schränkungen in der Fadrikthätigkeit und die neu entstehen-den Lasten nicht zu sehr zu vermehren, und ebenso sehreiner abfälligen Kritik über die Folgen der schon eingeführtenBestimmungen, wie z. B. über die Lohnbücher der Minder-jährigen, deren Einführung als eine zwecklose Belästigungder Arbeitgeber betrachtet wird. Auch die Sorgen sind nicht zuunterschätzen und das Unbehagen, welches die Arbeitgeberempfinden, wenn sie trotz aller Mühe und Fürsorge für ihreArbeiter diese nicht befriedigt sehen. Es setzt sich an die Stelledes früheren, auf gegenseitiger Achtung ruhenden patriarchalischenVerhältnisses zu den Arbeitern, dank den Bemühungen der Social-demokratie, ein Kampfverhältnis zwischen Arbeitern und Arbeit-gebern, dessen Ende nicht abzusehen ist, und das vielfach die ge-deihliche Entwicklung der Gewerbethätigkeit ernstlich bedroht.Woll- und Wiesenjunker arbeiten, wie man sieht, ganz nachdemselben Rezept. Nieder mit der Socialdemokratie und fort mitden Unfallreuten und Versicherungsbeiträgen. Das„patriarchalischeVerhältnis" ist staatserhaltend und billig! Zur nächsten Wahl wirdman aber wieder lesen, daß die guten Arbeitgeber die sociale Gesetz-gebung gegen den erbitterten Widerstand der Socialdemokratiedurchgesetzt haben, die«nur zerstört".—Zur Annahme der badischcn Wnhlrechtsvorlagewird uns noch aus Karlsruhe vom 13. Juli geschrieben:Heute fiel in der Ersten Kammer die endgültige Entscheidungüber die Wahlrechtsreform, damit aber war auch die Entscheidungüberhaupt gefällt, denn die Erste Kammer bequemte sich, den Beschlüssen,welche die Zweite am Montag gefaßt, in der Hauptsache beizutreten. Eshat sehr schwer gehalten, bevor es zu diesem Resultat kam, und der Minister-Präsident v. Brauer, dem sehr viel an der Durchführung der Wahl-reform gelegen ist, hat sicherlich noch recht schwere Arbeit gehabt, dieHerrenhäusler zum Nachgeben zu bringen. Noch heute morgen sahes sehr unsicher aus. Der Berichterstatter der Ersten Kannner gab inseiner einleitenden Rede zwar in einigen Differenzpnnkte» schon nach.Die künftigen Vertreter der Städte und Gemeinden in der ErstenKammer sollen nun nicht vom Großherzog ernannt, sondern ge-wählt werden. Auch in der Stellvertretung wurde einTeil gestrichen, aber das Budgetrecht schien der Steindes � Anstoßes bleiben zu sollen. Nach der mit allerleiAusfällen, insbesondere auch auf die Socialdemokratie,gespickten Rede des Berichterstatters war die Lage sehrgespannt. Da beantragte der Fürst von Löwenstein Vertagung derVerhandlung bis nachmittags 4 Uhr: in der Zwischenzeit sollte dieVerfassungsrommission der Ersten Kammer noch einmal beraten.Und in dieser Zeit ist dann die Einigung gelungen. DieErste Kammer hat sich entschlossen, auf Antrag' des Verwaltungs-gerichts-Präsidenten Lewald, auch in der Budgetfra'genachzugeben und der Zweiten Kammer das Uebergewicht überdie einzelnen Budgetpositionen zu lassen.Die Debatte in der Nachmittagssitzung bestand in zahlreichenKlagereden, daß man nur schweren Herzens sich dem Zwangegefügt und nachgegeben habe, um das Reformwerk nicht scheitern zulasten. Dabei fehlte es auch nicht an der in Herrenhäusern erklär-lichen Kritik der geplanten Zusammensetzung der Ersten Kammer;ein Graf Röder und Fürst Löwenstein-Roienberg beklagten, daßdie Bdclskammcr, dieser Roclisr de bronze der Monarchie, mitbürgerlichen Elementen durchsetzt werden sollte und noch dazu mitsolchen, die gewählt werden. Andre freilich begrüßten dieseWandlung— das waren aber auch keine„Standesherren". Dergenannte Abgeordnete Lewald, der seinen Antrag, der ZweitenKammer nachzugeben, sehr geschickt begründete, begrüßte den Ein-tritt neuer Vertreter des Bürgertums und verstieg sich sogar zu derBehauptung, daß damit die Erste Kammer kum wahren„Volkshaus" werde. Man wird bald sehen, daß vieles„Volkshaus" nichtminder reaktionär sich gebärdet, wie die übrigen Herrenhäuser, nur,daß es vielleicht etwas lebhafter darin zugeht.Die Berfastungsreform wurde schließlich in namentlicher Abstimmungmit allen gegen vier Stimmen angenommen. Schon morgenDonnerstag wird die Vorlage wieder in der Zweiten Kammer aufdie Tagesordnung g-setzt. Wenn, woran kaum zu zweifeln, hiernunmehr auch Annahme erfolgt, wird in den nächsten Tagen gleichnoch das Gesetz über das Wahlverfahren und die Wahlkreis-einteilung erledigt, worüber, wie die Dinge liegen, wahrscheinlichauch noch Verständigung erzielt wird. Somit käme das Werk, dasseit zwei Jahrzehnten erstrebt wird, doch noch zu stände, wenn auchmit einigen volksfeindlichen Flecken behaftet.—Wegen Mißhandlung Untergebener hatten sich Donnerstag zweiUnteroffiziere vor dem Kriegsgericht der 1. Garde-Divisionzu verantworten. Der Unteroffizier Gehlert von der dritten Com-pagnie des 1. Garde-Regiments zu Fuß war beschuldigt. Mihhand-lungen in zwei Fällen, der Unteroffizier Lemke von derselben Com-pagnie Mißhandlungen in neun Fällen verübt zu haben. Die An-geklagten waren im wesentlichen geständig. Die Mannschaften solltenvor ihrem Ausmarsch nach Döberitz verschiedene Utensilien abliefern,und dieser Anordnung waren alle nachgekommen mit Ausnahme der-jcnigen von Stube 37, die nicht angetreten waren. Ter Unter-offizier G. begab sich nach dem Mannschaftszimmer, ergriff ein Paardort an der Thüce stehende Stiefel und trieb, damit um sichschlagend, die Leute aus der Stube. Hierbei wurden zwei derSoldaten auf den Rücken getroffen. Unteroffizier L. hatte einenFüsilier, welcher die Stiefel nicht ordentlich gereinigt hatte, die Bürstean den Kopf geworfen. Einen andern Füsilier hatte er bei ähnlichemAnlaß im Genick gepackt. Der Füsilier Bremer gab auf eine An-frage des Verteidigers an. daß er sich Notizen als Belastungsmaterialgegen eine größere Anzahl Vorgesetzter gemacht habe. Er habe zu-nächst gezögert, sich zu beschweren, da er jedoch fortwährendschlecht behandelt worden sei, habe er endlich den Unter-ofsizier Gehlert gemeldet.' Das Kriegsgericht verurteilte den An-geklagten G. zu acht Tagen gelinden und L. zu drei Wochen Mittel-arrest.München, 14. Juli. Das Ober-Kriegsgericht ver-handelte heute in der vom Reichsgericht hierher zurückverwiesenenSache des Rechtspraktikanten und ehemaligen Einjährig-FreiwilligenJosef E r a s. Der Angeklagte wurde wegen falscher Anschuldigung,Beleidigung, Vorschützung von Gebrechen und wegen Ungehorsamszu einer Gesamtgesängni'sstrafe von drei Monaten zehn Tagen ver-urteilt.—Hueland.Frankreich.Der Konflikt mit dem Batikau. Aus Paris wird vom 14. Juligemeldet: Es heißt, der vatikanische Staatssekretär M e r r y d e lV a l habe den Bischof von Laval unter Androhung schwerer Maß-regeln aufgefordert, bis zum 20. Juli seine Entlassung zu geben.Die französische Regierung aber habe abermals in formeller Weiseauf Grund des Konkordats dem Bischof verboten, seine Diözese zuverlassen. Die Maßnahmen des Vatikans gegen den Bischof sinddem Vernehmen nach durch ein Gesuch veranlaßt worden, das von82 Deputierten, General- und Munizipalräten des DepartementsMayenne unterzeichnet ist und darüber Beschwerde führt, daß derBischof den nichtsäkularisierten Jesuiten geistliche Befugnisse ver-weigert.—England.Die Unionistcn für ChamberlainS Zollpläne.London. 14. Juli. Heute wurde hier eine zahlreich besuchte Ver-sammlung des Parteirats der liberalen l�nionisten abgehalten. Chamber-lain, der bei seinem Erscheinen mit großem Beifall begrüßt worden war,wurde zum Präsidenten des Parteirats, der Minister des AuswärtigenMarquis of Lansdowne und der erste Lord der Admiralität Earlof Selborne wurden zu Vicepräsideuten gewählt. 1700 bis 1800Delegierte aus verschiedeneu Landesteilen wohnten der Ver-sammlung bei. Chamberlain hielt eine Rede, in der eran die Entstehung und an die Geschichte der unionistischenParter erinnerte, deren Ziel die Aufrechterhaltung der Union deSVereinigten Königreichs unter der Oberhoheit des Reichsparlamentssei. Die Versammlung nahm darauf mit Einstimmigkeit eine Re-solution zu Gunsten einer vollständigen Reform deS Fiskalsystems Englands an. Die Resolution billigt das Verlangendes Premierministers Balfour nach größeren Machtbefugnissen zurBekämpfung feindlicher Tarife sowie des Systems, Waren auf denenglischen Markt zu schleudern, und drückt schließlich das Eiuver-ständnis mit den Vorschlägen aus, zwischen dem Mutterlande undden Kolonien Borzugstarife zu vereinbaren.—Rußland.Der neue Flottenadmiral als Agitator gegen die Socialdemokratie.An Stelle des nach Ostasien kommandierten Skrydlow hat dasKommando über die Schwarze Meer-Flotte der Admiral Tschuchninübernommen. Der neue Admiral hat es nun für nötig gehalten,seinen Amtsautritt durch eine lange Ansprache an die Unter-offiziere und Matrosen der Flotte auszuzeichnen.Unter den Matrosen dieser Flotte hat sich nämlich in der letztenZeit auch ein starker Einfluß der Arbeiterbewegung geltend gemacht,die socialdemokratisckie Agitation hat auch hier Eingang zu findengewußt. Dieser Gefahr zu begegnen trat nun Herr Tschuchnin miteiner im„Volkston" gehaltenen Rede mutig ins Feld.„Ich binein Mann, der Disciplin und liebe die Disciplin", erklärte derschneidige Herr eingangs seiner Rede. Sodann, nachdem er dieWichsigkeit der Disciplin auseinandergesetzt hatte, fuhr er fort:„Ein Unteroffizier das ist ein g r o ß e s W o r t(!). Wenn Ihr Euchbesten bewußt werdet, muß Euch ein Schrecken erfassen(wörtlich!>: unlängst erst war jeder von Euch ein einfacher Bauer,der den Boden Pflügte, und nun plötzlich ist er ein Uuterosfizier, dernächste Gehilfe des Offiziers!" Ans dieser„schrecklichen" Metamor-phose ergebe sich für die Unteroffiziere das Recht und die Pflicht.„zu thun, was Euch gefällt" mit den Untergebenenund sie„der Obrigkeit anzuzeigen". Nach all diesen weitläufigenEinleitungen kam dann der Admiral endlich auf die Hauptsache zusprechen:„Noch wollte ich mit Euch über eine Sache sprechen. Imvorigen Jahre haben sich unter Euch böse Leute(!) eingeschlichen,die schlimmsten Feinde nicht nur des Staates. sondernEurer selbst. Und was haben diese Bösewichter aus-gerichtet? Sie wurden verhaftet und sitzen nun im Ge-säugnis, wo sie auch verfaulen werden. Die heutige Staats-ordnung zu ändern wird keinem Menschen gelingen. WirOffiziere sind noch ganze andre Mensche», wie Ihr, wir sindtausendmal gescheiter und gebildeter, wie Ihr, und doch befassenwir uns nicht mit diesen Dingen, was wollt Ihr also ans-richten, Jbr Schafsköpfe?„Jene Leute" sind unzufrieden, weil siewenig besitzen, da wollen sie nun, daß auch andre wenig haben.„Jene Leute" machen Streiks. Und was gewinnen sie dabei? Siemüssen selbst Hunger leiden und auch die, die sie verführthaben; und schließlich müssen sie bei denselben Herren umArbeit bitten, gegen die sie aufhetzten.— Solche Leutemüßt Ihr auf Schritt und Tritt verfolgen und dem Compagnie-chef anzeigen, dafür werdet Ihr auch belohnt und ausgezeichnet alstreue Söhne des Vaterlandes und Diener des Staates."Nach dieser Agitationsrede gegen die socialdemokratischen„Auf-wiegler" trat der neue Admiral an die praktische Anwendung seinerschneidigen socialpolitischen Ideen heran: er forderte eine sofortigeHerabsetzung der Löhne in den Hafenwerkstätten: de» Lehrlingensoll der Lohn von tiv Kopeken auf 3» bis 4» Kopeken herabgedrücktwerden, den Erwachsenen soll der jetzt üblickie Lohn von 1 Rubel40 Kopeken nur nach 20jähriger Dienstzeit gewährt werden.Zum Schlüsse seines Debüts hielt Admiral Tchuchnin noch eineAnsprache an die als politische„Verbrecher" inhaftierten Matrosen,in der er sie aufforderte,„die wahren Schuldigen" den Behördenanzugeben.Es bleibt abzuwarten, welche Früchte dieser Eifer des neuenKommandierenden der Schwarzen Meer- Flotte zeitigen wird, ob esihm gelingen wird, die Hydra des„Aufruhrs" unter den Matrosenzu töten....Asien.Ghangtse, 14. Juli. iMeldung des„Reuterschen Bureaus".)Der Vormarsch der englischen Expedition nach Lhassa hat be-gönnen.—Oberst Dounghusband hat an das Volk von Tibet eine Kund-gebuug gerichtet, in der er als den Zweck der englischen Expeditionden Vormarsch auf Lhassa bezeichnet, um Genugthuuug zu fordernfür die schmähliche Behandlung der Vertreter des Königs seitensder tibetanischen Behörden. Ferner droht Iounghusband in dieserKundgebung dem Volke, daß strenge Bestrafung jedem Angriffe aufdie vorrückende englische Truppenmacht folgen werde.—KönigsbergerGeheimbnnds und Hochverrats-Prozetz.Königsberg, 14. Juli.Dritter Verhandlungstag.Der Verteidiger des Angeklagten Pätzcl, Rechtsanwalt Dr. HugoHeinemann- Berlin, ist heute erschienen.— Der Vorsitzende!der um 9 Uhr die Verhandlung wieder eröffnet, teilt mit, daß diegenaue Adresse des Zeugen Mandelstamm nicht bekannt, die Ladunginfolgedessen unmöglich sei.— Vert. H e i n e m a n n verzichtet aufdiesen Zeugen wegen der Schwierigkeit seines Auficilthalts in Deutsch-land nach seiner Ausweisung.— Vert. Liebknecht macht daraufaufmerksam, daß dieselben Schwierigkeiten bei Dr. v. Wetscheslaffbestehen. Der Vorsitzende erklärt, daß er es diese» Zeugenselbst überlassen müsse, sich wegen der AnfenthaÜscrttkubnis mit dendeutschen Behörden in Verbindung zu setzen.Es folgt die Vernehmung desKriminalkommissars Wohlfrommaus Königsberg. Zeuge Wohlfronun, 47 Jahre alt. schildert zunächstseine beiden Besuche bei Nowagrotzki und als dritte? die Haussuchung.Irgendwelche Schwierigkeiten seien ihm nicht gemacht worden. Doch seidie Auskunft über den Empfänger verweigert worden. Die Aeußerung:„Mit den übrigen Paketen könne er thun, was er wolle, aber aufeigne Verantwortung", giebt er zu. Ob er die Worte„auf eigneVerairtw ortung" jedesmal dazu gesagt ist, kann er nicht mehrmit Sicherheit angeben.— Vert. H a a s e: Welcher Behörde sinddiese Schriften zugestellt worden? Zeuge W o h l f r o m m erklärt,daß er die Erlaubnis zur Beantwortung dieser Frage von seinervorgesetzten Behörde erbitten wollte, ebenso die zur Beantwortungeiner zweiten Frage des Verteidigers, welche Auskunft das russischeKonsulat über den Inhalt der andren Schriften gegeben habe.—Vert. H a a s e: Geben Sie zu, zu Nowagrotzki nach der Beschlag-nähme der einen Schrift gesagt zu haben, in den übrigen sei nichtsStrafbares?— Zeuge W o h l f r o m m: Ich habe vielleicht gesagt,bei der Durchsicht auf dem Konsulat habe sich in den andrennichts Besondres ergeben.Verteidiger H a a s e: Hatten Sie von vornherein den Auftrag,nicht nur die blauen, sondern auch die roten Broschürenzu beschlagnahmen?— Zeuge Wohlfromm: Ich habedas erste Mal aus eigner Initiative gehandelt.— VerteidigerH a a s e: Wußten Sie, daß auch eine zweite Schrift, eben die mitdem roten Umschlag, einen bedenklichen Inhalt hatte?— ZeugeW o h l f r o m m: Nein.— Vert. H a a s e: War Ihnen oder andrenPersonen amtlich oder auf privatem Wege vor dem Eingang derSchriften bei Nowagrotzki bekannt, daß solche an ihn unterwegsseien?— Zeuge Wohlfromm: Nein. Ich wußte nur aus einerNotiz deS �Königsberger Tageblattes", daß solche Schriften in Memellagen.— Vert. H a a s e: Geben Sie zu, daß schon bei der zweitenHaussuchung Frau Nowagrotzki Sie aus die zlvei liegengebliebenen Schriften aufmerksam gemacht und Sie ge-beten hatte. sie mitzunehmen. oder hatten Sie dazu keineVeranlassung?— Zeuge Wohlsromm: Ich gebe zu, daß sich dasso abgespielt haben kann. Ich hatte keine Veranlassung damals, diebeiden Hefte mitzunehmen.— Vert. H a a s e: Wußten Sie,als Sie am 9. November zur Haussuchung schritten, schon, daß dieroten Broschüren einen strafbaren Inhalt hatten?— Zeuge Wohl-fromm: Mir war von andern Broschüren außer der zuerstbeschlagnahmten nichts bekannt.— Vert. H a a s e: Hat dienoch durch das Amtsgeheimnis gedeckte Stelle(Heiterkeit),die nach Ihrer Aussage in der Voruntersuchung das russische Konsulatist, an die Sie aus eigner Initiative die Schriften zur Durchsichtübergeben haben, auch die rote Broschüre erhalten und durch-gesehen?— Zeuge W o h l f r o m m: Das weiß ich nicht, ich mußes jedoch ohne weiteres annehmen.— StaatsanwaltschaftsratDr. Caspar: Ich bestreite die Notwendigkeit dieser Annahme undSchlußfolgerung.— Vert. Liebknecht: Dann müßte der russischeKonsul geladen werden.Vors.: Der russische Konsul ist, unbekannt wo, von Königs-bcrg abwesend.— Vert. H a a s e: Herr Präsident, mein KollegeJacobi, der der Verhandlung als Zuhörer beiwohnt, teilt mirsoeben mit, daß er gestern den hiesigen russischenKonsul gesprochen habe.— In seiner weiterenAussage über die Haussuchung bei Braun b e st r e i t e tZeuge Wohlfromm, daß dieser besonders erregt gewesen sei,und daß er, Wohlfromm, ihm gesagt hätte, Klein habe ihnbelastet.— Angekl. Braun tritt dem lebhaft entgegen und giebtdie Unterhaltung wieder, die seiner Erinnerung nach der Kriminal-kommissar Wohlfromm mit ihm gehabt habe,— Zeuge W o h l-fromm: Ich kann das nicht bestreiten, aber ich wüßte wirtlichnicht, wie ich schon hätte wissen können, daß Klein den Braun be-lastet hat.— Vors.: Das wäre nur dadurch möglich, daß das st a a t s-anwaltschaftliche Protokoll über die Vernehmung Kleinsam Tage der Haussuchung bei Braun eintrafund der Zeuge sie erfahren hat.— Vert. Haase: Der Zeuge Wohl-fromm hat in jener Zeit wohl viel auf der Staatsanwaltschaft ver-kehrt?— Staatsanwaltschaftsrat Dr. Caspar: Der Kriminal-kommissar Wohlfromm hat lange vordem einmal auf dem Korridormit mir gesprochen, sonst nie mit der Staatsanwalt-schaft verkehrt.Damit ist die Vernehmung deS Zeugen Wohlfromm beendet.Der Gerichtshof beschließt gemäß dem Antrage der Verteidiger, demZeugen aufzugeben, die Genehmigung der vorgesetztenBehörden für sich und die andern Beamten zur Beantwortungfolgender Fragen einzuholen: 1. Durch wen und wann die Zeugenbezw. die Polizei Kenntnis von den Nowagrotzkischen Schriften über«Haupt erhalten haben und wem die Zeugen oder die Polizei dieSchriften, die geprüft werden sollten, aus den an Nowagrotzki ge-kommenen Paketen gegeben haben; 2. wie diese Schriften demrussischen Konsulat zugänglich gemacht worden sind und was diesesbezüglich des Inhalts der Schriften festgestellt hat.Vert. Haase teilt mit, daß Frau Borchardt bereit sei. zu be-künden, daß Braun ihr am Tage der Haussuchung be-reits gesagt habe, von Klciu sei er in einer ihm unverständlichenWeise belastet worden.— Der Gerichtshof beschließt, Frau Borchardtsofort eidlich zu vernehmen. Diese sagt in dem angegebenenSinne aus.— Vert. Haase: Ich stelle aus den Akten fest, daßdie Staatsanwaltschaft in Memel das Protokoll über die VernehmungKleins dem hiesigen Amtsgericht mit dem Ersuchen übermittelt hat,es an die Polizei weiter zu geben. Wohlfromm hätte also Kenntnisvon der Braun belastenden Aussage KleinS gehabt.—Kriminalkommissar Scheffler-KönigSbergbestätigt, daß Nowagrotzki ihm von dem Besuch eines angeblichenSpitzels erzählt habe. Ueber das, was Zeuge vorher von demInhalt der Schriften gewußt hat, verweigert er bis zum Einlauf derbehördlichen Genehmigung die Aussage.— Auf Befragen des Ver-teidigers Haase bestreitet Zeuge Scheffler jede Fühlung der Königs-berger Polizei mit den russischen Beamten sowie daß sie Vigilantenoder Angehörige des russischen Konsulats in Zürich zu Polizeizweckenbenutzt habe.Zeuge Kriminalschntzmann Buchhorn- Königsberg hat an denHauSiuchungen bei Nowagrotzki und Braun teilgenommen, kann abernichts Wesentliches bekunden.Zeuge Kriminalinspektor Haberkandt- Memel schildert dieHaussuchungen bei T r e p t a u, Klein und K u g e l. Dieser habedas Vorhandensein der Broschüren, die nachher hinter Kartoffclkörbengesunden wurden, z u e r st b e st r i t t e n.— Angeklagter Kugelwiderspricht dem.— Zeuge Po liz ei be amter Ehren-stein- Memel hat an diesen Haussuchungen teilgenommen und be-stätigt, daß die bei Klein gefundenen Pakete, die durch FrauNowagrotzki abgesandt worden waren, sehr groß gewesen seien. Vordieser Haussuchung sei weder ihm, noch der.Memeler Polizei bekanntgewesen, daß die drei Angeklagten Schriften aus Rußland bekämenund weitergäben.Zeuge Redakteur Qu e ss el- Stettin erklärt, daß er seiner Zeitmit Skubbik einerseits und Nowagrotzki andrerseits feste und bindendeAbmachungen getroffen habe, daß nur rein socialdemokratischeSchriften an Nowagrotzki geschickt werde» sollten. Er kenne Skubbik,sein großes Ansehen bei den Freunden, seine Besonnenheit, und seiauch heute noch überzeugt, daß er keine andren als socialdemokratischeSchriften geschickt habe.— Vors.: Sie wissen doch aber, daß inder russischen Partei verschiedene Strömungen bestehen, es ist ja inDeutschland ebenso. Es ist doch auch ganz unmöglich, daß ineiner so großen Partei wie der socialdemokratischen alles ausd e n B u ch st a b e n e i n g e s ch w o r e n i st.— Zeuge O u e s s e l:Gewiß: aber Plechanow und Axclrvd, zu deren Partei Skubbik ge-hörte, sindausgesprochene Gegner der Terroristen.So wurde Plechanow, als ich in Z ü r i ch studierte, vonden Terroristen in einer Versammlung nieder-gebrüllt. Er ist auch einmal von seiner eignen Partei wegendes Hohnes seiner Polemik gegen die Anarchistengerügt worden.— Vors.: Aber Plechanow hat doch früher aucheine recht extreme Stellung eingenommen.— Vert. L i e b k n e ck, t:Es wird behauptet, daß er vor zwanzig Jahren Acußcrunge» dieserArt gemacht hat; doch bestreitet dies die Verteidigung auf das aller-entschiedenste.— Vors.: Warum haben Sie sich geweigert, denNamen SkubbikS zu nennen?— Zeuge O u e s s e l: Ich halte esfür eine Ehrenpflicht, die Namen politisch thätigcr Russen zuverheimlichen,weil sie wegen Handlungen, die nach unserm sittlichen Empfinden,nach unserm Rechtsbewußtsein und nach unserm Recht durchauszulässig sind, in Rußland bestraft werden können. Der Zwiespaltzwischen den terroristisch-anarchistischen und den socialdemokraftschenRussen ist so groß, daß vielfach sogar der gesellschaftliche Verkehrzwischen ihnen aufgehoben ist trotz deS sonstigen engen Zusammen-Haltens in der russischen Kolonie. Schriften Versendung undGeldmittel sind völlig gesondert. Daß Skubbiksie vermittelt hätte, ist ausgeschlossen. Eher istes möglich, daß Skubbik, der damals zum Dresdener Partei-tage kam. die Adresse Nowagrotzkis einem andern gegeben hat.Was die Namen der Absender angeht, so ist es ganz üblich, daß dieStudenten, auch ohne zu fragen, die Namen ihrer Zimmer-Vermieter aufgeben. Sie können das, weil die Briefträger dieankommenden Postsachen unten an den Häusern in die betreffendenBriefkasten der Enipsänger werfen und die Studenten die Schlüsseldazu haben, weil sie weit häufiger Sendungen bekommen als dieVermietenden.— Präs.: Aber warum denn in der Schweiz dieDeckadressen?— Zeuge O u e s s e l: Herr Präsident,es giebt auch da Spione,und in Rußland verdächtigt zu werden, ist nicht angenehm. Nunwechseln die russischen Studenten ihre Wohnungen häufig, nicht,um sich den Spionen zu entziehen, sondern aus Lust an der Ver-änderung.— Auf Befragen seitens des Staatsanwalts und derVerteidigung giebt der Zeuge noch viele einzelne Auskünfte. Dierussische„Revolution" sei nicht offizielles Parteiorgan, sondern die„Jskra". Unter„revolutionär" verstehe man alles,'was in Rußlandnicht erlaubt und illoyal sei, d. h. was n.cht von der Zensurerlaubt sei.