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Ur. 135.

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Vorwärts

9. Jahrg.

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Sern fprech- Anschlu: Amt I, Nr. 4186.

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Benth- Straße 2.

Lügner und Fälschter.

An sechzig Jahre sind's her, seit das von Lassalle wiederholte Wort gesprochen ward: Die Lüge ist eine europäische Großmacht." Es war ein Franzose, der dabei an die zynische Bemerkung des Zar's Nikolaus dachte: Die europäische Preffe muß gekauft werden- Armeekorps auf dem Papier nugen mir ebenso viel wie wirkliche Armeekorps, und sie sind viel billiger." Gemalte Städte und Dörfer, Armeekorps auf dem Papier und sonstiger Lügentram war von jeher die Stärke der russischen Diplomatie, der ihre Kunst aber in anderen Ländern längst abgelernt worden ist, und zwar so gut, daß die Lehrlinge den Lehrer übertroffen haben. Fürst Bismarck , der nach Giers' unvergeßlichem Zeugniß russischer ist als bie Ruffen" -jezt beweist er es wieder hat sich auch in dieser Beziehung russischer als die Ruffen" gezeigt. Der Reptilthaler hat hundert mal mehr geleiftet, als der Rubel, und einen Chimborasso von Lügen aufgethürmt, neben dem die russischen Lügenberge, obgleich von respektabler Höhe, die reinen Maulwurfshaufen find.

Und das deutsche Bürgerthum hat die Bismarck 'sche Schule mit Erfolg genoffen. In seinem Rampf gegen die Sozialdemokratie handhabt es die geistigen Waffen" der Lüge und Fälschung mit einer Ausbauer und Konsequenz, die auch nicht annähernd von der Bourgeoisie irgend eines anderen Landes erreicht werden. Nicht daß wir ungerecht fein wollten. Die französische, die amerikanische, die eng lische Bourgeoisie versteht sich ebenfalls sehr gut auf das Lügen und Fälschen, wenn es die Bekämpfung der Sozial­demokratie gilt, allein in Frankreich , England und Amerika ift es doch immerhin nur ein Theil der Bourgeoisie und Bourgeoispresse, der diesem schmutzigen Handwerk obliegt, während es in Deutschland mit verschwindenden Ausnahmen

die

ganze Bourgeoisie und Bourgeois presse ist. Es erklärt sich das aus der eigenthümlichen geschicht­lichen Entwickelung Deutschlands , die nach dem Zusammen­bruch der mittelalterlichen Welt tein charaktervolles, mann­haftes Bürgerthum aufkommen ließ.

Die stets wachsenden Fortschritte, welche die Sozial­demokratie trotz aller ihr in den Weg gelegten Hindernisse macht, bringen unsere Bourgeoisie völlig aus dem Häuschen, und, unfähig andere Kampfmittel zu benutzen, betreibt sie das Lügen und Fälschen immer schamloser und plumper. Finden wir da z. B. in einem Muster- Bourgeoisorgan, den Münchener Neuesten Nachrichten", vom 9. d. M. unter dem Titel 3ar und Kommunard" einen Artikel, dem wir als klassischem Zeugniß über das geistige und fittliche Kaliber unserer Bourgeoisie einige Aufmerksamkeit schenten wollen.

Sonntag, den 12. Juni 1892.

von

elfäffer Optanten*), internationalen Abenteurern und oppo­fitionellen Demagogen beim Nancyer Feste vorbereitet wurden. Uns Deutschen zu Liebe that sie das wahrlich nicht; auch das ideale Interesse des Bölkerfriedens tam dabei nicht in erster Linie in Rechnung. Die französische Regierung sorgte einfach für die eigene Existenz, indem sie den Hegern das Handwerk zu Legen suchte. Der Chauvinismus ist in Frankreich , wo das Vaterlandsgefühl besonders reizbar und bei der Lebhaftigkeit des nationalen Temperaments vornehmlich leicht irrezuleiten ist, Art jeher die wirtsamste ber oppositio­nellen Demagogie gewesen. Im Frühling 1871 er­hoben sich die Kommunards mit dem Feld­geschreides Krieges bis aufs Messer", das ihnen nur als Vorwand diente, die Regierung zu verjagen. Raum im Besitze der Hauptstadt schickten sie Friedensboten in unser Hauptquartier, um beim Bürgerkriege die Hilfe oder wenigstens die Neutralität der Deutschen zu erbetteln. Die schnöde Komödie hat sich seitdem im Kleinen mehmals wiederholt. Unter dem Vorwand patriotischer Entrüftung stürzten die Ras dikalen das Ministerium Ferry. Die chauvinistische Volts­verführung war ein Haupttrumpf im Spiel des jämmerlichen Boulanger. Das Nancyer Fest gab wiederum Gelegenheit zu einem jener Rommunardenstreiche, welche die Re­gierung meuchlings treffen.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

fürstliche Better wohl auch keinesfalls gehandelt. Das Gegens gewicht aber, das er schaffte, ist nicht in die Wagschale der französischen Regierung, sondern in diejenige der kommu nards und gewerbsmäßigen Chauvinisten ge fallen. Db dies in der Absicht der russischen Diplomatie lag und ob es den Russen zum dauernden Vortheil gereicht, ist äußerst fraglich. Will der Zar sich dauernd mit den Franzosen vertragen, so muß er eigentlich dafür sorgen, daß dieses Bolt eine geordnete Regierung behält; er darf nicht nach plöt lichem Einfall den Umsturzleuten Gefälligkeiten erweisen und die Lenker des Staates in Ungelegenheiten bringen..

Der Jubel in der oppositionellen Bresse ist heute gewaltig, ebenso wie der Hohn, mit welchem Herr Carnot und die Minister von den Intransigeanten von links und rechts über­schüttet werden. Die Regierungsblätter suchen den peinlichen Borfall zu vertuschen; sie ergehen sich nur in allgemeinen Redewendungen über dies patriotische Begeisterung, die beim Nancyer Feste geherrscht habe. Noch läßt sich hoffen, daß die frivol erregten Mogen des Chauvinismus sich allmälig wieder legen, ohne der Regierung ernstlichen Schaden zu thun. Für die französischen Staatslenter aber enthält die Nancyer Uebers raschung eine Lehre, die, so bitter sie sein mag, doch nicht unverdient und ungesund ist: Wer sich zum Spielzeug des Baren hergiebt, hat die Konsequenzen einer solchen Schwäche auch zu tragen. Der Bar hält die Franzosen am Leitseil des Chauvinismus; die Peitsche aber führt der Kommunard.

Es versteht sich, daß Frieden nach außen und Ruhe im Lande die ersten Lebensbedingungen einer bürgerlichen, parla­mentarischen Regierung in Frankreich sind. Entfesseln sich die chauvinistischen Leidenschaften einmal gründlich, so ist nur Ja, die Peitsche führt wirklich der Kommunard", aber noch Blah für ein Säbelregiment. Die ersten Opfer eines solchen Unheils wären bie Männer der Regierung selber, Carnot mit nicht die Peitsche, welche in den Krieg peitscht, sondern die fammt seinen Ministern, den militärischen Organisator" Frey- Peitsche, welche den Kriegshehern den Rücken verpeitscht. cinet selbst nicht ausgenommen, denn dieser müßte, sobald es Wir sind an starke Stücke gewöhnt, allein dieses zum Klappen täme, sofort einem Manne weichen, der sich weder hat uns doch einigermaßen verblüfft. Wenn wir mit Rheumatismus , noch mit Frack und Zylinder schleppt, vielmehr in Uniform mit den Soldaten aufreitet. Der Wunsch schreiben wollten, Bismard habe nie die unwahrheit der Kommunarden und der Oppositionellen von rechts und gesagt, nie gefälscht, nie Unrecht gethan, niemals lints, die mit ihnen gemeinsames Spiel treiben, geht freilich den Weltfrieden gestört, sich niemals bereichert, niemals nicht so weit. Diese Leute möchten nur im Trüben fischen, zu Reklame für fich gemacht, niemals Nepotismus ges nächst die Regierung untergraben, dann sie stürzen und fich in trieben, niemals Spigel beschäftigt, niemals Rorruption die Erbschaft theilen. Der Präsident der Republik aber und geübt, niemals den Hausmeier gespielt, niemals ein Wässer­feine Minister sind darum nicht minder bedroht, so oft das chen getrübt, niemals die Volksvertretung vergewaltigt Revanche geschrei, der Nachhall der Kom dann würden wir die Thatsachen noch nicht einmal mit der munarden- Losung vom 18. März 1871, im Lande erschallt. Thatsächlich vertheidigen sie mit dem Landesfrieden gleichen Frechheit auf den Kopf gestellt haben, wie der Schreiber jenes Artikels thut- weil es sich bei Bismarc zugleich ihr eigenes politisches Dasein.

Jm Lichte dieser Thatsachen haben wir die Anstrengungen bis zu einem gewissen Grad wenigstens um politische Dinge zu beurtheilen, welche die Regierung in Nancy machte, um die handelt, die verschiedene Deutungen zulassen. Hier aber, Anschläge der Opposition und der Schmarotzer des französischen im Fall der Kommunarden, d. h. der französischen Sozial­Patriotenthumes, der Elsässer Optanten zu vereiteln. demokratie und des französischen Proletariats, handelt es sich um greifbare konkrete Thatsachen, um hard facts, die sonnentlar und mit Händen zu greifen sind, und die keine verschiedene Deutung, keine verschiedene Beurtheilung zu lassen.

Nun folgt einiges Gesalbader über den Besuch des Großfürsten Konstantin, worauf der Artikel wie folgt schließt:

Das französische Proletariat i st international, und war es vor dem Krieg von 1870/71 schon genau so wie heute. Die Pariser Arbeiter protestirten im Sommer 1870 gegen den Krieg, und manifeftirten in den Straßen für den

Die Absicht, welche der Großfürst bei seinem plötzlichen Besuche verfolgte, war aller Wahrscheinlichkeit nach, der Be­gegnung des Zaren und des deutschen Kaisers in Kiel , die den französischen Russenfreunden ergerniß bereitete, ein Gegen­gewicht zu schaffen. Ohne Befehl vom Baren hat der groß­*) Die Elsässer, welche nach dem Friedensschluß von 1871 Frieden, wodurch sie in blutiges Handgemenge mit der Die französische Regierung hat sich reblich bemüht, die für die franzöfifche Staatszugehörigkeit optirt"( gewählt, sich Bolizei Napoleon's und seinen weißen Blousen"( ben deutschfeindlichen Kundgebungen niederzuhalten, welche von entschieden) haben.

Der Artikel, deffen Zweck es ist, dem deutschen Chau pinismus für die in Nancy ( Nanzig") erlittene Niederlage ein Trostpflästerchen aufzubeften, beginnt also:

Feuilleton.

Nachdrud verboten.)

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Am Webstuhl der Zeit. Beitgenössischer Roman in 3 Büchern von A. Otto Walster .

Es ist dies sehr nöthig," erklärte Lange, denn wir haben hier zur Zeit gegen 15 000 Mann Militär zu be­tämpfen und können wohl taum auf mehr als einige 20 000 un disziplinirte und schlecht bewaffnete Arbeiter rechnen."

schon, wenn's dunkelt, fangen meine Leute an einzurücken, und morgen wird die Stadt voll. Auf den Dörfern rings herum liegen Vorräthe von Bier und Branntwein, Brot und Schinken, daß Jeder genug haben soll. Aber Waffen, Freunde, Waffen brauchen wir."

Spigeln) geriethen. Sie waren allerdings, als der Krieg

" Bitte um Entschuldigung, wenn ich störe, und allseitig guten Abend," rief er in seiner freimüthigen, aber doch be­scheidenen Weise.

Das Revolutionskomitee ist in seiner Mehrheit ver sammelt und also beschlußfähig," äußerte Frant. Sie bringen uns gewiß Neuigkeiten von Wichtigkeit, Herr

An Waffen wird's nicht fehlen," versicherte Lange; dafür haben wir das Zeughaus, und Munition wird auf Wießner?" allen Dörfern bereits fabrizirt."

Die Polizei des Dr. Raffmaus muß doch ganz miserabel eingerichtet sein", lachte Fraut.

"

Sehen Sie sich gefälligst," sprach Frau von Sokolow zu dem Ankömmling und Olga hatte so viel Respekt vor Sem stattlichen Volkskämpfer, daß sie aufstand und ihren eigenen Stuhl anbot.

Wießner nahm ihn ohne Umstände an und zog dann

ein großes Plakat aus der Tasche, welches er auf dem Tische ausbreitete:

Sehr miserabel," bestätigte Lange; aber Biele von den höheren Sicherheitsbeamten thun auch mit Absicht nichts. Die ganze Regierung ist zerfahren. Die Konservativen fühlen fich nicht berufen, den Leuten des Herrn Staffmaus und damit seiner Politik irgend welche Förderung angedeihen" Ich habe hier eine durch Maueranschlag bekannt ge­machte Aufforderung an alle gutgesinnten Bürger der Stadt Wenn Sie die nicht rechnen, welche auf meine Ber- zu lassen." anlassung hierherkommen," bemerkte der Philosoph. Und wer wird das Zeughaus nehmen? Ein entschie- oder des Landes, sich, womöglich bewaffnet, der Regierung fragte Lange erstaunt. " Wie, Herr Mensch, Sie führen uns Hilfstruppen zu?" dener und kühner Mann muß das sein," warf hier der zur Verfügung zu stellen. Jeder, der hierzu bereit, solle Philosoph dazwischen. morgen früh auf der Hauptwache erscheinen und sich wei­" Nun, Sie werden doch hoffentlich nicht von mir ge- Dieses ist mein Theil," rief Iwan mit leuchtenden terer Verfügung gewärtig halten. Wir werden beim Kampfe also einen Theil der Herren Bourgeois selbst uns habe ich gesammelt, und was für welche! In alle Eisen­bacht haben, daß ich meine Zeit verloren? Hilfstruppen Augen; dieses Unternehmen ist mir zugesichert worden." Ein schwerer Seufzer wurde bei diesen Worten vergegenübertreten sehen, und das ist gut; wir sind dann arbeiter- Distrikte, Hütten und Steinbrüche habe ich nommen, Alle wandten sich fragend um, ohne zu errathen, wenigstens sicher, daß nicht das Blut von Arbeitern allein nach unverheiratheten Arbeitern geschickt und ihnen, wo's wem er entschlüpft sei. Aber ein aufmerksamer Beobachter vergossen wird, sei es nun von Arbeitern in Uniform oder nöthig war, Reisegeld auszahlen lassen. In allen Brovinzial hätte bemerken können, daß Findeisen erbleichte und Elise in der Blouse." blättern habe ich Maurer und Zimmerleute zur sofortigen leise erröthete. Arbeit gesucht, Erdarbeiter in Masse, Bergleute und Holz­

Dieses Ministerium handelt mehr aus Justinkt, als " Ift Herr Dr. Lange vielleicht hier?" fragte mit einem mit System," bemerkte Lange. Unser thatkräftiger Wider­stand gegen die skandalöse Austreiberei von Arbeitern scheint ihm Respekt eingeflößt zu haben.

arbeiter. Der Spaß fostet mich etwas über 60 000 Thaler Male eine tiefe Männerstimme von der Straße her. zum Anfang, dafür bekommen wir aber auch ein Heer, das Ah, guten Abend Herr Wießner; bitte, treten Sie ſich herein. Wir sind hier schon als Revolutionsfomitee in Dich doch einschränken, wie mein seliger Onkel Geibenspinner. voller Arbeit," antwortete Lange selbst, und bald darauf Dies Minifterium schiebt biefeletter at her tabt, ich trat der riefige Schmied in schlichter Blouse vor die er bringe sie ihm in verdoppelter Zahl zurück. Heute Abend wartungsvolle Gesellschaft.

Außerdem habe ich mitzutheilen, daß man einen merk­

lichen Zuwachs von fremden Arbeitern gewahr wird. Eine Erscheinung, die unter gegenwärtigen Umständen sehr viel

Bedenken erregt. Sollte die Negierung geworben haben,