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und den Aufruhr der Massen beschwichtigen; nun ist gerade aus dem rettenden Kirchenbau die Fäulnis furchtbar aufgestiegen. Den Hof- bank-Hochsommer vergessen sie nicht schnell wieder, die als höchsten Grundsatz verkündeten, daß d e_m Volke die Religion erhalten werden muß". Schmutzigste Russcnfrciindschast. Es ist das Verhängnis der Nussenfreundschaft, vom offiziellen Rußland durch schnödesten Undank und peinlichste Blamagen ver- gölten zu werden, haben wir nicht nur in Europa beobachten können. Auch die bedauernswerten Herren Kriegs-Korrespondenten haben es erfahren. Ein bemerkenswertes Opfer seiner Russenneigung ist unter andren der Kriegs- Berichterstatter der Firma Masse, Herr Oberst a. D. Gaedtke, geworden. In glühendstem Knuten- enthusiasmus machte er sich an seine Arbeit. Schon im europäischen Rußland preßte er sich flammende Russenbegeisternug ab: was er über die grandiosen Kriegsvorbereitungen Rußlands zu verkünden wußte, erfüllte alle, die für Japan Sympathien empfanden, mit bangster Besorgnis. Und je weiter er nach Ostasien gelangte, desto russenfreundlicher wurden seine Schilderungen. Die sibirische Bahn war ein Muster von Leistungsfähigkeit, sie beförderte täglich Tausende von Mannschaften und unendliches Kriegsmaterial. Und welche Truppenmassen sah er erst in Eharbin und Mulden! In welch kriegerischer Stimmung befanden sich diese zahllosen Truppen. Arme Japaner, wie wollten sie diesen Armeen standhalten I Und welche Dummheiten begingen dann diese Japaner, statt den strategischen Ratschlägen des Herrn Gaedtke zu folgen. Je tiefer sie in die Mandschurei hineinrllckten, desto rettungsloser gingen sie ihrem todsicheren Verderben entgegen; je mehr sie ihre Operation ver- zettelten', desto kläglicher mußten sie aufgerieben werden. So schrieb und drahtete der Herr Oberst Tag für Tag, Woche fiir Woche und alles, alles kam so ganz anders! Die Strategie der Japaner waren Musterstücke glänzender Berechnung, alle Schlachten Siege der Japaner, bis dann Kuropatkin völlig in der Tinte saß. Bis sich herausstellte, daß die ganze ungeheuere, von Herrn Gaedtke so gepriesene russische Kriegsvorbereitung und Kriegs- stärke nichts waren als jämmerliche Potemkinsche Coulissendörfer! Armer Gaedtke! Wäre er nie nach Ostasien gegangen, so wäre er ein ernsthafter Militärschriftsteller geblieben. Nun ist er das wehrlose Stichblatt aller Witzbolde geworden. Herrn Gaedtke ist es freilich nicht allein so gegangen. Auch andre Berichterstatter haben mit ihrer Russenfreundschaft bitterböse Erfahrungen gemacht. Ein gar wehmütiger Schmerzensansbruch über die Vergeblichkeit der Selbsteutwürdigung ist der Bericht, den der Kriegskorrespondent C. Baron B i n d e r- K r i e g l st e i n in einem Blatte über seine ostasiatischen Erlebnisse gieht. Er erzählt, wie die Korrespondenten nach Lianjang kamen und wie sie von dort wieder per Schub nach Mulden gebracht wurden. Doch lassen wir ihn selbst sprechen: Inzwischen waren dort mehrere meiner Kollegen an- gekommen und saßen auf der Stein treppe nieder­geschlagen, vergrämt und übern äsch t i g auf ihre tadellosen Gamaschen starrend.Nanu? Warum gehen Sie denn nicht hinein ist der O b e r st L j u b o f f nicht d a h e i:n?"... Doch! Aber er hat erklärt, er dürfe uns nicht em- p f a n g e n und keinerlei Auskunft erteilen. Wir müssen alle mit dem nächsten Zuge nach Mulden zurück und dort das Weitere erwarten." Der mit dem Verkehr der Presse betraute Offizier wollte uns also nicht einmal empfangen! Das war ja reizend, und NUN wußten loir , daß uns eine riesige Nase gedreht worden war. Aber so rasch wollte ich das Spiel nicht verloren geben. Wenigstens Sicherheit wollte ich haben, wann diese Sperre zu Ende sein lvürde, oder ob>mr immer hinter der Front bleiben müßten. Also schlich ich verstohlen zum Quartier des Generals Sacharow, des Generalstabschefs, und sendete ihm eine Karte mit der Bitte, mir einen Paß nach Schanhaikwan auszustellen, da ich den Kriegsschauplatz verlassen Ivollte. Ich rechnete mit Bestimmt- heit darauf, daß man mir dieses Verlangen rundweg abschlagen würde, und wollte dann meine weiteren Fragen stellen denn die Absicht, den Feldzug auf russischer Seite mitzumachen, hatte ich seit Einsicht in die Bestimmungen aufgegeben und dachte nun daran, zu den Japanern, oder wenigstens auf neutralen Boden zu gelangen. Ein Adjutant brachte nur den Bescheid, mich wieder an Oberst Ljuboff zu wenden, und erst nachdem ich entschieden protestiert hatte, daß man von jenem Offizier ja nicht einmal vorgelassen würde, gab man mir einen Unteroffizier mit, an dessen Hand ich endlich in das Zimmer des Unsichtbaren gelaugte. In zwei Kammern, welche zusammen kaum sechzehn Quadrat- meter Bodenfläche aufwiesen, saß der Oberst mit fünf Schreibern, und es war nicht möglich, in das vollgepfropfte zweite Zimmer ein- zudringen. Wir sprachen durch die offene Thüre. Der Ober st mit dem Verkehr der Journali st en betraut sprach bezeichnenderweise kein Wort einer fremden Sprache, sondern einzig nur allein ein jedenfalls fehlerloses Russisch. Er war über die neuerliche Störung sehr unwirsch und meinte, ich ginge ihn nichts an und möge mich an Oberst Rosario wenden...... Endlich zwölf Uhr mittags kam Oberst Rosario, ein schlanker, eleganter Offizier, aus dem Pavillon des Generalstabschefs und ging nach seinem Hause. Wir kamen in einer geschlossenen Gruppe an, sahen uns gegenseitig an und grinsten wie auf Kommando wir waren doch schon zu begierig, zu erfahren, in welcher Art unsre Ausweisung erfolgen würde. Zwei Gendarmerieoffiziere brachten ein Telegramm. Ich trat als erster vor und nannte meinen Namen... sekundenlanges Suchen im Telegramm und dannKak familia?" Oh! B.-K. Eogeni Karlovitsoh?..."Tak totschno!"Genau so I d. h. Jawohl!" meine prompte Entgegnung. Daraufhin eine kurze ein- ladende Bewegung in der Richtung des BahnhofesMukden pashalistje!"(Bitte nach Mukden z u r ü ck I"j?U!itseimo gospodin!"Ausgezeichnet mein Herr!..." Ich war fertig. Etivas länger dauerte es mit den Engländern, welche selbstredend viel zu stolz gewesen waren, um auch nur die gebräuchlich st en russischen Phrasen aus- wendig zu lernen. Ein Dolmetsch kam angetanzt.Watb's your name?..."Hands from the Daily mail!"...Oh! yes! Hauds... Charles Hauds... Mukden pashalistje!" Fertig. Die russischen Offiziere thaten ihr Möglichstes, um uns jeden Groll zu verscheuchen, und man rief uns ein herzlichesAuf Wiedersehen!" zu, als wir losdampften. Bitter, unsagbar bitter war das Ganze aber doch. Denn jeder Tag, welchen man hier in aussichtslosem Warten verbrachte, kostete uns schweres Geld unter fünfundzwanzig Rubel täglich war ein halbwegs menschenlvürdiges Dasein ausgeschlossen und man erlebte und sah in einer Woche kaum genug, um fiir ein farbloses Feuilleton Stoff sammeln zu können.... Nachts kamen wir nach Mukden zurück und wurden auf der Station vom Gendarmerie- Kommandanten in Empfang ge- nommen... Nach langen Fragen wurde uns endlich der angenehme Be- scheid zu teil, daß wir uns wohl für zwei weitere Monate in Mulden einrichten müßten und vor Ablauf dieser Frist gar nicht daran zu denken sei, daß wir nach der Front dürften. Und trotzdem erst zwei von uns als Reporter offiziell anerkannt worden waren, zwang man uns, unsre Berichte der C e n s u r borzulegen. Von fünf Artikeln, welche ich ein- reichte, wurden zwei unter demBlaustifte des Baron v. Hoven so jämmerlich verstünrmelt, daß die eigne Mutter sie nicht wiedererkannt hatte, und mit den drei andern scheint man irgendwo ein Feuer an- g e ni a ch t z n haben. Und, wohlgemerlt, diese fünf Berichte waren für die Ceusur geschrieben und bestimmt gewesen, und ich hatte sie im schmutzigsten Nusscnfrcuiidschnftsstil geschrieben." Trotzschmutzigster Nussenfreundschaft" so russisch behandelt zu werden, ja, wir begreifen es, das ist sehr bitter! Das empfindet sogar dieKreuz-Zcitung", ist es doch gerade dies Blatt, dem wir diese Stelle entnehmen, ist es doch gerade ihr Korrespondent, der sich desschmutzigsten Russenfreundschaftsstils" vergeblich bediente. Herr v. Binder-Krieglstein bekam die Sache freilich dick und dampfte wieder heim. DieKreuz-Zeitung " selbst aber wird der schmutzigen Russenfreundschaft niemals über- d r ü ss i g werden I Veutfckes Reick. Koloniale Mißstände. Einer besonders liebevollen Beachtung erfreut sich bei der Kolonialen Zeitschrift", auf Grund deren Mitteilungen wir gestern die unglaublichen Zustände in der südwestnfrikauischen Rechtspflege veröffentlicht haben, auch der Gouverneur von Samoa , Dr. S o l f; ihm wirft die Zeitschrift vor, daß er durch ein auto- kratisches Regiment, durch Brüskierung aller der Kolonisten, die nicht in sein Horn blasen, und durch eine llmschmeicheluug der Eingeborenen die Interessen der Deutschen schädige. Wenn nun weiter nichts be- hauptct würde, dann wären wir die letzten, äne darauf irgend welches Gewicht legten: bei der genaueren Untersuchung würde sich vielleicht herausstellen, daß dieUmschmeicheluug" der Eingeborenen weiter nichts ist als ein verständiger Schutz der Widerstandsunfähigen gegen kapitalistische Ausbeutung. Aber in der neuesten Nummer der erwähnten Zeitschrift werden Dinge von dem Gouverneur behauptet, die, wenn sie wahr sind, die K o l o n i a l v e r w a l t u n g zu einer schleunigen Abberufung und einem Disciplinar- beziv. Strafverfahren gegen Dr. Solf veranlassen müßten. Ueberall, so meint die Zeit- schrift, glaubt die Verwaltung unsrer Kolonien es ihrem Ansehen schuldig zu sein, in häufig rein private Verhältnisse eingreifen zuj müssen, um vermeintliche Uebelstände abzu- stellen; dann geht es weiter:Die unerhörten Ver- folguugen der Pflanzer in Samoa haben nicht zum mindesten ihren Grund darin, daß diese sich gegen die Einmischung des Gouverneurs iu�ihre Privatangelegenheiten zu wehren begannen, eine Gegenwehr, der mit Gefängnis ein Ende gemacht werden soll." Was heißt das? Soll damit behauptet werden, daß Dr. Solf die Macht, die vom Reiche in seine Hand gelegt wurde, rechtslvidrig mißbraucht? Wir stellen eine solche Behauptung nicht auf und würden die Andeutungen derKol. Zeitschr." von vornherein als unwahr erachten, wenn nicht aus den Kolonien nur allzu viele Fälle des Machtmißbrauches erwiesen worden wären. Aber Aufklärung auch über diese Vorgänge in Samoa ist dringend erforderlich. Wann werden die neuen Handelsverträge in Kraft treten? Gegen die Wünsche der Agrarier, daß der deutsch -russische Handels- vertrag baldigst dem Reichstage vorgelegt und in Kraft gesetzt werden möge, richtet sich eine ersichtlich offiziöse Notiz derBerliner Poli- tischen Nachrichten". Allerdings wird nicht direkt erklärt, daß vor- läufig an eine Einbringung der Verträge zu denken sei. Die Zurück- Weisung des Verlaugens der agrarischen Presse erfolgt vielmehr in diplomatischer Weise derart, daß allerlei besondere vorbereitende Arbeiten aufgezählt werden, die erst erledigt werden müßten, ehe die Bestimmungen der bisher abgeschlossenen Handelsverträge zur Aus- führung gelangen könnten. Die große gesetzgeberische Aktion", heißt es in der betreffenden Notiz,die durch das neue Zolltarifgesetz eingeleitet ist und durch die neuen Handelsverträge zum Abschluß gebracht werden soll, wird einige Gesctzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen im Gefolge haben. Dahin gehört zunächst eine Novelle zum Vereinszollgesetz vom Jahre 1869. Das Gesetz, das von der Zollerhebung, von Waren- Einfuhr,-Ausfuhr und-Durchfuhr, von der Behandlung der Reisenden, dem Warenverschbiß, von den Zollniederlagen, von den Verkehrs- erlcichterungen u. a. m. handelt, ist im Laufe der Jahre etivas ver- altet, die von ihm behandelten technischen und kommerziellen Ver- Hältnisse haben neue Formen angenommen. Es ist schon deshalb notwendig, es umzugestalten und auszubauen. Aber auch auf Grund der neuen zoll- und handelspolitischen Situationen, die in einer nahen Zeit zum Abschluß gebracht werden sollen, wird die Frage der Neuregelung verschiedener materiell wichtiger Punkte in dem Gesetze brennend. Seine Ausgestaltung ist denn auch schon vor einiger Zeit in Arbeit genommen. An der zuständigen Stelle hofft man, einen entsprechenden Entwurf dem Reichstage noch in seinem nächsten Tagungsabschnitte vorlegen zu können. Ob dies allerdings bei der Schwierigkeit der zu be- handelnden Materie und bei der großen Zahl der neu zu ge st altenden Einzelheiten möglich sein to i r d, bleibt abzuwarte n." Außerdem müsse aber auch das statistische Warenverzeichnis zum Zolltarif fertiggestellt werden, und schließlich machten die neu- abgeschlosseneu Verträge verschiedene Vertoaltungsmaßnahmen nötig, z. B. allerlei Vorschriften über die Einfuhr bestimmter Waren unter Verwcndungskontrolle.Auch hier", heißt es dann in gesperrter Schrift,wird es noch Arbeit in Hülle und Fülle geben, ehe die ini neuen Zolltarifgesetz und in den neuen Handelsverträgen geschaffenen Bestimmungen zur Zufriedenheit aller Beteiligten werden zur Aus- führung gelangen können." Ob die Agrarier sich durch derartige Gründe zur Geduld stimmen lassen iverden? In Mirbach- Berteidignng versuchen sich seit einigen Tagen wiederum einige seiner Getreuen. Es lohnt sich nicht, diese Mohren- Waschartikel zu verzeichnen; es läuft allemal darauf hinaus. Frei- Herr v. Mirbach sei persönlich ein ehrenwerter Mann und hat so viel, ach so viel für fromme Werke vollbracht. Für das Wesen der Sache scheint diesen Verteidigern, von der Art des Ober- Hofpredigers Dr. Dryander, jedes Verständnis abzugehen und das ist wiederum bezeichnend für die ganze Angelegenheit. Sie reden allerlei nebenbei und erkennen nicht den Grund des Nebels im Bunde der christlichen Frömmigkeit mit dem unchristlichen Reich- tum. Und noch immer fehlt die Aufklärung, wie Freiherr v. Mirbach Leuten wie Schultz und Romeick Kommerzienratstitel und Hofbank- firmen verleihen konnte. Alles Geschwätz Rettungsbeflissener rettet hier nichts mehr. Die weiteste Oeffentlichkeit weiß, was sie von der Religion, von der Ordnung, von den Sitten in den Mirbach- Kreisen zu halten hat! Nebenbei nur ein Beispiel, wie oberflächlich um uns milde auszudrücken die Verteidiger verfahren, giebt die Be- hauptung des Oberhofpredigers Dr. Dryander:den 23 den ver- schiedensten Kreisen angehörenden Unterzeichnern der Erklärung(ge- meint ist die Ehrenerklärung sämtlicher frommen Vereine) ist es eine Gewissenssache gewesen, auf Grund einer 16jährigen Gemein- s ch a f t die Arbeit mit Herrn v. Mirbach... für den schwer angegriffenen Mann und sein Werk öffentlich aufzutreten." Thatsächlich ist aber davon gar keine Rede, daß die hold verbundenen geistlichen und finanziellen Unterzeichner der Ehrenerklärung 16 Jahre lang mit dem Kirchenbau -Freiherrn gearbeitet haben. Beispielsweise ist der mitunterzeichnete Präsident der Seehandlung Herr H a b e n st e i n erst einige Jahre in seiner jetzigen Stellung und überhaupt erst fünf Jahre in Berlin ; vorher war er simpler Amtsrichter und noch nicht der Gnade teilhaftig, mit dem Oberhofmeister der Kaiserin fromme Werke zu wirken. So stimmt es bei den Mirbachverteidigern ebenso- wenig wie beim Mirbach selbst. Hauswirt und Mieter. Nach den kuriosen Debatten der vorauf- gegangenen Tage brachten die Verhandlungen des 26. Ver- bandstages der städtischen Hans- und Grund- besitzer- Vereine am Freitag endlich ein Referat, das etwas mehr bot als bloße Variationen der für den Verbandstag von Herrn Hartwig ausgearbeiteten schönen Denkschrift. Der freisinnige Land- tags-Abgeordnete Rechtsanwalt Dr. Cohn-Dessau referierte über das Verhältnis des Hauswirts zum Mieter und forderte, daß dieses Ver- hältnis so ausgestaltet iverden müsse, daß esdem socialen Empfinden gerecht" werde. Von so irgend etwas wie einem socialen Empfinden wollten jedoch die meisten Herren Haus- besitzer nichts wissen, und Herr Cohn stieß im Ver- laufe seiner Rede mehrmals auf sehr energischen Wider- spruch. Besonders als er ausführte, man dürfe die Wirt- schaftliche Lage der Mieter nicht ungebührlich ausnützen; der Hausbesitz dürfe kein Beruf sein, sondern nur eine Kapitalsnutzuug. Ferner als er gegen die überscharfen Mietskontrakte sprach und er- klärte:Von zu weitgehenden Vorschriften muß abgegangen werden. ES ist manches gesündigt worden, es giebt Verträge, die von den Gerichten nicht anerkannt werden und die öffentliche Meinung un- günstig beeinflussen." Von den nachfolgenden Rednern sprachen sich die meisten für scharfe Mietskontrakte aus. Auf die öffentliche Meinung sei keine Rücksicht zu nehmen, die Hauswirte müßten sich, da das Bürgerliche Gesetzbuch - zusocialpolitisch" sei, durch besondere Ver« träge schützen. Schließlich erklärte Verbands-Direktor Baumeister Hartwig-Dresden :Die ö f f e n t l i ch e M e i nn n g i st i r r e« geleitet, die politischen Parteien sind einig in ihrer Feind« seligkeit gegen den Hausbesitzer. Die schlimmsten Hausbesitzer sind aber meist die, die noch vor ein bis zwei Jahren selbst Mieter waren." Damit war die Frage endgültig gelöst. Ungesetzlichkeit gegen Boykott. Der Boykott, wenn er von Arbeitern geübt wird, mißfällt sächsisch en Behörden. Also erläßt dieAmtshauptmannschaftLeipzig diese interessante Bekanntmachung": Nach wiederholten Vorkommniffen der letzten Zeit sieht sich die königliche K r e i s h a u p tm a nn s ch a f t im Interesse der Anftechterhaltnng der öffentlichen Ordnung veranlaßt, hierdurch folgende Bestimmung zu treffen: Wer in Zukunft es unternimmt, den Gewerbebetrieb eines andern dadurch zu stören oder zu beeinträchtigen, daß er öffentlich vor einer Menschenmenge oder durch Verbreitung von Schriften oder durch öffentlichen Anschlag dazu auffordert, in einem bestimmten Gewerbebetriebe keine Waren an- zukaufen oder zu b e st e l l e n bez. in einem b e- st i m m t e n G e s ch ä f t s l o k a l nicht zu verkehren, wird mit Geldstrafe bis zu 150 M. oder mit Haft bis zu 14 Tagen bestraft." Wäre der Erlaß so gesetzlich wie er ungesetzlich ist, so würde sicherlich die kgl. sächsische Behörde zunächst über die Militär- kommandeure Geldstrafen bis zu 150 M. oder Haft bis zu 14 Tagen verhängen, welche den Soldaten fortgesetzt befehlen, in bestimmten Gewerbebetrieben nicht zu kaufen und nicht zu verkehren. Die Militärkommandeure dürfen jedoch beruhigt sein, keine Amts- und keine Kreishauptmaunschaft hat das Recht zu derartigen Straf- Verfügungen. Was nach Reichs- und Staatsgesetzen nicht verboten ist, kann durch Polizei-Organe nicht zur strafbaren That um- gehext werden. In Schaumburg-Lippe ist die durch den Tod des bisherigen V Vertreters nötig gewordene Reichstags-Ersatzwahl aus den 1. September angesetzt worden. Ein Jubiläum. Am 7. August 1834 erfolgte die Hiffung der deutschen Flagge in Angra Pequena und die Erklärung der deutschen Hoheit über das ganze afrikanische Küstengebiet zwischen dem 26. Grad s. Br. und dem Kap Frio, mit Ausschluß der in englischem Besitz befindlichen Walfischbai . Aus diesem Schutzgebiet entwickelte sich die Kolonie D e u ts ch- S ü d w e st a f ri k a, die also jetzt ihr 20 jähriges Jubiläum begeht. Die Kolonie hat dem deutschen Volke viel Geld gekostet und viel Schande eingebracht. Sie gab den Schauplatz für die Mordthat des verrückten Prinzen und für die Aufreizung der Eingeborenen zum verzweifelten, blutigen Aufstand. Der terroristische Kladderadatsch". Auch derKladderadatsch" ist unter dieSchnorrer und Ver- schwörer" gegangen, wie Reichskanzler Bülow sagt, unter die Hoch- Verräter und Verherrlicher des Hochverrats, gegen welche die deutsche Reaktions- und Abel-Presse flucht und hetzt und den Staatsanwalt anruft. Diese Presse wird in Entsetzen erkennen, daß die Satire des anerkanntesten Nationalliberalismus hochverräterisch verwildert ist. Die russischen Ereignisse und der deutsche Russendienst der jüngsten Zeit haben eS bewirkt. Wir verzeichnen die folgenden satirischen Bemerkungen und Ge- dichte des«5kladderadatsch": >» Der Gemütsmensch. P l e h w e war ein Mann von weichem Gemüt. Keinem Würmchen konnte er ein Leid anthun. Wenn er einmal etwas zertrat, waren es immer nur Menschen. Als der Königsberger Prozeß zu Ende war, atmete der Zar erleichtert auf.Dank den Heiligen!" rief er.Ein Vergnüge» ist es nicht, so lauge Zeit auf der Anklagebank zu sitzen." Plehwes Ermordung. Wohl schrecklich ist die That, doch denkt daran, Ihr, die ihr eilt, den Thäter zu verdammen: Wie viel Nnthaten hat vollbracht der Mann, Der, selbst getroffen, eben brach zusammen I Daß endlich voll das Maß ward seiner Schuld, Wie manches Jahr hat dazu beigetragen! Wenn endlich ist gerissen die Geduld Des armen Volks, wer will's deshalb verklagen 7 Ein Schauer geht durchs weite Russenland: Das war der Anfang nur, wie wird es enden? O, eine Göttin, N e in e s i s genannt, Steht da, die Sense haltend in den Händen. * Der Optimist Als von Norderney herüber Bernhard Bülow jüngst gekommen. Fand die Räte er in trüber Stimmung sichtlich und beklommen. Einem jeden sprach der Aerger Stets noch aus dem Angesichte, Den ihm schuf die Königsberger Hochverrats- und Mordgeschichte. Ja, noch stand's den Herren allen In den Zügen klar geschrieben: Arg sind wir hineingefallen; Wären wir davon geblieben: Höchst erfreulich war das Ende Für die Mörder und Beleid'ger, Und es rieben sich die Hände Die geriebenen Verteid'ger. Ach. wie Hieb auf Hieb da krachte Auf die Petersburger Größen! Wie's den Kerlen Freude macht«»