Den wichtigsten Punkt der Tagesordnung bildete die Besprechung der agrarischen Interpellation über das Aus- führungsgesetz zum Schlachtvieh- und Fleisch- beschau-Gesetz. Wie erinnerlich sein dürfte, haben vor etwa einem Monat im Herrenhause einige Oberbürgermeister für die Schlachthausgemeinden das Recht in Anspruch genommen, das auswärts bereits tierärztlich untersuchte Fleisch einer noch- maligen Untersuchung in den städtischen Nntersuchungsämtern zu unterwerfen. Der Landwirtschaftsminister v. Podbielski hat gegen diese Auslegung des Gesetzes sofort protestiert. Aber offenbar gilt Herr v. Podbielski selbst seinen agrarischen Freunden nicht als Autorität auf dem Gebiet der Auslegung von Gesetzen. Deshalb richteten sie an die Regierung die Anfrage, welche Auslegung sie den betreffenden Gesetzes- Paragraphen giebt. Da nun die übrigen Minister zur Zeit durch Festlichkeiten der verschiedensten Art ungewöhnlich stark in Anspruch genommen sind, so mußte wiederum der brave Podbielski auf der Bildfläche erscheinen, der natürlich dieselbe Rede wie im Herrenhause hielt, aber— und das ist charakteristisch für die Art, wie bei uns Gesetze gemacht werden— hinzufügte, die Regierung sei der Meinung, daß die Gerichte in anderm Sinne entscheiden könnten, da der ß 5 des Gesetzes nicht deutlich genug gefaßt sei. Eine Novelle, um das Gesetz klarer zu fassen, glaubt die Regierung nicht in Aussicht stellen zu können. In der Debatte platzten, wie stets bei derartigen Gelegew heiten, die Anschauungen der Agrarier und der Städter auf einander. Die Agrarier und mit ihnen ihr Schirmherr Podbielski sind der Meinung, daß die tierärztliche Untersuchnng genügt, daß eine nochmalige Untersuchung in städtischen Schlacht- Häusern hygienisch zwecklos sei und nur das Fleisch verteuere. Die Vertreter der Städte dagegen halten, gestiitzt auf ein einwandfreies statistisches Material, die Untersuchung des Fleisches durch ländliche Tierärzte nicht immer für ausreichend .md betonen die Notwendigkeit einer Nach-Untersuchung, um Leben und Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Ein praktisches Ergebnis zeitigte die Debatte nicht. Am Mittwoch stehen kleinere Vorlagen, Petitionen und die Interpellation über den masurischen Schiffahrtskanal auf der Tagesordnung. Auch die Herrenhäusler, die geborenen Gesetzgeber, treten am Mittwoch wieder zusammen.— Badische Schulreform. Aus Karlsruhe wird uns geschrieben: In flmf langen Sitzungen der Zweiten Kammer beschäftigte man sich mit der Volks- schule. Im Gegensatz zu Preußen und Württemberg wurden wenigstens einige kleine Fortschritte erzielt. Das nächste Ziel der jcnigen, denen es mit einer Reform ernst ist, geht mif größeren Ausgleich zwischen städtischer und ländlicher Bildung, Entlastung und besserer Bezahlung der Lehrer hinaus. In einigen größeren Städten ist die Volksschule nicht gerade schlecht; läßt auch der Lehrplan und die Unterrichtsmethode infolge der Ueber- füllung der Klassen sehr viel zu wünschen übrig, so werden in dem rund SOstündigen Unterricht wöchentlich doch immer noch leidliche Resultat erzielt. Auf dem Lande dagegen beträgt die wöchentliche Unterrichtszeit lehrplanmäßig 16 Stunden, wovon drei Stunden Religionsunterricht abgehen, auch dann, wenn etwa wegen Lehrermangel oder aus sonstigen Gründen diese 16stündige Unterrichts- zeit noch verkürzt wird. Die Zweite Kammer hat nun beschlossen, daß die Unterrichtszeit auf dem Lande auf 20—24 Stunden erhöht werden soll. Ferner sollen auf einen Lehrer regelmäßig nur 70 und in Ausnahmefällen nicht mehr als 100 Kinder kommen, welche in zwei Klassen zu unterrichten sind. Bisher ist gesetzlich festgelegt, daß auf einen Lehrer regelmäßig 100 und ausnahmsweise 130 Kinder kommen dürfen. Die Vermehrung der Stundenzahl und die Entlastung der Lehrer hat natürlich einen größeren Bedarf an Lehrern zur Folge; deshalb sollen neue Seminare errichtet werden und, was die Haupt- fache ist: die Kammer verlangt bessere Bezahlung der Lehrer, damit der Zugang zu diesem Berufe verstärkt werde. Jetzt haben Unter- lehrer jährlich S00 M. und Hauptlehrer 1100—2000 M. Gehalt. Die Forderung der Lehrer geht auf lö00— 2300 M. Gehalt, bei ent- sprechender Aufbesserung der Unterlehrer. Bis auf die Gehalts- fragen hat die Regierung die Erfüllung der Landtags- wünsche zugesagt; es soll dem nächsten Landtage ein Gesetz vorgelegt werden, welches die vorstehenden Reformen verwirklicht. Nur in der Gehaltsstage will sie nicht nachgeben, sie möchte die Lehrer, die schon vor zwei Jahren eine Zulage von 150 M. erhielten, wieder mit einer solchen außergesetzlichen Zulage abspeisen. Was die konfessionelle Frage anlangt, so haben wir eine Art konfessioneller Simultanschule, das heißt: es ist gesetzlich bestimmt, daß in vorwiegend katholischen Ortschaften katholische Lehrer und in protestantischen protestantische Lehrer thätig sein müssen. Außerdem find die Ortsvfarrer gesetzliche Mitglieder der Ortsschulräte. Der Centrumsführer im Landtag hat nun anläßlich der Schuldebatte erklärt, daß sie diese Simultanschule als historisch gewordene Ein- richtung hinnehmen und nicht angreifen würden. Sollte aber weiter gegangen werden, das heißt offenbar, sollte eine wirkliche Simultan- schule oder gar eine konfessionslose Schule eingeführt werden, dann würde das Centrum auf seine alte Forderung der konfessionellen Schule zurückgreifen. Es ist nicht zu erwarten, baß diese Drohung so bald wahr ge- macht wird, denn die Nationalliberalen denken nicht daran, die Schule völlig dem Einfluß der Kirche zu entziehen. Zwei Redner haben zwar die Haltung der preußischen Nationalliberalen in dieser Frage offen im Landtag mißbilligt, im gleichen Atemzuge aber den bestehenden Zustand verteidigt und besonders der Mitwirkung der Geistlichkeit im Ortsschulrat das Wort geredet.— Es braucht kaum betont zu werden, daß nicht nur diese Halb- heit, sondern auch die schwächlichen Reformen scharfe Kritik von socialdemokratischer Seite erfuhren; eine große Zahl weitergehender Anträge unsrer Fraktion wurde abgelehnt. Es wird in zwei Jahren, wenn die gesetzliche Reform kommen soll, nochmals mit Eifer ge- arbeitet werden müssen, um der Volksschule einigermaßen zu geben, was ihr gebührt.—_ Die Socinlpolitik der Musterbetriede. Es scheint nun festzustehen, daß die Interpellation über den Saarbrücker Prozeß im Abgeordnetenhause nicht zur V er- Handlung komnien wird. Diese Verhinderung der Interpellation ist eine wichtigere politische Thatsache, als die Verhandlung selbst ge- Wesen wäre. Denn es ist ausgeschlossen, daß das Dreiklassen- Parlament die Neigung und Fähigkeit gefunden hätten, die volle Wahrheit über Saarabien auszusprechen. Man braucht deshalb die Vereitelung der Interpellation sachlich gar nicht zu bedauern; man hat daran nichts verloren, höchstens um den zu erlvartenden lustigen häuslichen Krieg und Verrat der Mitschuldigen— Oberschlesien kontra Saarbrücken — ist es schade. Inzwischen wird die socialdemokratische Presse dafür zu sorgen haben, daß die saarabischen Aufklärungen über die Wirkungen und Leistungen des socialen Königtums nicht verloren gehen. Unmittelbar vor dem Prozeß hat der Regierungsassessor Alexander v. Brandt eine Schrift„Zur socialen Entwicklung im Saargebiet" veröffentlicht(Leipzig , Duncker u. Humblot), die ein prangendes Idyll von den Herrlichkeiten Saarabiens entwarf und die heute, nach dem Prozeß, etwa wie eine russische Sieges- depesche anmutet. In dem Buch wird das Saarrevier als„Typus des patriarchalischen Systems" gefeiert, dessen Vorzüge u. a. darin bestehen,„daß die industriellen Etablissements sich in Zeiten steigender Konjunktur nicht gegenseitig die Arbeitskräfte streitig machen", d. h. die Löhne nicht in die Höhe steigern. Die Schrift des Regierungsassessors selbst aber ist ein„Typus des patriarchalischen Systems" in der Nationalökonomie, jene Systems, das in väterlich wohlwollender Willkür mit dem scheinbar wissenschaftlichen Apparat spielt. Das Buch ist ein Musterbeispiel für jene Aftermethode in der Volkswirtschaftslehre, die— allen „Dogmatismus" und„doktrinäre Systematik" vermeidend— nur die„Thatsachen" reden zu lassen vorgiebt, während es in Wirklichkeit nur gilt, die vorausgesetzten herrlichen Dogmen von der unbefleckten Empfängnis und der Unfehlbarkeit der herrschenden Ordnung, im vorliegenden Falle insbesondere des patriarchalisch schaltenden Staats- kapitalismus in Preußen mit einem Aufputz verrenkter Statistik und offiziös geschminkter Deskription zu beweisen. Es ist ein höchst bequemes, aber auch höchst unehrliches Mittel, daß man scheinbar sich gegen den Kultus ewiger Wahrheiten wendet und nur auf„That- fachen" schwört, um dann scheinbar auf dem Wege der„Induktion" die für einen preußischen Regierungsassessor von vornherein vorgeschriebenen ewigen Wahrheiten mit schlecht gespielter Ueberraschung hinterher zu entdecken. Die Schrift Brandts ist typisch für diese staatserhaltende Fopperei wissenschaftlicher Forschung. Nirgends dient die Stattstik zur Erzielung eines klaren Bildes. Und wo die Statistik auch bei aller Zurechtknetung immer noch das Gegenteil der assessoralen ewigen Wahrheit beweisen würde, wird plötzlich auf die„Thatsachen" überhaupt verzichtet und aus der Himmelsbläue der guten Gesinnung eine strahlende allgemeine Weis- heit als nicht erst zu beweisendes Dogma gegriffen. So untersucht Herr v. Brandt, der wissenschaftliche Regierungs- assessor, voll des heiligen Geistes der Stumm, Hilger, Möller und Budde, auch die bedeutsame Frage des Einflusses der staatlichen Industrie auf die private. Die Wirkung ist, wie es sich bei Muster- betrieben schickt, natürlich äußerst segensreich. Der Staat beschäftigt im Saarrevier(1302) 42 000 Mann, die übrige Industrie nur 19 000. Also üben die staatlichen Bergwerke einen entscheidenden Einfluß auf die private Industrie.„Tritt eine Aufwärtsbewegung der Berg- arbeiter-Löhne ein, so müssen die Hüttenwerke nachfolgen, da sich andernfalls der junge Nachwuchs vorzugsweise der Grubenarbeit zu- wendet.... In ähnlicher Weise ist auch das Beispiel der Berg- Verwaltung maßgebend auf dem Gebiete der Wohlfahrtspflege."... Und dann wird die„vorbildliche" Wirksamkeit der Staatsbetriebe hinsichtlich der Löhne und Wohlfahrtseinrichtungen als beweisloses Assessorendogma gepriesen. Zahlen, Thatsachen und dergleichen fehlen an dieser Stelle vollkommen. Und doch ist die Statistik äußerst lehrreich. Im folgenden sei die Lohn- und Preisbewegung der fiskalischen Kohlenzechen mit den privaten des westfälischen Jndustriebezirks verglichen: Jahres-Arbeitsverdienst Flammkohle ab Werk Ruhr- Saar- � Tonne Bezirk Bezirk Essen bx�en 1891.. 1086 1137 11,0 10,4 1892.. 976 1042 9.3 10,4 1893.. 946 923 7.6 9.9 1894.. 961 921 8,7 9.7 1893.. 963 929 8.1 9.6 1896.. 1033 966 8.0 9.4 1897.. 1128 932 8.6 9.7 1898.. 1173 1013 8.8 9.8 1899.. 1233 1019 9.1 10,8 1900.. 1332 1044 10,0 11,9 1901.. 1224 1042 10,0 12,3 1902.. 1131 1053 9,7 12,0 Die Preise fielen in den Staatsgruben von 1891 bis 1896 von 10,4 auf 9,4 M., also um eine Mark— 9,61 Proz. Die Löhne von 1137 im Jahre 1891 auf 921 M., also um 216 M.--- 19,2 Proz. Die Preise stiegen von 9,40 M. im Jahre 1896 auf 12,80 M. im Jahre 1901, also um 3,40 M.— 37,23 Proz. Die Löhne stiegen von 921 M. im Jahre 1894 auf 1033 M., also um 132 M.--- 14,33 Proz. Das ist also die Lohnpolitik der staatlichen Musterbetriebe. Fallen die Preise, so sinken die Löhne rapid. Steigen sie, so hinken sie ganz langsam nach. v. Brandt selbst erklärt(S. 99), daß in der zweiten Hälfte der 90er Jahre eine Prosperität geherrscht habe,„die alles bisher Dagewesene weit überstieg". Er behauptet zwar eine Seite weiter, daß auch die„Löhne durchweg eine Erhöhung" erfahren hätten. Die dabei mitgeteilte Statistik beweist das aber nicht, sondern sie zeigt vielmehr, daß nicht nur die Löhne nicht«alles bisher Dagewesene weit überstiegen", sondern nicht einmal den Stand von 1891 er- reichten. Das Verhältnis zur Privatindustrie aber zeichnet sich in den obigen Zahlen so ab: 1891 waren die Preise in den Privatzechen höher, die Löhne niedriger als in den Staatsbetrieben. Seitdem hat sich unter dem Einfluß des Stummscheu Systems das Ver- hältnis umgekehrt. Die Staatsbetriebe sind allerdings„vorbildlich". Sie sind der Privatindustrie gegenüber die Prcisfechtcr in der Hoch- Haltung der Preise und in der Hcrabdriickung der Löhne. Sie über- treffen also in der Genialität, den Profit auf Kosten der Produ- zenten, der Arbeiter, wie der Konsumenten zu steigern, den Privat- kapitalismus bedeutend. Niemand versteht die Ausbeutung besser als der Staat: Hohe Preise, niedrige Löhne I Das ist die„bor - bildliche" Politik der staatlichen Musterbetriebe. Deutfebes Reich. Der Königsberger Prozeß. Mehrere unsrer Parteigenossen in Königsberg und Berlin , die im Hochverrats- und Zarenbeleidigungs-Beihilfe-Prozeß als Zeugen gewünscht werden, haben soeben aus Königsberg die Nachricht er- halten, daß sie sich für den 11. Juli und die folgenden Tage bereit halten sollen; ferner: es seien für die Hauptverhandlung zehn Tage in Aussicht genommen. Plötzlich hat es also die Königsberger Justiz äußerst eilig� Bisher hat sich die Voruntersuchung weit mehr als ein halbes Jahr hindurch geschleppt. Vor kurzem konnten wir mitteilen, daß der Staatsanwalt endlich an der Ausarbeitung der Anklageschrift ist. Noch ist die Anklageschrift aber den Angeklagten nicht zugegangen und schon heißt es, daß in nicht drei Wochen die Hauptverhandlung stattfinden soll. Den Angeklagten ist es gewiß recht, wenn der Gerichtshof so bald als möglich über die Zarenbeflissenheit der Staatsanwaltschaft urteilt. Aber erst der Inhalt der sehr umfangreichen Anklageschrift kann sie lehren, welche Schritte sie zu thun haben, um die Anklage zu entkräften. Wenn der Staatsanwalt fast dreiviertel Jahre gebraucht hat, so muß den Angeklagten, wenn sie es für nötig erachten, eine längere Frist zur Vorbereitung ihrer Verteidigung gewährt werden. Jedenfalls geht nun dieser in der preußisch-deutschen Geschichte einzige Prozeß seiner Entscheidung entgegen. Wir müssen erwarten, daß der Gerichtshof, dem die schwierige Aufgabe gestellt ist, hier Recht zu finden, sie würdig lösen wird. Schwierig ist diese Aufgabe, weil politische Fragen hinein gezogen sind, weil die preußische Regierung und die Reichs- regierung durch Herausforderung des Strafantrags von der russischen Regierung sowie durch ihre Haltung zu den in Deutschland sich aufhaltenden Russen unheilvoll Partei genommen haben. Wir hoffen, daß der Gerichtshof, dem diese Aufgabe zufällt, politische Erwägungen in seine Urteilsbildung nicht einfließen läßt und frei das Recht sucht.— Milde Militärrichter. Die Berliner „Milit.-Gerichtskorresp." berichtet: Wegen Mißhandlung Untergebener hatten sich am Dienstag zwei Unteroffiziere vom Garde-Füsilicr-Regiment vor dem Kriegsgericht der ersten Garde-Division zu verantworten. Auf dem Uebungsplatz in Döberitz saß der Unteroffizier Hintze von der 11. Compagnie am 29. Mai d. I. mit mehreren Kameraden in einer Baracke, als an der offenen Thür ein Mann seiner Korporalschaft, der Füsilier Schmidt, vorüberging. Hintze rief den Untergebenen heran, packte ihn vorn am Waffenrock und fragte, warum er, Schmidt, bei einer kurz vorher stattgefundenen Schießübung sich nicht in der Schützenlinie hingelegt habe. Der Füsilier gab auf diese Frage keine Antwort, wandte vielmehr in der Furcht, von dem Vorgesetzten gemiß- handelt zu werden, den Kopf nach links. Auf den von Hintze gegebenen Befehl:„Die Schnauze geradeaus" nahm der Füsilier die frühere Haltung wieder ein und erhielt nun im nächsten Augenblick einen Schlag ins Gesicht, so daß Blut aus Mund und Nase floß. Vor dem Kriegsgericht jeugnete der Unteroffizier anfänglich, erst wollte er überhaupt nicht geschlagen, dann ihn versehentlich beim Ausziehen seiner Jacke mit dem Aenuel gestreift haben, bis er schließlich, durch die Zeugenaussagen in die Enge getrieben, die Mißhandlung ein- gestand. H. wurde mit Rücksicht auf sein anfängliches, hartnäckiges Leugnen zu zehn Tagen mittleren Arrest verurteilt. Eine ähnliche Brutalität hatte sich der Unteroffizier Glasemeyer von der 12. Compagnie desselben Regiments zu schulden kommen lassen. Als ihm am 6. Juni morgens der in seiner Korporalschaft stehende Füsiler Eggert Dienst- schuhe ungeschmiert zurückgab, warf ihm der Unteroffizier mit den Worten:„Du Biest, bist Du noch nicht drunter", das ziemlich dickleibige Kammerdienstbuch an den Kopf. Der Füsilier erlitt durch den Wurf blutende Bcrlehungen im Gesicht und eine Geschwulst an den Lippen. Da der Unteroffizier bereits wegen Mißhandlung v o r b e str a ft war, so.wurde er vom Kriegs- geeicht zu vierzehn Tagen gelinden Arrest verurteilt.— München , 21. Juni. Die Korrespondenz Hoffmann schreibt: Die gestern aufgetauchte Frage des eventuellen Rücktritts des Staats- Ministers Frhrn. v. R i e d e l ist dahin entschieden, daß Freiherr v. Riedel in seinem Amte bleibt.— Der vereinigte erste und dritte Ausschuß der Kammer der R e i ch s r ä t e lehnte einstimmig das Wahlgesetz ab, ebenso den Antrag des Grafen Moy, betreffend das Wahlrecht der Geistlichen.— Palastrevolution im Lager der badischen Nationalliberalen. Die Jungliberalen fangen an, so wird uns aus Baden geschrieben, recht unbequem zu werden. In Baden, wo sie seit etwa drei bis vier Jahren in latentem Konflikt mit der Parteileitung der National- liberalen stehen, scheint es jetzt offen zum Bruch kommen zu wollen. Die badischen Nationalliberalen sind eine so reaktionäre Spielart, daß sie den preußischen nicht viel nachstehen werden. Die Kammerinitglieder wehrten sich bis vor vier Jahren noch mit Händen und Füßen gegen eine Wahlreform im fortschrittlichen Sinne, besonders gegen das direkte Wahlrecht. Da machten die Jungliberalen etwas Feuer dahinter und die Kammerftattion schwenkte um. Der Führer, der sich auf die alte Politik an, stärksten festgelegt, trat zurück, und es kam eine Politik des Unbestimmten: Heute vorwärts, morgen rücklvärts. Der vor zwei Jahren einsetzende Klostersturm wurde von den Jungliberalen allein gemacht, den Alten war er sogar sehr un- angenehm. Während der gegenwärtig tagenden Landtagssession haben die Jungliberalen wiederholt Stoff zur Unzufriedenheit mit den Alten gehabt; sie waren unzufrieden mit der Haltung gegenüber den Forderungen der Eisenbahner, mit der Haltung gegenüber der Schule und den Lehren, zc. Aber noch immer gelang es, die auftauchende Unzufriedenheit schnell zu ersticken. Da kam die Preisgabe der Simultanschule durch die preußischen Nationalliberalen; die Jung- liberalen hielten in Offenburg sehr scharfe Reden, und wenn sie auch in anerzogener Feigheit fast auf der ganzen Linie zurückgehuft haben, der stille Trotz gegen die Alten komm, nimmer heraus. In Karlsruhe kam es in der Generalversammlung des nationalliberalen Vereins wieder zum Bruch. Scharfe Worte fielen gegen die Polittk der Alten und es blieb diesmal nicht dabei, auch bei der Abstimmung zeigte sich die Spaltung. Mit knapper Mehrheit wurde der Vorstand, der zugleich geschäftsführender Ausschuß der Partei für ganz Baden ist. wiedergewählt, eine große Minorität vereinigte sich auf jungliberale Kandidaten. Infolge dieser Wahl kam es wieder zu heftigen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf den Jungen das Wort abgeschnitten wurde. Diese wollen nun eine Protestversammlung abhalten. Verschiedene Jungliberale mit an- gesehenen Namen sind infolge dieser Vorgänge aus der nattonal- liberalen Partei ausgetreten.—_ Aus Südwestafrika ist eine neue Verlustliste eingegangen, die den Tod weiterer zwölf Soldaten meldet. Sämtliche zwölf Mann sind mit einer Ausnahme Krankheiten erlegen, fünf an Typhus , drei an„Herz- schwäche". Einer der Todesfälle ist älteren Datums, die übrigen elf Mann starben in der Zeit vom 26. Mai bis zum 14. Juni. Wenn die Sterblichkeit an Krankheit so anhält, dürfte die Verlustliste noch gewaltig anschwellen.— Husland. Ein Brief an den Zaren. Eine Stockholmer Zeiwnq veröffentlicht einen Brief den Eugen S ch a u m a n n kurz vor Ausführung seiner That gegen den Tyrannen seines Landes geschrieben haben soll. Der für den Zaren bestimmte Brief soll diesem zeigen, daß seine Beamten ihn vollständig falsch über die Zustände in Finnland und im übrigen Rußland unter- richten. Die politisch ungereifte Auffassung, als könne durch ein Attentat von dem schlecht unterrichteten an den besser zu unter- richtenden Zaren appelliert werden, erweckt freilich zunächst Zweifel an der Echtheit des Briefes. Er lautet: „Ew. Majestät I Mit Hilfe des Prokurators und des Senates Ew. ivkajestät für Finnland , welche ohne Rücksicht auf Recht und Gesetz dem Befehle des Generals Bobrikow blind ge- horchen, ist es dem Generalgouverneur Bobrikow gelungen, voll- ständige Verwirrung und Rechtlosigkeit hier im Lande zu schaffen. Durch Lügen und falsche Darstellungen ist es dem General- gouverneur und dem Minister-Staatssekretär v. P l e h w e gelungen, Ew. Majestät zu bewegen, Verordnungen zu erlassen und Beschlüsse zu fassen, welche den Gesetzen wider st reiten, die Ew. Majestät bei der Thronbesteigung fest und unverbrüchlich in voller Kraft zu wahren versprachen. Die gesetzesttenesten, kundigsten Be- amten des Landes werden ohne gesetzmäßige Untersuchung und Ur- teil abgesetzt. An deren Stelle werden ernannt unwissende Glücks- jäger, heruntergekommene Individuen, sowie Personen, die nach den LandcSgesetzen zur Bekleidung von Staatsämtern unberechtigt sind. Die intelligentesten und treuesten Bürger werden verhaftet und verbannt. Die Sicherheit der persönlichen Freiheit existiert nicht mehr. Da der Minifterftaatssekrctär, welcher Ew. Majestät d,e das Großfürstentum Finnland betreffenden Angelegenheiten vorgetragen hat, kein Finnländer und mit den Sitten und Gesetzen des Landes nickt verttaut ist, und da er mit General Bobrikow
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