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Nr. 178. 21. 1. Ktilxze dts Jomitts" Knlim Mblilittl Sonntag, 31. WIM. Militärreformen in der Schweiz . Zürich . 27. Juli. lEig. Ber.) Seit einem Jahrzehnt wird in der Schweiz eine Militär- Reorganisation angestrebt, allein die Forderungen der Heeres- Verwaltung und die Ansichten des Volkes stehen dabei in einen? starken Gegensatz. Die erstere verlangt vom Volke größere Opfer für das Militär, will ihm also drückende Lasten auferlegen, während das Volk im Gegenteil eine Entlastung mit äußerer Vereinfachung und innerer Vervollkommnung der Militär-Reorganisation fordert. An diesem Gegensatz scheiterte die Militärvorlage von 1895, die in der Volksabstimmung mit großer Mehrheit verworfen wurde, und dieser Gegensatz war es auch, der der Militärverwaltung notgedrungene Zurückhaltung in Bezug auf einen neuerlichen Reorganisations- versuch auferlegte. Dazu nötigten ferner aber auch die in den letzten Jahren einander förmlich jagenden Militärskandale verschiedener Art, ferner die dreisten Versuche der Reaktion, die Militärinstitution als ein unantastbares Heiligtum zu qualifizieren und durch das berüchtigte Maulkrattengejetz jede freie Krüik von ihr fernzuhalten. Dieses schlechte Gesetz ist in der Volksabstimmung mit wuchtiger Mehrheit verworfen worden, allein schon seine Fabrikation war eine große Dummheit, so daß man sagen kann, wenn seine Väter keine besseren Kriegsstrategen als Politiker sind, steht es nicht gut um die militärische Führung des Schweizervolkes. Nun ist jüngst der Entwurf zur Militär. Reorga- n i s a t i o n veröffentlicht worden, der zahlreiche Neuerungen und Abänderungen vorschlägt. Der Entwurf stellt wie das bestehende Militär- Organisationsgesetz von 1874 in erster Linie auf den Turnunterricht in der Volksschule, der obligatorisch erklärt und auf 69 Unterrichtsstunden im Minimum pro Jahr festgesetzt wird. An den Turnunterricht schließt sich der militä- rische Unterricht, der ebenfalls mindestens 69 Unterrichts- stunden pro Jahr umfassen soll. Wie der Turnunterricht, besteht auch der militärische Unterricht heute schon, aber nur fakultativ, so daß im Jahre 1993 nur 7641 Teilnehmer gezählt wurden, während im Durchschnitt 16 999 junge Männer alljährlich zur Rekrutierung kommen. Der obligatorische militärische Unterricht beginnt mit dem 16. Altersjahr und dauert bis zum dienstpflichtigen Alter, d. h. bis zum 29. Lebensjahre. Er soll der körperlichen Entwicklung und der Schießausbildung dienen. In seinem Geschäftsberichte für 1993 sagt das Militär-Departement über den militärischen Unterricht:Der militärische Unterricht III. Stufe hatte bis jetzt hauptsächlich die Schießausbildung und die Förderung der Marschtüchtigkeit ins Auge gefaßt. In verschiedenen Kantonen fing man an, auf die allgemeine turnerische Entwicklung der Kursteilnehmer mehr Gewicht zu legen und erzielte dabei gute, teilweise sogar vorzügliche Resultate. Es ist dies ohne Zweifel das Gebiet, auf dem der Vorunterricht der Armee die nützlichsten Dienste leisten könnte. Nur wenn unsre Jung- linge von der Entlassung aus der Schule bis zum Eintritt in die Armee durch regelmäßige Hebungen ihren Körper kräftigen und gewandt machen, dürfen wir hoffen, in unfern kurzen Rekrutenschulen Soldaten heranzubilden, die den Vergleich mit denen unsrer Nachbar- staaten aushalten können...." In diesem Sinne ist auch die dem Entwurf beigegebene Begründung der Umwandlung der Fatultät in das Obligatorium des Vorunterrichts gehalten.. Nebenbei erwähnt sei noch, daß im Jahre 1993 in 13 Kantonen 52 Kadetten­korps mit 6442 Kadetten 13- bis 16jährige Real» und Gymnasial- schüler bestanden. Einschneidende Veränderungen proponiert der Entwurf bezüglich der Dauer der Dienstzeit. Zunächst haben alle jene Dienst- Pflichtigen, welche aus irgend einem Grunde nicht wenigstens zwei Jahreskurse des Vorunterrichts mit Erfolg bestanden, vor Beginn der Rekrutenschule einen Vorkurs von 15 Tagen zu bestehen. So- dann wird die Dauer der Rekrutenschule von 45 auf 60, für die Kavallerie von 60 auf 80 Tage verlängert: bei letzterer Verlängerung handelt es sich indessen nur um die Aufnahme des bezüglichen Bundesbeschlusses von 1881 in das Militärgesetz. Dasselbe ist der Fall in Bezug auf die all- jährlichen Wiederholungskurse, die für die Kavallerie heute schon bestehen und nun an Stelle der bisher zweijährigen auch für die Infanterie und Artillerie vorgeschlagen iverden. Die jetzt zweijährigen Wicderholungskurse dauern 16, die vorgeschlagenen alljährlichen Kurse sollen 11 Tage dauern und von den Mann- schaften der ersten acht Jahrgänge mitgemacht werden. Die Dreiteilung des Heeres in Auszug, Landwehr und Landsturm wird beibehalten und die Dienstzeit für den Aus- z u g vom 32. auf das 33. Altersjahr verlängert. Die Landwehr besteht aus den Dienstpflichtigen des 34. Altersjahres bis zum zurück- gelegten 39. Lebensjahre, die noch einen lltägigen Wiederholungs­kurs tmrchzumachen haben. Der Land stürm besteht aus den nicht im Auszug oder in der Landwehr eingeteilten wehrfähigen Bürgern vom 20. bis zum zurückgelegten 50. Altersjahre sowie aus den Freiwilligen jüngerer oder älterer Jahrgänge. Das bestehende Militär- Organisationsgesetz begrenzt die Dauer der Dienstpflicht mit dem 44. Altersjahr, das Landsturmgesetz aber setzt sie fest für das 17. bis zum vollendeten 59. AlterSjahr. In letzterer Beziehung bringt also der Entwurf nichts Neues, sondern nur das Militärgesetz in Uebereinstimmung mit dem Landsturmgesetz. Die Ausdehnung der aktiven Dienstzeit bedeutet indes eine wesentliche Mehrbelastung der Wehrmänncr und zwar von 124 Diensttagen auf 159, eine Ver- mehrung um 25 gleich 20 Prozent. Dagegen ist nicht die Rede von einer Besserstellung des Soldaten. Nach ihren, vom vorjährigen Parteitag in Ölten aufgestellten Forderungen an die Reorganisation des Bundesheeres erscheint die socialdemokratische Par- tei von vornherein in eine Oppositionsstellung gegenüber dem vorliegenden Entwürfe ge- drängt. Sie verlangt die Beschränkung der Ausbildung auf das für den Ernstfall Notwendige, die Verkürzung der gesamten Dienst- zeit, aber Konzentration derselben auf die ersten Jahre der Dienst- Pflicht. Abschaffung der Militärjustiz in Friedenszeit, Verbot dikr Verwendung des Militär» zum Polizeidienst bei Streiks und Aus- sperrungen usw.. und davon ist im Entwurf nichts erfüllt. Einzig Rechnung getragen ist der Forderung auf Unterstützung der Familien von Wchrmännern während der Dienstzeit, die sich schon längst als eine dringende Notwendigkeit herausgestellt hat. Von den militärtechnischen Neuerungen seien noch angeführt die Einteilung des Landes in 6 Divisionskreise an Stelle der bestehenden 8 Divisionen, die Schaffung von Kreisdirektionen in Anlehnung an die Divisionskreise, die Ersetzung der Schützen durch die Alpenjäger, die Verschmelzung von Waffenchef und Ober- instrukteur in den AbteilungSchef des Militär-Departements, die Ersetzung desOuartiermeisters" durch den.Kommissariatsoffizier". der Verwaltungstruppen durch die Verpflcgungstruppen. lieber die finanzielle Seite der vorgeschlagenen Militär-Reorganisation schweigt sich die Vorlage aus. obwohl sie nicht so ganz unbedeutend ist, denn die erhebliche Verlängerung der Dienst- zeit bedeutet zweifellos die Erhöhung der Militärausgaben um Millionen. Die Nichtberücksichtigung der socialdemokratischen, durchaus volkstümlichen Postulate durch die Militärverwaltung ist ein schwerer Fehler, er kann aber durch Entgegenkommen der radikalen Regierungspartei in der Bundesversammlung wieder gut gemacht werden. Sollte aber auch das nicht geschehen, so wäre der Ausgang der ganzen Aktion von vornherein gegeben. Die socialdemokratische Partei würde das Referendum ergreifen und in der Volksabstimmung wäre der Vorlage das gleiche Schicksal ihrer Vorgängerin von 1895 sicher. Die socialdemokratische Partei ist im politischen Leben der Schweiz nachgerade ein wichtiger Faktor und ihr« hochmütige Miß- achtung wird sich immer rächen. Ohne die Mitwirkung der Social- demokratie giebt es keine Militärreform, und diese Mitwirkung kann nur durch Erfüllung ihrer Forderungen gesichert werden. Gewcrkfcbaftlicbea. CciltrmnSchristen bei der Förderung der christlichen Gewerkschaften. In seiner jüngsten Nummer schreibt das Organ desChristliche socialen Metallarbeiter-Verbandes":Für die Geschichte des christ lichen Metallarbeiter-Verbandes ist es wichtig, festzustellen, daß in keinem andern Bezirke unsres deutschen Vater- landes der Verband mehr bekämpft wird als in dem dunkel st en und nllcrkatholischste» Bezirke zwischen Köln bis Düren . Das stellt dem socialen Verständnis dieser katholischen Mitbürger das denkbar schlechte st e Zeugnis aus." Die Ursache zu diesem ebenso interessanten wie wertvollen Zugeständnis ist diese: bei der Firma Emil Deut gen in H o v e n bei Düren sind vier Mitglieder des christlichen Metall arbeiter-Verbandes wegen ihrer Zugehörigkeit zur Organisation entlassen worden. Unter den Gematzregelten befinden sich Arbeiter, die bis zu vierzig Jahren bei der Firma arbeiteten. Ee legten infolge der Maßregelung 35 Mitglieder des. christlichen Ver Bandes die Arbeit nieder. Die vier Arbeitswilligen werden von Gendarmen zur Fabrik und wieder heimgebracht. Die Bürgerschaft steht auf Seite der Fabrikanten. Ein Hausbesitzer erklärte einem bei ihm wohnenden Sweikenden gegenüber:Wenn Sie bis zum 25. Juli die Arbeit nicht wieder auf- nehmen, müssen Sie pro Woche zwei Mark Miete mehr zahlen oder ausziehen". Die Frau des Bedrohten liegt im Wochenbett. Als ein andres Mitglied des christlichen Verbandes in einer Wirtschaft ein Plakat für eine Versammlung der Streikenden aufhängen wollte, geriet der Mann mit dem Wirt über die Berechtigung des Streiks in Wortwechsel. Die Folge war, daß der Wirt den Arbeiter hinauswarf, so daß er einen Knöchelbruch erlitt. Ms der Mann sich ein Attest verschaffen wollte, weigerte sich der Arzt, zu dem man ihn gebracht hatte, ein solches Attest zu schreiben, es sei denn, daß er vom Gericht dazu gezwungen werde. So arbeiten Unternehmertum, Bürger- und Scharfmachertum mit allen Kräften, um denchristlichen" Arbeitern Einsicht und Klassen� Bewußtsein einzupauken. Wie lange werden sich noch Einfältige finden, die statt den freien Gewerkschaften sich den christlichen Sonder und Ouertteiberverbänden anschließen. In welchem Matz die Arbeiter zur Einsicht kommen, zeigt der Stillstand der christlichen Gewerk- schaftsbewegung. Berlin und Cbngegend. Tie Maßregolungsgeluste der Bäckermeister. Obermeister B e r n a r d erläßt in der letzten Nummer der Jnnungszeitung eine Aufforderung an die Bäckermeister, sie sollen von den Jnnungs-Sprechämtern nur Gesellen bestellen, die demsocialdemokratischen" Gesellender- bände nicht angehören. Wenn nun die Gesellenführer auf Grund dieser Matzregelungsversuche ihre Kollegen auf- fordern, den Bäckermeistern nicht auf die Nase zu hängen, daß sie dem Verbände angehören, dann werden diese Herren bei nächster Gelegenheit wieder von derStaatsbürger-Zeitung" Flug blätter drucken lassen mit dem Motto:Der Zweck heiligt die Mittel", in welchen sie sich mit gut geheuchelter Bieder- meicrmaske über die vorgeschlagene Kampfcsweise der Gesellen ent- rüsten. Der Tarif und vor allem der paritätische Arbeits- Nachweis ist der Innung bei ihrer Maßregelungs- Begierde im Wege. Deshalb möchten sie diesen Arbeits- Nachweis viel lieber als die die Arbeitslosen ausplündernden Kommissionäre beseitigt wissen. Obgleich die Innung mit Lehrlingsentziehung und andern Drohungen operiert hat. hat doch ein erheblicher Teil der Bäckermeister den Tarif unterschrieben und ein weiterer Teil besteckt die Arbeitskräfte beim paritätischen Arbeits- Nachweis. Jetzt droht die Innung mit Strafen bis 29 M. für alle Jnnungsmitglieder, die die Gesellen nicht bei den Jnnungs-Sprech- ämtern bestellen. Waren diese Drohungen schon früher wir- k u n g s l o s, so verfallen sie jetzt direkt der Lächerlichkeit. Man ersieht hieraus, wie weit dieEinigkeit" der Innungen vorhält. Auch die Jnnungs-Sprechmeistcr wüten gegen die Organisierten. Sie möchten gar zu gern an diesen ihren Haß wegen der ver- ringerten Einnahme kühlen. Dies ist ihnen aber nur möglich, wenn das Heer der Arbeitslosen recht groß ist. Daher reden sie trotz ihren Schimpfereien gegen den Verband den Organisierten, die Lust zum Abreisen verspüren, aller- dings vergeblich, zu, in Berlin zu bleiben. Auch die Versuche, von außerhalb die Zahl der Arbeitslosen zu verstärken, sind den Innungen mißlungen. Es ist geradezu charakteristisch, mit welchem Raffinement hier versucht wird, die H u n g e r p e i t s ch e für ehrliche Arbeiter zu flechten. Die Gesellen und die Berliner Bevölkerung werden also noch mehr Wasser in den Jnnungswein gießen müssen. Achtung. Schuhmacher: Der Filzschuhwarenfabrikant Kusche, Büschingstratze 8, sucht gegenwärtig durch Inserate Arbeitskräfte der verschiedensten Kate- gorien. Wir machen unsre Kollegen und Kolleginnen ganz besonders darauf aufmerksam, daß diese Fabrik wegen Maßregelungen von Vcreinsmitgliedern und Lohnreduttionen nach wie vor gesperrt ist. Wir ersuchen, den Sperrebcschlutz zu beachten und den Zuzug nach dieser Fabrik streng fernzuhalten. Ortsverwaltung des Vereins deutscher Schuhmacher. Achtung, Korbmacher! Auf das Inserat des Herrn Schmidt, Dresdenerstraße 81, den Kollegen zur Nachricht, daß der Herr auch nur 69 Pf. bezahlen will. Wir ersuchen die Kollegen, dort keine Arbeit zu nehmen. Die Kommission. I. A.: Otto Stitz. Bon den Berliner Teilnehmern an der Generalversammlung des Verbandes der Lithographen »c. erhalten wir folgende Zuschrift: Die Berichte über die Generalversammlung des Vereins der Lithographen, Steindrucker und Berufsgenossen Deutschlands , welche kürzlich in Dresden stattgefunden hat, sind so mangelhaft, daß wir alle Kollegen ersuchen müssen, sich daraufhin kein Urteil zu bilden, sondern hierfür die offizielle Berichterstattung und das gedruckte Protokoll abzuwarten. veutfehes Reich. Eine neue ArbeiterauSsperrung scheint in Gera bevorzustehen. Wie unserm dorttgen Parteiorgan von verschiedenen Seiten überein- stimmend mitgeteilt wird, treffen die Innungen der Geraer Bau- gewerbe Vorbereitungen zu einementscheidenden Schlage" gegen die streikenden Maurer. Es soll eine Aussperrung aller in den Baugewerben beschäftigten Arbeiter sZinunerer, Glaser, Tischler, Schlosser, Maler usw.j ins Auge gefaßt sein. Nur über den Termin für den Eintritt der Aussperrungen gehen die Meldungen auS- einander. Zur Aussperrung der Bauarbeiter in Hessen-Nassau wird uns geschrieben: Die Situation ist noch ziemlich unverändert. Aus- gesperrte wie Aussperrer beharren auf ihrem Standpunkt. Doch S feint in Unternehmerkreisen die Erkenntnis zu dämmern, daß die uSsperrung ein großer Fehler war, denn die Sympathie der. Bürgerschaft wie auch der Behörden ist auf feiten der Ausgesperrten. Die Frankfurter Polizei z. B., die sich sonst bei jedem Streik auf die Seite des Unternehmertums stellt und äußerst rigoros gegen die Streikenden vorgeht, verhält sich diesmal bollkommen neutral. Sie macht den Ausgesperrten bei all ihren Maßnahmen keinerlei Schwierigkeiten. Streikpostenstehen ist diesmal nicht nötig, da ja auch die sogenannten Arbeitswilligen mit ausgesperrt sind. Diese sind durch die Maßnahmen der Unternehmer in eine schlimme Lage gekommen. Vor der Aussperrung war ihnen gesagt worden, sie würden eine Unterstützung bekommen. Das haben die Leute so aufgefaßt, als würden sie vom Verband der Unternehmer eine Unterstützung bekommen. Aber der pfeift ihnen etwas; er verweist sie an ihre früheren Arbeitgeber und diese speisen nun die ganz alten Leute mit einigen Bettclgroschen ab. Das mutz um so mehr den Grimm und Zorn dieser Unorganisierten erwecken, als diese sehen, wie gut die organisierten Ausgesperrten von ihren Ver- bänden unterstützt werden. Ueberhaupt herrscht im Lager der organisierten Bauarbeiter die beste Stimmung, denn die Situation wird mit jedem Tag für sie günstiger. Einstweilen sind die Leiter der Aussperrung bestrebt, möglichst alle jungen ledigen Leute aus dem Aussperrungsgebiet zu entfernen. In der Donnerstagnacht sind über 799 Bauarbeiter aus Frankfurt nach Westfalen abgereist, wo starke Nachfrage nach Maurern herrscht. Auch aus Mainz , Darmstadt , Wiesbaden und Hanau werden große Truppenabschübe gemeldet. Streikbrecher sind nicht zu befürchten, da ja niemand ein- gestellt wird. Einzelne große Geschäftsinhaber in Frankfurt , die Neu- oder Umbauten aufführen, haben sich in der Weise aus der Kalamität zu ziehen gewußt, daß sie die Bauten unter Umgehung der Unternehmer aus eigene Rechnung und Gefahr ausführen lassen und den Maurern 55 Pf. Stundenlohn bezahlen. Uebrigens macht sich schon im Lager der Unternehmer der Widerstreit der Interessen bemerkbar und es scheint bereits eine Spaltung vorhanden zu sein. Am Mittwoch fand in Frankfurt eine von ca. 199 Personen besuchte Versammlung der Unternehmer statt. Dabei soll es zu scharfen Auseinandersetzungen unter den Interessenten gekommen fein. Gegen die Presse, selbst gegen die bürgerliche, schließen sich die Herren hermetisch ab. Der Oberscharfmacher Luscher, der den Vorsitz in der Versammlung führte, soll wiederholt verzweifelt ge- rufen haben:Meine Herren 1 Nehmen Sie sich doch ein Beispiel an der Einigkeit der Arbeiterl" Infolge dieser Uneinigkeit sind die Verhandlungen ziemlich resultatlos verlausen. Thatsache ist jeden- falls, daß ein großer Teil der Bauunternehmer sich nach Frieden sehnt, und daß dieser Teil mit der Zeit das Uebergewicht über daö Scharfmachertum gewinnen wird. Diese Friedliebenden werden es deshalb auch mit Freuden begrüßen, daß jetzt das grotzherzog- lich-hessische Ministerium des Innern, Abteilung für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe, die Initiative ergrissen hat und eine Einigung unter den beiden streitenden Parteien ver- suchen will. Die Streikleitung des Maurerverbandes in Mainz und, Darmstadt erhielt dieser Tage ein Schreiben vom Ministerium, in dem esbeiden Streitteilen seine Thätigkeit im Sinne eines Ver- suchs eines Verständigung und der Wiederherstellung friedlicher Zustände im Baugewerbe" anbietet. Der Vorsitzende des Verbandes wird gebeten, dieses Anerbieten auch dem Mitteldeutschen Arbeit- geberverband zur Kenntnis zu bringen. Man darf gespannt sein, ob dieser das gutgemeinte Anerbieten der hessischen Regierung acceptiert. Der Unternehmerverband in Wiesbaden hat auf die von feiten der Arbetter überreichten Forderungen nunmehr mitgeteilt, daß man es ablehne, selbst mit den Ausgesperrten zu verhandeln, daß man diese vielmehr an den Vorstand des Mitteldeutschen Arbeitgeber- Verbandes verweise, der seinerseits nur mit dem Vorstand des Centralverbandes der Maurer Deutschlands verhandeln werde. Die Wiesbadener Tüncher, Weitzbinder, Maler, Metallarbeiter usw. haben beschlossen, sich mit den ausgesperrten Maurern solidarisch zu erklären und dieselben nach Kräften zu unterstützen. Einige Hundert der Ausgesperrten sind bereits nach dem Rheinland abgereist,, da- runter auch einige Verheiratete. Neber den Vertrauensmann der Textilarbeiter in Crimmitschau , Albin Hecht, ist die Briesperre verhängt worden. Die Matz- nähme hängt offenbar mit einem Prozeß gegen denselben wegen angeblichen Terrorismus zusammen. Die ausgesperrten Kohlen-Akkord-Schauerlcute HmnburgS faßten nunmehr mit 247 gegen 140 Stimmen den Beschlutz, die Arbeit be- dingungslos wieder aufzunehmen. Buswnd. Landarbeiterstreik und Tierquälerei. Bei den Landarbeiterstreiks in Schonen ist die Humanität der Agrarier in recht eigentümlicher Weise zu tage getreten; nicht Humanität im eigentlichen Sinne des Wortes, etwa den Landarbeitern gegenüber, sondern vielmehr menschlich Mitgefühl mit dem lieben armen Vieh, das infolge der verfluchten socialdemokratischen Streiksucht der notwendigen Pflege entbehren nuitzte. Auf einigen Gütern kam es nämlich soweit, daß keine Leute zum Füttern der Tiere vorhanden waren, daß die Tiere hungern mußten und man mehrere vor der Zeit zur Schlachtbank führen mußte. DaS hat natürlich das sittliche Empfinden der herrschenden Klaffe arg verletzt und. um solcher Tier- quälerei in Zukunft vorzubeugen, will man nun so viel wie möglich arbeitswillige G alizier einführen.Würde," so schreibt die agrarfreundlicheHelfingborgpost",ein beständiger Strom von AuS- Wanderern aus Galizien hierher geleitet, dann könnte man sicherlich so viele Leute erhalten, daß die unschuldigen Tiere nicht geplagt und vernichtet zu Iverden brauchten. Hier hätte die neu- gegründete Arbeitgeber-Vereinigung wohl eine Aufgabe zu erfüllen.". Ohne Zweifel wird sich die neue Organisation der schwedischen Großgrundbesitzer redliche Mühe geben, um ihre Mtglieder und das liebe Vieh vor dem Ungemach zu bewahren, daß die zum Klassenbewußtsein erwachten einheimischen Landarbeiter über sie bringen. Polen und Galizier , das sind ihre rettenden Engel, daö sind die lieben guten Leute, die Erbarmen haben mit den Agrariern und mit dem Vieh, die sich schinden und plagen, selbst Hunger leiden, aber doch das arme unschuldige Vieh nicht hungern lassen, wie diese einheimischen socialdemokratischen Tierquäler! Das ist so die Meinung der Agrarier und ihrer Presse. In dem Statut ihrer Organisation:Scho nische Landmanns-Arbeitgeber- Vereinigung" heißt es, daß die Vereinigung dienen soll zum Schutz gegen den Landarbeiter« Verband und gegen die socialistische Agitation in den Dörfern". Aus diesem Passus kann man ersehen, welche Bedeutung die Agitation und Organisatton der slld- schwedischen Landarbeiter schon gewonnen hat. Uebrigens ist ihre diesjährige Lohnbewegung durchaus noch nicht beendet, lieber eine große Anzahl von Gütern ist die Sperre verhängt. Auf manchen Gütern sucht man die Landarbeiter durch die Schnapsflasche zumGehorsam" gegen ihre Herren zu erziehen und sie, wo möglich vor einer entscheidenden Versammlung, be- trunken zu machen. Früher spielte nun allerdings der Schnaps eine wichtige Rolle im Leben des schwedischen Landarbeiters und war ein probates Mittel ihn gefügsam zu machen; seitdem aber der Organisationsgedanke in den Reihen der südschwedischen Land- Proletarier Wurzel gefaßt hat, versagt dieses Mittel und man weist die Herren mit ihrer Schnapsflasche zurück, verlangt statt dieser anständigen Lohn und anständige Behandlung, und die Tüchttgkeit, der sittliche Ernst, womit die Bewegung geführt wird, bürgen dafür, daß die Kämpfe nicht vergebens sein werden. Lohnbewegung schwedischer Feinsteinhauer. Die Arbeiter der Feinsteinindustrie an der Westküste Schwedens haben ihren Tarif» vertrag gekündigt. Am 27. Juli hat nun eine Verhandlung zwischen Vertretern der Arbeiter und der Arbeitgeber stattgefunden; zu einer Einigung ist es jedoch nicht gekommen. Die Arbeitgeber wachten