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Nr. 73. 21. Jahrgang. 1 KilU des Jormätts" Sttlinet ilolbtilstt. Sonnabend, 26. März 1904. Kardmal Kopp-Prozeß. Beuth en. den 24. März.(Eig. Ber.) Vor Eintritt in die Verhandlung erklärt der Verteidiger Dr. S e h d a: Dem Angeklagten und mir ist gestern vom Vor- sitzenden mit Rücksicht auf die befürchtete Verletzung des religiösen Empfindens der Zeugen nahegelegt, auf jenen Teil der Aussagen zu verzichten, die sich mit Vorgängen im Beichtstuhl befassen. Wir haben das aus gestern dargelegten Gründen leider ablehnen müssen. Ich will heute noch hinzufügen, daß wir auch deshalb ablehnten, weil der Herr Kardinal Kopp nach seiner kommissarischen Vernehmung privatim zum Ver�idiger sagte, er wünsche selbst, durch den Prozeß zu erfahren, was oenn von diesen Dingen wirklich wahr sei. Der Sachverständige Prälat Buchmann erläutert sein gestriges Gutachten dahin, daß nach kirchlichem Recht für die Beicht- krnder eine Pflicht zum Verschweigen dessen, was im Beichtstuhl vorgegangen. nicht besteht, daß aber immerhin moralische Gründe dafür geltend gemacht werden könnten. Es seien auch Fälle inöglich, in welchen solche Mitteilungen ohne Verletzung moralischer Gefiihle erfolgen könnten. Zeuge Häusler Cmiel: Ich bin Katholik und gehe mit den Polen , weil ich nur polnisch verstehe. An Agitation habe ich mich nie beteiligt. Eines Tages verteilte unser Pfarrer Witschet Wahlfltigblätter für das Centrum, ich nahm jedoch keins, weil ich schon eins bekommen hatte. Bei einer Fcstandacht in der Kirche sagte darauf der Pfarrer, Zeuge und noch ein andrer Ortsangehöriger seien schlechte Leute, aufdiemannichthören dürfe. Arbeiter Langer in Kudjenietz: Der Pfarrer Ko» stelle k in Kodno verbot von der Kanzel herab das Lesen des .Gornoslazak". weil es keine reine Zeitung sei. Wer die Zeitung noch halte, sei kein Parochiane mehr. Zum Zeugen sagte der Pfarrer: .Du bist ein SocialdemokratI Komm' mir nicht zur Beichte!" Zeuge erklärt, nicht Socialdemokrat, sondern katholischer Pole zu sein. Bergmann Wiczek in Bogutschiitz sollte in der Beichte ver- sprechen, daß er denGornoslazak' nicht mehr lese, und da er sich dessen weigerte, mnßte er ohne Absolutiou davongehen. Pfarrer Skowronnek redete die Leute in der Kirche an:.Da sieht man ja lauter Korsantys I' und den anwesenden Frauen sagte er:.Ihr Evas seid auch solche I' Im Dorfe hat das Austreten der beiden Geistlichen viel Erregung verursacht. Selb st in der Kirche gaben die Leute ihrem Mißmut durch Hu st en und Scharren mit den Füßen Ausdruck. Versicherungsinspektor LewaSzinki aus Oppeln : In der Beichte lourde mir und andren Lesern der Gazeta Opolska" gesagt, wir sollten nur machen, daß wir hinauskommen. Erst nachdem wir versprochen, daS Blatt nicht mehr zu halten, erhielten wir Absolution. Vors.: Haben Sie denn Ihr Wort gehalten?" Zeuge:.Noch nicht.(Heiterkeit.) Ja ich muß das Blatt aus ? geschäftlichen Rücksichten halten. Vors.:Sind Sie von Ge- iunung Pole? Zeuge: Nein, ich gehöre allen Parteien an. (Große Heiterkeit.) Ich bin heute Pole und morgen Jude, aus ge- schäftlichen Gründen.(Große Heiterkeit.) Vors.:Aber gewählt haben Sie doch den polnischen Kandidaten?" Zeuge:Nein, ich habe den Centrumskandidaten gewählt." Auch andre Zeugen, Handwerksmeister und Hausbesitzer in Oppeln , bekunden dasselbe wie Zeuge Lcwaszinski, auch sie haben aber ihr Versprechen, daS radikal-polnische Blatt nicht mehr zu lesen, nicht gehalten, was der Vorsitzende als sehr unehrlich rügt. Hausbesitzer Lukas in Oppeln sagt, es»erlebe sein religiöses Einpfiudrn, daß die Geistlichen im Beichtstuhl Politik behandelten, es sei ihm als Katholik aber auch unangenehm, hier über Dinge aus der Beichte auszusagen. Der Verteidiger verzichtet darauf auf die Vernehmung des Zeugen. Hausbesitzer M e i n k e: Ich mußte auch das Versprechen in der Beichte geben, das polnische Blatt nicht mehr zu halten. Bor - sitzender: Halten Sie denn nun das Blatt nicht mehr? Zeuge: Nein, meine Frau hält es.(Große Heiterkeit.) Andre Zeugen bekunden, daß sie keine Absolution erhielten, weil sie sich wclgerten, das Abonnement aufzugeben. Arbeiter K u r e tz k i: Ich sagte in der Beichte, ich lese den .Gornoslazak" nicht, obwohl ich ihn doch lese. Vors.: Warum haben Sie in der Beichte gelogen? Zeuge: Ich mutzte in der Osterbeichte doch die Absolution haben.(Große Heiterkeit.) Zeuge sagt weiter, der Pfarrer in Schoppinitz habe von der Kanzel herab erklärt, wer socialdemokratische oder polnische Zeitungen halte, sei kein Katholik mehr. Der Pfarrer schimpfte so auf Polen und Socialdemokraten, daß die Leute in der Kirche unruhig wurden, einige ärgerten sich, andre lachten. Pfarrer Abramski sagte auf der Kanzel, für die Polen sei Korfanty der Papst und die Leser desGornoslazak" seien alle Socialdemokraten. Agent K 0 b u S in Schoppinitz: Kaplan Woitek sagte, als ich beichten wollte: Leute, die den.Gornoslazak" lesen, sollen nicht zur Beichte kommen. Als ich doch ging, sagte er:Schämen Sie sich und machen Sie, daß Sie hinaus kommen." AIS ich ein Wort dagegen sagte, rief er:Wenn Sie nicht gehen, dann lasse ich Sie rauswerfen l"(Bewegung.) Auf der Kanzel sagte Pfarrer Abramski zu den anwesenden Frauen:Ihr Frauen, wenn zu Euch ein Agent desGornoslazak" kommt, so nehmt den Besen und haut ihm den Buckel voll!" Der Staatsanwalt ftagt den schon verbotene polnische Schriften geführt habe? Der Verteidiger Frage mit dem Beweisthema zu Staatsanwalt lehnt die Beantwortung der Frage a b. Der Verteidiger beantragt. die Frage nicht zuzulassen, das Gericht beschließt jedoch die Fragestellung. Der Zeuge erklärt darauf, solche Schriften nicht verbreitet zu haben. Bergmann Mai: Als ich heiraten wollte und das kirchliche Susgebot beim Pfarrer Jauemik anmeldete. verweigerte dieser dir Trauung so lange, bis er, Zeuge, die Agentur desGornoslazak". die er führte, niedergelegt haben würde. Der Zeuge erfüllte die Forderung und wurde dann getraut. Der geistliche Sachverständige Rat Buch mann erklärt aus die Frage des Verteidigers die Verweigerung der Trauung aus solchem Grunde an und für sich nicht gerechtfertigt. Er selbst würde sie nicht verweigert haben, schon deshalb, weil er ge- fürchtet hätte, den Betroffenen dann Veranlassung zum Konkubinat zu geben. Der Zeuge Reichs, und LandtagS -Abgeordneter Korfanty giebt eine längere Darstellung der Vorkommnisse bei der Verweigerung seiner kirchlichen Trauung Als nach mancherlei Schwierigkeiten, die sonst nicht üblich sind, der Tag der Trauung festgesetzt war. las Zeuge in derGrcnzzeitung". daß er nicht getraut werden sollte. Er stellte später sest. daß diese Nachricht aus dem Bureau des Polizeirats Mädler stammte. In der That wurde Zeugen zunächst eine sogenanntestille Trauung" zugemutet, was er zurückwies. Dann forderte man von ihm die bekannte Erklärung, daß er die Angriffe auf die Kirche be­reue und verspreche, sie nicht wieder zu erheben. Die Bescheinigung über die thatsächlich erfolgten kirchlichen Aufgebote stellte Erzpnester Schmidt so aus. daß Zeuge sie für eine Trauung im Ausland« nicht benutzen konnte. Durch hohe kirchliche Würdenträger in Galizien wurde Zeugen dann dort die kirchliche Trauung ermöglicht. Zeuge meint,«an habe ihm jene entwürdigende Erklärung im letzten Zeugen, ob er nicht aus Galizien ein- fragt, was diese thun habe. Der Augenblick vor der erwarteten Trauung abzupressen versucht, um ihn dann politisch totzumachen. Als das nicht gelang hoffte man, Zeuge werde sich an der standesamtlichen Trauung genügen lassen müssen, um ihn dann als im Konkubinat lebend bei den Katholiken herab- zuwürdigen. Zeuge hat sich über das Verhalten der oberschlesischen Geistlichen beim Papst beschwert, doch ist die Sache noch nicht ent- schieden. Der Staatsanwalt fragt den Zeugen Korfanty , ob er nicht insofern zum Renegaten geworden sei, als er zunächst katholische Theologie studieren wollte und auf diese Voraussetzung hin vom Erzpriester Schmidt die Mittel zum Studiuni empfangen, dann aber diese Erwartungen nicht erfüllt habe? Trotz Widerspruchs des Ver­teidigers läßt das Gericht die Fragen zu. Korfanty sagt, in der Jugend hatte er die Absicht, Theologe zu werden, in reiferen Jahren aber sei er davon abgekommen. Die Frage, ob er vom Erzpriester Schmidt die Mittel zum Studium erhalten habe, will Zeuge nicht beantworten, obwohl der Vorsitzende erklärt, er habe kein gesetzliches Recht, die Antwort zu verweigern. Zeuge sagt, die Beantwortung der Frage solle ihn nur als einen undankbaren Menschen erscheinen lassen und in der öffentlichen Meinung herabsetzen. Wenn er Wohl- thaten vom Erzpriester Schmidt empfangen habe, so seien sie von diesem doch nicht gegeben, damit er, Zeuge, damit seine Ueberzeugung ver- kaufe. Der Vorsitzende läßt es bei dieser indirekten Beantwortung bewenden. Bezüglich der Frage, ob Korfanty bei den Reichstags- Wahlen mit den Socialdemokratenpaktiert" habe, erklärt Zeuge, daß er den von der socialdemokratischen Partei für seine Unter- stützung in der Stichwahl aufgestellten Forderungen zustimmen konnte, da sie nur Punkte enthielten, die auch die polnische Partei in ihrem Programm habe. Zeuge bekundete dann noch, daß seine Partei den Stand der katholischen Geistlichkeit als solchen hochschätze und nie angreife oder gar in den Kot ziehen werde. Der Sachverständige, Geistlicher Rat B u ch m a n n, erklärt auf Befragen der Verteidigung, daß er die Verweigerung der Trauung im Falle Korfanty für eine Unklugheit halte. Zeuge Paschte, Auszügler in Sohrau , behauptet, sein Kaplan habe in einer Predigt die Wahl polnischer Abgeordnete in Oberschlesien scharf verurteilt und am Schlüsse in großer Erregung gesogt:Ich verfluche das katholische Boll in Oberschlesicn." Die Leute verließen darauf weinend die Kirche. Bei der Uebersetzung des polnischen Wortes fürverflucht" werden Zweifel geltend gemacht, ob es nicht alSbeschwören" verstanden werden könne. Die meisten Zeugen erklären, daß sie in der Beichte allerdings versprachen, die radikalpolnischen Blätter nicht weiter zu halten, daß sie dies Versprechen aber nicht hielten. Der Vorsitzende hält einem dieser Zeugen vor, daß er doch dann den Herrn Pfarrer belüge. Der Zeuge erklärt:Ich werde daS mit Gott abmachen. Ich halte es auch ftir keine Sünde. Ich muß doch Absolution für meine Sünden erhalten." In der Nachmittagssitzung wird die Zeugenvernehmung fort- gesetzt. Der 7Sjährige Invalide Polka wurde nach seiner Aussage vom Erzpriester Kobus aus der Beichte mit heftigen Worten fort- gejagt, weil er angeblich polnischer Agitator war. Einige Zeugen bekunden, daß mehrere Pfarrer von der Kanzel herab die polnischen und die socialdemokratischen Führer als Leute bezeichneten, die bloß Geld verdienen ivollten. In der Kirche zu Rybnik nannte ein Kaplan Schmikalla die polnischen Kandidaten Kolwalczyk und Korfanty Rotzlöffcl". Vor der Stich- Wahl hielt der Kaplan wieder eine politische Ansprache in der Kirche und sprach dabei mit überlauter Sttmme. Die Besucher wurden nach der Aussage mehrerer Zeugen so erregt, daß lauter Lärm entstand und Zwischenrufe:Wir lv ollen keine Politik in der Kirche!" erschallten. Alles lief dann aus der Kirche heraus. Es war nach der Aussage eines Zeugen schlimmer wie in einer Wählerversammlung. Als der Borfitzende einer Zeugin ivider darüber Borwürfe macht, daß sie den Pfarrer belogen habe, als sie in der Beichte ver- sprach, das polnische Blatt nicht mehr zu lesen, sagt die Frau kurz: Das ist doch meine Sache! Vorsitzender(erregt): Gewiß ist das Ihre Sache. Sie haben das mit Ihrem Gewiisen abzumachen, wenn Sie Ihren Beichtvater belügen! Stellenbesitzcr K u I i> ch in Vorowo ivar mit dem Pfarrer seines Ortes wegen seiner Sympathien für die polnische Bewegung in Differenzen geraten. Als er beim Ableben seines Kindes nicht in ''er Lage war, die BcgräbniSgebühren gleich zu bezahlen und den Pfarrer daher um Stundung bat, sagte dieser nach der beschwornen Aussage des Zeugen: Tu Lumpenkcrl kommst ohne Geld? Soll ich Dir es borgen? Begrabe Dein Sind, wo Du willst, mcinetwcgeu uuter dem Zaun! Vorsitzender: Aber hören Sie mal, daS ist doch nicht glaublich. Würden Sie bei Ihrer Aussage bleiben, wenn Ihr Pfarrer hier vor Ihnen stände? Zeuge: Ja, gewiß, es ist ja die Wahrheit. Ich habe sonst nichts gegen unsren Pfarrer. Zeuge hat nach seiner Erklärung da-Z Versprechen. daS er dem Pfarrer gegeben, das nattonalpolnische Blatt nicht mehr zu lesen, auch gehalten. Er lese jetzt gar nichts mehr. Zeuge Mainusch aus KoSwardzin sagt auS, daß sein Pfarrer ihn und andre Arbeiter der dortigen Zuckerfabrik dem Be- sitzer derselben durch einen Brief als Leser polnischer Blätter denunzierte. In der Kirche ließ dieser Geistliche für die CentrumS» Wähler beten, dann aber auch für die Gegner, damit sie vom heiligen Geiste erleuchtet würden. Andre Zeugen bekunden, daß manche Pfarrer und Kapläne auch Frauen und jungen Mädchen die Vergebung der Sünden verweigerten, zum Teil, weil diese selbst, zum Teil auch nur, weil die Eltern junger Mädchen, ja selbst schulpflichtiger Kinder die nationalpolnischcn Blätter lesen. Weinend kamen die nicht absolvierten Kinder nach Hause. Andern Kindern wurde die Teilnahme am Bcichtunterricht versagt. Eine Anzahl Zeugen sind zum Beichten über die Grenze nach Oestrcich gegangen. Dort erhielten sie Absolutton und die Geistlichen sagten ihnen, sie könnten ruhig denGornoslazak" lesen, eS sei ein gut katholisches Blatt. Bergmann G a st y r a auS Bogutschiitz: Mein 65 jähriger Schwiegervater war schwer krank und wollte beichten. Pfarrer Kwirtek kam mit dem Allerheiligsten in die Krankenstube, sah dort am Spiegel eine Postkarte mit Korfantys Bild und riß dieselbe heraus. Der alte Mann erzählte uns später, daß der G eistliche ihm dann einen Schwur abforderte, von der polnischen Bewegung zu lassen und nicht mehr denGornoslazak" zu lesen. Erst nachdem der alte Mann den Schwur geleistet, wurde er absolviert. Die Tochter des Alten bestätigt diese Darstellung in allen Punkten. Zahlreiche weitere Zeugen aus den verschiedensten Gegenden Oberschlesiens bekunden noch, daß ihnen die Gnadenmittel der Kirche wegen ihrer Zugehörigkeit zur polnischen Partei verweigert wurden, in mehreren Fällen wurde ihnen auch gesagt, daß sie aus einem christlichen Friedhof nicht begraben werden würden, wenn sie von der Bewegimg nicht lassen würden. Andre zahlreiche Zeugen bekunden, daß viele Geistliche noch grobe Schimpfworte gegen denGornoslazak" und die Führer der polinschen Bewegung ausstießen, auf der Kanzel und vor dem Altar, lieber die Kollegialität der Geistlichen giebt die Aussage eines Zeugen Auskunft, der bekundet, daß sein Pfarrer diejenigen Geistlichen, welche auf feiten der Polen stehen, als Judasse bezeichnete. Der Staatsanwalt behielt sich vor, mehrere der hier arg kom- promittterten Geistlichen noch an Gerichtsstelle zu laden, damit man nicht nur eine Seite höre. Da Freitag ein katholischer Feiertag ist, vertagt das Gericht die weitere Verhandlung auf Sonnabendvormittag 10 Uhr. Zur Erwiderung auf den Artikel Tempo und Taktik". (Vorwärts" Nr. 298, erstes Beiblatt.) Da ich weder Zeit noch Neigung habe, die Leser deSVor­wärts" mit einer vom Hundertsten ins Tausendste gehenden Polemik zu belästigen, beschränke ich meine Erwiderung auf den im Titel er- wähnten Artikel des Genossen 8. auf zwei Puntte. Erstens. 8. stellt die Sache so hin, als hätte ich der Partei eine auf die Zusammenbruchstheorie zugespitzte Takttk, Hyperradika- lismus und dergleichen vorgeworfen. Das genaue Gegenteil ist aber der Fall. Ich habe von Anbeginn meiner Kontroverse an wiederholt darauf verwiesen, daß die wirkliche Takttk der Partei, im Gegensatz zu einer gewissen hyperradikalen Phraseologie, nicht auf das Schema der Zusammenbruchstheorie zugespitzt ist. Speciell hatte ich da die u. a. von Parvus seiner Zeit in derSächsischen Arbeiterzeitung" ent- wickelten Ideen im Auge, die in dem Satz gipfelten:Gebt uns auf ein halbes Jahr die Regierungsgcwalt und die kapitalisttsche Gesellschaft gehört der Geschichte an". Das ward im März 1893 geschrieben, und mit Rücksicht auf diese Art Ansichten, die damals zur Verurteilung gewerkschaftlicher Tarifverträge zc. führten, habe ich erklärt, daß die wirtschaftliche Entwicklung im allgemeinen und die der Arbeiterklaffe im besonderen dazu noch nicht reif seien. Wenn jetzt 8. in seiner Antwort ausftihrt, daß wirvielleicht schon in einem Menschcnalter die Masse deS Volkes auf unsre Seite ge- bracht haben werden": daß man dann also etwa um 1939 bis 1940 eine Demokratisierung des StaatslebenSwohl oder übel dulden müssen werde"; daß die Eroberung der polittschen Macht nicht gleichbedeutend mit Errichtung des Zukunfts- staateS sein, aber uns die Möglichkeit geben wird, schritt- weise, organisch unsre socialistischen Ideale in die Wirklichkeit zu übertragen" so gebe ick ihm ohne weiteres zu, daß das wirklich kein HhperradikaliSmus ist. Ich fürchte vielmehr, daß eS dem Genossen 8. in den Geruch des Hyperrevisionismus bringen wird. Ob Genosse v. Elm jemals die politische Bewegung gegenüber der Gewerkschafts- bewegung als sekundär hingestellt hat, weiß ich nicht, möchte es aber bezweifeln. Daß ich selbst von solcher Auffassung weit entfernt bin, zeigt das KapitelDemokratie und Socialismus" in meiner Schrift Die Voraussetzungen des Socialismus" und habe ich in unzähligen Vorträgen in GewerkschastS- und polittschen Versammlungen aus- cinandergesetzt. Der erft« Vortrag, den ich nach meiner Rückkehr für eine Gewerkschaftsversammlung übernahm, trug den Titel:DaS Reich der Gewerkschaften und seine Grenzen". Ueberhaupt darf ich mich auf meine Vorttäge als greifbarste Widerlegung der 3.'schen Unterstellungen berufen. Soviel über diesen Punkt und nun zum zweiten. ES handelt sich um meine Stellung zur Kolonialfrage. Zuerst führt da 3. aus, daß, weil ich geschrieben habe, im kolonialen Erwerb liege nichts von vornherein Verwerfliches, ich logischerloeise die Weltpolitik, den MariniSmuS, den Militarismus und der Hiimnel weiß Ivas noch unterstützen m u ß. Ich weiß nicht, ob Genosse 8. Kaffee trinkt, Cigarren raucht und Baumwollen-Wäsche trägt. Thut er eS, so mache ich mich anheischig, ihm mit mindestens der gleichen Logik nachzuweisen, daß er Malayen in Hörigkeit hält, auf Kuba zc, Plantagenwirtschast treibt und in den Vereinigten Staaten Neger lyncht. Es ist ein starkes Stück, in dieser Weise Folgerungen abzuleiten. Aber, sagt 8., den englischen Genossen empfiehlt ja auch Genosse Bernstein die Kolonialpolittk; wenn er für Deutschland noch nicht dasselbe gethan hat, so liegt das entweder an einem Mangel an Offenheit oder an Konsequenz des polittschen Denkens. Zunächst quitttere ich dankend das hierin liegende Kompliment der Feigheit und Konfusion. Ich kenne die Weise, ich kenne den Text:c. zc. Also ich habe den englischen Arbeitern auchdie Kolonial- Politik" empfohlen. Kolonialpolittk ist ein vieldeutiges Wort. Welche Kolonialpolittk habe ich den englischen Genossenempfohlen"? Es kann sich hier offenbar nur um Kolonial e r w e r b S Politik, Ein- treten für Vermehrung von Kolonialbesitz handeln. Hören wir also meinen Arttkel aus dem Jahre 1900, auf den zu verweisen Genosse 8. so liebenswürdig ist. Ich unterschreibe ihn auch heute noch von Anfang bis z u Ende. Es liegen aber eine ganze Reihe Anzeichen dafür vor, daß auch England am eignen Leibe zu spüren haben wird und teilweise auch schon spürt, daß man nicht ungestraft über eine ge- wisse Grenze hinaus Kolonien besetzen kann."... Schließlich ist aber die Anschauung(durch die Kolonien) so stark geworden, daß seine(Englands) internationale Führerschaft in der industriellen Entwicklung darüber in die Brüche zu gehen droht, ja zum Teil schon in die Brüche gegangen ist."... In dem Maße, als es in der technischen Leistungsfähigkeit hinter andern Ländern zurücktritt, wird die Aufgabe, seinen Kolonialbesitz zu halten, immer schwerer, beginnt derselbe, ernsthaft als eine drückende Last empftmden zu werden und auf die Entwicklung des Heimatlandes hemmend einzu- wirken"... England ist politisch und social zu vorgeschritten, als daß sich die Rückwirkung des Drucks seiner Kolomalaufgaben in Form direkter Reaktton äußern könnte. Selbst in diesen Tagen imperialistischer Hochflut hat die Demokrattsierung seiner Jnsti- tuttonen weitere Fortschritte zu verzeichnen. Ader wer genauer zusieht, wird bald entdecken, daß das Tempo seiner Reformbewegung sich mindestens relattv im Verhältnis zu der andrer Länder verlangsamt und solches Verlangsamen ist in seiner Wirkung ebenfalls Reaktion... Kurz, man kann heute auch von Englands Kolonialbesitz sagen: weniger wäre mehr".(Socialifttsche Monatshefte, Mai 1900, S. 557/558.) Das war im April 1900 geschrieben, mehrere Monate vor der offiziellen Annexion des Transvaal . ES Logik dazu gehören, auS diesen Sätzen deS Artikels eineEmpfehlung" deS herauszulesen. Thatsächlich ist eS eine S m e h r u n g d e s Kolonialbesitzes. d. h. daß England für seine industrielle überbürdet ist, habe ich mich damals ausgesprochen. Erst vor kurzem wieder. Redaktton derContemporary Review" um einen Artikel Gründe des Wachstums des deutschen Exportes würde eine eigenttimliche und dem sonstigen Inhalt Erwerbes neuer Kolonien Larnung vor Ber » Und in gleichem Simre, Spannkraft kolonial und seitdem wiederholt habe ich, als mich die über die ersuchte. diesen Arttkel, der im Dezemberheft der genaimten Zeit- schrift abgedruckt ist, ausführt, daß mich in der Zukilnst der deutsche Export wachsen wird, in durchsichtiger Nutz- anwendung mit den Worten geschlossen:Diese Entwicklung haben nach Ansicht deS Schreibers nur diejenigen Nattonen zu fürchten, welche ihr Unterrichtswesen vernachlässigen, mehr geistige Kräfte, als sie erübrigen können, für über- seeische Unternehmungen aufbrauchen und durch ihre Handels- und Gewerbepolittk oder andre Experimente das Leben und die Arbeit daheim künstlich verteuern."(Contemporary Review", Dezember 1903, S. 787.) Sehr ermunternd für loloniallüsterne Eng- länoer, nicht wahr? ) Leider hat sich infolge des Stoffandranges namentlich während der Tagung der Parlamente der Abdruck dieser Entgegraing bis heute verzögert. Glücklicherweise handelt es sich bei dieser Diskussion um Fragen, die heuteoch ebenso der Erörterung Ivert sind, wie vor Monaten. Der Zufall hat es sogar gewollt, daß sowohl das von Bernstein erörterte Kolonialproblem als auch die vom Genoffen K o l b in einer andren Entgegnung, die wir nächster Tage bringen werden, erörterten anderweitigen takttschen Fragen durch die bekannten in letzter Zeit geführten Diskussionen sozusagen wieder aktuell" geworden sind. Die Red.