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j*tf<$Qrtt sei. hatte sich aber mit BlitzeZeile durch alle benach- n£k®r'Waf'cn verbreitet. Zlanm war die Schneedecke vom Erdboden verschwunden, so wurde von vielen Personen nach der Reiche gesucht. Zu den eifrigsten Suchern gehörte der Landbrief- träger EggerS, der am Nachmittage des 17. März d. I. auf dem Wege zwischen� Eschede und Lohe unter zwei großen Bäumen eine kleine Erhöhung entdeckte. Im Verein mit einem Gendarmen trug Eggers den verdächtigen Erdhügel ab und fand unter dem- selben den Leichnam der Klages. Letzterer war vollständig zu einem Klumpen zusammengedrückt und lag in einem etwa ein Meter tiefen Loche verscharrt. Anscheinend haben die Mörder »hr Opfer mit den Füßen in daS Loch getreten. Der vollständig entkleideten Leiche fehlte der Kops; dieser wurde einige Tage spater, gänzlich verwest, 25 Schritte weiter in einer alten Fuchs- röhre gefunden. Auch die Fetzen einer Blouse, die die Ermordete getragen, und ein Haarzopf lagen in der Nähe der Leiche. Obwohl Erbe noch immer beharrlich jede Betheiligung an den Mordthaten in Abrede stellt, so hat sich dieser dennoch heute, tn Gemeinschaft mit der Bunlrock, vor dem Schwurgericht des hiesigen königlichen Landgerichts wegen zweifachen Mordes und schweren Raubes zu verantworten. Schon in frühester Morgenstunde drängt eine unendliche Menschenmenge nach dem Gerichtsgebäud«. Es sind jedoch, da der Zuhörerraum nur etwa für 60 Personen Raum bietet, nur an eine Anzahl distinguirler Persönlichkeiten Eintrittskarten aus- gegeben worden. Man bemerkt im Zuhörerraum mehrere Stabs- Offiziere. Den Vertretern der Presse hat der Präsident des Schwur-Gerichtshofes, Landgerichlsralh Polte sehr gute Plätze angewiesen. Wenn man den Schwurgerichlssaal betritt, so glaubt wan zunächst auf einen Trödelmarkt zu kommen. Eine unend- liche Menge von Gegenständen, die sämmtlich den ermordeten Mädchen geraubt worden sind, ist vor dem Richtertische auf- gestellt. Den Gerichtshof bilden: Landgerichtsrath Polte (Präsident) und Landgerichtsrath Starke und Landrichter Arnold (Beisitzende). Die öffentliche Anklagebehörde vertritt der Erste Staatsanwalt am hiesigen Landgericht Maizier, die Vertheidignng führen, und zwar als Offizialvertheidiger: Rechtsanwalt Leist für die Buntrock und Rechtsanwalt Gutsche für Erbe. Als Gerichts- schreiberfungirt Aktur Ungnad. Gegen S>/s Uhr Vormittags werden die Angeklagten unter starker polizeilicher Bedeckung in den Saal geführt. Die Buntrock ist eine mittelgroße, schlanke, brünette Frau von angenehmem Aeußeren. Erbe, der, als er die Änklagebank betritt, sich sofort in eine Ecke drückt, ist ebenfalls«in mittel- großer, schlanker Mann mit nicht unangenehmen Gestchtszügen. Die Buntrock ist am IS. Mai 1856 zu Holzminden geboren. Erbe ist am 25. Mai 1855 zu Burgstall, Kreis Wolmtrstedt, geboren; beide sind evanoelischer Konfession. Zwischen den Angeklagten nehmen zwei Gefangenenaufseher Platz. Erbe wurde an den Händen gefesselt auf die Anklagebank geführt, auf Anordnung des Präsidenten werden jedoch demselben die Ketten abgenommen. Nach Bildung der Geschworenenbank u. s. w. giebt die Buntrock auf Befragen an. daß ihr Vater in Holzminden ein Tapezier» und Möbelgeschäft besaß, das jetzt ihr Bruder innehabe. Die Bunlrock ist bisher noch unbestraft. Erbe dagegen ist bereits im Jahre 1874 wegen Betruges und später vielfach wegen Urkundenfälschung, Münzverbrechens u. s. w. zum Theil mit langjährigem Zuchthaus bestraft. Erbe, der früher Glaser ge- wesen, war schon einmal verheirathet, seine Frau hat sich aber nach zweijähriger Ehe von ihm scheiden lassen. Dieser Ehe ist ein Kmd entsprossen, das jedoch gestorben ist. Die Bnntrock giebt aus Befragen deS Präsidenten an, daß sie im Jahre 138g den Erbe in Hannover kennen gelernt habe. Ihre Mutter sei sehr früh gestorben, sie habe dieselbe nicht gekannt, auch ihre Stiesmutter, von der sie erzogen worden, sei schon vor vielen Jahren gestorben, so daß sie eine weibliche Pflege eigentlich nicht kennen gelernt habe. Sie sei anfänglich Dienstmädchen gewesen, habe be» verschiedenen Herrschaften in Hannover gedient und habe alsdann bei ihrer älteren Schwester das Zuschneiden gelernt. Im Jahre 1889 sei ihre ältere Schwester nach Amerika gegangen. Auch ihr ältester Bruder sei seit einigen Jahren in Anierika. Sie habe noch zivei Brüder, von denen der zweitälteste Albert in Holzminden das vom Vater betriebene Tapezier- und Möbel- gesqäft inne hat. Ihr Vater wohne bei Albert. Er besitze nur so viel Vermögen, um gerade leben zu können. Sie sci vom Hause weggegangen, weil sie sich mit ihrer Schwägerin nicht habe verlragen können. Auch vom Bater sei sie in Uu- frieden geschieden. Im Jahr« 13vg habe Erbe mittelst Zeitungs- Annonce eme Frau gesucht. Sie habe sich daraufhin ge- meldet und so haben sie beide sofort beschlossen, sich zu heirathen. Die Heirath sei jedoch unterblieben, da ihre Angehörigen dies nicht zugaben. Sie habe aber mit Erbe zusammengelebt und habe auch im August 1890 ein Kind geboren, dessen Aater Erbe gewesen sei. Das Kind sei bald nach der Geburt gestorben. Sie habe anfänglich nicht gewußt, daß Erbe, der zur Zeit als Glaser arbeitete, bestrast sei. Als sie ei erfahren, habe sie sich von Erbe bereits Mutter gefühlt. Anfang 1891 sei sie nach Magdeburg gekommen. Es wird alsdann der Anklagebeschluß verlesen. Präs.: Buntrock, bekennen Sie sich schuldig? Angekl.: Ja. Präs.: Haben Sie sich von Anfang an schuldig bekannt? Angekl.: Ja. Präs.: Sie haben auch von Anfang an Sesagt, daß Erbe die Mordthaten ausgeführt hat? Angekl.: !a. Präs.: Wann kamen Sie nach Magdeburg ? An» geklagt«: Im Oktober 1890. Präs.: Sie haben nun im hiesigenGeneral-Anzeiger " ein Inserat einrücken lassen, wonach Sie für eine Herrschaft eine Reisebegleiterin suchten?An« geklagte: Ja. P r ä f.: Daraufhin hat sich die Emma Kasten gemeldet, mit der sie am Abende des 2l. Mai durch den Neuhaldenslebener Wald gegangen sind. In Ihrer Gesellschaft befand sich Erbe? Angekl.: Ja. Präs.: Sie haben nun über die Mordthaten die verschiedensten Angaben gemacht, erzählen Sie nun einmal in möglichst ausführlicher Weise, wie Sie es gemacht haben. Angekl.: Ich erinnere mich nicht mehr, es ist so gewesen, wie es in den Akten steht. Präs.: Nehmen Sie einmal Ihr Gedächtniß etwas zu Hilfe, ich werde Sie dabei unterstützen. Sie haben, als Sie mit der Kasten durch den Wald gingen, derselben plötzlich diesen Block, den Sie vorher mit Wolle umwickelt hatten, in den Mund gestopft? An- g e k l.: Ja. P r ä f.: Wo umwickelten St« den Block mit Wolle. Angekl.: Im Walde. Präs.: Konnte das die Kasten sehen. Angekl.: Nein, ich ging während dieser Zeit hinter der Aasten. Präs.: Nim, ließ sich denn die Kasten so gutwillig den Block in den Mund stopfen? Angekl.: Ja. Präs.: Hat die Kasten sich garnicht gewehrt, es war doch ein sehr starkes Mädchen. Angekl.: Sie hat sich aber nicht gewehrt. Präs.: Sehen Sie sich doch einmal die Photographie an, war da? die Kasten? Angekl.: Ich weiß das nicht mehr. Präs.: Sie haben doch mehrfach mit dem Mädchen gesprochen? Angekl.: Ich kann mich ans das Aussehen des MädchenS nicht mehr besinnen. Der Präsident läßt die Photographie auf der Geschworenenbank kur» siren. Präs.: Haben Sie die Kasten nicht vorher betäubt? Angekl.: Nein. Präs.: Bei Erbe sind bei seiner Per» Haftung«ine ganze Reihe von Fläschchen mit allen möglichen Chemikalien vorgefunden worden, sollte Erbe nicht auch Ehloro- form bei sich gehabt und da? Mädchen betäubt haben? Angekl.: Nein! P r ä s.: Sie sagten. Erbe habe mit den, Mädchen geschäkert? A n g» k l.: Erbe wollte nur haben, daß die Kasten sich aus die Erde legen sollte, damit er ihr den Hals untersuchen könne. Präs.: Hat sich Erbe der Kasten gegenüber nicht als Arzt ausgegeben, damit er sie untersuchen könne? Angekl.: Jawohl, aber blos den Hals wollte er ihr unter» suchen. Präs.: Hat daS Mädchen sich den HalS untersuchen lassen?Angekl.: Ja. P r ä f.: WaS mag Erbe damit bezweckt haben? Angekl.: Er wollte sich unter» richten, wo die Schlagader sitzt. Präs.: Haben Sie der «asten, als Sie Ihr den Block m den Mund stopften, nicht die Zähne zerbrochen? Angekl.: Nein. Präs.: Als die «asten nun den Block im Munde hatte, was machte alsdann Erbe? Angekk.:Er öffnete daS Messer und schnitt der Kasten den Hals ab. Präs.: Es war dies das Messer hier? A n g e r l.: Ja. Der Präsident läßt das Messer, ein großeS Taschenmesser mit schwarzer Klinge, den Geschworenen zeigen. Präs.: Erbe durchschnitt der Kasten die Schlagader? Angekl.: Ja. Präs.: Das Blut muß infolge dessen heftig gespritzt haben? Angekl.: Jawohl. Präs.: Als nun die Kasten todt war, was thaten Sie da? Angekl.: Ich entkleidete die Leiche. Präs.: Half Ihnen Erbe dabei? Angekl.: Nein. Präs.: Eine Leiche zu entkleiden, ist doch sehr schwer, soll Ihnen Erbe nicht dabei geholfen haben? Angekl.: Nein. Präs.: Die Kasten muß doch ziemlich schwer gewesen sein, der Photographie nach zu urtheilen, muß die Kasten mindestens 150 Pfund gewogen haben? Angekl.: Ich Hab« aber die Kasten allein aus» gekleidet. Präs.: Was machte Erbe währenddessen? Angekl.: Der grub ein Loch, um die Leiche zu ver» graben. Präs.: Mit diesem Spaten? Angekl.: Ja. Präs.: Den Spaten führte Erbe bei sich? A n g e k l.: Ja. Präs.: Sie haben die Leiche bis aufs Hemd entkleidet? Angekl.: Jawohl. Präs.: Das Kleid, das die Er- mordete trug, haben Sie, als Sie verhaftet wurden, noch ge- tragen? Angekl.: Jawohl. Präs.: Paßte Ihnen denn das Kleid? Angekl.: Nein, ich machte es mir zurecht. Präs.: Es war Ihnen wohl zu weit? Angekl.: Jawohl. Präs.: Die Kasten hatte auch eine goldene Uhr mit Kette bei sich? Angekl.: Ja. Präs.: Hatte die Kasten auch viel Geld bei sich? Angekl.: Nein. Präs.: Die An- gehörigen der Kasten behaupten, daß letztere etwa 90 M. bei sich hatte. Angekl.: Das kann sein. Präs.: Erbe hat der Leiche, ehe er sie vergrub. den Kops und die Beine abgeschnitten? Ä n g e k l.: Ja.Präs.: Halfen Sie die Leiche vergraben? A n g e k l.: Ja. Präs.: Die Hände der Leiche waren mit Stricken befestigt, sollten Sie das Mädchen, ehe Sie demselben den Block in den Mund stopften, nicht die Hände zusammengebunden haben? Angekl.: Nein. Es soll nun des Näheren die Art der Zerstückelung der Leiche erörtert werden. Der Gerichtshof be- schließt während dieser Erörterung, aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, die Oessentlichkeit auszuschließen. Auch die Vertreter der Presse müssen den Saal verlassen.(Fortsetzung folgt.) Soziole Lleberstchl. Achtung, Maurer! Auf dem Bau Eberswalderstraße 13, beim Bau-Unternehmer Bereu dt. stellten am 23. Juni sämmtlich« Kollegen, 26 an der Zahl, die Arbeit ein, weil der Stundenlohn nicht auf 55 Pf. erhöht wurde. Ueber den Bau ist die Sperre verhängt. Berlin . Das Bureau der Lohnbewegung. I. A.: Wilhelm Roll. VKrsa>»r»nltlngen. Die Stichwahle» zwischen gegnerischen Kandidaten beschäftigten am 21. Juni eine Versammlung des VI. sozial­demokratischen Wahlvereins, die in der Kronen- brauerei Alt- Moabit Nr. 47/43 tagte. Zunächst vertheidigte Dr. Lütgen au seine am 25. Mai in einer Versammlung von Genossen des V. Wahlkreises angenommen« Resolution: 1. Die Verstärkung der sozialen Gegensätze, die zunehmende Arbeitslosigkeit, die wachsende Ausdeutung des Proletariats, die fortschreitende Proletarisirung der Miltelschichten bewirken. daß der Kampf zwischen Kapital und Arbeit immer mehr zum Gegen- stände und Mittelpunkte der gesummten Politik der Gegenwart wird, daß der Begriff der bürgerlichen, formalen Demokratie immer inhaltsloser wird, und daß die Gegenparteien sich immer mehr einander anähnlichcn. Die Haltung der deutschsreisinnigen Parte, in de» Wahlrechts-Fragen. in der Echulfrage, gegenüber der Entschädigung der Reichsunmittelbaren und gegenüber der Verfolgung politischer Vergehen beweift, trotz des häufig geschickt gewahrten gegentheiligen Scheines, daß diese Partei den letzten Rest demokratischer Grundsätze dem kapitalistischen Interesse zum Opfer gebracht hat. Da es eine bürgerliche Demokratie in Deutschland nicht mehr giebt, so fällt die alte Richtschnur der Sozialdemokratie, die bürgerliche Demokratie behufs Beschleuni- gung der gesellschaftlichen Entwiclelung zu unterstütze», künstig von selbst fort. 2. Bei der Thatsache, daß die deutschen Arbeiter in Stich- wählen regelmäßig im Sinne des kleineren Hebels oder behufs Abwendung der unmittelbar größeren Gefahr ihre Stimme ao- gegeben haben, würde die Direktive allgimeiner Stimmenthaltung bei Stichwahlen wahrscheinlich sehr wenig befolgt werden und daher ein politischer Fehler sein. 3. Die Parteiversammlung des 5. Berliner ReichstagS-Wahl- kreises macht der Sefammtpartei den Vorschlag, dem Grandsatze zuzustimmen, daß bei Stichwahlen gegnerische Kandidaten, welche sich für das Achtstundengesetz zu stimme» verpsiichlen, unterstützt werden. 4. DaS Verhalten der deutschfreisinnigen Partei gegenüber der Sozialdemolratie ist bei dem abhängigen Verhältinß, in welchem sie zu dieser steht, ein unziemliches; besonders ist zu rügen, daß sie die Unanständigkeilen ihres Hanptwortsührers Eugen Richter duldet." Redner wies zunächst auf da? arbeiterfeindliche Verhalten der Deutschsreisinnigen hin, die in den Reichstag zun» großen Theile regelmäßig infolge der Unterstützung der Sozialdemokraten ge- wählt worden�seien. Aus dein Umstände, daß die Parteigenossen bisher jedes Mal an den Stichwahlen zwischen gegnerischen Kandidaten sich bethriligt haben, auch als 1887 der St. Gallener Kongreß gerade das Gegentheil beschlossen halte, folgerte Dr. Lütgenau, daß die Partei eine derartige Betheiligung überhaupt für zweckdienlich halte, und daß daher der Parteitag zu einem Votum gegen die Betheiligung der Parteigenossen an Stichwahlen unter gegnerischen Kandidaten nicht kommen könne. Liege die Sache aber so, dann sei es erwünscht, daß die Partei sich von den gegnerischen Kandidaten, welche ihre Unterstützung erhalten, Kon- zessionen machen lasse, und er schlage vor, dem Gegner dann daS Versprechen abzuverlangen, daß er für den Achtstundentag ein- treten werde; natürlich würde man auch darauf zu sehen haben, daß die Aufhebung der Getreidezöll«, Ausrechterhaltung des all- gemeinen, geheimen Wahlrechts nnd andere wichtige Forderungen in dem betressenden bürgerlichen Kandidaten keinen Gegner haben. Da eine Neuwahl vielleicht schon in diesem Jahre bevorstehe, falls nämlich die zu erwartende Militärvorlage abgelehnt werde, so empfehle es sich, daß zu der angeregten Frage schon der nächste Parteitag Stellung nehme und dw Parteigenossen selbst sich vorher darüber aussprechen. Die Verkürzung der Arbeitszeit nun liege im Jnteresfe der Arbeiter, sei aber nicht nothwendig ein Nachtheil deS Kapitals. Daher sei es wohl möglich, auch Kandidaten der bürgerlichen Parteien dafür zu gewinnen; gelinge das, so treibe man dadurch einen Keil in die bürgerlichen Parteien. Schon die bloße Aufstellung der Forderung unsererseits veranlasse die Gegner, Stellung dazu zu nehmen, was wieder dazu führe, daß die hinter ihnen herlaufenden Arbeiter mit der Frage befaßt werden. Diesen können wir dann vorhalten, daß wir st e t s für die Verkürzung der Arbeitszeit eingetreten sind, was uns, welche Stellung auch der Gegner nimmt, agitatorisch dienlich sein wird. Gebe aber der Gegner daS verlangte Versprechen und halte es dann nicht, so verliere er an Kredit und könne das nächste Mal nicht wiedergewählt werden. Es sei nicht richtig, daß von einer Stellungnahme der Parteigenossen, wie er, Redner, sie vorschlage, nur die gegnerischen Parteim den Nutzen haben würden, sondern es handele sich nur um unser Interesse um Geltendmachung eines Einflusses, den wir haben. Der Korreferent Stadtverordneter V o g t h e rr führte hierauf gegen den Vorschlag Lülgenau's Folgendes aus: Wir haben keine Veranlassung, unS mit der Entwickelung und Taktik unserer Gegner zu befassen, sondern wir haben Stellung dazu zu nehmen: Wie stehen wir unfern Gegnern gegenüber? Welches würden die praktischen, die erzieherischen Wirkungen für unsere f artei sei», wenn ferner derartige Resolutionen gefaßt würden? r warne nachdrucklich vor Unterschätzung der Forderung des Achtstundentages, die zu unseren hervorragendsten Forderungen gehöre. Auch sei es nicht richtig, schon Jahre vorher damit bei unseren Gegnern Hausiren zu gehen und ihnen zu sagen: Seht, ihr könnt in den Reichstag kommen, wenn ihr diese Forderung unterstützt. Die Stellungnahme unserer Gegner zu der einen oder anderen Frage unseres Programms tverde sich stets nur »ach der Aussicht richten,«in Reichstagsmandat zu erlangen. Wir haben aber nicht zu fragen, was den Gegnern von unserevt Programm gefällt, sondern im Falle der Stichwahl was uns an ihnen gefällt. Es gäbe sehr wohl Angehörig« der Bourgeoisie, denen die Vortheile bekannt sind, welche die Verkürzung der Arbeitszeit auch dem Kapital bietet, und die aus diesem Grunde, wenn die Arbeiter dazu drängen, für den gesetzlichen vlormalarbeitstag ein- treten, um nachher mit Heuchlerw.asle von ihrer arbeiterfreund- lichen Gesinnung zu sprechen. Aber die Leute wissen auch, daß durch eine Verkürzung der Arbeitszeit die Arbeiterklasse wider- standefähiger wird, und daS spreche bei der Bourgeoisie ebenso viel gegen den Achtstundentag, wie der persönliche Profit für denselben. Indessen,»volle oieser Polizei- und Militärstaat sich erhalten, so müsse er schon um der Wehrhaftigkeit willen zur gesetzlichen Verkürzung der Arbeitszeit gelangen. Wie erschreckend die Wirkung der zu wenig eingeschränkten Ausbeutung der Arbeiter ist, zeigte Redner an einigen Daten aus Oesterreich . Danach sind in Böhmen von 10 000 Wehrpflichtigen in den letzten Jahren nur etwa 450 diensttauglich geivesen und in der Stadt Reichenberg gar nur ca. 230. Der Militärftaat müsse also ganz von selbst dazu kommen, die Arbeiter zu schonen. Nun habe der Vorredner selbst gesagt, daß er den Versprechungen der Gegner keinen Glauben schenke, ja, waS habe denn ein solches Ver- sprechen dann überhaupt für einen Zweck? Wir stellen gegen Abgab« desselben Monate lang vorher schon den Gegnern Unterstützung in Aussicht, während wir überzeugt sind, daß wir durch dte eigene Kraft der Arbeiterschaft die Ver- wirklichung jener Forderung erreichen. Wenn nun auch aus dem Wortlaut« der Resolution Lülgenau's schon hervorgehe, daß die Bestimmung über eine solche Frage nicht von einem einzelneu Wahlkreise, sondern von dem Parteitage auszugehen hat, so habe ein derartiger Beschluß, wie er im fünften Wahlkreise gefaßt worden ist, doch mindestens die Folge, daß der betreffende Wahl- kreis sich mit dem Prinzip einverstanden erklärt. Bon der dadurch übernommenen Verbindlichkeit komme der fünfte Wahlkreis nicht frei, so lange er sich nicht selbst davon befteie. Diese Stellungnahme sei aber dasselbe, wie wenn ein Militärftaat etwa drei Monate vor einem Kriege seinen Feldzugsplan bekannt mache, um seinem Feinde zu zeigen, in welchen Winkel er sich stecken müsse, wenn er sich sichern wolle. Ued« daS Ver­halten bei den Stichwahlen müsse auch in Zukunft wie bisher von Fall zu Fall entschieden werden. Die bisherige Stellung- nähme der Partei bei den Stichwahlen zeige, daß die Partei selbst stets im Augenblicke richtig erkannt hat, was für uns von Wichtigkeit war. Wozu uns also so lange vorher binden? Wir müssen ungesesselt in die Zukunft marschiren. Wollen wir auf de» Parteitag Einfluß üben, dann darf das nicht in der Weise geschehen, daß ein Theil der Partei sich schon vor- her«ngagirt. Wir haben am Anfang des Wahlkampfes als die feste, untheilbare Sozialdemokratie in die Schranken zu treten. die ihre Forderungen diktirt, aber nicht anbietet, die nicht paktirt, ffondern, wenn die Gegner ihre Unterstützung haben wollen, ab- wartet, was sie ihr bieten. Redner bittet um Annahme feiner Resolution, daß wir in den Wahlkampf gehen als starke, prin- zipteufeste, untheilbare und hoffentlich unbesiegbare Sozial- demotratie. Die Resolution Vogtherr lautet: .Die Versammlung vermag sich der in einer Versammlung deS V. Wahlkreises gefaßten Resolution, betreffend die Stellung. nähme bei Stichwahlen, nicht nnzuschließen, sie erklärt vielmehr, daß eS tallisch falsch ist, die Partei oder einzelne Wahlkreise in ihrem Verhalten bei Stichwahlen auf lange Zeit im Voraus zu binden, u»d daß es überhaupt Sache deS Parteitages ist, in dieser Frage den zeitweiligen Verhältnissen entsprechend zu ent- scheiden." Dazu war folgendes Amendement eingelaufen: Insbesondere lehnt die Versammlung es ab, den Partei- genossen zu empfehlen, diejenigen Kandidaten bei einer etwaigen Stichwahl zu trnlerstützen, die für den Achtstundentag einzutreten versprechen, da sie nach dem bisherigen Verhalten der einzelnen belrofsene» Kandidaten der Meinung ist, daß dieses bloße Ein- treten für einzelne Programmpuukt« nur Kompromisse bedeutet, die grundsätzlich abzulehnen sind." Dr. Lütgenau beantragte Annahme feiner im 5. Wahl- kreis« angenommenen Resolution, die er folgendermaßen sormulirte: Die heutige Versammlung des Wahlvereins für den sechsten Beritner ReichstagS-Wahlkreis ist nicht der Ansicht, daß Stimm- enthaltung bei Stichwahlen zwischen gegnerischen Kandidaten immer im Interesse der Arbeilerllasse und der Partei ist. Sie hält dafür, daß solche gegnerische Kandidaten unterstützt werden. sollen, welche außer korreklen Abstimmungen bei den wichtigen obschwcbenden Fragen für ein Achtstundengesetz zu stimme» sich verpflichten. Selbstverständlich gehört die Entscheidung hierüber dem Parteitage." Herr Marten beantragte zu beschließen: In Erwägung, daß die Verstärkung der sozialen Gegensätze, die zunehmende Arbeitslosigkeit, die wachsende Ausbeutung deS Proletariats durch die bestehende kapitalistische Herrschast be- wirken, daß der Kampf zwischen Kapital und Arbeit sich immer mehr verschärft, die Interessen der Arbeiter von allen Parteien immer mehr unterdrück! werden, weist die Sozialdemokratie jeden Kom- promiß mit anderen Parteien zurück und empfiehlt den Genosse», bei Stichwahlen, wo sich zivei bürgerliche Kandidaten gegenüberstehen, strenge Wahlenthaltung." Die Versammlung vertagte wegen der vorgerückten Stund« die Diskussion aus die nächste Zusammenkunst unv ging, nachdem noch über die Frage, od Personen, welche nicht zur Sozialdemo» kratie gehören, an der Debatte sich betheiligen dürsen, diskutirt worden war, ohne daß ein Beschluß darüber gefaßt wurde, mit einem Hoch auf die Sozialdemokratie auseinander. Die Genossenschaftsbäckerei hielt am 22. Juni ein» außer- ordentliche Generalversammlung ab. in der es sich vornehmlich um die Amtsniederlegung von sechs Aufstchtsraths-Mitgliedern und die entsprechende Neuwahl handelte. Im Anschluß an das Protokoll der vorigen Generalversammlung, in welcher beschlossen war, daß die Versammlungen hinfort am Sonntag stattfinden sollen, protcstirte Herr Pfeiffer gegen diese aus einen Mittwoch einberufene Versammlung. Das Protckoll wurde genehmigt und hieraus zu- nächst eine zwischen Aufsichtsralh und Geschäftsführung ge­wechselte Korrespondenz verlesen. Tie sechs Anfsichlsralhs- Mitglieder H. G r a s h o l d. R. K n n I e l. C. G ä d i ck e. E. Pfeiffer, Karl Klein und Karl M a h l i tz haben am 17. Juni in einem Schreiben an den Vorstand erklärt, daß siesich veranlaßt sehen, ihr Amt niederzulegen, weil sie mit einem derartigen Vorstande nicht mehr zusammen- arbeilen können, und ersuchen, eine Generalversammlung einzuberufen." Hierauf hat am 19. Juni in einem Schreiben an die genanntenfrüheren Mitglieder des Ausflchtsraths" der V o r st a n d dieselben nach Verwahrung gegen einige in dem empfangenen Brief« enthaltene Vorwürfe ausgefordert, sämmtlich«