Hr. 259. 20. Jahrgang.2. Kcilm des Jmiiiirls" jittlinn BoMliiftDonnerstag, 5. November 1908.Der Kampf ums Majorat.Achter Tag.Vorsitzender Landgerichts- Direktor Leuschner eröffnet dieSitzung mit dem Aufruf der Zeugen, wobei es sich zeigt, daß nochimmer eine ungeheuer große Zahl von Zeugen zu vernehmen ist.Justizrat W r o n k e r stellt noch zwei Beweisanträge. Er bean-tragt die Vorladung des Baumeisters T. Ankiewicz in Warschau.Dieser soll bekunden: In der letzten Zeit habe er zufällig im Zugevon Posen nach Krakau den Zeugen Hechelski getroffen. Letztererhabe dabei erzählt, daß er nur noch für den Grafen Kwilecki Reisenmache. Jede Reise bringe ihm ein schönes Stück Geld, gelänge ihmaber die Sache, so würde er noch viel mehr erhalten. Auch soll derZeuge Ankiewicz in der Lage sein, im allgemeinen über den Leu-mund des Hechelski und seine Geschäftsgepflogenheiten Auskunft zugeben.Ferner beantragt Justizrat W r o n k e r die Vorladung desGrundstücksagenten S. Kozlicki in Wronke, der über den Leumundder Angeklagten Ossowska sich äußern soll. Er soll bekunden, daßdiese überall einen schlechten Leumund hat, sowohl nach der gcschästlichen als nach der menschlichen Seite, und daß sie sich sogar straf-rechtlich zu verantworten haben werde.Diese Zeugen sollen geladen werden.Rechtsanwalt Chodziesner: Graf Hector Kwilecki habe hierbehauptet, daß die Uebernahme des Majorats für ihn kein Geschäftsei. Demgegenüber behaupte die Verteidigung, daß es einglänzendes Geschäft wäre, und um dies zu beweisen, bedürfe es derGrundakten von Wroblewo. Der Gerichtshof beschließt, diese ein-zufordern.Als erste Zeugin wird heute Frau Valentine Andruszewska,die Schwägerin der Hedwig, vernommen. Ihr verstorbener Mannwar Möbclhändler. Vor zwei Jahren im Sommer habe die Hedwigin Briefen wiederholt über die schlechte Behandlung geklagt, die ihrin Wroblewo zu teil wurde, und um Hilfe dagegen gebeten. Siehat dann auch von demGeheimnis erzählt,genau so, wie eS später zu Papier gebracht worden ist. Daraufhabe die Zeugin an die Gräfin geschrieben, man wisse von demGeheimnis und sie solle doch die Hedwig besser behandeln. DieGräfin habe diesen Brief nicht angenommen, dann habe sie den Briefanders adressieren lassen und nun sei er angenommen worden. DieZeugin ist dann auch mal selbst nach Wroblewo gefahren, um dieHedwig zu sprechen und der Gräfin Vorhaltungen zu machen. Siesei dabei auffallend gut aufgenommen worden und es sei ihr garnicht angenehm gewesen, daß sie da zur Tafel gezogen wurde, gutzu essen und zu trinken bekam und zwischen dem gräflichenEhepaar sitzen mutzte. Sie habe dadurch keine rechte Gelegenheitgehabt, mit der Hedwig ausführlich zu sprechen. Sie habe dasganze für eine Komödie gehalten.— Aus weiteres Befragen erklärtdie Zeugin: Ihr eigner Ehemann habe schon die Sache in die Handnehmen wollen und auch schon einmal nach Krakau geschrieben.Später habe der Bruder die Angelegenheit aufgenommen. Richtigsei es, daß nach dem Tode ihres Mannes ein Erbschaftsstreit unterden Angehörigen entbrannt sei, ihr Bruder Max habe schließlichbehauptet, daß sie einen falschen Offenbarungseid geleistet habe, undes sei eine Denunziation wegen Meineids gegen sie ergangen. DasVerfahren sei aber eingestellt worden und die Verwandten habensich wieder friedlich vertragen. Hedwig habe sich auch einmali13 M. von ihnen geborgt und das Geld sei, als die Hedwig auf dasVorwerk geschickt wurde, ihnen durch Frl. FalkowSka im Auftrage desGrafen zurückgezahlt worden.— Präs.: Haben Sie dennnun die Erzählung der Hedwig über das Geheimnis geglaubt?—Zeugin: Zuerst wollten wir es nicht glauben, aber sie erzählteimmer dasselbe und so haben wir es dann geglaubt.— Präs.:Was halten Sie denn von der Hedwig? Schwatzte sie denn so etwasin den Wind hinein?— Zeugin: Sie war etwas nervös, abersonst war sie ganz umgänglich.— Weiter bekundet die Zeuginauf Borhalt des Vorsitzenden, daß die Gräfin einmal einer drittenPerson gesagt habe, sie werde die Hedwig wegen Beleidigung vor-klagen. Bei dieser Gelegenheit soll die Gräfin gesagt haben:„EinJunge ist ja hergeholt worden für den Fall, daß das zu erwartendeKind ein Mädchen iverden sollte; nun ist es aber ein Knabe ge-worden und deshalb ist der Knabe zurückgeschickt worden.— Auf Wunschdes Ersten Staatsanwalts Stein brecht muß die Zeugin die Artund Weise, wie die Hedwig zum erstenmal Mitteilung von demGeheimnis gemacht hat, ganz genau schildern. Danach' hat sie, alssie sich aufgeregt über die Behandlung durch die Gräfin beklagte,auch gesagt: die Gräfin sollte sie doch eigentlich besser behandeln,denn sie seiMitwisserin eines Geheimnisses.Der verstorbene Bruder habe darauf geantwortet:„Ach, wasbist Du gegen die Gräfin!" Die Hedwig habe dann aber gesagt, siewisse etwas von dem Knaben; das sei gar nicht das Kind derGräfin, sie habe es vielmehr von außerhalb kommen lassen. Dannhabe sie immer und immer wieder das erzählt, was sie nachher zuPapier hat bringen lassen, und dabei gesagt, daß die alte Mutter ihrda« Versprechen abgenommen habe, erst nach ihrem Tode von demGeheimnis andren Personen Mitteilung zu machen.Die nächste Zeugin ist eine andre Schwägerin der Hedwig, dieKonditorftau Stephanie Andruszewska. Sie bekundet, daß sievon ihrer Schwiegermutter aus Wroblewo den Austrag erhaltenhatte, etwaige für sie selbst bestimmte Briefe, die an ihre(der Zeugin)Adresse ankommen würden, anzunehmen und dann unter andremCouvert an sie zu schicken. Da sei einmal ein Brief angekommen,den sie irrtümlich geöffnet habe, weil sie glaubte, er wäre für siebestimmt. Erst als sie ihn geöffnet, habe sie gesehen, daß dieseraus Krakau gekommene Brief für die Schwicgcrnmtter bestimmtwar. Der Brief, von dem sie nur die erste Seite gelesen, habe siesehr erschreckt. Der Inhalt war etwa folgender:„Da eine Zeitlangvergangen ist und Sie haben nichts lassen von sich hören, somuß ich an Sie schreiben und Sie fragen, ob Sie mich nunwollenbelohnen für meine Mühe,denn Sie werden doch nicht wollen, daß ich meine Mühe umsonstgeleistet habe. Dann inuß ich Ihnen noch sagen, daß Sie mir mit-teilen, wo das Kind ist, der Vater will es nämlich wissen, da er dasMädchen heiraten will. Machen Sie die Sache bald richtig, dennsonst werden wir noch vor Gericht kommen und Sie werden dochnicht wollen, daß ich mit meinen weißen Haaren noch aufs Gerichtmuß." Sie sei sehr erschrocken gewesen und sofort zu ihrem Mannenach der Backstube herunter gegangen und habe ihm von dem BriefeMitteilung gemacht, der ihr gesagt, sie solle den Brief sofort zurSchwiegermutter hinschicken. Sie habe aber zunächst der Schwieger-mutier geschrieben, und diese habe geantwortet, sie solle den Briefnur behalten, denn sie wolle selbst nach Posen kommen. Das geschahdenn auch. Ms die Schwiegermutter in Posen war, habe sie nach derBedeutung des sehr verdächtigen Briefes gefragt und ihr gesagt, daßder Inhalt sehr beunruhigend sei. Die Schwiegermutter habe daraufgeantwortet:„Ach, Dummheit, der ganze Brief hat gar keinen Wert,es handelt sich um eine sehr wenig wichtige Sache." Die Zeuginhabe sich aber nicht beruhigt und nähere Auftlärung verlangt unddarauf habe die Schwiegermutter erwidert:„Der Brief betreffe einDienstmädchen vom Lande und gebe gar keine Ursache zu Bedenken."Die Zeugm ließ sich aber noch nicht beruhigen und fragte, ob es sichetwa um die Gräfin Kwilecka handele. Daraus habe die Schwieger-mutier gesagt:„Solche Sachen darfft Du nicht denken; ich werdeDich nicht belügen!" Darauf habe die Schwiegermutter ihr dieHand gegeben und gesagt:„Nein, die Gräfin kommt dabei gar nichtin Betracht, ich gebe Dir darauf mein Wort."Der Ehemann Konditor Boleslaus Andruszewski schließtsich der Aussage seiner Ehefrau an und bekundet auf Beftagen desKreisarztes Dr. Panienski, daß er seine Schwester Hedwig keineswegsfür dumm oder schwachsinnig halte.Längere Zeit beanspruchte die Vernehmung desDroschkenkutschers Adolf Wilkc.Er bekundet: Eines Tages im vorigen Jahre hielt ich mitmeinem Taxameter an einer Haltestelle in der Kochstraße. EinKollege hatte ein Zeitungsblatt in der Hand und las eine Bekannt-machung der Polizei vor, wonach ein Droschkenkutscher gesucht wurde,der im Jahre 1897 zwei polnisch sprechende Damen nach dem Schle-fischen Bahnhof und von dort nach der Kaiserin Augustastraße ge-fahren habe. Ich sagte zu meinem Kollegen: Lassen Sie mir mallesen! Ich lese also die Annoncen durch und sage: Willst Du mirdas Blatt schenken? Der Kollege sagte darauf: Na ja, nimm esDir man. Ich gehe also nach Hause und sage: Mutter, seh' Dirmal die Annonce an! Meine Frau las das Dings durch und meintedann: Herr Gott, das bist Du wohl? Du hast ja mal erzählt,daß Du mit zwei polnischen Damen eine Fahrt gemacht hast undaußer dem Fahrgeld von 6 M. noch 1 M. Trinkgeld bekommen hast.Ich sagte: Mutter, det kann am Ende sind I, wodrauf meine Frausagte: Denn jeh' man hin und melde Dir. Ich habe mich dennauch gemeldet. Wie ich auf der Polizei meine Aussage gemachthatte, da stimmte die Personenbeschreibuitg und die Fahrt mit dieVornkten ganz überein.— Präs.: Nun erzählen Siemal, was Sie von Ihrer im Jahre 1897 gemachten Fahrtnoch in Erinnerung haben.— Zeuge: Am 25. oder26. Januar 1897, jedenfalls kurz vor Kaisers Geburtstag, habe ichan der Ecke der Kaiserin Augustastraße und v. d. Heydtstratze alsDritter mit meinem Taxameter gehalten. Ich saß auf meinem Bockund schnitzte mir etwas zurecht, als gegen 2 Uhr nachmittags Plötz«lich zwei Damen, die verschleiert waren, in meine Droschke stiegen.Die eine hatte einen Koffer bei sich, die andre trug etwas unter demMantel. Darauf sagte die eine der gut angezogenen Damen zumir:„Kutscher, fahren Sie Bahnhof Friedrichstraße". Das sagte siein einem gebrochenen polnffchen Deutsch. Ich nehme also meineDecke von dem Pferd, deckte noch zu und bin losgefahren. Unter-Wegs, am Kemperplatz, hat die eine Dame mir zugerufen:„Kutscher, fahren Sie nach Jannowitzbrücke!' Wie wir aufdie Waisenbrücke kommen, geht gerade ein Fernzug ausder Stadtbahn vorüber, die Damen sprachen auf polnischetwas mit einander und die eine gab mir die Weisung:„Fahren Sie nach dem Schlesischen Bahnhof! Fahren Siegut, wenn Zug ist weg, ist sich alles verloren I" Ich fahre alsoauch zu, denn die Damen hatten mir ein gutes Trinkgeld versprochen.Wie wir am Schlesischen Bahnhof ankamen, sagte die eine Dame:„Kutscher, haben SieZeit zum Warten?"worauf ich natürlich sagte:„Na, gewiß doch l"(Heiterkeit.) DieDamen stiegen also aus und die eine nahm den Koffer mit. Na,es verging dann eine Viertelstunde, eine Halbestunde, es wurdendrei Viertelstunden und da fing mir an zu stieren, ich bin'rübergegangen in die Kneipe und habe mir ein bißchen nffgewärmt.iHeiterkeit.) Ja na, es lvar kalt; wir hatten 13 Grad Kälte. Wieich rauskam, kamen auch die Damen wieder an; die eine hatte nochimmer etwas unter dem Mantel verborgen, sie sah sogar etwasdicker aus wie vorher, aber der Koffer war nicht mehr da. Dieandre Dame hat mir dann einen Zettel gegeben, auf welchem zweiStraßen und Nummern angegeben waren; zu oberst stand Charlotten-straße 56. Ich fuhr erst dahin, die eine Dame stieg aus, kam abernach 5 Minuten wieder. Dann rief die Dame: Kuffcher, fahrenSie nach Kaiserin Augustastraße!" Als ich die Hohenzollernstraßebereits durch war und nur noch drei Häuser von der Kaiserin Augusta-straße ab lvar, hieß es plötzlich:„Kutscher, halten I" Ich hielt anund die Dame zahlte mir die Fahrt und das Warten mit 6 Wkark,wobei sie das Geld schon abgezählt in der Hand hatte. Natürlichhat sie mir auch noch 1 Mark Trinkgeld gegeben. Dann entferntensich die Damen nach der Kaiserin Augustastraße zu. Ich habe nachhermeiner Frau erzählt, daß ich einen guten Tag gehabt habe,da mir zwei polnische Frauen eine Mark Trinkgeld gegebenhaben; wenn ich am Kaisergeburtstage auch noch einsolches Glück hätte, dann wäre ich zufticden. Meiner Frauhabe ich die ganze Geschichte erzählt und die Frau hat gesagt:Herrjeh, vielleicht haben die Frauen ein Kind tot gemacht, vielleichtwar in dem Koffer noch das Skelett des toten Kindes vorhandenund sie haben es beiseite gebracht.— Präs.: Sind Ihnen nichtauf dem Gerichte einige Frauen vorgestellt worden?— Zeuge:Ja, vier Stück. Ich habe aber keine als meine Fahrgäste heraus-finden können.— Auf Anordnung des Vorsitzenden müssen die An-geklagten Frau Chwiatkowska und K n o s k a heraustreten.Der Zeuge, der vorher gesagt hatte, daß die beiden Damen 25 bis35 Jahre alt und 1,66— 1,75 Meter groß gewesen seien, sieht beideAngeklagte längere Zeit prüfend an und meint: die Aeltere scheideganz aus, dagegen konnte die Chwiatkowskavielleicht eine der Damen gewesen sein.Der Zeuge wünscht, die Zeugin mal sprechen zu hören, undsagt ihr vor:„Kutscher, fahren Sie Bahnhof Friedrichstraße." DieChwiatkowska sagt die Worte nach, worauf der Zeuge meint:„DerDialekt stimmt!"(Große Heiterkeit, die der Präsident ernstlich rügt.)Ein Geschworener wünscht von dem Zeugen Wilke zu erfahren,wie er dazu gekommen sei, die beiden Damen ohne Bezahlung aus-steigen zu lassen und eine Stunde auf sie zu warten. Der Zeugegiebt hierauf zur Antwort:„Nun, man denkt doch, die Herrschaftenkommen wieder." Auf weiteres Befragen erklärt der Zeuge, daß ersich in betreff des Jahres 1897 nicht irren könne.Die folgende Zeugin, Frau Wilke, giebt an, daß ihr Manneinen Tag oder zwei Tage vor Kaisers Geburtstag im Jahre 1897gegen Abend nach Hause gekommen sei und sofort erzählt habe, daßcr'zwei Damen nach dem Schlesischen Bahnhofe und zurück gefahrenhabe, wofür sie ihm 7 Mark bezahlt hätten. Die eineDame habe ein Paket vorsichtig auf beiden Annenunter ihrem Ilmschlagetuch verborgen, getragen. Er habegesagt:„Das ist gewiß ein Kind gewesen", woraufsie erwidert habe:„Das kann wohl möglich sein." Alsihnen dann die Zeitungsannonce zu Gesicht gekommen fei, sei ihnendas Vorkommnis wieder ins Gedächtnis zurückgerufen worden,worauf ihr Ehemann sich gemeldet habe. Auf Befragen des Staats-anwalts Müller erklärt die Zeugin, daß von keiner Seite auf sieeingewirkt worden sei.Amtsgerichtsrat Weißleder aus Posen bekundet, daß er voretwa einem Jahre die Hedwig Andruszewski längere Zeit vernommenund den Eindruck gewonnen habe, daß sie zwar eine etwas nervösePerson, aber sonst geistesgesund sei.Die folgende Zeirgin ist eine Arbeiterfrau ObelSka aus Wroblewo,welcheverfängliche Aeußenmgenaus dem Mimde der Hedwig Andruszewska über den Zustand derGräfin gehört haben soll. Die Zeugin erzählt, daß Hedwig voretwa zwei Jahren eine Zeitlang bei ihr gewohnt habe, gelegentlicheiner Unterhaltung habe Hedwig gesagt:„Die Leute jagen, es seigar nicht das Kind der Gräfin, aber das ist nicht wahr, das Kindsieht der Gräfin ähnlich ivie ein Ei dem andren, und auch der Kam-tesse Marie sieht es ähnlich." Die Zeugin behauptet ferner, daßHedwig A. sich wiederholt in ungünjtigem Sinne über die Gräfingeäußert habe. Sie sei nicht zu bewegen gelvesen, regelmäßig zurBeichte zu gehen, und habe auch selten die Kirche besucht.— DieZeugin Hedwig bestreitet, die erwähnte Aeußerung gethan zu haben.Auch sei sie w.ederholt zur Beichte gegangen, aber nach einer andrenParochie.In ähnlichem Sinne wie die Vorzeugin äußert sich die Arbeiter-ehefrau K r o m p über Hedwig Andruszewska. Die letztere habe sichdarüber beklagt, daß sie von ihrer Herrschaft schlecht behandelt werde,obgleich ihr versprochen worden sei. sie solle es gut haben, denn siesei im Besitze eines Geheimnisses der Gräfin. Hedwig habe häufigunanständige Worte gebraucht und sich in lvcgwerfendem Tone überReligion und Kirche ausgesprochen. Als die Zeugin Kromp ihreAnssage der Hedwig Andruszewska ins Gesicht wiederholen muß,bestreitet diese, daß sie die Aeußerung gethan habe.Kriminalkommissar Schulz aus Posen: Die Hedwig habebei ihrer Vernehmung anfänglich einen befangenen Eindruck gemacht,sie sei dann aber in ihren Aussagen ganz klar und bestimmt gewesen.Ihr Bruder Max habe ihm einmal gesagt:„Sie wollen sie verrücktmachen, aber sie ist vollständig klar."— Juftizrat Wronker: Hatder Max mit dem„sie" irgendwie bestimmte Personen bezeichnet?—Zeuge: Nein.— Staatsanwalt Dr. Müller: Ist dem Zeugenbekannt, daß der Max Andruszewski für die jetzigen Angeklagtenthätig war?— Zeuge: Ja, er hat mir selbst einmal erzählt, daßer auf Aufforderung des Justizrats Lewinski-Posen Ermittelungenin der Kwileckischen Sache angestellt habe.Hierauf wurdeder Hauptzruge für den StaatsanwaltKaufmann Hechelski aus Posen vernommen, der im Auftrage deSGrafen Hektar Kwilecki öfters Reisen nach Krakau unternommen hat.Durch eine alte Dienerin Namens Thekla Dembska habe er dort er-fahren, daß das angebliche Kind der Gräfin in Begleitung einer Frauund einer gewissen Anna RadwanSka nach Berlin gebracht worden sei.Er habe die Wohnung der letzteren erfahren, und die Radwanska, diedem Kinde als Amme auf der Reise nach Berlin gedienthaben sollte, habe die ganze Geschichte von dem Wegbringen des Kindeserzählt und gesagt, sie habe 50 Gulden und freie Reise erhalten. Aufsein Ersuchen habe die Radwanska die betreffende Hebamme in ihreWohnung gebeten. Dort habe er dann die Hebamme Rademacher,jetzt verehelichte Moll getroffen, welche die ganze Sachebestätigte und die damals unverehelichte Cäcilie Pärczä,jetzige Frau Weichensteller Meyer als die Mitter desKindes bezeichnet. Alle diese Ermittelungen habe er demGrafen Hektar Kwilecki mitgeteilt, dieser sei nach Krakaugekommen und habe gesagt, die Sache sei eine Staatsanwaltssache.Man habe sich infolge dessen auf die Polizei begeben und diePolizeidirektton habe die beteiligten Personen protokollarisch der-nommen. Er sei selbst in Krakau geblieben, um die Mutter desKindes ausfindig zu machen. Im Juli v. I. habe er auch den Auf-enthalt des Meyerschen Ehepaares ermittelt.Der Zeuge wird dann in ein Kreuzverhör genommen und er»klärt, daß er von dem Grafen Hektor für seine fünfundvierzigtägigeReise nach Krakau 4000 M. erhalten habe und für weitere Dienjtenoch mehr. Er hätte kein persönliches Interesse an der Sache.Hierauf wird die Sitzung um 3 Uhr vertagt.lokales.Der Vater als„Zeuge".Der Prozeß Kwilecki, der gegenwärtig vor dem Schwurgerichtverhandelt wird, hat manche Wunde am Körper der heutigen Ge»sellschaft aufgedeckt und von einer schlimmen Verlotterung Kundegegeben. Auch das Schicksal der unehelichen Kinder erhebt sich indiesem Drama, um von neuem gegen die Urheber von Elend undVerbrechen zur Anklage zu schreiten.Wir glauben im Sinne unsrer Leser und Leserinnen zu handeln,wenn wir einem Beitrage Raum geben, der auf die Leichtferttgkeitund Gewissenlosigkeit hinweist, mit der gar oft die„Herren derSchöpfung"— und nicht allein die aus den höheren Gesellschasts-schichten— sich von ihrem eignen Fleisch und Blut abwenden. EineDame schildert den Eindruck, den sie von der Aussage des angeblichenVaters der zwei als Zeugen in Frage kommenden Kinder, desöstteichischen Hauptmanns v. Ziegler, empfangen, in folgenderSkizze:„Hauptmann v. Ziegler, zu seinem Urteil aufgefordert, erklärt.daß er sich gar nicht äußern könne, da er beide Kinder bis jetzt nochnicht gesehen habe."Die Mutter, die ihr Kind umbringt, wandert ins Zuchthaus;der Vater, der beinahe ebenso Schlimmes thut, indem er sein Kindführerlos den Gefahren des Lebens preisgiebt, gehört zu den„bestell"Kreisen der Gesellschaft!Wahrlich l Ein Tier sieht nach seinem Jungen. Der„gebildete"Mann hat keine Empfindung für die hilflosen Wesen, welche er indie Welt gesetzt hat.Wird noch lange über die Umwertung der Werte gelacht werdenkönnen? Erfaßt denn nicht jedermann Entsetzen im Fall„Ziegler,der sich nicht äußern könne, da er beide Kinder bis jetzt noch niegesehen habe"? Knaben von sechs und sieben Jahren sind den:„Zeugen" gegenüber gestellt.-- Nie hat der Mann Verlangen ge-habt, seine Kinder zu sehen. Nie!Kleine„erotische" Abenteuer fallen bei der Wertschätzung desMannes nicht in Bettacht. Mag die Frau an den Folgen zu Grundegehen, weshalb„fiel" sie?Handelt es sich um ein Verbrechen, welches zwei Menschen ge-meinsam begehen, so erhalten beide bei gleicher Schuld gleiche Strafe.Das Verbrechen, Leben zu geben, ttägt nur dem einen der Erzeugerlebenslängliche Knechtung ein.—Die unehelich gebärende Mutter der höheren Stände leidet inganz andrer Weise, als der Dienstbote oder die Arbeiterin. Daskleine Geschöpf hindert die letzteren vollkommen in ihrer weiterenBewegungsfreiheit.„Ich heiße nach Muttern", kann gar manchesKind sagen, das allmählich auf die weite Straße des Verbrechensgeschoben wird.— Hunger macht mürbe.— All diese Verhältnissesind mehr als bekannt. Hin und wieder treten sie in ihrer ganzenSchwere vor uns hin.— Elisabeth Browning hat das Wort geprägt:Die Nationen werden, was sie wollen". Sicher hat sie dabei nichtzum mindesten die Jugend ins Auge gefaßt. Seitdemist das„Jahrhundert des Kindes" gekommen. Mutig Denkendefahren wie Sturmwind auf bisher unangetastete Gebiete im Reicheder Mütter.—Mag man sie leicht lächerlich machen können, diese Männer undFrauen, die das Verhältnis der Geschlechter zu einander glaube»umformen zu dürfen; diese Leute mit den„merkwürdigen" An-sichten; diese, die sich den stolzen Glauben nicht rauben lassen, daßes besser werden kann. Schwerer zu verlachen ist das Kind als seineMutter. Dieses hilflos im Morast stecken zu lassen, ist nicht jeder-.manns Sache.—Der„Vater" Ziegler als Zeuge könnte zum Markstein werden.—Nicht von„neuen" Menschen ist hier die Rede, von„wahren". Lange genug hat man Unschuldige ftir die bestehendeGesellschaftsordnung büßen lassen.Rettet das Kind l I Wie e i n Schrei sollte es durch alleKreise gehen. Jedermann kann zur Macht werden. Jeder kann Qualund Jammer verringern, indem er das Gefiihl der Scham in sichwach hält denen gegenüber,„die sich nicht äußern können, weil sieihre Kinder nie gesehen"._Daß die vom städtische» Ausschuß angeregte Billetsteuer nichtallein kulttirwidrig, sondern auch wenig einträglich ist, lehrt eine vom„Berliner Tageblatt" gebrachte Zusammenstellung. Danach würdeder Ertrag nicht mehr als 3—400 000 M. sein. Die für Berlingeplante Lustbarkeitssteuer ist übrigens in andren Städten bereits in