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Nr. 170.

Erscheint täglich außer Montags. Brets pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 mt, wöchentlich 28 Pfg. fret in's Haus. Einzelne Nummer 5 Bfg. Sonntags- Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30 Mt.pro Quartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Desterreich­Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Eingetr. in der Post- Zeitungs- Preisliste für 1892 unter Nr. 6652.

Vorwärts

9. Jahrg.

Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Bereins- und Bersammlungs- Anzeigen 20 Pfg Inferate für die nächste Nummer müffen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonne und Fefttagen bis 9 ihr Vor­mittags geöffnet.

Gern fprech- Anschluß: Amt I, Nr. 4186.

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Die Fraktion Koscielski- Admiralski.

Aus Posen wird uns geschrieben: Noch nicht lange ist es her, daß die poluische Fraktion eine oppositionelle Partei war. Im Jahre 1846 noch revolutionär, wurde sie nicht viel später oppositionell. Diese Umwandlung ist in dem wirthschaftlichen Berfall be­gründet.

Sonnabend, den 23. Juli 1892.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Propaganda fing der Adel an, eine gesetzmäßige Opposition zugestandener Rechte besonders noch dagegen Einspruch er­gegen den nationalen Druck in Szene zu setzen. Diese hoben wird, daß die deutschen Juhaber portugiesischer Staats­Politik gab dem Adel das Recht, Jeden, der sich nicht seiner papiere erheblich ungünstiger behandelt würden als die portus Obherrschaft unterwerfen wollte, Verräther des Vater- giesischen Inhaber der inneren Schuld. Des Weiteren weist landes" zu nennen. die Note die Behauptung des portugiesischen Ministers der Freilich ist jetzt mit dem Vaterlande nicht viel los, auswärtigen Angelegenheiten, die portugiesische Regierung denn mit diesem Namen bezeichnet man nur die Sprache hätte vor der Zwangslage gestanden, Alles oder Nichts zu und selbstverständlich die katholische Religion. Der Adel be- bezahlen, entschieden zurück, indem hervorgehoben wird, daß mächtigte sich der Presse, und diese, vom Adel und vom die Vertreter der deutschen Gläubiger zu weitgehenden Zu­Klerus bezahlt, schlägt jetzt wegen der Religion und Sprache geständnissen gegenüber den finanziellen Schwierigkeiten des Noch in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts war ebensoviel Lärm, wie sie dies früher wegen der Unabhängig Landes bereit gewesen wären." So sehr wir davon über­der polnische Adel in wirthschaftlicher Hinsicht dem des feit that. Man schrie: Bleiben wir bei der polnischen zeugt sind, daß das bankrotte Portugal thun wird, was ganzen Mittel- und Ost- Europas überlegen, und diese Ueber- Sprache!" Dabei schrie man das Polnisch " fürchterlich ihm beliebt, muß doch die eifrige Thätigkeit unseres Aus­legenheit verbürgte ihm auch die politische Macht. Als laut und die Sprache" lispelte man kaum. Der Klein- wärtigen Amts für die Zinskoupons deutscher Bourgeois Bolen unterjocht wurde, mußte sich der polnische Adel dem bürger, der bei den Wörtern Polnisch , Bole, Bolen" sich festgestellt werden. Bei der ganzen Organisation und den firengen preußischen Regime fügen, was ihm selbstverständlich immer einen Kampf um Tod und Leben vorstellte, wagte Aufgaben des heutigen Staats ist eine solche Wirksamkeit nicht gefiel. Er schnte sich nach dem unabhängigen Polen nicht zu widersprechen, und wo sich eine Gegnerschaft regte, natürliche Folge des Staatszwecks und selbstverständlich im und nach den goldenen Zeiten der unbeschränkten Adels- da verdächtigte man sie des Verraths, der Bestechung und Interesse der Staatsraison", die in Mark und Pfennigen herrschaft. So wurde er durch seine ökonomische Ueberlegen- noch anderer großer Verbrechen. mit wunderbarer Schärfe zu rechnen versteht. Wenn deutsche heit und durch den preußischen Monarchisiaus revolutionär. Inzwischen ist der Bankrott des Adels sehr schnell vor- Arbeiter im Auslande gchudelt werden, versagt das amt­Als die Zeiten der Bauernbefreiung kamen, verschlimmerte geschritten. Seine frühere materielle Unabhängigkeit ist zu liche Räderwerk. Erinnert sei an die letzten Ausweisungen fich zwar die Lage des Adels, nichtsdestoweniger war er einer Sage geworden. Das Land wurde zu klein, um den aus Frankreich ! die stärkste Klasse in Polen . Der Kapitalismus teimte adligen Söhnchen ein standesgemäßes Auskommen zu sichern. konnte noch kein gefährlicher Nebenbuhler So blieb nichts übrig, als einen Posten bei der Regie­rung zu suchen. So lange man jedoch eine oppositionelle Politik Mit der Verschlimmerung seiner wirthschaftlichen Lage betrieb, fonnte man nicht daran denken. Aber warum sollte büßte der Adel an Sicherheit und rovolutionärer Kraft ein. man diese Politik nicht ändern? Das ökonomische Interesse Umsomehr gab er sich den Träumereien an das selbständige trieb sie unbarmherzig in diese Richtung. Bis jetzt war es Bolen hin, in welchem es genug Mittel geben würde, die unmöglich, da die Politik des Bismarck und vor allen weiten patriotischen Taschen gründlich zu füllen. Und so Dingen der Kulturkampf den Klerus zur Opposition drängte, wurde die revolutionäre Politit mit Macht betrieben. und ohne Klerus konnte der Adel nichts ausrichten. Jetzt Inzwischen mißlang der Aufstand in Russisch- Polen im sind die Herren am Ziele. Die polnische oppositionelle Bartei Jahre 1863, weil die arbeitenden Klassen sich an ihm nicht wurde zu einer stärksten Stütze der Regierung. Sie ist be­betheiligt hatten. Der ganzen Bourgeoisie wurde es klar, strebt, ihre früheren Fehler abzubitten, und Koscielski­daß das werkthätige Bolt nur dann wird revolutionär Admiralski fonnt sich in hösischer Huld. werden können, wenn seine Klasseninteressen eine Ver- Nachdem die polnische Fraktion und ihre Anhänger die änderung der politischen Zustände erheischen werden. polnische Sache verrathen haben, suchen sie nach Beweisen Die Wohlgeborenen" hatten nunmehr die Wahl, entweder bafür, wie erfolgreich ihre Politik sei. Da es keine wirk­auf die Selbständigkeit Polens zu verzichten oder den lichen Erfolge giebt, so muß selbst die letzte Reise des niederen Volksschichten Zugeständnisse zu machen. preußischen Kultusministers ins Posensche herhalten. Der zweite Weg war für den Adel zu gefährlich. Dem Reklame, deren Nichtigkeit dem Sachkundigen nur ein Lächeln Bauer persönliche Freiheit zu geben, wagte er nicht und er ablodt. war zu beschränkt, eine Politik von großen Gesichtspunkten aus zu treiben. Und nun hieß die Lösung nicht mehr: " Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit", sondern:" Be­reichert Euch!"

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werden.

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Eine

Das wurde dem Adel ein wenig fauer. Begünstigt Politische Leberlicht. durch die preußische Regierung wuchs die Mittelklasse mächtig empor und fing an, ihre dem Grundbesitz feindliche Bours Berlin , den 27. Juli. geoispolitik zu betreiben. Diese Bourgeoisie mußte firre Die deutsche Reichsregierung als Vertheidigerin und unschädlich gemacht werden, und das beste Mittel deutscher Kapitalisten. Aus Lissabon telegraphirt hierzu konnte nur die nationale Einheit" sein. unter'm 22. Juli Wolff's Telegraphisches Bureau": Der Um den Klassenbestrebungen des jungen Kapitalismus mit kaiserlich deutsche Gesandte hat am 12. Juli eine zweite Erfolg entgegenzutreten, mußte der Adel die Politik des Note an die portugiesische Regierung gerichtet, worin neben nationalen Kampfcs führen. Statt der revolutionären dem Hinweis auf die willkürliche Schädigung vertragsmäßig

Feuilleton.

Nachbruc verboten.)

Das schlagende Wetter.

Roman von Maurice Talmeyer. Uebersetzt von B. und A. G.

( 20

Der Lehrer konnte nur mühsam seiner Bewegung Herr werden. Judessen als Jacquemin schon ein paar Schritte nach der Thür des Zimmers hin gemacht hatte, reichte er ihm die Hand und sagte:

Ich werde alle Ihre Aufträge ausführen, und Sie so wenig wegen des Grundes für Ihre gute Handlungen fragen, wie Gott mich mit Fragen wegen meiner schlechten Thaten quält.

Und schnell in einen anderen Ton übergehend sagte er: Vor sechs Monaten haben Sie bei Ihrer Ankunft von mir nichts zu trinken angenommen! Trinken Sie vielleicht jetzt bei Ihrer Abreise einen Schluck? Ein gutes Glas Burgunder?

Und er saugte immer an seiner Pastille, die er stets im Munde hatte, und das Herz schlug ihm, als er in seinen hohen Kragen hineinlächelte.

Landtags- Erfahwahl. Bei der am 21. Juli statt­gehabten Ersatzwahl eines Landtags- Abgeordneten im siebenten hanöverschen Wahlkreise an Stelle des verstorbenen Ab­geordneten Spangenberg wurde der nationalliberale Kandidat aus mann- Lauenstein mit 124 Stimmen gewählt.-

Mädchenhandel. Aus Bombay ( Britisch- Indien) wird der Frankfurter Zeitung "( Nr. 203 vom 21. Juli) geschrieben: In der Juli- Nummer des in Bombay erscheinenden Blattes The Banner of Asia" macht Alfred S. Dyer haar­fträubende Enthüllungen über ben in Handel europäischen Mädchen. Seine Angaben sind aus nahe­liegenden Gründen von aktuellem Jnteresse für europäische Leser und Leserinnen, Alfred S. Dyer, ein Mitglied der Ge­sellschaft der Freunde, ist derselbe Menschenfreund, auf dessen Antrieb hin vor ungefähr 9 Jahren die englische Regierung dem Handel in englischen Mädchen in Brüssel ein Ende sezte. Er ist ebenfalls der geistige Leiter der Agitation gegen den Opiumhandel Judiens mit China und hat China bereist und fich kürzlich hier niedergelassen, um der Mission, die er aus Pflichtgefühl auf sich genommen, nüßlicher sein zu können. Von Beruf ist er Verleger. In seinen Nachforschungen in Indien ist er mit Thatsachen aus dem Volksleben be­fannt geworden, die er seinem Artikel in der genannten Monatsschrift zu Grunde legt. Zwischen mehreren europäischen Staaten, worunter Deutschland den ersten Plat einnimmt( Italien , Nußland, Desterreich, Spanien und Ru mänien folgen zunächst), und den englischen Besitzungen in Indien wird ein regelrechter Handel in Mädchen betrieben, welche an gewiffe Häuser in Bombay , Calcutta , Madras und in anderen Städten verkauft werden. Der Mittelpunkt dieses Menschenhandels ist in Bombay und hier nennt Dyer einen gewissen aus etwa hundert Mitgliedern bestehenden Klub, der sich an einer von ihm bezeichneten Dertlichkeit allnächtlich ver­ Drittes Buch

. Die Hose.

Nach einigen Minuten verließ er Pont- sur- Sambre. Wie man sich wohl denken wird, war die Reise nach England im Grunde nur eine Finte. Der Zug, der ihn nach Charleroi bringen sollte, ging nach Brüssel . Jacquemin verließ, bereiteten sich hier Ereignisse vor, die seinem Schick­An demselben Tag als Jacquemin Pont- sur- Sambre ging quer durch die Stadt nach dem Bahnhof der flandrischen sal eine ernste geheimnißvolle Wendung gaben. Linie, löfte ein Billet nach Brügge und kam dort bei ein­brechender Nacht an. Als der Bürgermeister von England zurückgekehrt war,

Die Stadt war ihm bekannt. Er schlug ohne sich zu hatte er am Abend seiner Ankunft in Charleroi seinen bedenken die Richtung nach der Brücke von Saint Jean ein, Wagen vor dem Hause des Rathes Herrn Dieulafon, eines ging über den Place de l'Ancre und nach rechts hin bis zur der Hauptaktionäre der Steinkohlengruben von Bont- sur­Rue de la Vigne, schritt diese entlang und gelangte zu einer Sambre, halten lassen, war zu ihm hineingegangen und Umzäunung, die umgeben war von einem Kanal, welcher etwa eine Stunde bei ihm geblieben. An mehreren Tagen um sie herumging wie ein Graben. und auch an demselben Tage, an dem er Jacquemin davon Dieser eingezäunte Raum lag jenseits eines Plates, iagte, hatte er das Schloß am Spätnachmittag verlassen und am Ende der Straße, die Jacquemin zuletzt gegangen war. fich wieder zu Herrn Dieulafon begeben. Man tam hin über eine kleine steinerne Brücke, die zu Als er bei dem Richter eintrat, war es Nacht. Zehn einem Vorhof führte, dessen wohlverschlossene, schwere und oder zwölf Personen unterhielten sich in einem großen, in massive Thür mit einem Guckfenster versehen war. Der mit eruſtem Stil gehaltenen Salon und die mit Schirmen ver­Wasser gefüllte Graben, diese Brücke, dieser Vorhof und sehenen Lampen beleuchteten den unteren Theil des Zimmers, dieses Thor mußen in dem Fremden den Gedanken an ein während der obere im Schatten blieb, so daß man bei der Kloster oder an eine Festung erwecken. Unterhaltung der um den großen Tisch sitzenden Männer wohl deren Bewegungen aber nicht ihr Gesicht beobachten konnte.

Jacquemin tam zur Thür, klingelte und fragte durch das Guckfenster, das geöffnet wurde und ein helles Licht fehen ließ:

Die in dem Saal versammelten Männer hatten ein Ist Frau Gräfin de Rochefen zu sprechen? sehr verschiedenes Aussehen und schienen auch sehr ver­Das Fenster schloß sich wieder. Ein paar Sekunden schieden in Bezug auf ihre Umgangsformen. Es war da hörte man auf der anderen Seite der Thüre Schritte und ein bereits bejahrter Stutzer, der durch die lange und breite Diesmal nahm Jacquemin in der That das Glas Wein die Stimmen von zwei Personen, die sich im Gehen mit fnochige Erhöhung auffiel, die sich an feiner Stirn von an, das er vor sechs Monaten ausgeschlagen hatte. Herr einander unterhielten. Dann öffnete sich die Thür und einem Schlaf bis zum andern anschloß. Seine Stimme war schloß sich wieder hinter Jacquemin.

Petit- Waudru holte eine Flasche und setzte sie nicht ohne zu zittern auf den Tisch, und als sie nach belgischer Sitte miteinander anstießen, sah der Steiger, daß dem alten Herrn Thränen die Wimpern feuchteten.

matt, seine Augen blinzelten beständig, er hatte einen langen blonden Backenbart und die Manier, sein Taschentuch in dem Ausschnitt seiner weiten weißen Weste zu tragen. Neben ihm saß ein General von ungeheurer Korpulenz,