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Nr. 117.

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9. Jahrg.

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teen sprech- Anschlu: Amt I, Nr. 4186.

Berliner   Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands  .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Die Verleumdungs­Epidemie.

Durch die nationalliberale Presse geht, mit obigem Titel versehen, nachstehender Leitartikel:

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Freitag, den 20. Mai 1892.

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Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

und Scham betrieben und betreiben es noch? Dieselben Standpunkte aus geradezu selbstverständlich. Es ist also eine Blätter und Personen, die jetzt ob der Ahlwardt  'schen vollständige Verkennung oder Verdrehung der Thatsachen, wenn Judenflinten" die Hände über dem Kopf zusammen- behauptet wird, die auf die öffentliche Erziehung der Jugend schlagen, haben von anderen Lügen und Verleumdungen bezüglichen Fragen hätten anläßlich des Erfurter Parteitages nur geringe Beachtung gefunden. Es wurde diesem Punkte des Pro­abgesehen seit einem Vierteljahrhundert Schicht um gramms gleich jedem anderen die genügende Beachtung zu Theil, Schicht der niederträchtigsten und unsinnigsten Verleum- aber gerade weil das, was hier als unsere Forderung formulirt Es ist unzweifelhaft, daß der reißende Absah, den die dungen bergehoch auf die sozialdemokratische Partei gehäuft, ist, in seiner Berechtigung so flar auf der Hand liegt, war zu Schmähschriften des Nettors Ahlwardt   gefunden haben, und und sich systematisch bemüht, jedem Sozialdemokraten die weitläufigen Debatten hierüber feinerlei Veranlassung. Wenn die der starte Zudrang sensationslüsterner Elemente zu den von persönliche Ehre abzuschneiden. betreffenden Leitartikelschreiber sich ferner den Anstrich geben, als ihm abgehaltenen öffentlichen Versammlungen stimulirend auf Von ähnlichem Werth ist die sittliche Entrüftung.des wollten wir die Wissenschaft und ihre Lehre, die ja jetzt nach deffen Berleumdungstrieb eingewirkt haben. Noch unter dem Erkanzlers. Wenn der Mann, der die Wahrheit tausend Artikel 21 der preußischen Verfassung frei" fei, unterdrücken, so frischen Eindruck einer Gerichtsverhandlung, in der er felbst mal gebeugt hat, um die Kriege von 1864, 1866 und ingt dieses Argument von der freien" Lehre der Wissenschaft als Schlepper eines jüdischen Titelschacherers auf das ergste 1870/71 einzufädeln in unserem Staate selbst im Munde eines freisinnigen" Polititers der Mann, der die Emser Depesche unwiderstehlich komisch. Wo ist denn diese vielgerühmte Freiheit bloßgestellt wurde, findet er den Muth, im Namen des Deutsch­thums aufs Neue als Ankläger des Judenthums aufzutreten. redigirt", das Bombardement von Saarbrücken   erfunden, zu finden? Weder auf Universitäten; noch auf höheren oder Wie wäre das Alles möglich und denkbar ohne die stille, ge- gegen jeden seiner politischen Gegner, ohne mit der Wimper niederen Schulen darf irgend welche Wissenschaft verzapft werden, heime, aber wirksame Unterstüßung der Leute, die seinen Entzu zucken, die tödtlichsten Beschuldigungen aus den Nägeln die nicht den obrigkeitlichen Stempel aufzuweisen hat. Die hüllungen Beifall ſpenden?- Sehr mit Recht hat das Kons. gesogen, und durch sein engeres und weiteres Preß- geringste abweichende Anschauung hat unwiderruflich Diszi Wochenblatt" ausgeführt, daß das Piedestal, auf dem Herr Ahl- bureau eine sogenannte Geschichtsschreibung organisirt hat, plinaruntersuchung, Strafversetzung und schließlich Entlassung warbt steht, geschaffen wird von Leuten, die durch vieldeutige Ge- welche eine fortlaufende und methodische Geschichtsfälschung vom Amte zur Folge. Der Einwand, daß Unterricht zu berden oder, wie die Kreuz- Zeitung  " und die Rons. Korr." ertheilen, Unterrichtsanstalten zu gründen und zu leiten, ist wenn dieser Mann sich nun weinerlich als das Opfer nach Artikel 22 der preußischen Verfassung ja Jedem freistehe, der das thun, durch vieldeutige Anspielungen der Meinung Vorschub leisten, als ob in der That an den ungeheuerlichen, wahn- der Geschichtsfälschung hinstellen will, dann kann man ihm seine sittliche, wissenschaftliche und technische Befähigung" den wißigen Beschuldigungen, die jetzt verbreitet werden, etpas nur zurufen: Tu l'as voulu, Georges Dandin Du hast betreffenden Staatsbehörden nachgewiesen habe, erledigt sich ge­Wahres wäre. Ohne diese geheime Unterstützung würde Herr es so gewollt, und Du hast es gelehrt-, mit Deinen eignen wissermaßen von selbst durch den zweiten Theil dieser Bestim Aylwardt schwerlich die Rolle haben spielen fönnen, in der er Waffen wirst Du geschlagen! mung, durch den hinkenden Boten des Nachweises einer sittlichen fich jetzt gefällt. Man sollte sich übrigens hüten, die Dinge Befähigung. Um vom Standpunkte der einschlägigen Behörden als qualifizirt erachtet zu werden, eine Privatschule zu gründen allzu tragisch zu nehmen. Der gesunde Zustand unseres staat­lichen und gesellschaftlichen Organismus wird uns auch diese Wer Andern so viel Unrecht gethan hat, wie der Erkanzler, und zu leiten wozu, beiläufig bemerkt, ein gewiffes Anlage­Verleumdungsepidemie überwinden lassen, wie wir unmittelbar tapital gehört muß man entweder sehr bibelgläubig und von nach dem großen Aufschwung des Jahres 1870 bis 1871 die hat kein Recht sich zu beklagen, wenn ihm einmal Unrecht der alleinseligmachenden, dem Kapital innewohnenden Sittlichkeit weit giftigere Berleumdungsperiode überwunden haben. Nur geschehen sein sollte. Er ist im Gegentheil bis jetzt noch völlig durchorungen, oder ein hartgefottener Mucker und Heuchler bei wirklich verrotteten Berhältnissen könnten Vorgänge, wie viel zu gnädig weggekommen, weil der Bann seiner Ver- fein. Ueberdies spielt noch, was die Verfasser der fraglichen wir sie jetzt erleben, ernstliche Gefahren nach sich ziehen." leumbungen und Geschichtsfälschungen noch nicht vollständig Artikel übersehen zu haben scheinen, die Bedürfnißfrage, die hier Und gleichzeitig finden wir in der Münchener Al- gebrochen ist. Einen solchen Chimborasso von Lügen weg­gemeinen Beitung" einen Leitartikel, betitelt Moderne Ge- zuräumen, bedarf es einiger Zeit. chichtsfälschungen", in dem der Er- Reichskanzler als das Opfer schwerer Verleumdungen hingestellt wird.

Es liegt eine Art Nemesis darin, daß die Klasse und

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Dabei lassen wir die Frage, ob gegen ihn eine Ge­schichtsfälschung vorliegt, ganz bei Seite.

Unsere Schulideale.

Von einem Lehrer.

in Berlin   fast durchweg verneint wird, bei der Errichtung von Privatanstalten eine nicht zu unterschäßende Rolle. War es ja gerade die schrankenlose Freigebung der Privatschulen, welche den Volksschulgesetz- Entwurf in erster Reihe den liberalen Nörglern unannehmbar machte, da sie von dieser Bestimmung fürchteten, fie werde zur Folge haben, daß sozialdemokratische Bildungsanstalten der Mann, welche im Punkte der Verleumdung und Ge­gleich Pilzen aus der Erde hervorschießen würden! Daß der Wider­spruch gegen die stärkere Betonung des religiös fonfessionellen schichtsfälschung das Menschenmögliche und mehr als Elementes im Grunde des Herzens gar nicht so aufrichtig ge­das Mögliche geleistet haben, sich nun ihrerseits über Berleumdungen und Fäschungen beschweren. Fortschrittliche Blätter, die in den Spuren des Bukunfts- meint war, verrathen auch die in Rede stehenden Artikel mit Daß nun von demselben Seite, in der Schule ver= Was die Ahlwardterei angeht, so haben wir unsere bilder"-Manns wandeln, suchen dem liberalen Philister mit dem dankenswerther Offenheit. Wauwau der sozialdemokratischen 3wangsschule" graulich zu welche die geistige Knechtschaft Meinung längst gefagt. Es gereicht uns zur lebhaftesten machen. A13 ob wir heute die Zwangsschule nicht auch bereits ficht, in Bezug auf unsere Schulideale behauptet wird, wir er­Schadenfreude, daß die Ruthe, die man gegen Andere ge- hätten. Allerdings können reiche Leute den Schulzwang gegen- ftrebten den Despotismus nicht blos in wirthschaftlicher, sondern bunden, nun auf dem Rücken wenigstens eines Theiles der wärtig insofern umgehen, als sie ihren Kindern durch Hauslehrer auch in kultureller Hinsicht, da wir das staatliche Bildungs­Binder so luftig herumtanzt. Die Stöckerei und Ahlwardterei und Gouvernanten eine private Erziehung zu Theil werden lassen. monopol bekämpften ist von Bismarck   großgezogen worden, und zwar mit Was aber dem Einen recht ist, soll dem Andern billig sein. Da fuchten,

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Billigung und Unterstützung des liberalen deutschen jedoch für das Gro3 der Bevölkerung dieser Ersatz des staat welche Begriffsverwirrung und" Knechtschaft" bei unseren Gegnern herrscht.

unferes

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und es dann selbst einzuführen tann ja nicht befremden wenn man bedenkt, hinsichtlich der Begriffe Frei Bürgerthums. lichen Boltsschul- Unterrichtes durch den privaten aus ökonomischen heit" Die nationalliberale Entrüstung über die Verleum- Gründen nicht in Betracht kommen kann, so ist die im§6 Wirthschaftliche Anarchie nennen sie Freiheit und die von uns Parteiprogramms ausgesprochene Forderung Des erstrebte Regelung der Produktion Knechtschaft; ebenso auf dungs- Epidemie" ist natürlich nicht ernst zu nehmen, wenn obligatorischen Besuches der öffentlichen Volksschulen, nebst geistigem Gebiete. Sich darüber mit den Herren auseinanderzu Es ist lächerlich, der Merger der Leutchen auch echt sein mages ist ein unentgeltlichkeit des Unterrichts, der Lehrmittel und der Ver- feßen, wäre doch verlorene Liebesmühe". Stück politischer Heuchelei der abscheulichsten Sorte. Oder pflegung in den öffentlichen Wolfsschulen, sowie in den höheren wenn uns entgegengehalten wird, daß wir uns mit feinem einzigen haben etwa nicht gerade die Nationalliberalen unter allen Bildungsanstalten für diejenigen Schüler und Schülerinnen, die Worte über unsere Bildungsideale geäußert hätten. Jedem, der politischen Parteien Deutschlands   allezeit das Berleumdungs- fraft ihrer Fähigkeiten zur weiteren Ausbildung geeignet erachtet auch nur oberflächlich in unsere Prinzipien eingedrungen ist, muß geschäft aufs Schwunghafteste und ohne jegliche Rücksicht werden, durchaus gerechtfertigt und vom sozialdemokratischen es ohne Weiteres flar sein, daß in einem Staate, der die wirth­

Feuilleton.

Nadbrud verboten.]

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Am Webstuhl der Zeit. 3eitgenössischer Roman in 3 Büchern von A. Otto Walster  .

Beamteten in Kirchen- und Schulsachen der konservativen Partei angehörten; doch gelang es bald, einen adligen Professor aus der Universitätsstadt des Landes zu verstän digen, der die Lücke ausfüllte.

Als mehrmaliger Präsident der Rammer, sowie als geeigneten Persönlichkeit unbesezt bleiben, da alle höheren Vorsteher der Stadtverordneten, hatte Dr. Naffmaus wieder­holt Gelegenheit gehabt, mit dem Monarchen persönlich in Berührung zu kommen; dieser jedoch hatte sich nie mit dessen Persönlichkeit befreunden können, glaubte aber der Ruhe des Landes ein persönliches Opfer bringen zu sollen und empfing den Süßlächelnden mit der an ihm stets ge­wohnten Leutseligkeit.

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Die neue Ministerliste wurde für annehmbar befunden, und bereits am Abend nach Vorlegung derselben verkündigte eine Bekanntmachung in einem Extrablatt der Landes­Auf Anfrage, ob er sich wohl zutraue, ein Ministerium Zeitung" den hochaufhorchenden Bewohnern der Hauptstadt, zu bilden, welches gleichmäßig Jhm, dem König, Vertrauen ein- daß Se. Majestät, um des Friedens im Lande willen, das Am nächsten Morgen schlossen eine ganze Anzahl von flößen und das des Landes besitzen würde, erklärte der Advokat, Entlassungsgesuch des bisherigen Ministeriums angenommen Fabrikanten ihre Etablissements und gaben den Arbeitern daß er allerdings nur Männer vorschlagen könne, die, wie und ein neues berufen habe, dessen Busammensetzung zu einen Feiertag. Das Aufhäufen von Menschenmassen nahm er, das vollste Vertrauen der Mehrheit der Staats- gleich mitgetheilt ward. Die Liberalen fäumten nicht, für infolge deffen in einem Grade zu, daß der Stadtkomman- angehörigen befäßen, daß er im übrigen jedoch für ihre denselben Abend eine Illumination zu improvifiren, und bant die allerhöchste Genehmigung zu einer Konfignation Loyalität und gleichmäßige Sorge auch für die Vorrechte Dr. Raffmaus selbst ließ sich's etwas kosten, um sich ein der Truppen in den Kasernen einzuholen fam. Ein der Krone einstehen könne. Darauf hin erhielt er den Auf- solennes Fackelständchen brennen zu laffen. Die All­Dugend Zumultuanten, unterstützt durch die immer trag, nunmehr eine Ministerliste vorzulegen, und zwar so gemeine Beitung" brachte einen der schönsten" Ar­rührige Straßenjugend und einige arbeitsluftige Glaser, schnell wie möglich. Raffmaus verlor feine Zeit, er war titel über die hochherzige Entschließung, durch welche edle Monarch wiederum bewiesen habe, wie warfen dem Ministerpräsidenten die Fenster, sowie die auf diesen Fall seit Jahren vorbereitet. Ein bein vorigen der Scheiben der beiden vor dem Ministerhotel stehenden Gas- Ministerium in Ungnade gefallener und seitdem zur ihm das Wohl des Landes näher und inniger am Herzen fandelaber ein, ohne daß die Wache, die für einen solchen Disposition gestellter Gesandter erklärte bereit, läge, als seine persönlichen Wünsche und Neigungen. Dem Fall ohne Instruktion war, einzuschreiten wagte. das Aeußere zu übernehmen; ein pensionirter liberaler Lande aber ward eine neue segensreiche Aera prophezeit, Da plöglich verbreitete sich wie ein Lauffeuer die Nach- General fand sich für den Krieg; das Departement durch welche es zur höchsten Blüthe seiner geistigen und selbst, Dr. materiellen Interessen gelangen würde. Die Kammern richt, daß der Monarch den Dr. Raffmaus nach seinem Palais des Innern übernahm Dr. Raffmaus selbst, beschieden habe. Benjamin empfing mit Freuden eine Berufung für hielten eine Abendsigung, in welcher ihnen das Ereigniß Und so war es in der That; Dr. Raffmaus, welcher das Justizministerium, Dr. Lutz war schon längst für das des Tages mitgetheilt wurde. Die erste Kammer nahm die seit dem Morgen auf seinem Bureau im Galafrack und Departement des Handels und der Gewerbe auserforen Mittheilung still und mürrisch auf; in der zweiten dagegen sauber frisirt unter den unaufhörlich ab- und zugehenden und der liberale Bautier von Oppen gab erwünschte Ge- erhoben die Liberalen und Fortschrittsmänner laute Beifalls­Parteigenossen saß, erhielt die Aufforderung durch den legenheit neben den adligen Ministern des Kriegs und des rufe und beeilten sich, von der linken Seite des Sigungs­töniglichen Flügeladjutanten in aller Form und bediente Aeußern" auch einen adligen Finanzminister einzubringen, raumes nach der rechten Seite, auf der ihnen die Kon­sich des schon seit dem frühen Morgen bestellten Zwei- damit sich der Hof und die Aristokratie nicht an die vielen fervativen Platz machten, überzusiedeln. Unmittelbar nach Schluß der Sitzung versammelten spänners, um sein langersehntes und mit rastlosem Eifer bürgerlichen Namen zu viel stoßen möchten. Nur der Posten erstrebtes Glück im Fluge einzuholen. eines Kultusministers mußte zeitweilig aus Mangel an einer sich die Vertrauten der liberalen Partei zu einer kleinen