Beilage zum„Vorwärts" Berliner Volksblatt.Nr. 144.Donnerstag, den A3. Inni 1892.S. Jahrg.„Je snis envoyS par les nötres!"*)Eine Episode aus den Junitagen von 1348 zu PariZ.AuZ dem Russischen deZ Jwan Turgöniew für die.Neue Well" übersetzt.»')Der dreiundzwanzigste Junitag des JahreS 1843 brach an.«wer jener Tage, die mit blutigen Strichen in die Tafeln derfranzösischen Geschichte eingegraben find. Ich wohnte damalsw dem jetzt nicht mehr existirenden Hause, Eck» der Rue de laPaix und des Boulevard des Italiens. Schon seit AnfangJuni hing in der Luft von Paris so etwas wie Pulvergeruch;ew Jeder fühlte, daß ein entscheidender Zusammenfloß unaus-bleiblich sei. Und jetzt nach der Konserenz, welche die Delegirtender eben aufgelösten Nationalwerkstätten mit dem Mitglied« derprovisorischen Regierung Marie gehabt, und in welcher vondiesem das unvorsichtige Wort„vsolaves"(Sklaven) gebrauchtworden— war nunmehr die Frage nicht: wieviel Tage, sondernwieviel Stunden wird das Unausbleibliche und Unabwendbareauf sich warten lassen?»Est-c» pour aujoard'hui?"(Kommt's noch heut« zumSchlagen T) waren die Worte, mit denen Bekannte sich jedenMorgen beim Begegnen anredeten.„Ca a commence!"(Es ist losgegangen!) sagte mir meineWaschfrau, als sie Freitag, den 23. Jun>, Morgens die Wäschebrachle. Sie erzählte, daß eine große Barrikade quer Über denBoulevard, unweit der Porte St. Denis errichtet worden wäre.Ich begab mich gleich dahin. Zuerst konnte ich nichts Auf-fallendes bemerken. Dieselbe Volksmenge vor den offenen Ein-gängen der Eafäs und Läden, wie an gewöhnlichen Tagen;dieselbe Bewegung der Wagen und Omnibusse. Die Gesichterschienen nur etwaS mehr belebt, die Gespräch« wnrden etwaslauter geführt, aber— merkwürdig 4— man schien auchheiterer zu sein,— sonst war jedoch nichts Besonderes wahr«Iunehmen. Allein, je weiter ich vordrang, desto veränderter er-chien mir das Aussehen des Boulevard. Die Wagen wurdenSeltener, die Omnibusse verschwanden ganz; die Laden, sogar dielasös waren schon geschlossen oder wurden es eiligst. DieStraßen fingen an leer zu werden, nur alle Fenster in denHäusern, von oben bis unten, waren weit geöffnet. In diese»sowie in den Thüren und Thoren drängten sich fortwährendMenschenhaufen, die vorzüglich aus Frauen, Kindern, Dienst-Und Kindermädchen bestanden.Das Alles schwatzte und lachte, rief sich gegenseitig an,schaute lebhaft um sich und geftiknlirte so, als handelte es sichhier um irgend ein Schauspiel. Eine sorglose, müßige Neugierschien sich dieser ganzen Menge bemächtigt zu haben. BunteBänder, Tücher, Hauben, weiße, rosarolhe. himmelblaue Kleiderwischten sich und schimmerten im hellen Sonnenlichte, bauschtens'ch auf, flatterten und raschelten beim leisesten Sommerivindegleich den Blättern der überall hingepflanzten Pappeln.— der„Frelheitsbäume". Ist es denn möglich, daß man sich bald,in fünf, in zehn Minuten hier schlagen, daß hier Blut fließenwird? dachte ich. Unmöglich! Es handelt sich nur um einSchauspiet... an ein Trauerspiel ist nicht zu denken... einst«weilen.Aber nun erhob sich da vorn« vor meinen Augen, daSBoulevard quer in seiner ganzen Breite durchziehend, ein« in nn-«rader Linie gebaute Barrtlade in der Höhe von vier Klaftern.So recht in der Mitte derselben, umgeben von goldgesticktenTrikoloren, züngelte unheimlich rechts und links eine kleine rolhe(iahue. Hinter dem Kamine der aufgethürmlen grauen Pflaster-steine tauchten zuweilen Gestalten in Blousen aus. Ich ging einwenig näher heran. Vor der Barrikade selbst war es ziemlichleer. Ungefähr fünfzig Männer schlenderten hin und her überdas Slraßenpflaster, damals gab es noch kein Macadam(Ehaussirung) auf den Boulevards. Di« Blousenmänner unter-hielten sich lustig mit den herankommenden Zuschauern. Einer,umgürtet mit einer weißen Patronentasche, hielt ihnen eine ent-korkte Flasche mit einem halbgeiüllte» Glas vor, als wollte ersie zum Herantreten und Austrinken einladen; fein Nebenmann,Mit einem doppelläufigen Gewehr auf dem Rücken, schrie inlanggezogenem Ton:„Es leben die Nationalwerlstätten! Eslebe die soziale und demokratische Republik!'— Neben diesenZweien stand eine schlanke, brünette Frau in einem gestreiftenKleide, und auch sie war mit einer weißen Patronentasche um-gürtet, hinter der noch eine Pistole steckte. Nur sie allein lachtenicht und richtete, wie im Nachdenken, ihr« großen, dunklenAugen vor sich hin. Ich durchschritt die Straße nach der linkenSeite zu und drückte mich, mit noch süns oder sechs Personen.an die Wand des Hauses, von welchem an der Boulevard sich zubeuge» deginnt, und wo sich damals die Handschuhjabrik befand,die heute noch da ist; die Fensterjalousien dieses Hauses warengeschloffen. Noch jetzt wollt« ich, ungeachtet der bedenklichenSymptome der letzten Tage, nicht glauben, daß die Sache eineernste Wendung nehmen würde.Schon seit dem frühen Morgen erscholl in allen Straßenjener»igenlhfimliche, dreifache Trommelschlag, jenes Ratata(l« rappel), mit dem die Nationalgarde zusammengerufen zuwerden pflegte. Jetzt trommelte es in unserer unmittelbarenNäh«; und siehe da! Langsam sich krümmend und streckend, wieein langer, schwarzer Wurm, rückte, von der linken Seite desBoulevards her, brs auf»ngechhr zweihundert Schritt« von derBarrikade eine Kolonne von Nationalgarden heran. Wie feine,strahlende Nadeln blitzten über derselben die Bajonette. An derSpitz« ritten einige Offiziere. Die Kolonne erreichte die entgegen-gesetzte Seite des Boulevard und, ihn voUsländig besetzend,wendete sie ihre Front« der Barrikade zu und machte Halt,immer von hinten anwachsend und sich verdichtend. Trotzdembaß jetzt eine so beträchtliche Menschenmasse hinzukain, würbe esrings umher doch merllich stiller; die Stimmen sanken, seltnerUnd kürzer wurde das Lachen. Es war, als ivenn wir plötzlich'u eine andere Atmosphäre gerathen wären, die alle Laute ver-bumpft«. Die Strecke zwischen der Lrnie der Nationalgardeund der Barrikade verwandelte sich plötzlich in einen großenRaum, auf dem, leicht wirvelnd, zwei bis drei kleine Staub-Wölkchen glitten— und, ängstlich sich umsehend, ans seinenüNl>en Beinchen ein kleines, schwarzbraunes Hündchen herumlief.Plötzlich«in Krachen— es war schwer zu unterscheiden,woher es kam, od von oben oder unten, vou vorn oder hinten—«N kurzes. Harles Bersten, das eher dem Geräusch einer schweren•JMgeuurzlen Eisenstange, als einem Schusse ähnlich war; undjst�ch nach diesem Donnerlaut trat eine cigcnthümliche, athem-ose igtille ein. Alles war wie versteinert vor Erwartung— esl?tkn, als wenn die Luft selbst die Ohren spitzte. Da, geradeOer meinem Kopf, ein unausstehlich heftiges Knattern, Bersten,Prasseln, fast wie wenn ein ungeheures Leinwandstück mit� ein Ruck zerrissen worden wäre.,. Das war eine vonr.e:i Insurgenten abgefeuerte Salve ans den Jalousien dermbrck bes oberen Stockes der von ihnen besetzten Handschuh-Ich bin von den Unsrigen geschickt.sind? � ist das die'.......W» bereits erschienen.? Es ist dÄ'die"erste vollsländigt Uebersetznng; BruchstückeMein Begleiter, die FlaneurS') und ich. wir entfernten«nsunverzüglich an den Häusern des Boulevards entlang(ich erinneremich noch, vorne im leeren Raum einen auf allen Vieren kriechen-den Mann, einen herabgefallenen Czako mit rolher Feder unddaS sich im Staube wälzende schwarzbraune Hündchen bemerktzu haben), und als wir das nächste Eackgäßchen erreichten,schlüpften wir hinein. Es gesellten sich zu uns ein paar Dutzendanderer Zuschauer,— der Hut des Einen, eines jungen Mannesvon ungefähr zwanzig Jahren, war von einer Kugel durchlöchert.Auf dem Boulevard hinter uns knatterte es unaufhörlich vonKleingewehrfeuer.Wir begaben uns in eine andere Straße, wenn ich nicht irre.in die Rue de l'Echiquier. An dem einen Ende derselben wareine ziemlich niedrige Barrikade zu sehen; ein Gamm*) von zwölfJahren sprang auf ihrem Kamme herum, riß alle möglichenPossen und fuchtelt« mit seinem türkischen Säbel in der Lustherum. Ein dickleibiger Nationalgardist, furchtbar blaß, lief vor-bei, jeden Augenblick stolpernd und laut stöhnend— aus demAermel seines Militärrockes träufelte dunkelrothcs Blut.Die Tragödie halte begonnen— an ihrem Ernste warnicht mehr zu zweifeln, obschon kaum Jemand noch ahnte,welche Dimensionen sie annehmen würde.— Ich hatte michweder diesseits noch jenseits der Barrikaden zu schlagen und gingnach Hause.Ter ganze Tag verstrich in fürchterlicher Aufregung. Di«Hitze war unerträglich, dabei eine Schwüle— ganz der Lageentsprechend. Ich verließ nicht den Boulevard des Italiens, ausdem sich ein buntes Menschengewühl drängte. Die unmöglichstenGerüchte wurden verbreitet und immer auf's neue durch andere,womöglich noch phantastischere, verdrängt. Gegen Abend warEines aber ganz sicher: fast die Hälfte von Paris befand sich inden Händen der Insurgenten.Barrikaden tauchten überall auf, besonders am andern Uferder Seine: die Truppen nahmen strategische Positionen ein: einKampf aus Leben und Tod war in Vorbereitung. Am folgendenTage war schon vom frühen Morgen das Aussehen der Boule-varbs— überhaupt das Aeußere derjenigen Theile von Paris,die nicht von Insurgenten besetzt waren, wie durch Zauberei ver-ändert. Ein Besehl des kommandirenden Generals der PariserTruppen, Cavaignac's, untersagte allen Privatverkehr aufden Straßen; Nationalgardisten, Pariser, sowie aus der Provinz,bewachten, auf den Trotloirs aufgestellt, die noch bewohnten HäuserDie regulären Truppen und die Mobilgarde waren im Kampfe.Ausländer, Frauen, Kinder, Alte und Kranke saßen zu Hause,wo alle Fenster, zur Verhütung eines Hinterhaltes, offen bleibenmußten; die Straßen waren wie ausgestorben.Nur selten eilte ein Postomnibus oder die Kutsche einesArzles vorbei, welche aber sortwährend von den Posten auf-gehalten und nur nach Vorzeigung von Passirscheinen durchgelassenwurden, oder mit schwerem Getöse rasselte ein Geschütz zumKampfplatz, eine Abtheilung Soldaten durchzog die Straße, oderein Adjutant, ein Kurier sprengte vorüber. Es trat eine pein-liche, qualvolle Zeit ein; wer eine solche nicht erlebte, der kannkeine richtige Vorstellung davon haben. Den Franzosen war esbegreiflicherweise bange zu Muthe: sie tonnten glauben, daß ihreHauptstadl, daß ihr Vaterland, daß die ganze Gesellschaft nunzerstört und in Nichts zerstieben würde; aber die Qual eines zuunwillkürlichem Müßiggang verurtheilten Ausländers war, wennnicht noch schrecklicher, so doch gewiß ermüdender alS ihr Aergerund ihre Verzweiflung.Eine drückende Hitze— jede? Ausgehen unmöglich— durchdie geöffneten Fenster ergießt sich ungehindert erne brennendeGluthwelle, die Sonne blendet, an eine Beschäftigung, an Lesenoder Schreiben ist nicht zu denken. Fünf Mal, zehn Mal in derMinute ertönen Kanonenschüsse, zuweilen eine Gewehrsalve, eindumpfes Kampsgetöse.— Auf der Straße herrscht Todesstille;die glühenden Pflastersteine werden gelb, die Luft kocht in denSonnenstrahlen— die Trottoirs entlang verstörte Gesichter derunbeweglich dastehenden Nationalgardisten— und keinen einzigengewöhnten Lebenslaut! Rund um mich herum ein weiter leererRaum— und doch hat man das Gefühl von etwas Druckendem,wie in einem Geiängniß oder einem Grabe.Seit zwölf Uhr ein neues Schauspiel: Tragbahren mit Ver-mundeten und Todten erscheinen. Hier trägt man einen Mannmit ergrautem Haar und einem Gesicht, so weiß, wie das Kiffen,auf dem er liegt,— das ist der tödtlich verwundete DeputirteCharbonnel— die Häupter werden stumm vor ihm entblößt,—allein er sieht dies Zeichen mitleidsvoller Verehrung nicht, seineAugen sind geschloffen.— Da geht ein Häuflein Gefangener, siewerden von Mobilgardisten geführt, diese sind noch ganz jungeBurschen, fast Knaben; sie flößten zuerst wenig Vertrauen ein,aber sie schlugen sich wie die Löwen. Einig« tragen aus denBajonetten die blutigen Czakos ihrer gefallenen Kameraden—ober die Blumen, die ihnen anS den Fenstern von den Frauenzugeworfen wurden.„Vivo 1a röpubli— i— ique!" rufen auf beiden Seiten de?Boulevard die Nationalgarden, indem sie die letzte Silbe eigen-thümlich und traurig ausziehen.„Vivo 1a rnobi— i— ile!"— DieGefangenen gehen aneinandergedrängt wie die Schafe, ein ord-nungsloser Haufe, finstere Gesichter, viele in Lumpen, ohne Kopf-bedeck.mg, einige mit gebundenen Händen.Die Kanonade, das schwere, eintönige Dröhnen, hörte indessennicht auf. Gegen Abend ist von meinem Zimmer aus etwasNeues zu hören; zu dem Dröhnen gesellen sich schneidige, vielnähere und kurz andauernde Salven.„Das ist", sagte man mir,„das Erschießen der gefangenen Insurgentenin den Mairies(Bürgermeistereien)."Und so eine Stunde nach der andern, Stunde auf Stunde.Auch Nachts ist es nicht zum Schlafen. Versuche ich auf denBoulevard zu gehen oder bis zur nächsten Straße, um entwederEtwas zu erfahren oder mich ein wenig zu erfrischen,— so werdeich angehalten und befragt: wer und was ich bin, wo meineWohnung ist und warupi ich nicht im Dienstrock stecke? Hatteman nun erfahren, daß ich Ausländer war, so wurde ich arg-wöhnisch angesehen und barsch nach Hause geschickt. Einmalsogar wollte mich ein Nationalgardist aus der Provinz— daswaren die allereifrigsten— durchaus verhaften, weil ich einMorgenjaquel anhatte.„Sie haben den Rock angezogen, um sichbequemer mit den Insurgenten verständigen zu können(paotisor)!"schrie er mich, wie besessen, an.—„Wer weiß, Sie sind vielleichtein russischer Agent, und in Ihren Taschen ist Geld, bestimmt,unsere Zwietracht anzufachen(pour komontor vos troublss)!"— Ich bat ihn, meine Taschen zu durchsuchen... aber dasärgerte ihn noch mehr. Russisches Gold, russische Agenten habendamals, mit vielem anderem Unsinnigen'") und Ungeheuerlichen,das in den ausgeregten Geistern Platz gefunden, in allenKöpfen gespukt. Ich wiederhole: es war eine peinliche, qualvolleZeit!') Sprich flanöhr: der in den Straßen herumwandelnde,neugierige Müssizgänger—„Bummler" im besseren Sinne desWorts.") Sprich Gamäng. Gaffenjunge; besonders PariserGassenjunge."') Trotzdem steht es fest, daß russische sowohl wie bonapar-tistische Agenten während der Jnnischlacht thätig waren.Red. d. N. W.Unter solchen Umständen vetain«n volle drei Tage, der vierte(28. Juni) rückte heran. Die Neuigkeiten vom Kampfplatz ge-langten ziemlich schnell zu uns, indem sie die Trotloirs entlangvon Mund zu Mund liefen. So wußten wir z. B. schon, daßdas Pantheon genommen, daß das ganze linke Ufer der Seinein den Händen der Truppen war, daß General Brea von denInsurgenten') erschossen worden, daß der Erzbischof Affre ver«wundet und daß nur noch das Fanbourg St. Antoine von Auf-ständischm besetzt sei.— Ich erinnere mich, wie wir die Pro-klamation von Cavaignac lasen, der zum letzten Mal an daspatriotische Gefühl appellirte, das auch aus dem verstocktestenHerzen nicht verschwinde. Ein Kurier, Husarenofflzier, sprangplötzlich quer über den Boulevard heran und schrie, indem ermit den Fingern seiner Rechten einen KreiZ, groß wie«in Apfel,bildete:„Mit solchen Kugeln schießen sie auf uns!"In dein Hause, wo ich wohnte, auch in derselben Etage,lebte der deutsche Dichter G., mit dem ich bekannt war; ich de-suchte ihn oft, um doch einige Beruhigung zu finden, das eigneIch ein wenig zu vergessen, die drückende Qual des NichtsthunSund der Einsamkeit zu betäuben. Und so saß ich auch amMorgen des 28. Juni bei ihm. Er hatte soeben gefrühstückt, alsder Gurion plötzlich und mit aufgeregtem Gesicht hereintrat.„Was giebfs?"„Monsieur G., ein Blousenmann fragt nach Ihnen!"„Ein Blousenmann? Was für ein Blousenmann?'„Ein Mann in einer Blouse, ein Arbeiter, ein Graukopf fragtnach dem Bürger G. Befehlen, ihn hereinzulassen?"G. und ich sahen uns verwundert an.„Lassen Sie ihnherein," meinte er endlich.Ter Garyon ging, vor sich hinbrummend:„Ein Mann ineiner Blouse...!" Er war ganz erschreckt. Ach, und vor we-»igen Monaten erst, im Rausch der Februarrevolution, hatte dieBlouse als das modernste, anständigste und sicherste Kostüm ge«gölten! Wie lange war es her, daß ich selber, in einer Gratts-Vorstellung, die lm Theatre Franqais für das Volk gegebenwurde, mit eigenen Augen«ine Menge der ausgesuchtesten Mode»menschen, der sogenannten Beau-monde(schönen, vornehmen Welt)sah, die in weißen und blauen Blousen steckten, aus denen soeigenthümlich ihre gestärkten Kragen und Jabots hervorragten?Ader mit den Zeiten wechseln auch die Sitten; zur Zeit derJunischlacht wurde die Blouse zu einem Kainszeichen, erregte siedie Gefühle des Schreckens und der Wuth.Der Garpon kam zurück, und mit einem stummen Schaudernließ er einen Maurer, einen Mann, der wirklich eine Blouse an-hatte, eine zerfetzte und schmutzige Blouse, vortreten. Di« Hosen,die Schuhe des Mannes waren ebenfalls schmutzig und geflickt;den Hals umschlang ein rother Fetzen und der Kopf war miteinem Wald von schwarzgrauen, verworrenen, bis aus die Augen-brauen herabhängenden Haaren bedeckt, unter denen sich einelange, höckrige Nase erhob und ein Paar kleine, vor Alter ent-zündete, fahle Augen hervorblickten. Eingefallene Wangen, Run-zeln, tief wie Narben, am ganzen Gesicht; em breiter, zuckenderMund, der Bart struppig, rothe, schmutzige Hände und jeneeigenthämliche Rückgratskrümmung, die den Druck langdauernderUeberarbeitung verräth.... Kein Zweifel— wir hatten voruns einen jener zahlreichen, hungernden und unheimlichen Arbeiter,die so häufig sind in den niedrigen Schichten„zivilistrler" Gesellschaften.„Wer von Ihnen ist Bürger G.?" fragte er mit heisererStimme.„Ich bin G." antwortet« der deutsche Poet, nicht ohne einig«Verlegenheit.„Erwarten Sie Ihren Sohn mit seiner Bonne aus Berlin?"„Jawohl,— woher wissen Sie das? Er sollt« vor einigenTagen herfahren, aber ich glaubte..."„Ihr Knabe ist gestern angekommen, aber da die Eisenbahn«station von St. Denis in den Händen der Unsrigen ist"— beidiesem Worte wäre der Gargon fast vor Schreck umgefallen—„und es unmöglich war, ihn hierher zu schicken, so hat manihn zu einer unserer Frauen gebracht— hier auf dem Papier-streifen finden Sie seine Adresse. Mir haben aber die Unsrigengesagt, ich möchte zu Ihnen gehen, damit Sie nicht unruhigseien. Auch seine Bonne ist nnt ihm, er hat eine ganz guteWohnung, das Essen wird Beiden gegeben. Es ist auch keineGefahr vorhanden. Wenn Alles zu Ende fein wird, könnenSie ihn abholen. Hier, nehmen Sie den Papierstreifen. Adieu,Bürger!"Der Alte begab sich zur Thür.„Halt, halt!" rief jetzt G. ängstlich.„Gehen Sie doch nichtfort!"Der Alte blieb stehen, wendete sein Geficht aber nichtzu uns.„Also Sie sind bloS deshalb hierhergekommen," fuhr G. kort,„um mich, einen Ihnen ganz unbekannten Menschen, wegen memesSohnes zu beruhigen?"Der Alle erhob sein gebeugte? Haupt:„Ja! Je suis envoyös par les nötre I"(Ich bin von denUnsrigen geschickt.)„Bios um dessentwillen?"„Ja!"G. war ganz erregt.„Aber ich bitte Ei«...... ich weiß wirklich nicht, was ich denken soll.mich, wie Sie unversehrt hierhergelangen konnten,doch gewiß an jeder Ecke angehalten?"ich... ichEs wundertman hat Siegewiß,Ja!"„Man fragte Sie auch, wohin Sie gehen wollten und wasSie zu thun hätten?"„Ja. Man hat mir immer die Hände angesehen, obPulverspuren da wären. Ein Offizier droht«, mich erschießen zulassen."G. wurde stumm vor Schreck und Verwunderung; auch derGaryon glotzte ihn mit großen Augen an.„C'est trop fort!"(das ist zu stark), lispelten seine erblaßtm Lippen.„Adieu, Bürger!" sagt« der Alle und wendete sich nach derThüre.G. eilte auf ihn zu und faßte ihn bei der Hand.„Warten Sie... bleiben Ei«... erlauben Sie mir, Ihnenmeinen Dank auszudrucken."Er fing an, in seinen Taschen herumzusuchen. Der Altemachte«ine ablehnende Bewegung mit seiner breiten, schwie-ligen Hand:„Bemühen Sit sich nicht, Bürger; ich nehme keinGeld an."„So erlauben Sie-doch wenigstens, daß ich Ihnen einkleines Frühstück anbiete oder ein Glas Wein... kurz, irgendetwas."„Ja, das werde ich ihnen nicht versagen," meinte nach eini-gem Zögern der Mann.„Ich glaube, es ist schon der zweiteTag, daß ich nichts gegessen habe."G. schickte gleich den Gar'�on nach einem Frühstück und batseinen Gast, einstweilen Platz zu nehmen. Jener ließ sich aufdem angebotenen Stuhle nieder, legte seine Handflächen aus dieKniee und versank in düsteres Nachdenken.') Brea wurde notorisch von bonapartistischen Agenten ge«tödtet; die Prozeßverhandlungen haben dies festgestellt; dieKugel, welche den Erzbischof Affre traf, kam erwiesencrniaßennicht von Seiten der Insurgenten. Red. d. N. W.