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Die Mobilisierung geht äußerst langsam vor sich. Die Beamten machen glänzende Geschäfte: denn wer es irgend kann, sucht sich loszukaufen. Die armen Reservisten aber hungern mit einigen Kopeken für den Tag auf ihren langen beschwerlichen Märschen. Der Händler wegen, die unverschämte Preise fordern, kam es bereits zu Exzessen. In den Güterzügen findet man nirgends einen Ofen. Es gibt keine Unterlage. 40 Mann schlafen neben 31<Z Pferden auf dem Boden und frieren, da sie nichts zum Schutz gegen die Kälte er- halten. Zu alledem macht sich eine geradezu ungeheuerliche Roheit geltend. Die Last für die zurückbleibenden Waisen und Witwen sucht der Staat abzuwälzen. In Edisonvatgrad wollten sich die Frauen von ihren Männern verabschieden, und um demGeheul" aus dem Wege zu gehen, ließ ein Beamter die Frauen und Kinder in zwei leere Wagen steigen, damit sie ihre Männer bis Charkow begleiten könnten." Nachdem die Wagen angekoppelt waren, setzte sich der Zug in Bewegung, um nach einer Werst Fahrt wieder stillzuhalten. Die Wagen wurden wieder abgekoppelt, auf dem Feld zurückgelassen und die Frauen waren so um ihren Abschied von den scheidenden Männern gebracht. In Christinowsk hat der Gendarm verboten, den Soldaten Brot zu verkaufen, weil sieu n g e z o g e n" waren. Und in Odessa schickte man die Reserve, die fast vollständig aus Juden bestand, am Versöhnungstage ab. Die Menge versucht in irgend einer Weise ihren Protest gegen das herrschende Regime und den Krieg auszudrücken. Deshalb mordet und schlägt man überall die Juden und plündert die Stationen. Die Presse pflegt dann von solchen Exzessen gewöhnlich als von Hungersnöten Notiz zu nehmen. Allerdings wüten auch solche im Lande. So haben 1öC)() Re­servisten in Snamieka, als sie sämtliche Magazine leer fanden, einen Plünderungszug durch die Stadt unternommen. Sie raubten aus allen Läden, was ihnen gefiel, brachen in Bäckereien und Konditoreien ein und verschafften sich so Lebensmittel. * v'J Nur in einem Punkte ist der Krieg zu loben. Er allein k vermocht, das russische Volk aus seinem trägen Schlafe zu er und zur Besinnung zu bringen. Kenner des Landes staunen, wenn sie sehen, wie selbst der Bauer sich nicht mehr wie ein Stück Vieh behandeln läßt und energisch gegen seine Unterdrücker Front macht. So darf man wohl auch hosten, daß dieser Krieg das Volk einsehen lassen wird, daß es in der bisherigen Weise nicht weiter geht. Oesterreich-Ungarn. Wien , 4. November. Wie dieNeue Freie Presse" aus �mrs- brück meldet, wurde bei Zusammenstößen am Donnerstag zwischen deutschen und italienischen Studenten der Stadtphysikus Hoertnagel durch Revolverschüsse am Schenkel verwundet. 135 Studenten, deutsche wie italienische, wurden verhaftet. Heute kam es in den Straßen, insbesondere in der Museumstraße, abermals zu Zusammen- stößen, die unblutig verliefen. Bei den verhafteten Italienern wurden 46 Revolver gefunden. Wien , 4. November. (Von einem besonderen Korrespondenten.) DieNeue Freie Presse" schreibt: Nach einer heute nachmittag statt- gehabten Besprechung der Minister verlautet von unterrichteter Seite, daß die Schließung der Jnnsbrucker Universität oder der italienischen Rcchtsfakultät nicht erfolgen werde: die Regierung werde die um- sassendsten Vorkehrungen zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung in Innsbruck treffen. Frankreich . Ein großer Angriff gegen Andrö und das Kabinett wird für die heutige Kammersitzung erwartet. Die Erregung soll eine außerordentliche sein. Mau fürchtet, daß der Bloc sich diesmal spalten werde. Die Delegierten der republikanischen Gruppen haben zwar gestern lange Sitzungen abgehalten, sich aber nicht zu einigen '~: h s und Bertöaux der Ansicht waren, allen Umständen gedeckt werden müsse, r zum Angriff gegen die Klerikalen und forderte E t i e n n e, daß General Andrö lse. Hinter Andrö stehen auch alle Gegner »ken Seite, wie D o u m e r und L o ck r o y. �wieder einmal Millerand einen Sturm- >- unternehmen wird. Millerand beabsichtigt die Debatte hineinzuziehen. In den Be- Manischen Gruppen vermochte man sich, wie gemeinsame Tagesordnung nicht zu einigen. lange Tagesordnung vorgelegt, die in sehr bestimmter Form der Regierung das Vertrauen ausspricht und sich gegen die klerikalen Umtriebe wendet. S a rri e n, der Präsident der radikalen Partei, hatte seinerseits eine Tagesordnung vor- geschlagen, die zwar wiederum die unzulässigen Machenschaften in den Bureaus des K sti e g s in i n'i st e ri u in s tadelt, gleichzeitig aber betont, daß die Regierung das Recht und die Pflicht habe, die Armee zu r e p u b l i k a n i s i e r e n und die Offiziere auf legalem Wege durch die Präfekten usw. zu über- wachen. Es bleibt also abzuwarten, ob die republikanischen Gruppen sich noch im letzten Augenblick über eine gemeinsame Tagesordnung einigen werden. Das Schicksal der Regierung hängt von der Zahl der Deputierten der Linken ab, die sich der Richtung Etienne und Millerand anschließen werden. Ruszland. Zu den Prozessen in Kischincw frankfurter Zeitung" vom 31. Oktober gemeldet: fanden die Verhandlungen wegen der Unruhen im Dorfe .Kischinew am dritten Massakcrtage, 22. April v. I., statt. �abci augenscheinlich hervor, wie die Konnivenz der Be- zu einer Ausdehnung der Exzesse auf die kleineren Ort� ____ Eieits geführt hat. Ein Beamter der Landpolizci von Mirem war an den Ostertagen in der Hauptstadt Kischinew , hatte ttüchs. nur vergnügt zugeschaut, sondern an den Brutalitäten gtFeti' die Juden aktiven Anteil genommen. Am Dienstag in das Dorf zurückgekehrt, erzählte er den Bauern, es sei ein kaiserlicher Erlaß gekommen, die Juden auszuplündern und totzuschlagen. Noch in derselben Nacht wurden von den infolge dieser Mär gebildeten Bauernbanden die ansässigen jüdischen Familien überfallen und ausgeraubt. 40 Zeugen waren für heute vorgeladen, von denen der größte Teil die Schuld der Angeklagten bestätigte. Auf die Frage des Staatsanwalts, ob ein Rassenhaß oder eine Spannung vorher zwischen Christen und Juden bestanden, erklärten die Zeugen, daß im Gegenteil das beste Einvernehmen immer zwischen den Konfessionen geherrscht hatte und nur das Gerücht von einem allerhöchsten Erlasse die Bauern zu den Unruhen ver- anlaßt habe. Durch diese Aussage entschwand der Anklagebehörde Vvn ihr bei den früheren Prozessen mit Borliebe angewandte [iE), Absatz 1 als Grundlage swonach Ausschreitungen, die eine ge des nationalen und religiösen Hasses sind, sehr glimpflich be- jtflt werden.) Die Angeklagten sind aber noch günstiger als die «newer weggekommen. Nur fünf von ihnen wurden zu sieben �en Gefängnis verurteilt, die ihnen auch infolge des bei Geburt Thronfolgers erschienenen Manifestes erlassen wurden. fl�nDer Gerichtspräsident Daioidon hat in Petersburg nachgesucht. die wenigen noch ausstehenden Prozesse, wie in Hömel, össent- (ich geführt werden. Amerika . In Colorado wird die Wiederwahl des republikanischen Gouverneurs Peabodh als notwendig bezeichnet, um die Ausbreitung der sozialistischen Ideen zu verhindern. Kapitalisten aller Schattierungen sind sich darüber einig und haben eineLiga zur vermocht. Während daß General Andrö, und daß es notw Nationalisten über: seine Demission der Regierung di Man erwarter lauf gegen die auch, Combes� ratungen der gesagt, über eine Jaures hatte eine Herstellung von Gesetzlichkeit und Ordnung in Colorado " gegründet. Die Sozialisten sollen es sein, welche den zähen Widerstand der streikenden Bergarbeiter, die sich noch immer nicht beugen wollen, unterstützen und ermutigen. Man weiß, daß in der Bergarbeiter- organisation der Weststaaten, derWestern Federation of Miners", starke sozialistische Strömungen bestehen. Die neue Liga erklärt, daß Partei-Jnteressen nicht mitsprechen dürfen, denn die Wiederwahl Peabodys sei von nationaler Wichtigkeit; aus seiner Niederlage würde die sozialistische Strömung unter den organisierten Arbeitern neue Kraft ziehen. Es wird zu reichen Beisteuern aufgefordert, um die Wahl Peabodys durchzusetzen. Das Vordringen der Sozialisten wird von den alten' Parteien mit wachsendem Unbehagen beobachtet. Im S. Kongreßdistrikt von New Jork haben die Republikaner die Parole ausgegeben, lieber für die Demokraten zu stimmen, als den Sozialisten die Möglichkeit eines Sieges einzuräumen. Stichwahlen finden nämlich nicht statt, sondern die einfache Mehrheit entscheidet. In Milwaukee , im Staate Wisconsin , hat die sozialdemokratische Partei bei der letzten Bürgermeisterswahl beinahe soviel Stimmen erhalten wie die republikanische. Jetzt wurde offen erklärt, daß keine Kosten gescheut werden sollten, um die Stärke der Partei wieder zu brechen. Eine Arbeiterzeitung" wurde gegründet, deren Zlvcck die Be- kämwmng der Partei und der Gewerkschaften ist. Die Unternehmer keniM keine Parteiunterschiede, sobald es gegen die Arbeiter geht. In Milwaukee ist das Deutschtum sehr stark vertreten, und die Zahl der deutschen Parteigenossen ist groß, die reiche Agitationsarbeit leisten. Dasselbe ist von den meisten großen Städten zu sagen. Früher wurde die Bewegung überhaupt von den Deutschen getragen, aber seit Jahren schon ist die Parteibewegung durchaus amerikanisch geworden, und ihr schnelles Wachstum beunruhigt die Politiker der alten Parteien immer mehr; sie werden am nächsten Dienstag wieder einen neuen Schreck bekommen. Die Wahlen in Kanada . Die bisher gemeldeten Ergebnisse aus einen sicheren Sieg Lauriers hin. Es herrscht regung. Ueberall besteht für den Jmperalismus die Gefahr iter Niederlage. üwa. 4, November.(Meldung desReuterschen Bureaus.) f Parlamentswahlen haben die Ministeriellen einen großen g errungen. Die Regierungsmehrheit hat 65 Sitze gewonnen, einen Sieg für die von der Regierung in der Frage der Trans- "kontinentalbahn befolgte Politik bedeutet. Soziales. Die KanfmannSgerichte und der Berliner Magistrat. Der Oberbürgermeister Kirschner hat in der Sitzung der Stadt- verordneten am Donnerstag zur Rechtfertigung des Magistrats dar- gelegt, daß bereits am 19. Oktober der Entwurf eines Statuts für das Kaufmannsgericht fertig war. Das ist wahrhaftig spät genug. Das Gesetz datiert vom 6. Juli und ist am 14. Juli verkündet worden und in Kraft getreten. Der Magistrat hat also vom Tage der Verkündigung an 14 Wochen gebraucht, um nur den ersten Ent- wurf des Statuts reif zur kommissarischen Vorberatung innerhalb des Magistrats zu machen. Das hätte, da ja dem Magistrat die zu erfüllenden Formalien und die Kürze der zur Verftigung stehenden Zeit bekannt sind, in 14 Tagen anstatt in 14 Wochen geschehen können, um so mehr, als ja Erfahrungen über die Einrichtung eines solchen Gerichts schon aus der Praxis der Gewerbegerichte vorliegen. Auch über die Gestaltung des vorgeschriebenen Proportionalwahl- Verfahrens liegen Erfahrungen von Gewerbegerichten vor. Die Möglichkeit, das Kaufmannsgericht am 1. Januar zu er- öffnen, war also gegeben. Es ist auf die Saumseligkeit des Magistrats zurückzuführen, wenn es nicht am 1. Januar vorhanden ist. So einfach, wie Herr Kirschner am Donnerstag die Sache dar stellte, daß kein gesetzlicher Zwang und kein vitales Interesse vor- liege, das Gericht am 1. Januar zu konstituieren, sind die Dinge denn doch nicht. Zunächst ob ein vitales Interesse vorliegt, das hat nicht der Berliner Magistrat zu entscheiden, da es schon vom Gesetze entschieden ist. Danach ist für Berlin ein Kaufmannsgericht zu er- richten und vor dieses gehören vom 1. Januar an die Streitigkeiten zwischen Kaufleuten und ihren kaufmännischen Angestellten in dem Umfange, wie es§ 5 des Gesetzes vorschreibt. Ob der Berliner Magistrat das für notwendig hält oder nicht, darauf kommt es gar nicht mehr an. Niemand hat bei Erlaß des Gesetzes daran gedacht, daß die Gericht entgegen dem Gesetze am 1. Januar noch nicht vorhanden sein könnten; es ist vielmehr ohne weiteres vorausgesetzt worden und mußte vorausgesetzt werden, daß die Gemeinden ihre gesetzliche Pflicht erfüllen würden. Wurde doch in der Kommission zur Vor- beratung des Gesetzes der Antrag gestellt, es schon am 1. Oktober in Kraft zu setzen, der Antrag wurde abgelehnt mit der Begründung die Vorarbeiten zur Einrichtung der Gerichte erforderten soviel Zeit, daß dieser Termin zu kurz sei. Der Einwand wäre ganz hinfällig gewesen, wenn man davon hätte ausgehen können, daß die Gerichte nicht an dem Tage vorhanden zu sein brauchen, an dem das Gesetz in Kraft tritt. Wie es nun mit den dem Gesetze unterliegenden Streitigkeiten nach dem 1. Januar zu halten ist, wenn das Kaufmanns gericht noch nicht vorhanden ist, obwohl es vorhanden sein müßte, das ist nicht so ohne weiteres zu sagen. Zwar bestimmt Z 21: Streitigkeiten, welche anhängig geworden sind, bevor ein für sie zuständiges Gericht bestand, werden von den bis dahin zu- ständig gewesenen Behörden erledigt. Der Ton ist aber offenbar zu legen auf die Wortewelche an- hängig geworden sind"; ob in den Städten, für die nach dem Gesetze ein Kaufmannsgericht errichtet werden muß, nach dem 31. Dezember noch die unter das Gesetz fallenden Streitigkeiten bei den ordentlichen Gerichten anhängig gemacht werden dürfen, kann bezweifelt werden, denn durch die Zuständigkeit eines Kaufmannsgerichts wird nach§ 6 die Zuständigkeit des ordent- lichen Gerichts aufgehoben. Der§ 21 hat nur die Bedeutung einer Uebergangsbestimmung. um Zweifel für die Behandlung solcher Streitigkeiten auszuschließen, die vor Inkrafttreten des Gesetzes an- hängig gemacht wurden und bei seinem Inkrafttreten noch nicht er- ledigt sind. Die Richter können ihre Entscheidung über die Zu- ständigkeit nicht abhängig machen von der Untersuchung darüber, ob eine Ausführungsbehörde ihre Pflicht erfüllt, sondern lediglich vom Gesetz und nach diesem ist vom 1. Januar an für Berlin die aus- schließende Zuständigkeit des Kaufmannsgerichts begründet. Es kommt aber auch das Recht des Publikums in Frage. Die Handlungsgehülfen und Kaufleute haben ein Recht auf das Kauf- mannsgericht vom 1. Januar an; sie erleiden nicht bloß ideelle, sondern unter Umständen schwere materielle Nachteile, wenn ihnen die Möglichkeit, vor einem Kaufmannsgericht Recht zu suchen, vor- enthalten wird. Es liegt geradezu eine Rechtsverweigerung vor und der Berliner Magistrat könnte sich nicht beschweren, wenn die Landes- Zentralbehörde von ihrer Befugnis nach z 2 des Gesetzes Gebrauch machte und die Errichtung des Gerichts anordnete, sowie nach§ 1 die dem Statute vorbehaltenen Bestimmungen im Wege der An- ordnung festsetzte. Vielleicht versuchen Handlungsgehülfen dem Herrn Oberbürger- meister die Folgen der Saumseligkeit des Magistrats dadurch einiger- maßen fühlbar zu machen, daß sie vom 1. Januar an von den Bestimmungen des§ 19 des Gesetzes Gebrauch machen:Ist ein zuständiges KaufmannSgericht vorhanden, so kann bei Streitigkeiten der im s ö Abs. 1 und s bezeichneten Art... jede Partei die vor- läufige Entscheidung durch den Vorsteher der Gemeinde... aach« suchen." Wenn der Herr Oberbürgermeister in die Notwendigkeit versetzt wird, über recht viele Streitigkeiten aus dem kaufmännischen Arbeits» Verhältnis zu entscheiden, dann wird es ihm vielleicht zum Bewußt- sein kommen, daß ein vitales Interesse vorgelegen hätte, die dem Magistrat obliegenden Pflichten zu erfüllen und dafür zu sorge», daß am 1. Januar ein Kaufmannsgericht vorhanden war. Zur Sonntagsruhe der Handlungsgehülfen. In Frankfurt a. M. ist Ende 1900 unter Bezugnahme auf § 105b der Gewerbeordnung ein Ortsstatut über die Sonntagsruhe der Handlungsgehülfen. und-Lehrlinge und der Arbeiter im Handels- gewerbe erlassen, nach dessen§ 1 Ziffer 3 in allen Handelsgeschäften jedem Gehülfen, Lehrling und Arbeiter jeweilig der zweite Sonntag ganz freigegeben" werden muh. Das heißt, jeder der Betreffenden muß alle 14 Tage einen ganz freien Sonntag erhalten, es steht aber den Inhabern von Geschäften frei, jeden Sonntag das Geschäft offen zu halten und immer abwechselnd die eine Hälfte der Ange- stellten am Sonntag zu beschäftigen und die andere Hälfte feiern zu lassen, sofern er mehrere Angestellte hat. Bekanntlich dürfen nach Z 106b Absatz 2 der Gewerbeordnung im Handelsgewerbe Ge- hülfen, Lehrlinge und Arbeiter an gewöhnlichen Sonn- und Fest- tagen höchstens 6 Stunden beschäftigt werden, indessen sind danach weiter Gemeinden und weitere Kommunalverbände befugt, durch statutarische Bestimmung diese Beschäftigung für alle oder einzelne Zweige des Handelsgewerbes auf kürzere Zeit einzuschränken oder ganz zu untersagen. Der Warenhausbesitzer Schmoller in Frank- furt a. M., der über 100 Angestellte beschäftigt, hatte nun jene Vorschrift des Ortsstatuts übertreten und war deshalb angeklagt worden. Er wurde aber in zweiter Instanz vom Landgericht Frank- furt a. M. freigesprochen, weil§ 1 Ziffer 3 des Frankfurter Orts- statuts rechtsungültig sei. Die Bestimmung verstoße gegen § 105b Absatz 2 der Gewerbeordnung. Dieser wolle nur eine gleich- mäßige Regelung der Sonntagsruhe entweder für einzelne oder für alle Zweige des Handelsgewerbes durch statutarische Bestimmung zu- lassen, derart, daß die weitergehende oder gänzliche Sonntagsruhe zugleich von allen Angestellten der einbezogenen Geschäfte ge- nassen werde. Ein Wechselsystem, ivie es Frankfurt geschaffen, sei danach nicht zulässig. Zu berücksichtigen sei bei der Ausle-- der§ 41a der Gewerbeordnung mit seiner Bestimmung:" nach dem§ Ivbb und folgende der Gewerbeordnung die Lehrlinge und Arbeiter an Sonn- und Festtagen nicht werden dürfen, darf ein Gewerbebetrieb in offenen Ver' an diesen Tagen nicht stattfinden." Diese Bestimmung be durch§ 105b und seine Anwendung nicht der Kleinhandel,' Arbeitskräfte brauche, bevorteilt werde. Dagegen verstoße aber das Frankfurter System ebenfalls, denn bei diesem könne nach§ 41a der Gewerbeordnung jedes Handelsgeschäft Sonntags 5. Stunden offen halten, wobei"der Kleinhändler in seiner Person seine ganze Arbeitskraft behalte, das große Geschäft mit vielen Arbeitskräften aber nur mit halber Kraft am Sonntag arbeiten könne. Das Kammergericht in Berlin verwarf am 3. November die hiergegen eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft im wesentlichen aus den Gründen des Landgerichts. Gesagt wurde u. a.: Was Frankfurt bestimmte, möge ja ganz gut gemeint sein, es lasse sich aber rechtlich nicht halten.§ 105b in Verbindung mit § 41a der Gewerbeordnung lasse ein solches Wechselshstem, daß man Relms-System nenne, nicht zu. Gründe ausgleichender Gerechtig- keit hätten zur Einfügung des 8 41a geführt. Auch andere Bedenken kämen nock», z. B. daß die arbeitende Hälfte der Angestellten am fraglichen Sonntag doppelt angestrengt werde.-'iV Der Kampf um die Armee in Fr Paris , 3. November. (Eig. Ber.) Diese Woche Zeichen der Armeedebatte. der vergangenen und kommenden. Hüben und drüben bereitet man sich zu"« scheidenden Kampfe vor. Es gilt diesmal nicht nur dem Kriegsminister, sondei�, Minister des Innern und dem Ministerpräsidenten Combes. Die nationalistischen Zeitungen veröffentlichen um die Wettekleine Papiere", aus denen die direkte oder indirefte Verantwortlichkeit des Regierungschefs für die Gesinnungsriecherei unter den Offizieren gefolgert werden kann. Die Organe der bourgeoisrepublikanischen Opposition fordern mit den Nationalisten den Sturz des Ministeriums als die einzig angemessene Sühne für Praktiken, die dreißig Jahre lang von allen Kriegsministern und Ministerien ungestraft und ungehindert im Interesse des Klerikalismus und Monarchismus geübt oder ge- duldet wurden. Die radikalen Dissidenten blasen in das gleiche Horn mit den Nationalisten und Melinisten. L o ck r o y, ein mit Verlaub zu sagen linksradikaler Dissident, der als ehemaliger Marineminister sich die besondere Aufgabe gestellt hat, den Marine- minister Pelletan im Namen des Wasierpatriotismus zu stürzen, benutzt die gute Gelegenheit, um auch seinen Landpatriotismus leuchten zu lassen. Auf einem bei seinem Pariser Wahlkomitee bestellten Bankett hielt er eine regelrechte Miniftersturzrede, worin er unter anderem die sogenannteAngeberei in der Armee" brandmarkte natürlich aus den edelsten rcpublikanisch-demokratischen und patriotischen Motiven. In der Tat. Wer wird an der sittlichen Lauterkeit, an der hohen Unparteilichkeit dieses unentwegten Linksradikalen zweifeln, der als Marineminister zu seinem Generalstabschef einen notorischen streitbaren Klerikalen auserkoren hatte?... Der konzentrierten Attacke der buntscheckigen Opposition stellt das Regierungslager noch heute, am Vorabend der Kammerschlacht, nichts weniger als eine geschlossene Front entgegen. Der Kriegsminister Andrö hatte sich in der Armee- Debatte der vorigen Woche auf die Defensive verlegt. Mit dem nationalistischen Interpellanten hatte er das enthüllte System der Gesinnungsriecherei getadelt und demgemäß die Verpflichtung übernommen, die daran beteiligten Offiziere, darunter in erster Linie seine Ordonnanz, Hauptmann M o l l i n, zur Verantwortung zu ziehen. Daraufhin reichte Mollin seine Demission ein, und die im krieasministeriellen Kabinett angehäuften Leumundsnoten über die Gesinnung der Offiziere wurden verbrannt. Das stimmte mit der Haltung des Generals Andre in der Kammer und stand im Einklang mit dem Teil der rettenden Vertrauensformel, worin ja das enthüllte System getadelt" wurde, und zwar einstimmig von der ganzen Kammer. Im schroffen Gegensatz dazu steht aber die weitere Hal- tung des Kriegsministers. Mollins Demission wurde von ihm bis heute nicht akzeptiert und er unterließ auch jedes Vorgehen gegen die anderen von den Nationalisten angeschuldigten Offiziere. Dieses rätselhafte Schwanken oder Zögern wird der Kriegsminister in der morgenden Debatte aufzuklären haben in Beantwortung einer neuen nationalistischen Interpellation Während so in der Regierung ein Frontwechsel durch die Un- tätigkeit indirekt markiert ivurde oder doch markiert worden zu sein schien, gab in der ministeriellen Presse namentlich Jaurös das Signal zu einem direkten Frontwechsel auf dem Gebiete der nationa- listischen Attacke selbst. Anstatt der Defensive eine stürmische Offensive, anstatt des Tadels gegen die krummen Mittel der Re- publikanisierung der Armee eine Entschuldigung, eine Rechtfertigung derselben durch den dreißigjährigen jesuitischen Gesinnungsterrorismus, der mit großem Erfolge die Armee zu einem Werkzeuge der Kon- grcgation und des prätorianischen Staatsstreiches zu machen gesucht hat. Demnach hätten die republikanischen Vertrauensmänner der Kriegsminister und die Freimaurer -Organisafton einfach in berechtigter Notwehr gehandelt. Der Schmerz wird neu. Es wiederholt die Klage", die ber- hallten Stichworte und Beschwerden aus den Dreyfils-Zeiten. Man fühlt sich um fünf Jahre jünger, wenn man jetzt die linksstehenden ministeriellen Zeitungen liest. Das alte, ach! unbeglichen gebliebene tonnenschwere Schuldkonto der klerikalen Hocharmee wird da mit neuer Entrüstung aufgerollt: ihre verbrecherischen Taten und ver- brecherischen Absichten, dieroten Listen" der Geldsammlung