Nr. 166. 20. Iahrgaug. 1 KeilM des Jotiüättf Sttlinct UilksM Sonntag, 19. Juli 1903. lokales. Friedhöfe. »Auf den Friedhöfen hält der Friede Hof ", so sollte man meinen. Aber selbst unter den Trauerweiden, im dunklen Schatten der Cypressen, bis unter die Erde Pflanzt sich der alles durchdringende Klassenkampf fort, der heiße, bis zur Entscheidung unerbittliche Kampf zwischen den zwei Nationen der Welt: den Armen und den Reichen, wenn auch dem betäubenden Tagesgeräusch entrückt, nicht lärmend, aber in seiner monumentalen Totenstille um so ein- dringlicher. Eine Wanderung durch die Friedhöfe Berlins gehört zu den Seltenheiten auch desjenigen, dem der Kampf ums Dasein dazu Zeit ließe. DaS heiß pulsierende Leben der Großstadt will nicht gern an den kalten Tod erinnert sein. Vielen Menschen lähmt das memouto mori die Energie, und es sollte gerade das Gegenteil bewirken: ein frisches, fröhliches Hineinstürzen in den großen, weltgeschichtlichen Kamp der Zeit, um die kurze Spanne Lebens voll auszunutzen und mit energischer Thatkraft dem bewußten Ziel der Befreiung so schnell als möglich nahe zu kommen. Gerade jetzt im blühenden Sommer bietet solch eine Wanderung, wie wir uns in dieser Woche überzeugen konnten, einen eigenartigen Reiz. Von„Wilhelm dem Großen" im Char- lottenburger Mausoleum gingen wir nach dem stillen Friedrichshain zu den noch immer„uneingefriedigten" Märzgefallenen, dann durch die sänitlich mit einer Mauer umgebenen, in berauschendem Blüten- schmuck prangenden Friedhöfe des Berliner Weichbildes bis hinaus nach dem Central-Friedhof in Friedrichsfelde , zu unserm großen Führer Wilhelm Liebknecht. — Alles Asche, alles Staub Aber welche Kontraste auf diesen der ewigen Ruhe ge weihten Stätten I Ueberall Klaffen: L, H, Hl., wie auf der Eisen bahn, wie bei der Kommunalwahl, wie bei dem elendesten aller Wahlsysteme. Auch der Tod bewertet den Menschen nach seiner Steuerkrast l Welche wundervolle Blumenpracht auf den epheu umrankten Grabhügeln der Reichen I Die märchenhasten Schilderungen der Rosengärten des Orients werden vor den staunenden Augen lebendig. An die Toten gemahnen nur die von dem dunkel- grünen Blattwerk in schönen Konturen sich abhebenden gebrochenen weißen Marmorsäulen und die in poliertem Granit oder Syenit in der Sonne aufflammenden Obelisken. Kreuze sieht man nur wenige in Marmor, eiserne fast gar nicht.„Die sind aus der„Mode", klagte uns ein stommcr Totengräber,„es ist eine Schande, man glaubt gar nicht mehr auf einem christlichen Kirchhof zu sein!" Und ein Steinmetzmeister bestätigte uns:„Ja, Kreuze werden allerdings schon seit Jahren wenig verlangt, aber seit die„Bibel-Babel-Bewegung unter den auf Bildung und Besitz pochenden oberen Zehntausend Mode geworden, Hab' ich nicht ein Kreuz mehr verkaust l"— So hat den schmetternden Sang der„eisernen Lerche": Reißt die Kreuze aus der Erden I Alle sollen Schwerter werden— eine schnelle Entwicklung gegenstandslos gemacht! Dagegen ragen Obelisken an Obelisken und rings um die Friedhöfe aus Sandstein, Marmor und Granit die kostbarsten Erbbegräbnisse, jedes fast ein Vermögen! Dort auf dem alten Luisenkirchhofe in der Bergmann straße. die 14 Granitsäulen im Halbkreis haben 120 000 M. gekostet, und hier, nicht weit davon, ein eingefallenes Grab ohne Stein und Namen I Gegen diese prunkvollen Friedhöfe Eine Befreiung durch Königsmord. In der„Zukunft" veröffentlicht der frühere serbische Ministerpräsident Dr. Vladan Georgiewitsch Enthüllmtgen iibcr die Ursachen der Militärrevolution und der Ermordung des famosen ftömgspaares Alexander und Draga. Die Enthüllungen bedeuten einen neuen Beitrag zu dem Kapitel, was alles ein Volt sich durch Verbrecher, die sich von Gottes Gnaden nennen, gefallen läßt, bis seine Geduld sich erschöpft. Er fiihrt aus: ... Nachdem sich zugetragen, was grauenhafter nicht einmal die Einbildungskraft eines Shakespeare erdichten konnte, hat jeder zu reden, der etwas zur Klarstellung des in Serbien Geschehenen bei- zutragen weiß. Für einen Serben giebt es heute überhaupt keine dringendere Pflicht. Jetzt stehen wir vor einem neuen, merkwürdigen Schauspiel: Europa gedenkt heute nicht der namenlosen Leiden, die dieses Paar über uns brachte, sondern stellt sich auf die Seite der Unterdrücker. Ja, es zählt nicht die Verbrechen mehr, die gegen uns begangen wurden, sondern nur die Zahl der Schüsse, die im Konak fielen, die achtundfünfzig Säbelhiebe, mit denen man die beiden Leichen zerfetzte, die mitumgekommenen Verwandten und Ver- teidiger, es kanonisiert die Schuldigen und bezichtigt uns Serbe» der Barbarei. Nicht der König also, der durch Äerfassungshrüche, Staatsstreiche und wahre Borgiagreuel die Achtung aller Herrscher und Völker verwirkt hatte, ist heute der Schuldige; und die Frau, durch die er uns zum Spott der ganzen Welt machte und die uns zur blutigen Ouälcrin wurde, ist jetzt eine Märtyrerin. Schuldig ist das serbische Volk, schuldig die serbische Armee samt und �sonders, diese Armee, die im heldenmütigen Kampfe für die Unabhängigkeit ihres Landes gegen einen zehnfach überlegenen und zehnfach besser aus- gerüsteten Feind 25 000 Tote und Verwundete, jeden zweiten Offizier, jeden vierten Milizsoldaten verloren hat. Sie heißt plötzlich ein Prätorianerhaufe; ihre Offiziere wurden in europäischen Zeitungen Mgxdbuben genannt... Ich will gar nicht versuchen, alle Kabinettswechsel in diesen hundert Jahren zu zählen; es genügt, zu erwähnen, daß während der zehnjährigen Regierung Alexanders die Ministerien nicht weniger als fünfzehn mal wechselten, lvobci jedesmal zugleich ein vollständiger politischer Systemwechsel mit völliger Be- seitigung der ganzen Beamtenschaft bis zum kleinsten Diurnisten und Gemeindediener herab und mit Erschütterung der ganzen Staats- Verwaltung stattfand. Ein einziges Ministerium Alexanders— das mit der Devise:„Serbien über alles"— hat tauscndundeinen Tag gedauert- alle andren haben ihre Existenz nach Monaten, nach Wochen gezählt und Bibulus wurde wieder zur Wahrheit; denn wirklich: es gab sogar Eintagsministcr. Und man darf auch rück- schließen: Was konnten diese Ministerien unter solchen Umständen leisten? Und wären es lauter Cavours und Bismarcks gewesen: in den Monaten und Tagen, die ihnen beschieden waren, hatten sie nicht einmal Zeit, sich in den laufenden Staatsgeschäftcn zu orien- Staatsticren, geschweige denn, etwas Großes zu thun.... Die Schaffenskraft, die moralische Kraft eines unter Martern und ewigen Kreuzigungen sich unzerbrechlich emporarbeitenden Volkes wollte ein junger Mann, vielleicht ein Neu- rastheniker. vielleicht ein Geisteskranker, wieder zerstören. Und fast wäre es ihm auch gelungen; denn schon hatte er sich ja, der vo»Gottes Gnaden und dem Willen des Volkes König war, durch eine Reihe von Verbrechen zum unumschränkten Herrn dieses Volkes gemacht. D i e s e r j u n g e V e r b r e ch e r war der fünfte aus dem Geschlechte der Obrenowitsch, war Alexander l. Und wenn die in die Irre geleitete Gegenwart in ihm den tragischen Helden sieht und das serbische Volk des Mordes beschuldigt, so wird doch die Historie in ' ihrem Urteil über seine Verbrechen nicht schwanken. sticht der stille, große, hochgelegene Berliner Gemeinde- Fried Hof in Friedrichsfelde mit seinen natürlichen, stimmungsvollen landschaftlichen Reizen, seinen schattigen Gängen und Lauben wohl- thuend ab. Für viele tausend Arbeiterfamilien des Ostens ist er Sonntags ein ständiger Erholungsort, während er Alltags natur gemäß nur wenig, Montags fast gar nicht besucht wird. Er ist 100 Morgen groß und durch einen Hauptweg ist zwei Teile geteilt rechter Hand liegen die„Zahl-, Wahl- und Erbbegräbnisse", links vom Wege die Armcnleichen unter Gras und ebener Erde. Nummer an Nummer, namenlos, hügellos. Nur selten blickt ein weißes Porzcllanschild aus dem Gras hervor und sagt, wie der Aermste da unten geheißen hat. Wenn der Wächter richtig taxiert, daß hier unter 4000 Leichen im Jahre durchschnittlich 3000 Arme beerdigt werden, dann würden während des 20 jährigen Bestehens des Friede Hofs an 60 000 Arinenleichen links vom Wege liegen. Nun blicke man über die weiten, breiten grünen Rasenflächen. unter denen die niedrigen, schmalen„Nasenquctscher" dichtgedrängt, Sarg an Sarg, stehen, und man kann sich ungefähr einen Begri: machen von der überreichen Totenernte unter den Aermsten der Armen. 120 000 M. für ein paar Säulen und 60 000 Armensärge — so will es die„göttliche Weltordnung" I— Armer Teufel I Ver schwanden bist Du, spurlos. Du ruhst unter einer grünen Wiese, auf deren glatter, grüner Ebene die Sense das Gras mäht. Dein Name ist zur Nummer geworden, wie ein Zuchthaus — nichts verrät, daß unter diesen langen Rasenflächen Muskeln und Sehnen von Menschen modern, die in heißem Kampfe um ein besseres Los vergeblich die Fesseln der Not zu zerreißen versuchten. Nur ein kleiner Holzpflock mit der Nummer, die mit der Blechmarke drunten am Sarg übereinstimmt, lugt ein wenig aus den Grashalmen hervor. Das ist alles, was ins sonnige Leben zurückblickt.„Hier liegen die......(wir wollen das Wort nicht wiederholen), die nutzlos gelebt und es zu nichts gebracht haben, nicht einmal zu einein Sarg I So hörten wir hinter uns einen dicken Bankier oder Bäcker meister mit einer bunten Rosette im Knopfloch zu seiner korpulenten, nach der neuesten Trauermode gekleideten Ehegattin sprechen.— Wie blind doch ist der Besitz! Gerade Ihr Armen und Elenden, die Ihr in den Augen der satten Welt„Lumpen" wäret, weil Ihr keinen Bratenrock hattet, habt tausendmal mehr für die Vorwärtsentwicklung der Menschheit gethan, als die besternten Hurraschreier, die in ewiger Schiitzenfeststimmung den wechselnden Tagesgötzen finnlos entgegenjauchzten. Und Euer Wirken hat Nach ahmung gefunden bei den Nachkommen, die das Heer der Kämpfenden verdoppeln, verdreifachen! So waren wir weiter gewandelt bis vor den von der Liebe des Proletariats errichteten Denkstein Liebknechts.— Lange blickten wir in die ernsten erzenen Züge des großen Toten. In den Blättern der Bäume und Sträucher hinter dem Grabinal erhob sich ein leises Rauschen und Raunen.„Was würde wohl„der Alte" jetzt sagen?" ftagte mein Begleiter.„Ob er den Drei inillionenschrei gehört haben mag?"— Erregter flüsterten plötzlich die Blätter und heller blitzten die Sonnenstrahlen auf des Denksteins blendenden Granitspiegeln, daß wir die Augen schließen mutzten. Unseren flimmernden Blicken schien es, als ob die erzene Büste sich zum vollen Menschen auswuchs und der „Soldat der Revolufion" in seiner ganzen Größe vor uns lebendig wurde—, eine lebhafte Handbewegung, ein lodernder Blick und aus dem ein wenig nach der rechten Seite gespitzten Munde rollten die Worte:„Auf dem Friedhof hält der Tod Hof. Man erinnert sich des ersten S t a a t s st r e i ch e s, den er in der Nacht vom 1. April 1803 durchführte. Noch stand er nicht unter D r a g a s Führung, aber die Fähigkeit, ihr Schüler zu sein, kündete sich bereits an. Er rief das Heer zu seiner Hilfe, und wenn man es heute einen Prätorianerhaufen nennt, so hat er ihm damals den ersten Unterricht im Prätorianertum gegeben; er bereitete seinen greisen Regenten, die dreimal die serbische Krone dem Hause Obreno witsch erhielten, ein B o r g i a m a h l. Er übernahm eigenmächtig und als Minderjähriger die Regierung, was gegen die Ver- f a s s u n g V e r st i e ß. Ich möchte lieber nicht erwähnen, daß er auch die liberale Regierung Awakumowitsch gesetzwidrig auf die An klagebank brachte und sie dann, abermals gesetzwidrig, begnadigte. Es war furchtbar, zu hören, welcher Geist schon damals aus ihm sprach; eine wilde Tücke, wie sie vor ihm vielleicht nur noch in den neronischen Gemächern umging. Ein Minister meldete eines Tages, daß der wieder eingesetzte Metro- polit Michael Schwierigkeiten mache; der König fragte, ob man den Pfasfen nicht mit einer Tasse Kaffee aus dem Wege räumen könne. Nach dem Staatsstreich kamen die Radikalen beim König in Gunst. Nach neun Monaten und zwei Ministerien sollten sie wieder fortgejagt werden. Wie macht man das kunst gerecht? Ich höre lachen; doch du lachst zu früh, du in den Praktiken der Undankbarkeit erfahrene Kabinettskunst l Denn in der Ver- schlagenheit gab dir di e s e r Knabe doch noch viel vor. Hinaus werfen, den man gestern ans Herz geschlossen: das läßt sich leicht leisten; und was ist schließlich in einem monarchi- schen Lande eine Partei? Das nimmt man und spuckt es wieder aus, denn man weiß schon mit zwanzig Jahren: Eher wird eine Mutter den Dolch in das Herz des eignen Kindes bohren, als daß ein patriotisches und in seinen jungen König verliebtes Volk aufhören wird, die Handlungen dieses Königs mit tausend Menschlich leiten zu entschuldigen. Ist er nicht jung, heißt es dann, ist es nicht besser, er ist temperamentvoll und ungestüm? Wäre etwa zu wünschen, er zeigte schläfrige Nüchternheit? Um die Radikalen zu verabschieden, war also weder viel Mut noch eine besonders tückische Erfindungsgabe nötig. Aber es handelte sich ja gar nicht um ihre Entfernung als Selbstzweck; um etwas Größeres ging's: ein neuer Staats- st r e i ch sollte' gemacht, die vor neun Monaten feierlich mit det Hand auf dem Evangelium heschworeneVersafsunggebrochen und die vom Jahre 1868, deren Aufhebung in blutiger Revolution erkämpft worden war, wieder dem Volk aufgedrängt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, bedurfte es schon erfinderischer Kraft: man mutzte eine Staatsgcfahr erfinden, deren Ursache eben der Radi- kalismus war, und plausibel machen, daß es ihr gegenüber kein andres Schutzmittel gebe als die Vergrößerung der königlichen Macht- Vollkommenheiten und die Rückkehr zur TyranniS von 1863. Das nun ist also die Frage, die ich an d i e T e ch n i k e r d e r S t a a t s- streiche und Verfassungsbrüche stelle: Wie kompro- mitticrt man ain hellen, lichten Tage eine redliche und loyale Partei und stürzt mit ihr zusammen die Konstitution, zu der sie steht, in den Abgrund? Nun, wozu lange Wege? Erinnert man sich vielleicht noch der Reise, die der König, umgeben von seinen radikalen Ministern, im Kreis Uzica machte? Alles war ahnungslos. Plötzlich, als man auf die Zlatibor-Höhe kam und die Wagen schon den Berg hinan- klommen, hielt die königliche Equipage knapp vor einer Stelle, wo die Straße hart an einem Abgrund vorbeizieht, und— allgemeine Aufregung l— der König verließ den Wagen und ging weiter zu Fuß... Warum? Was war geschehen? Nun, ein Streich von der Art, wie sie Victor Hugos unsterblicher Graf Ahlefeld verübte; ich bemerke ausdrücklich, daß die Sache erhärtet und erwiesen ist. Man fingierte eine Verschwörung der radikalen Minister gegen das Leben des Königs. Im Auftrage des Königs verständigte ein Vertrauter eine dritte Person, daß hier, an dieser Stelle, mit Wissen der Minister die Pferde des königlichen Wagens scheu gemacht werden würden, und nachdem diese dritte, ahnungslose Person in heller Angst die Warnung wiedergegeben: konnte dann der König, den man in den Seinem Ruf zu Hofe bin ich gefolgt. Er ist die einzige Majestät, vor der das Volk der Arbeit sich beugt!" — Und sie lsgte sich grollend wieder zur Ruh, eine stolze Rebellen- leiche.—_ Lebe wohl, du schöner Wald! Die Erwartungen, welche die Bewohner der nördlichen Stadtteile und der Vororte in den FiskuS bezüglich der Schönholzer Heide setzten, sind leider trügerische gewesen. Noch vor zwei Monaten hieß es, daß nur der nach Pankow hin belegene Teil der Bebauung erschlossen werde und das übrige Waldgelände liegen bleibe, um später fiskalischen Zwecken zu dienen. Jetzt fft nun aber auch die zweite Hälfte der Heide ver- kauft worden. Zun» Herbst werden hier Axt und Säge die alten hundertjährigen Kiefern und das junge Eichenholz niederlegen, um Platz zur Anlage von Straßen und zum Bau von Häusern zu schaffen. Die Absicht, hier ein Villenviertel ttzu schaffen, wird wohl aufgegeben werden müssen, weil direkt an das Waldgelände der große Schönholzer Güterbahnhof hinkommt und auch der Güterverkehr der Reinickendorf -Liebenwalder Bahn dorthin ver- legt wird. Es wird dort also durchaus keine ruhige Villengegend werden, sondern eS ist wohl eher anzunehmen, daß die einzelnen Baustellen nach Möglichkeit ausgenutzt und dort mehr oder weniger große Mietskasernen entstehen werden. Nngiiltige Polizcivorschrist des Berliner Polizeipräsidenten. Nach der Berliner Polizeiverordnung vom 9. April 1888 sind die Mineral- Wasserapparate alle zwei Jahre durch einen vom Polizeipräsidenten bestimmten Sachverständigen zu revidieren und die Fabrikanten haben auf Verlangen der Polizei das Prüfungszeugnis vorzulegen. Die Verordnung erlegt ferner den Selterwasserfabrikanten die Prüfungsgebühr auf, die der Polizeipräsident festzu- setzen hat. Der Limonaden- und Selterwasserfabrikant Ehlers zu Berlin hatte seine Apparate nicht prüfen lassen, weil er die Polizei für verpflichtet hielt, dieGebührenselberzn tragen und ein gerichtliches Urteil darüber haben wollte. Das Landgericht Berlin I verurteilte ihn zu einer Geldstrafe. Das Kan, mergericht als Revifionsinstanz hob jedoch die Vorentscheidung auf und sprach E. mit folgender Begründung frei: Die Kosten der Prüfung der Selterwasserapparate gehörten zu den sachlichen Kosten der Polizei- Verwaltung an sich, den die Kontrolle der Apparate solle nicht dem Betriebe dienen, sondern einer Gefährdung des Selterwasser konsumierenden Publikums vorbeugen. Solche Kosten solcher Revisionen seien von der Polizeibehörde zu tragen. Die Polizeiverordnung lege deshalb zu Unrecht die Prüfungsgebühr den Unternehmern auf uns sei inso fer n ungültig. Wenn nun der Angeklagte wegen der Gebühr nicht revidieren ließ, so habe er sich keiner strafbaren Uebertretuug der Polizeiverordnimg schuldig gemacht. Das Unwetter am gestrigen Abend hat besonders in den west- lichsn Vororten arg gehaust und bedeutenden Schaden verursacht. Zeitlveise war fast der gesamte Straßcnbahn-Verkehr im Westen unterbrochen. Unter den Brücken in der Dorkstraße hatten sich der- artige Wassermasscn angesammelt, daß der Betrieb für die dort ver- kehrenden Straßenbahnlinien auf eine halbe Stunde eingestellt werden mußte. Ebenso war der Verkehr nach Schöneberg , ans den Linien der Westlichen Vorortbahn, nach Steglitz , Grunewald und Roseneck zeitlveilig gestört, da die Straßen in Schöneberg , so an der Ebers-, Torgauer-, Eisenacherstraße einem förmlichen See glichen. Die Wassermaffen drangen in die Keller und Häuser. Ferner ivar durch die Ueberflutung der Betrieb der Siemens u. Halske- Bahn Steglitz — Lichterfclde gestört. Bedeutende Ueberschwemmungen werden auch ans Rixdorf und Treptow gemeldet, und in der Bcrlinerstraße in Friedrichsfelde stand das Wasser bis zu einem halben Meter hoch, so daß es fast»der die Plattform der Straßenbahnwagen hinweg- Abgrund stürzen wollte, mit den Attentätern weiter zusammen- bleiben? Und konnte er mit der Verfassung weiterregieren, die ihnen die Macht im Lande gab? Und so machte man also nach Zer- trümmerung der Radikalen, wie früher nach Zertrümmerung der Liberalen einen gut verborgenen Staatsstreich, den nun ein fortschrittliches Ministerium mit einer fortschrittlichen Partei deckte, bis es sich schon nach einigen Monaten überzeugte, daß es einfach gefoppt war, weil man ihm das Versprechen einer Vcrfassungsrcvision, durch das es für den Staatsstreich gewonnen wurde, nicht hielt. Und so durfte man jetzt schon sagen: Meineid auf Schritt und Tritt; nur daß es eben noch größerer Leiden und Martern bedarf, bevor man sich entschließt, von seinem jungen König, dem man Treue geschworen. das ärgste zu glauben und aller Hoffnung zu entsagen. Denn was wußten wir serbischen Politiker, wie es im Herzen dieses Gesalbten in Wahrheit aussah? Wie sollten wir nicht hoffen und glauben, daß so viel Jugend, die wir liebten, sich am Ende doch zur Ruhe und Besonnenheit zurückfinden werde? Nachdem nach der ältesten l liberalen) und der zahlreichsten(radikalen) Partei nun auch die fortschrittliche mit der Schuld der Sanktionierung eines Ver- faffungsbruches beladen und vernichtet worden war, rief der Minister- Präsident dieser fortschrittlichen Partei dem König bei der Ver- abschiedung, indem er das Kreuz schlug, zu:„Gott soll mich davor bewahren. Eurer Majestät noch einmal dienen zu müssen!" Und doch diente man ihm wieder, wenn die Not rief, denn man liebte ihn als den Vertreter der nationalen Dynastie. Sollten wir uns auflehnen und zu allem sonstigen Unglück auch noch neue dynastische Kämpfe heraufbeschwören? Ich wurde sein Ministerpräsident— in drei Jahren der neunte! — und ich, Vladan Georgewitsch, der ich der Lebcnsgrenze nahe bin. bezeuge hier vor Europa , daßKönigAlexander einen Mörder dang,»m seinen Vater Milan zn ermorden. Ja. hört es, Ihr Majestäten, hört es, civilisierte Nationen, die Ihr jetzt d i e S e l b st- Hilfe, zu der ein unglückliches Volk greifen mußte, als Uebermatz uncuropäischer Barbarei empfindet: König Alexander von Serbien und seine damalige Maitresse und spätere Frau Draga haben den Mörder Knczewitsch gedungen, um den eignen Bater des Königs, den Schöpfer des neuen serbischen Königreiches, den ersten serbischen König nach dem Untergang des einstigen Kaisertums, feig und meuchlings zu erschießen. Wie meinem Lande und meinem König, so war ich auch treu meiner Ehre, und weil ich freiwillig Exil und Entbehrung auf mich nahm, als die brennende Schmach über uns hereinbrach, wird man mir auch glauben, wenn ich sage, daß ich nimmermehr diesem Könige gedient hätte, wenn ich die versteckten Verruchtheiten geahnt hätte, >eren er vorher schon, dann aber, nachdem Draga ihn zu stacheln begonnen hatte, noch in hundertfach vermehrter Zahl schuldig war. Von meiner Politik, überhaupt von Politik kann ich nicht weiter prechen; denn was soll jetzt Politik? Wir nähern uns dem rein kriminellen Gebiet. Von dem Verhältnis des Königs wußte man. Wen ging es an? Ist ein Minister berufen, die erotischen Abenteuer eines Herrn zu kontrollieren? Wir hatten einen andren Ehrgeiz und andre Gedanken, hatten als Minister des serbischen Volkes andres zu thun. Freilich: etwas Auffallendes hatte es in der Zeit dieses Verhältnisses doch gegeben. Nämlich die geradezu rätselhafte Er- bitterung. womit der König plötzlich sein achtes Ministerium fort- gejagt hatte, unmittelbar nachdem es ihm die Heirat mit der Prin- zessin von Montenegro anriet. Doch diese Erbitterung war eben rätselhaft; daß sie das Werk einer rachsüchtigen Maitresse war, ahnten wir nicht. Wer konnte an Draga Maschin denken? Ihr Leib war Gemeingut, ihre Vergangenheit stadtbekannt, von beiden Eltern- citen her belastet— denn der Vater starb im Belgrader Irrenhaus, die Mitter war eine Trinkcrin—; jeder wußte: eine hitzige Dirne. Auch Alexander wußte es; der verstorbene Kaufmann Kanara, der verstorbene Publizist Sima Popoivitsch wußte es; viele Belgrader , die noch heute leben, wissen es aus persönlicher Erfahrung. Sie hatte ihrey ersten Wann entehr» und ins Grab gebracht. Königin
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