Fleischer 3,60; Barbiere 2,91; Blumen- lind Federarbeiter 2,69;Handlungsgehilfen und Lagerhalter 1,30; Gärtner 1,17; Gastwirts-gehilfen 1,15.In 7 Berufen sind hiernach bis zu 5 Proz., in weiteren 7 von5—12 Proz., in 8 von 12—20 Proz., in 12 von 20—30 Proz., in11 Von 30—50 Proz. und in 6 Berufen über 50 Proz. organisiert.(Schluß folgt.)politiscke(lebersickt.Berlin, den 12. Juli.Der Prozeß des Zaren.Königsberg. 12. Juli*).Schon der erste Tag der Verhandlung stellt da? Bild diesesProzesses fest, der nicht seinesgleichen hat in der Geschichte, juristischsowohl wie politisch. Man braucht keinerlei Prophetentalcut zuhaben, um schon jetzt vorher sagen zu können, daß diefolgenden Tage den heutigen Eindruck nur verschärfen,nicht verändern können. In diesem Prozeß ist alles beispiellos undrätselhaft: von der selbst in den tiefsten Reaktionszeiten Preußensnicht gewagfen Bitte der preußischen Regierung, Väterchen möge ge-statten, daß preußische Staatsbürger wegen Zareubelcidigung und Hoch-Verrats prozessiert werden, bis zu der alle Fiktionen der Strafprozeß-ordnung aufhebenden Erscheinung, daß den Zeugen ihr Bernehinungs-tcrmin früher mitgeteilt wird, als den Angeschuldigten die Anklage-schrift zugestellt, geschweige das Hauptverfahrcn eröffnet wird. Beieinem Beschuldigten ist heute schon unwiderleglich festgestellt, unddas Gefühl scheint auch die Staatsanwaltschaft zu haben, daßer überhaupt mit der ganzen Sache gar nichts zu thunhat. Weil unser Memeler Vertrauensmann Klein in derersten Verwirrung bei der Verhaftung fälschlich angegebenhatte, daß er von Braun Schriften geschickt erhaltenhätte, darum mußte Braun viele Monate in Untersuchungshaftbleiben, während die von ihm sofort verlangte, aber nicht gewährteKönfrontierung mit Klein ohne weiteres den Irrtum fest-gestellt haben würde.„Aber dies"— der Irrtum nämlich—„war ja das Einzige, was gegen Braun vorlag", riefder Staatsanwalt selbst aus, als er durch das niederschmetterndeErgebnis der Anklage gegen Braun in Verlegenheit geriet. InWahrheit besteht nämlich Brauns Geheimbündelei, Zareumördereiund Hochverräterei darin, daß er an Nowagrotzki einenihm von Klein gewordenen Auftrag übermittelte, daßjener die bei ihm lagernden Schriften an Klein sendenmöge. Die Schuld Brauns steht auf demselben festenFuße, wie die unter aufgeregten Hört! hört!- Rufen desAbgeordnetenhauses vom Justizminister vorgebrachte Enthüllung,daß wahrscheinlich der Parteivorstand an der graulichen Ver-schwörung gegen den Zaren beteiligt sei. Treptau- Memelhatte einen ihm von einem Russen zur Aufbewahrungübergebcucn Koffer nicht abgeliefert. Die KönigsbergerParteileitung hatte ihm deshalb eine Rüge erteilt. Treptauappellierte an den Parteivorstand, und aus diesem gänzlichharmlosen Briefwechsel schloß der Königsberger Staatsanwalt undHerr Schönstedt die Beteiligung des deutschen Partcivorstandes.Festgestellt ist weiter, daß bis zur Stunde den Angeklagtennicht mitgeteilt worden ist, was sie eigentlich gethan haben.daß trotz zahlreicher dringender Anträge des Verteidigers Hnaseihnen der Inhalt der Schriften nicht zur Kenntnis gebracht wordenist. Der Vorsitzende bestritt das lebhaft. DaS sei ja unmöglich.Der Erste Staatsanwalt aber bestätigte die Angabe der Verteidigerund der Angeklagten mit der klassischen Entschuldigung, die Mit-tcilung sei nicht nötig gewesen, weil ja die Beschuldigtennicht russisch verständen. Da lenkte der Vorsitzende verlegen ein.Festgestellt ist endlich, daß das Gericht Akten benutzt, die den An-geklagten und Verteidigern bisher nicht bekannt sind.Ueberhaupt wird seitens des Gerichts und der Staatsanwalt-schaft mit Ueberraschungen zu arbeiten versucht, die freilich heut dasGegenteil des beabsichtigten Erfolges erreichten. So rückteder erste Staatsanwalt am Schlüsse der Vernehmung Nowagrotzkisplötzlich mit der Mitteilung heraus, daß nach Auskunftder Güterexpedition Nowagrotzki außer den zugestandenen Schriften-sendungen noch verschiedene ebenso verdächtige wie gewichtige Kolliserhalten habe, die als Umzugsgut deklariert waren. In der ganzen Vor-Untersuchung war von diesem Belastungsmaterial n'och nie die Rede.Der Staatsanwalt erlebte denn auch den Triumph, daß seine Eni-hüllung große Spammng hervorrief. Nowagrotzki ließ den Staats-anwalt geduldig ausreden. Dann erklärte er in unanfechtbarer, vonniemandem angezweifelter Darstellung, daß jene revolutionärenFrachtgüter der Hausrat seines Schwagers gewesen, der nach Königs-berg umgezogen wäre.Das sind nur ein paar Momente aus dem Reichtum ancharakteristischen Einzelheiten, die schon die ersten Stunden diesesProzesses zu tage förderten.Die Verhandlung fand unter starkem Andrang des Publikumsstatt. Bor dem Richtertisch liegen in Ballen.die beschlagnahmtenSchriften, teils von Sackleinwand, teils von Packpapier umhüllt.Auf den Geschwornenbänken befinden sich als Zuhörer der Land-gerichts-Präsident Carnatz, der Oberstaatsanwalt Voswinkel und eindritter Unbekannter, den man für einen Vertreter derrussischen Behörden hält. Das Gericht rechnet mit einer längerenDauer des Prozesses. Bis zum 18. Juli sind bündelweiseeinige 50 Zeugen geladen. Rechtsanwalt Haase hat noch Dietz-Stuttgart und einen Angestellten des Dietzschen Verlages als Zeugenladen lassen. Dagegen hat das Gericht den Klagen der„Post" überdie überflüssige Ladung ihres Redakteurs Ruhkopf kein Gehör ge-schenkt und diesen, obwohl er nur vom Hörensagen zu berichtenweiß, selbst vorgeladen. Seine Vernehmung ist notwendig, um dieGlaubwürdigkeit des Kronzeugen gegen den„Vorlvärts"-Expedientenfestzustellen.Die Verhandlung kam heute nur bis zur Vernehmung von vierAngeklagten. Jedem wurde die Frage vorgelegt, was die deutscheSocialdemokratie wolle, wie die russische beschaffen und ob manetwas von den Terroristen wisse. Das gab dem GenossenBraun Gelegenheit, einen ebenso klaren wie knappenVortrag über die socialdemokratischen Ziele zu halten.Es war ein weiter Weg von der ruhigen und überlegenenArt der geschulten Parteigenossen Nowagrotzki und Braun,des prächtigen einfachen Arbeiters Klein, der mit seinemHerzen socialdemokratisch fühlt, bis zu dem halb ungelenken,schwerfälligen und ziemlich wirren Kugel, der erklärt, nichtmehr Socialdemokrat sein zu wollen, weil ihm das zu vielUnannehmlichkeiten bereitet. Während bei der Vernehmung der dreiersten die deutsche Socialdemokratie durch ihre Vertreter ihre Tüchtig-keit, Besonnenheit und Erziehung bewahrt, scheint bei der schwierigenKugels sich der Prozeß in eine gewöhnliche Schmugglergeschichte auswildem Grenzlande aufzulösen._Deutsches Geld für russische Kriegszwecke.Als gleichzeitig mit der Meldung von Wittes Besuch beiBülow die Nachricht auftauchte, der ehemalige russische Finanz-minister beabsichtige nnt dem Grafen Bülow nicht nur über die*) Der Bericht über den Prozeß findet sich auf der dritten Seitedieses Blattes.Handelsverträge, sondern auch über die Placierung einerrussischen Anleihe in Deutschland zu konferieren, war die„Norddeutsche Allgemeine Zeitung" mit einem ihrer ebenso feierlichenwie kurzbeinigen Dementis schnell bei der Hand. Jetzt abermelden die„Berliner Neueste Nachrichten", die Aufnahme einerrussischen Anleihe in Deutschland sei längst in dieWege geleitet worden. Schon am Sonnabend sei inWiener Finanzkreisen bekannt gewesen, daß vor drei Wochen Gesell-schafter der Firma Mendelssohn und ein Warschauer Prokurist inPetersburg mit dem Finanzminister konferiert hätten. Die An-leihe sei bereits finanziell abgemacht. Es handlesich um 250 Millionen, die zu 5 Proz. aufgenommen werdensollen.Die„Berliner Neueste Nachrichten" fügen hinzu, daß sich dieDiplomatie mit der Anleihe überhaupt nicht befaßt habe, daß alsobei der deutschen Regierung nicht die Absicht hervorgetreten sei, dierussische Anleihe zu unterstützen und zu empfehlen. Aber deswegenbleibt es doch höchst mertloürdig, daß Herr Witte, nachdem dierussische Regierung so lauge die Spröde gespielt, plötzlich ohne auf-fälligen äußeren Grund in der Sommerhitze nach Norderney fahrensollte, um dem Reichskanzler Nußlands Unterwerfung unter denMinimal-Zolltarif anzukündigen.Auf alle Fälle bleibt die Nachricht der„Berliner Neueste Nach-richten" politisch wichtig. Rußland ist heute schon in hohem MaßeGläubiger der deutschen Kaputalisten, und je böhcr seine Schuldenlast steigt,desto wärmer wird die Freundschaft. Der deutsche Kapitalismus istan dem Gedeihen Rußlands interessiert, und heftige innere Er-schütterungen des Zarenreiches schädigen sein Geschäftsinteresse ebensowie äußere Niederlagen. Politische Sympathien und Antipathienwiegen federleicht, weun's das Geschäft gilt, das Geschäftsinteressewiegt dafür desto schwerer in der Politik. Daraus erklärt sich dieeigentümliche Haltung mancher kapitalistischen Organe, die sich gernedurch Japanfreundlichkeit ihre Leser erhalten möchten, währenddas kapitalistische Interesse sie dazu zwingt, auf Rußland zutippen.—_Die letzten Sprenggeschosse.In der französischen Deputiertenkammer wirdheute der Bericht der Kartäuser-Untersuchuugskommission verhandelt.Es war den Klerikalen und sonstigen Gegnern des MinisteriumsCombes gelungen, eine antiministerielle Mehrheit in der Unter-suchnngskommission zu erlangen, die es vollbracht hat, trotz derdenkbar vollständigsten Rechtfertigung des Vorgehens des Minister-Präsidenten einen Bericht zu erstatten, der das verhaßte Ministeriumkurz vor der parlamentarischen Sommerpause endlich doch stürzen soll.Ueber den parteiischen Bericht der Kartäuser-Kommission schreibtuns unser Pariser Korrespondent vom 11. Juli:Der Berichterstatter der Mehrheit, Mg. Colin, hat sich inseiner Eigenschaft eines abgefallenen Ministeriellen dazu hergegeben,die Ergebnisse der tendenziösen Untersuchung in einem tendenziösenBericht zusammenzufassen. Moralisch konnte er dem Minister-Präsidenten und dessen Sohn beim besten Willen nicht bcikommen.Er rächt sich nun dafür, indem er dem Regierungschef aus seinermoralischen Lauterkeit einen politischen Strick zu drehen sucht. Un-glaublich, aber wahr! Einer der Mehrheitsanträge«bedauert"nämlich, daß Combes„unvorsichtig und ohne zureichenden Grundeine tiefe Aufregung im Lande hervorgerufen hat, auf die Gefahrhin, zum Nachteil der französischen Interessen, den Vertreter Frank-reichs an der Weltausstellung von Saint-Louis zu diskreditieren".Diese Formel will mit einer 5tlappe zwei Fliegen schlagen.Combes soll einen Tadel bekommen, weil er die klerikal-nationalistischen Verleumdungen nicht bis zuletzt stillschweigend hatüber sich ergehen lassen. Herr Michel Lagrave aber, derWeltausstellungs-Kommissar, der Schützling Millerands undfolglich zur Zeit auch der Klerikal-Nationalistcn, soll in unantastbareRegionen hinaufgeschwindelt werden als Verkörperung der—französischen Interessen vor dem Ausland!... Also, wenn derfranzösische Regierungschef seit Jahren verleumderisch der Be-stechlichkeit beschuldigt wird, wenn seinem Sohn, dem Generalsekretärdes Ministeriums des Innern, zuletzt von einem Millerand inoffener Kammer wider besseres Wissen das Zeugnis derSchuldlosigkeit verweigert wird, so ist das kein„zureichenderGrund", den Verleumdern und ihren Helfershelfern auf den Leibzu rücken, sie vor einer parlamentarischen Untersuchungskommissionzur Rede zu stellen, so bildet das keine Gefahr für die„französischenInteressen". Wenn aber der verleumdete Regierungschef diemindestens zweideutige Rolle eines xbeliebigen Strebers, wie HerrLagrave, ans. Licht zieht, so heißt das die französischen Interessengefährden! Zum verflossenen Tabu der Armce-Ehre gesellt sich nundas heitere Tabu der französischen Ausstellungs-Ehre zu Saint-Louis.Der Jesuitismus der Kartäuser-Kommissionsmehrheit hat sich über-schlagen, hat in possenhafte Dummheit umgeschlagen.Es sei erinnert, daß Lagrave es war, der den„harmlosen"Bestechungsgedankcn des Geschäftsmannes C h a b e r t dem SohneCombes überbracht hat. I a u r c s spricht nun, angesichts desKommissionsberichts, der das Parlament zum Bürgen für dieEhrenhaftigkeit Lagraves und Chaberts machen will, die recht ein-leuchtende Vermutung aus, daß der.,Erpressungs"versuch des ge-heimnisvollen X. der Kartäuscrmönche wohl in Verbindung stehenkönnte mit dem verdächtigen Gedankenspiel des Chabert und derVermittlerrolle Lagraves.... Der klerikale„Gaulois" machtübrigens bereits ziemlich klare Andeutungen in dieser Richtung.Die Kartäuser-Komm-ssion aber hat natürlich alles gethan, umdiesen Punkt zu verdunkeln. Sie kann daher in einem weiteren An-trag an die„tammer, den Thatsachen zum Trotz und zum NachteilCombos, erklären, daß kein Bestcchungsversuch ermittelt worden sei.Ein zweites Tadelsvotum gegen die Regierung ist in demMehrheitsantrag enthalten, der„gewisse Gewaltmißbräuche auf ge-richtlichem Gebiete bedauert". Diese Mißbräuche, die in der Ab-hängigkeit der Gerichtsbeamten von der jeweiligen Regierungwurzeln, sind allerdings in der Untersuchung wieder einmal au denTag gekommen. Es gehört aber die Heuchelei eines Tartüffe dazu,für diesen ständigen Krebsschaden der Justiz speciell das KabinettCombes verantwortlich zu machen— im Interesse eines kommendenKabinetts, das in diesem Punkte die eingerissenen Unsitten zu-mindest ungestört lassen würde. Zudem ist der schlimmste der be-dauerten Mißbräuche von der Kommissionsmehrhcitselb st gefordert worden— er ist die willkürliche Unter-suchung gegen Unbekannt, die einzig zum Zwecke der Haussuchungbei Chabert eingeleitet wurde.Endlich versteht es sich am Rande, daß die mönchischen Ver-leumdcr und ihre Werkzeuge in den Mehrheitsanträgen so glimpflichbehandelt werden. Die Kommission beschränkt sich auf einen„energischen Protest gegen die Haltung der Ankläger, die sich ge-weigert haben, ihre Anschuldigungen zu begründen". Entlarvte Ver-leumder, darunter ein meineidiger Falschzeuge, sind also in dermilden Sprache der sonst so rigorosen Kommissionsmehrheit weiternichts als schweigsame Ankläger.Die Kommissionsanträge sind die letzten Sprenggeschosse derReaktion und des Klüngels Doumer-Millerand gegen das Ministerium,die letzten vor den Sommerferien. Man hat gesehen, mit welchemStoff die Geschosse gefüllt sind. Wenn nicht alle Anzeichen trügen,wenn die bisherige Kammermehrheit noch einen Funken politischenSinnes und moralischen Reinlichkeitsgefühls besitzt, so müssen sieauf ihre Verfertiger zurückprallen.«Die Kammerverhandlung.Paris, 12. Juli.(Telegramm.) Die Kammer verhandelt überdie Ergebnisse des von Colin erstatteten Berichtes in der Kartäuser-Angelegenheit. Martin, Jaurös und S a r r i e n beantrageneine Tagesordnung, die besagt, die Untersuchung habe ergeben, daßdie Ehre des Ministerpräsidenten Combes und seines Sohnes überjeden Verdacht erhaben seien. S i m o n n e t bemängelt im Namender Minderheit der Untersuchungskommission die Arbeiten derKommission und lobt das Verhalten Combes, der fälschlich be-schuldigt sei, weil er seit zwei Jahren gegen den Klerikalismuskämpfe.(Beifall links.) Colin rechtfertigt seinen Bericht und zolltdem Ministerpräsidenten als Privatmann ebenfalls seine An-erkennung.F l a n d i n führt aus, die Annahme der von Martin undJaurös vorgeschlagenen Tagesordnung würde zu Mißdeutungen An-laß geben.(Lärm links.) Redner geht dann auf die Aufgabe derKommission ein und wirft dem Ministerpräsidenten vor, von derTribüne der Kammer herab unbewiesene Anschuldigungen erhobenzu haben. Flandin fordert den Justiznnnisier auf. die Personen zuverfolgen, deren Treiben durch die Untersuchung festgestellt sei, undbeantragt, die Kammer möge Schritte thun, um die Gerichte gegenVersuchungen seitens der Regierung zu schützen.(Beifall imCentrum.) Cochin und Fabre tadeln die Kartäuser, daß sie ihrZeugnis verweigert hätten. Darauf wird die Debatte geschlossen.veutfckes foieb.Ostelbische Sklavenjagd.Gegen den Gesetzentwurf über die Erschwerung des Kontrakt-bruchs landwirtschaftlicher Arbeiter hat sich die letzte Konferenz derVorstände der preußischen Landwirtschaftskammern ausgesprochen.Es genügt nämlich den Landwirtschaftskammern nicht, � daß derkontraktbrüchige Arbeiter von Gesetzes wegen in Verruf erklärt werde,sie verlangen auch noch seine besondere Bestrafung. Die„DeutscheTageszeitung", die die Schreitaktik nur dann befolgt, wenn dabeietwas zu holen ist, sonst aber den Sperling in der Hand der Taubeauf dem Dache vorzieht, ist über die allzugroße Principienfestigkeir derLandwirtschaftskammern sehr betrübt. Sie hält den Entwurf füreinen„Schritt zum Bessern" und fürchtet, daß die Vorstände derLandwirtschaftskammern mit ihrer Erklärung„den Gegnern derLandwirtschaft eine gewisse Befriedigung bereitet hätten".Inzwischen fahren die staatlichen Behörden fort, die Hörigkeitder Landarbeiter als eine bereits vollendete Thatsache vorweg zunehmen. Im„Amtsblatt der königlichen Regierung zu Potsdam"erläßt der Regierungspräsident einen förmlichen Steckbrief gegenausländisch- polnische Saisonarbeiter— elf Männer und dreiFrauen—, die ihre Arbeitsstätten unter Kontraktbruch verlassenhaben sollen. Nach Aufzählung ihrer Namen heißt es:„Tie Genannten sind festzunehmen und sofort aus dem Staats-gebiete auszuweisen."So verfahren die Behörden gegenüber rechtlosen Ausländern,deren ganzes Verbrechen darin besteht, ein civilrcchtliches Verhältnisvielleicht aus sehr schwerwiegenden Gründen durchbrochen zu haben.Man wird sich schwer hüten, etwa einen westeuropäischen Kaufmann,der einen Kontrakt verletzt hat, dessenwegen zu verfolgen, seine„Fest-nähme" und seine Ausweisung anzuordnen. Ter osteuropäischeProletarier aber, der kein freier Bürger seines Staates ist, und zuHause wie ein Stück Vieh behandelt wird, erfährt auch im ostelbischenParadies keine bessere Behandlung und das Verfahren gegen ihnbeweist, wie man am liebsten auch die Inländer behandeln möchteund in vielen Fällen auch wirklich behandelt. Der kontraktbrüchigeArbeiter ist in den Augen der Landdespoten einfach ein entlaufenerSklave, dem man die Treiber hinterher schickt.—Die Wahlrcchtssrage in Bayern.München, 12. Juli. Die Kammer der Abgeordnetenbegann heute die vorläufige Beratung des Antrags Hammerschmidt(liberal) auf Einführung des direkten Landtags-Wahlrcchts unterZugrundelegung des Proportionalwahlsystems, sowie des An-träges Andrea(liberal), welcher die Staatsregierung ersucht, dieendgültige Beratung des Antrags Hammerschmidt noch im Laufe derjetzige» Landtagssession zu ermöglichen. Präsident v. Orterererklart, daß er unter Beobachtung der für diese Anträge geltendenVerfassungsbestiniinungen doch eine Debatte im weitesten Umfangezulassen werde.Abg. Hammerschmidt begründet darauf seinen Antrag undbetont, daß die Proportionalwahl schon seit 1869 wiederholt in derKammer empfohlen, und daß 1897 auch ein Mehrheitsbeschluß derKammer der Abgeordneten zugunsten dieses Systems gefaßt wordensei. Redner schildert dasselbe als das gerechteste System und legtdie Einzelheiten der von ihm in der Form eines vollständigenGesetzentwurfes beantragten Verhältniswahl dar, welche sich durch-Wegs den in der Schweiz und in Belgien bewährten Grundsätzenanschlössen.Frank<C.) macht gegen die endgültige Beratung des AntragsHammerschmidt verfassungsrechtliche Bedenken geltend. Die Ver-fassung bestimme, daß Gegenstände, über welche beide Häuser desLandtages sich nicht einigten, in derselben Sitzungsperiode nichtwieder verhandelt werden dürfen. Eine endgültige Beratung desAntrags Hammerschmidt sei daher nicht zulässig, weil bei der Be-ratung des jüngst abgelehnten Wahlgesetzes auch über das Proportional-Wahlsystem verhandelt worden sei.L e r n o(C.) schließt sich den verfassungsrechtlichen Bedenken desVorredners an und bekämpft dann den Antrag Hammerschmidt auchaus sachlichen Gründen.S e g i tz(Soc.) wirft den Liberalen vor. daß sie wegen einigerMandate das direkte Wahlrecht durch Ablehnung des letzten Wahl-gesetzes zu Fall gebracht hätten. Seine Partei werde dafürstimmen, daß der Antrag Hammerschmidt an eine Kommission ver-wiesen werde.Dirr(Frs. Vg.) erklärt, seine Partei sei für die endgültigeBeratung des Antrages Hanimerschmidt, habe aber noch immerdasselbe Bedenken wie früher, daß unter keinen Umständen dieInteressen des flachen Landes zu Gunsten der Städte benachteiligtwerden dürften. Daher behalte sich seine Partei die definitiveStellungnahme zur eventuellen Neugestaltung des Wahlgesetzes vor.Casselmann(lib.) weist die verfassungsrechtlichen Bedenkender Centrumsredner zurück und führt sodann gegenüber diesen undden Socialdemokraten unter mehrfachen stürmischen Unterbrechungenaus, die Liberalen hätten den letzten Wahlrechtsentwurf abgelehnt,um nicht die Centrumsmehrheit für die Dauer festzulegen. DerVorschlag der Proportionalwahlen biete diese Gefahr nicht mehr;er stelle keinen Verlegenheitsantrag dar, sondern solle dem Volkedas direkte Wahlrecht geben, ohne daß die Centrumsherrschast zueiner dauernden gemacht werde. Hierauf vertagt sich das Hausauf morgen.—_Dem Verdienste die Prvfessur. Herr Dr. Adolf v. Wenck-st e r n, der Privatdocent, der bei den Berliner Arbeitern aus demletzten Wahlkampfe her noch in fröhlicher Erinnerung steht, ist zumordentlichen Professor an der Universität Münster erkoren. Der ge-lehrige Schmoller-Schüler, der einst ein Buch über die„eminentenLeistungen" Karl lvkarx' schrieb, um dann flottenpatriotisch„aufScholle und Welle" zu jonglieren und schließlich bei der Ultra-reaktion zu enden, hat seinen Lohn dahin. Auf der Scholle gehtfeine Saat auf und die Welle trägt ihn. Sein Sancho Pansa, derwackere Lottcriekollckteur und„jeistige Arbeeter", Herr von demBottlenbcrg» S ch i r p, wird hoffentlich auch bald—„Ober"«Lotterie-kollekteur werden, wenn es dergleichen giebt!—Bon der liberalen Passion.Vor kurzem verzeichneten wir ein zunächst im„Berliner Tage-bkatt" veröffentlichtes Inserat, durch welches ein politischer Redakteur„mit gesunder Auffassungsgabe" für eine„große liberale Zeitung"gesucht wurde. Es waren u. a. die Bedingungen aufgestellt worden:Unterordnung in Bezug auf politische Auffassung unter die Wünschedes Verlags; nur solide Bewerber, die nicht nur gegen Bezahlung,sondern auch aus Passion arbeiten. Die große liberale Zeitung ist.wie wir auS Halle erfahren, keine andre als die„Saale-Zeitung" u.Halle a. S. und jener passionierte Verleger ist Herr MoritzSchirrmeister, der, wie wir seiner Zeit unwidersprochen be-richteten, während feiner verhältnismäßig kurzen Verlegerthätigkeit