erklärt, zu bleiben und sich desavouieren zu lassen, falls der König das wolle. Dieser hat sich für das Bleiben des Kultusministers ausgesprochen, und dessen Aeußrrungen find heute in der„Post" und der„Nordd. Allg. Ztg." förmlich dementiert; das Entlassungs- gcsitch ist kassiert. Graf Stolberg war aber der Meinung, daß das nur auf kurze Zeit helfen werde." Das ist die politische Moral. Ist einmal ein Minister zufällig so leichtsinnig, die Wahrheit zu sagen, so wird die offiziöse Presse herbeigeholt, um den Unseligen Lügen zu strafen. Und erst wenn öffentlich festgestellt ist, daß er gelogen hat, als er die Wahrheit sagte, ist der Minister weiter würdig, im Amte zu bleiben. Das Negieren ist, wie man sieht, nicht nur ein dummes, sondern auch ein schmutziges Geschäft, wofür übrigens der fromme Herr Bosse kein Verständnis gehabt zu haben scheint; denn er widmet der offiziösen Schwindelei kein Wort der Kritik. Wenn die„Norddeutsche Allgemeine Zeitung" also etwas ab- leugnet, so kann man immer annehmen, daß sie eine Wahrheit zu eskamotieren den Auftrag hat.— Vom KönigSberger ,�Hochverrats"-Prozeß. Der Zar aller Reußen macht den preußischen Gerichten viel Mühe. Mehr als ein halbes Jahr bereits arbeitet die Königsberger Justiz zum Schutz des befreundeten Rußland . Und noch immer ist der Mühe kein Ende abzusehen, immer neue Versuche werden untemommen, auf daß nur nicht der russischen Regierung eines Tags die traurige Mit- teiluug gemacht werden muß: Euer von uns erbetener Strafantrag ist erfolglos geblieben! Zu den von der Königsberger Staatsanwaltschaft Augeschuldigten zählt, wie bekannt, auch unser Genosse Pätzel, der in der Buch- Handlung Vorwärts thätig ist. Auch gegen ihn wird die absonderliche Anschuldigung erhoben, er habe durch Versendung russischer Schriften „Beihilfe zum Hochverrat gegen den russischen Staat und zur Majestätsbeleidigung wider den Zaren" geleistet. Jetzt ist nun auf Antrag des Königsberger Staatsauwalts das gesamte Personal der ELpedition des„Vorwärts" auf das Polizeipräsidium geladen und daselbst über den Vertrieb russischer Litleratur ver- Kommen worden. Der Königsberger Staatsanwalt hat anscheinend nach den bis- herigen Ergebnissen der über halbjährigen Voruntersuchung noch immer starken Bedarf nach Belastungsmaterial. Doch wir verstehen durcharis: um Väterchens willen ist keinerlei Mühe zu teuer!— Die Vertagung des Abgeordnetenhauses. Der Seniorenkonvent des Abgeordnetenhauses einigte sich dahin, daß das Abgeordneten- haus am Donnerstag nächster Woche seine letzte Sitzung abhält und sich dann vertagt, bis das Herrenhaus seine Beratungen vor der Sommerpause beendet hat, was voraussichtlich am 2. Juli der Fall sein wird. Man einigte sich weiter dahin, daß der Regierung der Wunsch ausgesprochen werden soll, die Vertagung unter Mirwirkung der Regierung bis zum 18. Oktober dauern zu lassen. Erledigt sollen noch werden: Wahlprüfungen, die beiden Meliorations - vorlagen, daS Lotteriegesetz, die Seehandlungsvorlage.— Speck der Dankbare. Es war eine diplomatische Sensation, als der junge Speck v. Sternburg plötzlich und trotz seiner Jugend zum Botschaster bei den Vereinigten Staaten von Nordamerika er- hoben wurde. Speckchen hat fabelhast schnell Karriere gemacht. Er sucht aber auch in seiner Weise sich dankbar zu erweisen. In N e w V o r �, so wird von dort telegraphiert, fand am Freitag ein deutscher Kriegertag statt. Da hielt der Botschafter eine Rede, in der er ausführte: „Der Anblick der Veteranen rufe mächtige Erinnerungen wach an die hehren Gestalten des großen Kaisers und seines großen Paladins Bismarck, deren Thaten den Geist der Zusammen- geHörigkeit aller Deutschen wachgerufen hätten. Kaiser Wilhelm I. ruhe jetzt unter dem Heldenlorbeer; aber Gott habe Deutschland ein neues Rüstzeug gegeben: Kaiser Wilhelm II. habe das Erbe seiner Väter treu gewahrt. Se. Majestät Kaiser Wilhelm ihn beauftragt, dem nationalen Schützenbund einen deutschen Schützenadler zu überreichen; derselbe solle die Brust des jeweiligen Präsidenten schmücken. Auf Befehl seines kaiserl. Herrn lege er dem Präsidenten Kröger das Symbol an. Wir wissen nicht, ob der Botschaster im Verlauf seiner kurzen Karriere einmal B y z a n z berührt hat.— Normann-Schumann, der Geheimnisvolle, den die Berliner Staatsanwaltschaft seit langem wegen Majestätsbeleidigung steckbrieflich verfolgt, hat ebenso viel Vertrauen in die Polizei- blindheit wie Freiherr v. Mirbach in seine Hofbankiers. Und sein Vertrauen ist ebenso berechtigt. Normann-Schumann scheint sich gegenüber der Polizei einer Tarnkappe zu erfreuen, die ihn unsicht- bar nmcht. Thatsächlich ist Normann-Schumann vor ungefähr 14 Tagen hier in Berlin gewesen und hält sich gegenwärtig in Thüringen auf, jedenfalls um von der Mühe, dem Staats- anwalt verborgen zu bleiben, Erholung zu suchen.— Todesmarsch. Aus Fürth wird telegraphiert: Das 19. In- fanterie-Regiment in Erlangen marschierte am 16. Juni nachts von 12 Uhr stundenlang zu einem Exerzierplatz, wo feldzugsmäßige Gefechtsübung stattfand. Auf dem Rückmarsch kam es am 17. Juni gegen 4 Uhr nachmittags durch Fürth . Hier fielen wegen der großen Hitze an 4(1 Mann um. Zwei sollen tot sein. Da die Mannschaften nicht weiter konnten, ließ sie der führende Major in einem Walde lagern. Eine Compagnie fuhr von Fürth mit der Bahn nach Erlangen. — Die Bolksschullehrer in Württemberg . Stuttgart . 17. Juni. Die Kammer der Abgeordneten hat beschlossen, eine Eingabe der Bolksschullehrer, ihnen den Besuch der Hochschulen zu ermöglichen und einen Lehrstuhl für Pädagogik zu errichten, der Regierung zur Erwägung zu überweisen. — Ein Bild der Zeit. Ein Siebzigjähriger wegen Majestätsbeleidigung verurteilt! Bor der Strafkaminer in Saarbrücken stand der frühere Kaufmann, jetzige„Landstreicher" Adolf Kümmel aus Iserlohn , weil er. als ihn in St. Wendel ein Gendarm beim Betteln traf, als Majestats- beleidigung ausgelegte Aeußerunaen über den Kaiser t hat. Der Alte, ein iveißhaariger Mann, ist schon zweimal wegen Majestäts- beleidigung vorbestraft. Man verurteilte ihn zu sechs Monaten Ge- fängnis und überwies ihn wegen Landstreicherei der Landes- polizei.— Hudland. Rußland. Zur Aufklärung. In der Nr. III des„Vorwärts" vom 12. Mai 1904 haben wir nachstehende Notiz veröffentlicht: „London , 7. Mai. Auch die heutige„Morning Post" hat eine Warschauer Korrespondenz von Munro, der von der schweren Ge- schästskrisis berichtet, ebenso von der Stärke und dem revolutionären Geiste der dortigen Socialdemokratte. Dagegen hält er die P. P. S. (Socialistische Partei Polens ) für nichtrevolutionär und deshalb weniger von der Regierung gefürchtet. Die P. P. S. verwische sich unbemerkbar mit der nationalistischen Partei Polens. —" Diese Notiz hat in einem Teil der Presse den Eindruck hervor- gerufen, als ob die Redaktion des„Vorwärts" das Urteil des War- schauer Korrespondenten der„Morning Post" zu dem ihrigen ge- macht habe. Der im„Vorwärts" vom 12. Mai veröffentlichte Auszug aus der Korrespondenz der„Morning Post" ist übrigens nicht wörtlich. Der Satz der„Vorwärts"-Notiz:„Dagegen hält er die P. P. S. sSocialistische Partei Polens ) für nichtrevolutionär und deshalb weniger von der Regierung gefürchtet" sollte nur die Inhaltsangabe deS korrespondierenden Satzes der Originalkorrespondenz der „Morning Post" sein, der lautet:„Die... P. P. S.(Partei der Polnischen Socialisten)... tritt mehr öffentlich auf und ist des- halb(nach Ansicht also des Korrespondenten des englischen Blattest weniger zu fürchten." Es lag uns natürliS gänzlich fern, das Urteil des Korrespon- denten der„Morning Post" über die socialistischen Organisationen in Russisch-Polen als richtig und den Thatsachen entsprechend hinzu- stellen. Die P. P. S.(Socialistische Partei Polens ) ist, wie uns von beteiligter Seite versichert wird, seit über zehn Jahren die politische Klassenorganisation der Massen des polnischen und eines Teils des jüdischen Proletariats in Russisch- Polen. Die zahlreichen Kundgebungen der P. P. S.— besonders seit dem Kriegsausbruch—, die von ihr organisierten Arbeiter- demonstrationen und Streiks, die Presse und die Schriften der P. P. S. — das alles beiveist ihren revolutionär-socia- listischen Charakter zur Genüge. Zu der nationalistischen Partei Polens steht die P. P. S. im aller schärfsten Gegen- satz, der gerade jetzt besonders heftig zu Tage tritt.— Amerika . Vom inneren Kriegsschauplatz. Aus den letzten Meldungen ans den Vereinigten Staaten ist zu ersehen, daß die Schreckensherrschast, welche die Grubenbesitzer im Staate Colorado errichtet haben, unverändert fortdanerl. „Die Kanonen, meine Herren, das ist die Veriassung," sagte einst Ferd. Lassalle in einer Rede den Berliner Bürgern, und es ist drüben wie hüben, wenn es znm äußersten kommt. Da sind die Amerikaner so ungeheuer stolz auf ihre Verfassung, die jedem Bürger volle Freiheit und Gleichheit neben jedem andren Bürger garantiert, und mit Füßen getreten wird diese Verfassung jedesmal in dem Augenblicke, wo es sich um die Interessen der durch ihren Besitz Mächtigen und Herrschenden handelt. Gegen die streikenden Bergleute in Colorado wird mit einer unerhörten Brutalität und Ruchlosigkeit vorgegangen, und kein Hahn kräht nach den verletzten heiligen Rechten amerikanischer Bürger. Man hat die Führer der Arbeiter mißhandelt; man hat Streiker, die sich nnliebsam bemerkbar machten, überfallen und zu Hunderten deportiert, einfach mit Gewalt auf einen Eisenbahnzug geschleppt und außerhalb des Staates gebracht. Man hat andre ins Gefängnis geworfen, man hat Rede-, Preß- und Versammlungsfreiheit unterdrückt. Man hatrichterliche Enlscheidnngen, vor denen derAmerikaner im gewöhnlichen Leben einen heillosen Respekt hat, unbeachtet gelassen oder sogar denselben entgegen gehandelt, sobald solche Ent- scheidungen den Streikern Rechte zugestanden. General Bell an der Spitze der Staatstruppen beherrscht die Situation und gehorcht den Befehlen des Gouverneurs von Colorado , Peabody; dieser fügt sich willig den Wünschen der Kapitalisten, welche die Unterwerfung der Arbeiter um jeden Preis fordern. Es herrscht die Revolution in Colorado , die Revolution von oben, und in Washington stellt man sich blind und sieht nichts. Der Krieg in Ostasien . Die letzten Tage haben mehrere wichtige Ereignisse auf dem Kriegsschauplatze gebracht: eine schwere rnsfische Niederlage auf der Liaomng-Halbinsel und einen bedeutenden Erfolg der Wladiwostok - Flotte. Die russische Niederlage erfolgte in einer zweitägigen Schlacht bei T e l i s s u nordöstlich von F u t s ch o u. Eine starke russische Armee von 2Vz Divisionen wurde von den Japanern geworfen. Die Japaner erbeuteten 13 Geschütze und mehrere Fahnen. Die Russen zogen sich zurück. Weitere Kämpfe zwischen den bei Telissu engagierten Truppen dürften bevorstehen. Haben bei Telissu die Russen die dritte große Niederlage zu Lande erlitten, so haben sie gleichzeitig zur See den ersten wirk- lichen Erfolg errungen. Die drei großen Kreuzer der Wladiwostok - Flotte überraschten mehrere japanische Transportschiffe, von denen sie zwei versenkten; das Schicksal eines dritten Transportschiffes ist unbekannt. Gegen 1000 Japaner sollen mit den Schiffen gesunken sein, dazu Pferde und Kriegsmaterial. Und die russischen Kreuzer sind nach geftihrtem Schlage entkommenl Wenn eS den Japanern nicht gelingt, die Wladiwostok -Flotte unschädlich zumachen, könnten sich solche Ueberfälle wiederholen. Ueber die Schlacht bei Telissu liegt noch folgende russische Meldung vor: Petersburg » 16. Juni. Wie Generaladjutant Kuropattin von heute meldet, hat General Baron Stackelberg um 1 Uhr 29 Min. nachts heute folgendes Telegramm gesandt: Am 16. Juni beabsichtigte ich den rechten Flügel des Gegners anzu- greifen. Während die hierzu bestimmten Truppen den rechten feindlichen Flügel erfolgreich zu bedrängen begannen, griffen die Japaner ihrerseits meinen rechten Flügel mit über- legenen Streitkräften an. Ich wurde gezwungen, meine ganze Reserve vorzuschieben, sie erwies sich aber als ungenügend. Ich sah mich genötigt, auf drei Wegen in der Richtung nach Norden zurückzugehen. Die Verluste sind groß, aber noch nicht genau bekannt. Im Laufe des Kampfes wurden die dritte und vierte Batterie der ersten Artillerie-Brigade von den Geschossen der Japaner buchstäblich überschüttet. Bon 16 Geschützen wurden 13 völlig unbrauchbar gemacht und aufgegeben. Die Haltung der Truppen war vor- trefflich. Viele Truppenteile zogen sich erst auf wiederholten Befehl zurück. Ueber die Versenkung der japanischen Transportschiffe wird aus Japan gemeldet: Tokio , 17. Juni. Amtlich wird gemeldet: Am Morgen des 15. Juni erschien das Wladiwostok -Geschwader, bestehend aus den großen Kreuzern„Rossija",„Gromoboi" und„ R u r i k" in der Koreastraße und griff die japanischen Transportschiffe an. Von der, H i t a ch i M a r u". die sank, retteten sich nur wenige, von der„ S a d o M a r u", die mit Torpedos be- schössen wurde, aber nicht unterging, nimmt man an, das die Mehrzahl der Mannschaft gerettet wurde. Das Schicksal der „Jzumi Maru" ist unbekannt. Das Geschwader wurde am 16. Juni bei der Insel Ott gesehen. Die Flotte des Admirals Kamimura ging am 15. Juni zur Verfolgung des Wladiwostok -Geschwaders ab. Tokio , 17. Juni. (Meldung des„Reuterschen Bureaus".) Wahrscheinlich hat der Nebel wieder das russische Wladiwostok -Geschwader gerettet. Ueber Vor- gänge, die sich auf der See abgespielt haben sollen, sind viele Ge- rüchte im Unilauf, die aber alle unbestätigt sind. Admiral Trunoda hat eine Torpedobootsflottille zur Verfolgung der Russen entsandt; Wind, Regen und Nebel ließen jedoch ein erfolgreiches Vorgehen nicht zu. Tokio , 17. Juni. Die Ueberlebenden von der„Hitachi Maru" erzählen, daß sie die russischen Schiffe um 7 Uhr morgens in Sicht bekommen hätten, später auf Signal gestoppt, aber um 10 Uhr versucht hätten zu entkommen; darauf wären durch das Feuer der Russen innerhalb weniger Minuten an 200 Leute getötet worden. Das Deck wäre mit Leichen bedeckt gelvesen. Der englische Kapitän Compbell sprang, wie Iveiter be- richtet wird, über Bord und wird vermißt; der erste Ingenieur wurde auf der Kommandobrücke getötet; der Kommandeur der Landungs- ttuppen und der zweite Offizier begingen Selbstmord. Viele von den Mannschaften flüchteten sich in den Booten. Die„Sado Maru" sah die Russen 35 Meilen westlich von der Insel Shiro, be- obachtete aber die Befehle zum Stoppen nicht; darauf schössen die Russen und signalisierten das Schiff zu verlassen. Die Be- fatzung ging in die Boote und viele entkamen, das Schiff wurde dann m Brand gesetzt. partei-I�aelmebten. Bald so, bald so! Es ist ein beliebtes Zugstück der„Post" nebst Anverwandten, zu behaupten, die Vertreter der Socialdemokratte im Reichstage seien ja gar keine Arbeiter. Jetzt weih sie's auf ein- mal besser. Sie findet, daß Zubeil eigentlich nichts weiter wie Tischlergeselle sei, Adolf Hoffmann Vergoldergeselle und Dutzende andre, die jetzt einen Reichstagssitz inne hätten, wären auch nichts andres gewesen. Da hat die„Post" ganz recht, und wir verraten ihr gewiß kein Geheimnis, wenn wir noch besonders darauf auf- merksam machen, daß auch in den socialdemokrattschen Redaktions- stuben meistens solche„Gesellen", Schustergesellen, Schneidergesellen, Bäckergesellen und dergleichen sitzen. Und wenn es einmal in Deutsch - land soweit sein wird wie in Australien , dann werden sich die Schustergesellen sogar frech auf die Ministersessel setzen, ohne die „Post"-Esel um Erlaubnis zu fragen. Die socialdemokratische Partei ist unter der Führung der Schuster- usw. Gesellen bisher recht wohl gediehen; solche Leute jedoch, die zum„Post"-Redakteur oder zum Ministet von preußischen Junkers Gnaden gut genug sind, die wären sicher zum Schuster nicht gut genug— weil man als Schuster etwas gelernt haben muß. Die Breslauer„Bolkswacht" teilt mit, daß ihr Abonnentenstand innerhalb Jahresfrist um 3000 gestiegen ist. polfceUtcbes, Gcrlchtlichco uf». Die Polizei im Polizcistaate. Wegen Beleidigung eines ehenialigen Polizeibeamten wurde gegen den Redakieur der„Frankfurter Volks stimme", Genossen Zander in Frankfurt a. M. öffentliche Klage erhoben. Zander hatte im September v. I. eine Notiz aus Griesheim ver- öffentlicht. Darin war mitgeteilt, daß dem dortigen Polizei- Wachtmeister Holtmann seine Stellung gekündigt worden sei. Dies sei geschehen, weil Holtmann sich im Dienste fortgesetzter Diebstähle, der Urkundenfälschung im Amte und der Verleitung zur Unter- schlagung schuldig gemacht habe. Das Verfahren gegen Zander wurde längere Zeit ausgesetzt, bis ein gegen Holtmann schwebendes Strafverfahren wegen Dieb- stahls erledigt war. Dieses endete mit der Freisprechung Holt- manns. Das Gericht in Höchst nahm an, daß Holtmann nicht die Absicht gehabt habe, sich die von andren Beamten beschlag- nahmten Gegenstände, einen Kamm und zwei Besen, dauernd an- zueignen. Genosse Zander trat für andre, dem Holtmann zur Last gelegten Diebstähle und Verfehlungen einen umfangreichen Wahrheits- beweis an. Die Polizeisergeanten Schwerberger und Ommert be- kündeten, daß Holtmann zwei beschlagnahmte Körbe voll Pfeffer- minzen teils verschenkt und seinen eignen Kindern gegeben hat. Durch die beiden Zeugen wurde ferner festgestellt, daß Holtmann ein beschlagnahmtes Gewehr fast ein Jahr lang im Besitz hatte! l Dieses Gewehr hat er erst zurückgebracht, als er von einer gegen ihn und den Polizeibeamten Trippel gerichteten Anzeige wegen mehrerer Diebstähle Kenntnis bekommen hatte. Diese Anzeige, welche nach der eidlichen Bekundung Schwerbergers der Bürgermeister Wolf mehrere Monate in seinem Schreibtische liegen ließ, hatte Holtmann nachts eingesehen; am andren Morgen wurde auch das Gewehr wieder gebracht. Als Schwerberger dem Gemeindesekretär Drömann von dem Diebstahl Mitteilung machte, meinte dieser: Er solle es nur anzeigen; es würde noch mehr ge- stöhlen und käme doch einmal zum Bruch. Auch andre beschlagnahmte Sachen, wie Galanteriewaren und dergleichen, kamen abhanden. Festgestellt wurde ferner, daß Holtmann im Februar 1903 den Polizeisergeanten Schwerberger zu verleiten suchte, 76 Kilo gestohlenes und beschlagnahmtes Blei zu verkaufen und den Erlös mit ihm zu teilen. Auch die Verleitung zu Urkundenfälschungen wurde bewiesen. Zeuge Bureaugehilse Diener hat, wie er eidlich be- kündet, in mehreren Fällen seinen Namen unter Naturalisattons- antrüge setzen müssen. Einer der Anträge wurde sogar von der Heimatsbchörde des Antragstellenden an die Griesheimer Behörde zurückgeschickt, mit dem Bemerken, die Unterschrist könne nicht echt sein, da der Antragsteller eine ungenügende Schulbildung genossen habe. Ferner hat Holtmann zwei Signalhupen, die beschlagnahmt waren, seinen Kindern geschentt. Schwerberger bekundet ferner noch, er sei verdächtigt worden, gegen eine Vergütung von 6 Mark eine gegen einen gewissen Refior gerichtete Anzeige unterschlagen zu haben. Später habe sich herausgestellt, daß Holtmann von dem Refior 3 M. erhalten habe. Holtmann scheint auch sonst als Beamter keinen einwandsfreien Lebenswandel geführt zu haben. Nach der eidlichen Aussage des Bürgermeisters Wolf wurde Holtmann entlassen, weil er sich oft betrunken und sogar einmal ein Mädchen betrunken gemacht hat. Wolf erklärte auch auf Befragen, daß der Artikel nicht die Veranlassung zur Entlassung gewesen sei; diese war schon jbeschlossen, als der Arttkel erschien. Dem Zeugen Schwerberger hat Holtmann selbst erzählt, er habe einmal ein Mädchen, welches keine Wohnung hatte, zu seiner Frau führen wollen, habe es aber auf die Polizeiwache gebracht. Das Mädchen sei ihm aber nicht zu Willen gewesen, er habe eS dann wieder entlassen. Auf Befragen muß der Bürgermeister zugeben, daß nach der Entlassung des Holtmann noch eine Rechnung für sogenannte Stammbücher bezahlt werden mußte. Den Verkauf dieser Bücher hatte Holtmann und ein andrer Beamter unter sich. Wer das nicht abgelieferte Geld für sich verwendet hat, konnte nicht ermittelt iverden. Die Beamten Schwerberger und Ommert, denen der Bürgermeister Wolf auch in der Verhandlung noch das beste Zeugnis ausstellt, wurden entlassen, weil sie„unbotmäßig" gegen Holtmann gewesen sein sollen. Diese Beamten verwahren sich dagegen. Holtmann habe in bettunkenem Zustande von ihnen Sachen verlangt, wozu er nicht berechtigt>oar. Trotz seiner Verfehlungen scheint sich Holtmann der besonderen Gunst des Bürger- meisters zu erfteuen. Dieser hat verschiedentlich versucht, ihm Stellen zu verschaffen, was er bei den andern Beamten, die sich gut geführt haben, nicht gethan hat. Auch der Antrag des Gemeinde- rats, Holtmann eine Gnadenpension von 30 M. per Monat zu geben, deutet darauf hin. Durch eine zweite in der„Volksstimme" er- schienene Notiz will Holtmann bei Kleyer, wo er eine Stelle bekommen hatte, entlassen worden sein. In der Notiz war der Ver- wunderung darüber Ausdruck gegeben, daß Sin solcher schwerbelasteter Mann als Aufseher in einer Fabrik angestellt wird. Er tritt deshalb als Nebenkläger auf und verlangt eine Buße von 1000 M. Es müßte geradezu in Erstaunen setzen, daß Zander bei dieser Sachlage verurteilt werden könnte, wenn wir nicht wüßten, daß wir im Polizeistaate leben, der sein Heiligstes unter allen Umständen vor unheiliger Krittk schützen mutz. Das Urteil gegen Zander lautete auf 200 M. Geldstrafe und 600 M. Buße an Holtmann. Das Gericht nahm an, daß der Beweis für die schweren Ver- brechen nicht erbracht sei. Zweifellos habe sich Holtmann große Uebergriffe und Pflichtwidrigkeiten erlaubt; kriminell strafbare Ver- gehen wären es aber nicht. Das Gewehr hat er in unberechttgter Weise benutzt. Das Gericht ist auch davon überzeugt, daß Holtmann das Gewehr erst zurückbrachte, nachdem er die gegen ihn gerichtete Anzeige gelesen hatte. Bei dem Blei bleibt es auch bei einer groben Pflichtverletzung. Eine Verleitung zum Verkauf des Bleies sei nicht Die Gehirnerschütterungen im Taunus . In dem halsbrechenden und gehirnerschütternden Kampfe um die„Ehre der deutschen Industrie"— Gordon Bennett - Rennen ge- nannt— ist die deutsche Industrie, wenn der Sieg denn entscheidend sein soll, ehrlos geworden. Es wird nämlich folgende Botschaft telegraphiert: Saalburg , 17. Juni, 5 Uhr 15 Min. nachmittags. Thöry passierte das Ziel nach 5 Stunden 50 Minuten 3 Sekunden, Jciiatzy«ach 6 Stunden 1 Minute 21 Sekunde». Thöry ist Sieger. Thery ist der Vertteter der ftaitzösischen Automobil- Industrie, Jenatzh hat bei dem vorigen Rennen die deutsche„In- dusttie" zum Siege geführt. Weine Deutschland über dies— Benzin-Jena l
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