitsleistungen der Bureau-Angestellten des Rechtsanwalts Lewinski veröffentlicht, um nachzuweisen, daß die Lage des Personals eine ttaurige sei. Im Urteil heißt es hierüber: Die Angaben über die Löhne waren meist richttg, die über die Arbeitszeit aber aus zum Teil absichtlich falsch geführten Listen ent- nommen. Aber die abfällige Krittk ist in die beleidigende Form ge kleidet, daß der Rechtsanwalt sich fremden Verdienst aneigne. Die Phrase von den weiten Taschen des Rechtsanwalts, in die vergrößere Teil der Einnahmen fließe, beweist das. Der Angeklagte war früher selbst Bureauvorsteher, aber hier ttat er für die Interessen unteren Personals ein, die ihn nichts angingen. Mildernde Umstände sind ihm bewilligt worden, da er für eine an sich gute Sache eingetteten ist. In einer Revision führte der Angeklagte aus, er habe mit jenem Arttkel den Zwecken seiner Zeitung und des Verbandes ge dient und damit die Interessen seiner Auftraggeber vertteten. Das Reichsgericht verwarf jedoch die Revision, da die Nicht anwendbarkeit des§ 198 ohne Rechtsirrtum festgestellt sei. Wegen Beleidigung durch die Presse ist am 31. Januar vom Landgericht Königsberg der Redakteur derKönigsberger Volkszeitung", Julian Borchardt  , zu einer Geldsttafe von 200 M. verurteilt worden. Die Beleidigung wurde erblickt in einem Artikel, in welchem er ein Strafkammer-Urteil gegen seinen Redattions kollegen NoSke besprach. In seiner Revision rügte der An- geklagte Verkennung des H 193. Er habe zu Roske in sehr engen Beziehungen gestanden und ein Interesse daran gehabt, mitzuteilen, daß die Zeitung, an der er thätig ist, nicht unwahre Thatfachen ver breitet bat. Das Reichsgericht erkannte heute auf Verwerfung der Revision, da das Urteil einen Rechtsirrtum nicht erkennen lasse. Verurteilter Polizeibramter. Leipzig  , 6. Juli. Wegen Be- leidigung und Mißhandlung im Amte ist am 21. Februar vom Land- aerichte Bonn   der Polizeiwachtmeister Hubert Nagel zu 10 M. ieldstrafe und zwei Wochen Gefängnis verurteilt worden. Bei der Heimkehr von einer nächllichen Patrouillenfahrt auf dem Rade über- holte er eine Schafherde, deren Führer keine Laterne hatte. Als er denselben zur Rede stellte, sagte dessen Begleiter V.: Sie haben ja auch keine Laterne I Darauf pachte Nagel den V. sofort, und als er loh, schlug er mit dem Säbel auf ihn ein. Die Fe st- nähme war ohne gesetzlichen Grund erfolgt. In seiner Revision behauptete Nagel, er sei zur Festnahme be- rechttgt gewesen, da V. ihn verhöhnt habe. Das Reichsgericht verwarf heute die Revision. Versammlungen. Die Konfektionsarbeiter«nd-Arbeiterin»»» des Stadtteils O st e W befaßten sich am Montag in einer in den Andreassälen ab- gehaltenen öffentlichen Versammlung mit der Lohnbücher- rage. Stühmer als Referent wies darauf hin, daß der Bundesrat entsprechend den Anregungen der Reichskommission für Arbeiterstatisttk die Einführung von Lohnbüchern in der Konfektion zum 1. April d. I. anordnete. Da nun die Konfettionäre gegen jede gesetzgeberische Einmischung in ihre Ausbeuterpraktiken schon seit Jahren Sturm geblasen haben, so sei es weirer nicht verwunderlich. daß nur ein Teil von ihnen der Bundesrats-Verordnung nach- gekommen ist und Lohnbücher eingeführt hat. Die Herren hatten die Lohnbücher ihren eigenen Bekenntnissen zufolge fürunprakttsch". Ganz besonders scheint sich diese Ansicht bei den Zwischen- m e i st e r n festgesetzt zu haben, denn obwohl bereits Wer ein Viertel- jähr seit dem gesetzlichen Einführungstermin verstrichen ist, sind bei der Mehrzahl der Zwischenmeister noch keine Lohnbücher zur Ausgabe gelangt. Dabei braucht der Wert der Lohnbücher für die Arbeiter und Arbeiterinnen keineswegs Werschätzt zu werden. Es handelt sich durchaus nicht etwa um einen esctzlich stipulierten Lohntarif, der den Unternehmern und ihren Zwischenmeistern unbequem werden könnte Lohntarife zur An­erkennung und Durchführung zu bringen, kann eben nur Aufgabe der Organisation sein, sondern lediglich um die Vorschrift, daß die Lohnhöhe bereits bei Ausgabe einer Arbeit in das Lohnbuch einzu- ttagen ist, damit die Arbetter resp. Arbeiterinnen von vornherein wissen, welchen Lohn sie für eine bestimmte Arbeit zu fordern be- rechtigt sind. Obwohl die bundesrätlichen Bestimmungen Wer die Lohnbücher in mancher Hinsicht noch verbesserungsbedürftig seien, so könne sich ein denkender Arbeiter doch niemals mit der von den Unter- nehmern verlangten Wieder-Abschaffung derselben einverstanden er- klären. Freilich gäbe es noch thörichte Arbeiter und Arbeiterinnen genug, denen die Unternehmer einfach vorreden können, die Lohn- bücher seien nur zu dem Zweck eingeführt worden, damit die Steuer- behörde eine leichte Handhabe zur Ermittelung des Jahreseinkommens der Arbeiter habe, um diese zu höhereu Steuern zu veranlagen. Aus diesen gänzlich unzutteffenden Gründen denken noch viele der leider ff indifferenten Konfektionsarbeiter sehr ungünstig Wer die Ein-- .ührung der Lohnbücher. Diesen Jndisferentismus besonders der Heimarbeiter und Heimarbeiterinnen zu brechen, müsse nach wie vor die vornehmste Aufgabe der Organisation sein. In der lebhaften Diskussion pflichteten alle Redner und Rednerinnen dem Referenten im wesentlichen bei. Eine Resolution, in der die Einführung der Lohnbücher als notwendig bezeichnet, dagegen aber die Lässigkeit der Zwischenmeister in diesem Punkte entschieden verurteilt wurde, fand einstimmige Annahme. Die Bäckergesellen und der Ausfall der ReichStagswahlen. Eine öffentliche Bäckerversammlung, die Dienstagnachmittag in der Ressource tagte, befaßte sich mit der Frage, ob die Bäckergesellen jetzt nach den ReichStagswahlen mehr Berücksichtigung ihrer Interessen zu erwarten haben als bisher. Der Referent F. Schneider wies darauf hin, daß die Bäckergesellen alle Ursache haben, mit dem Ausfall der Wahlen zufrieden zu sein, da die social- deniokrattschen Abgeordneten selbstverständlich sich alle erdenkliche Mühe geben werden, um den schändlichen Mißständen im Berufe der Bäcker entgegenzuwirken. Vor allem, so führte der Redner aus, komme es darauf an, daß der Maximal- Arbeitstag und die Sonntagsruhe erst einmal wirklich durchgeführt werden und daß die Saumseligkeit, die jetzt die Behörden gegenüber der Bundesratsverordnuug an den Tag legen, schwindet. Ferner müsse dahin gewirkt werden, daß den Arbeitern endlich ein- mal das Koalittonsrecht gesichert wird und daß die in hygienischer Hinsicht in den Bäckereien herrschenden Mißstände be- seitigt werden. Der Redner schilderte, welche empörenden Ver- hältniffe in vielen Bäckereien bestehen, wie verderblich die maß- lose Ausbeutung der Gesellen und Lehrlinge, die durch das Kost- und Logissystem so sehr begünstigt wird, wirkt und dazu führt, daß manche Bäckergesellen auf die Bahn des Verbrechens gedrängt werden. Um hier Wandel zu schaffen, sei vor allem eine starke Organisatton nötig, die die Bäckermeister zur Verbesserung der Arbeits- bedinguiigen zwingen und die Thätigkeit der Arbeitervertreter im Reichstage wirksam unterstützen könne. In der regen Diskussion, die dem mit starkem Beifall aufgenommenen Vortrag folgte, wurden die Erörterungen über die Mißstände in den Bäckereien fortgesetzt und namentlich auch die schlechte Behandlung ge- kennzeichnet, die einzelne Meister und selbst ihre Frauen den Gesellen zu bieten wagen. Unter anderm wurde er- wähnt, daß einige Meister sich schon bissige Hunde an- geschafft haben, um zu verhindern, daß organisierte Gesellen mit den unorganisierten und versklavten Gesellen, deren sie sich erfteuen, in Berührung kommen. Sie werden es aber auch dadurch nicht ver- hindern, daß die Organisatton weitere Fortschritte macht. Der Tcxtflarbeiter-Berband sFiliale Berlin I) hielt am 4. Juli seine Mttglieder-Versammlung ab. Der Kassenbericht vom II. Quartal ergab eine Einnahme inkl. Bestand vom I. Quartal von 1730,61 M., Ausgabe 1243,02 M.; demnach bleibt ein Bestand von 487,59 M. Hierauf erhielt Max Schütte das Wort zu seinem Vorttag:Vor 25 Jahren I"(Erinnerungen aus dem Jahre 1873.) Diskussion fand nicht statt. Für die streikenden Schuhmacher wurden 50 M. aus der Filialkasse bewilligt. Der Papst im Sterben. Leo XUl. liegt gänzlich hoffnungslos darnieder. Aber die überaus zähe Natur zögert das Ende, das schon seit Sonntag er- wartet wurde, noch immer hinaus. Am Dienstagnachmittag wurde in R o m folgendes Bullettn veröffentlicht: Der an der Brust des Papstes ausgeführte Probestich ergab eme sero-hämattsche Flüssigkeit. Man schritt darauf zum Bruststich (Thorakocentese), durch welchen etwa 800 Gramm Flüssigkeit entteert wurde. Eine rasche Untersuchung nach der Operatton ergab einiges Schleimrasseln in der zuerst ergriffenen Lungengegend. Der Papst ertrug die Operatton gut; seine Sttmmung ist gehobener und der allgemeine Zustand schemt etwas gekräftigt; gegenwärtig ruht der Papst. Lapponi  . Mazzoni." Rom  , 7. Juli. Mazzoni erklärte gegenWer einem Vertreter doe Agenzia Stefani", die Gefahr drohe stetig. Aber da die Krankheit miberecheWar sei, sei es möglich, daß der Papst noch drei Tage lebe. Rom  , 7. Juli, abends 7 Uhr. Der Zustand des Papstes ist der- selbe, wie im Bulletin nach der Operatton angegeben wurde. Trotz der durch die Operatton bewirkten Erleichterung besteht die Gefahr des Eintretens der Katastrophe fort. Die Nachfolge. Rom  , 7. Juli.Giornale d'Jtalia" meldet, die Arbett unter den als P a p a b i l i(diejenigen, die am meisten Anspruch und Aus« iicht auf die Nachfolge haben) genannten Kardinälen habe begonnen. In der vergangenen Nacht haben sie an die ihnen befteirndeten Kardinäle im Auslande telegraphiert. DerTttbuna" zufolge würden im Conclave zwei Strömungen zu Tage treten, die eine für G o t t i, die andre für R a m p o l l a. Auch Serafino Vanutelli, di Pietro und Capecelatro hatten Anhänger. 2&ieCapitan Fracassa" meldet, versammelten sich bei Kardinal Gotti am Montag elf Kardinäle, um ihre Ansichten bezüglich der Papstwcchl auszutauschen. Es seien dabei die Namen Banutelki. Gotti und Rampolla   genannt worden. Auch Kardinal Oregtta steht im Vordergrunde der Kandidaturen. Ftalie" meldet, Kardinal Gibbon? werde dem Conclave bei- wohnen können, da em Dampfer sich anheischig gemacht habe, ihn in sechs Tagen nach Havre   z» bringen. Dagegen werde der Erz- bischof von Sydney  , Kardinal Moran, an dem Conclave nicht teil- nehmen können. Die Kardinäle, welche den Kardinalshut noch nicht erhalten haben, werden ihn durch den Camerlengo empfangen, damtt ie am Conclave teilnehmen können. Die Architekten des Battkans, Schneider und Marttnucci, haben ihre Matzregeln für das Conclave gettoffen.______ Letzte Nachrichten und Depefchen* Die Ministerkrifls in Oestreich beigelegt. Wien  , 7. Juli.  (Von einem Privat-Korrespondenten.) Die Krisis ist endgülttg beigelegt. Der Kaiser überreichte persönlich dem Ministerpräsidenten v. Koerber ein äußerst huldvolles Hand- 'chreiben. Das Entlassungsgesuch des Ministers Rezeck ist an- genommen worden._ Prozeß Terlinden. Duisburg  , 7. Juli.  (W. T. B.) Nach Wiederaufnahme de, Sitzung begann der Staatanwaltschaftsrat sein Plaidoyer. Er beleuchtete die einzelnen Punkte der Anklage und bemerkte, es ei unwiderleglich, daß die von Terlinden hergestellten Duplikats- aktten ein geivöhnliches Verbrechen darstellten. Nach dreieinhalb- 'tündiger Rede unterbrach der Staatsanwalffchaftsrat sein Plädoyer, >as er morgen vormittag fortsetzen wird. Grofifcuer. Darmstadt  , 7. Juli. In Seligenstadt   am Main brach heute nacht gegen 1 Uhr ein Feuer aus, das bei dem herrschenden Sturm große Ausdehnung gewann. Neun Wohnhäuser und dreizehn Scheunen nebst mehreren andren Gebäuden wurden ein Raub der Flammen. Erst gegen 10 Uhr vormittags gelang es der rastlos arbeitenden Feuerwehr, dem weiteren Umsichgreifen des verheerenden Elements Einhalt zu thun. Der Schaden ist bedeutend, die Ent- ftehungsursache des Brandes noch unbekannt. Evanöville(Indiana  ), 7. Juli.  (W. T. B.)' Seit mehreren Tagen sind hier Unruhen ausgebrochen, die sich gegen die Neger richten. Heute versuchte die Volksmenge das Gefängnis zu stürmen, um dort befindliche Neger zu lynchen. Die Angreifer wurden von der Miliz mit dem Gewehrkolben zurückgeschlagen, rückten Wer wieder vor und warfen mit Steinen nach den Soldaten. Es fiel ein Schuß, der den Anlaß zu einem allgemeinen Schiehen gab. Die Menge wurde schließlich zurückgeworfen und ließ 7 Tote und 14 Verwundete auf dem Platze. % Berantwortl. Redakteur- Carl Leid in Berlin   Inseratenteil verantworttich:«h. Glocke in Berlin  . Druck u. Verlag: Vorwärts Buchdruckerei u. Verkagsanstalt Paul Singer&«o.. Berlin   SW.»«eilngen».Unterhaltung»«.