». m zl Zch-M j. DtllU des„öllMlirtg" Kerlitler Wldsllllltt. �»M.W lsot. Die Gemeiudewahlen in der Pfalz . Die Erörterungen über Wahlbündnisse bei den Gcmewdewahlen haben die„Kommunale Praxis" veranlaht, die Sachlage in ver- schiedenen Reichsgebieten von den beteiligten Genossen darstellen zu lassen. Den Anfang macht eine Schilderung des Genossen E h r h a r t über die pfälzischen Verhältnisse, die in der nächsten Nummer der„Kommunalen Praxis" erscheinen wird, uns aber von der Rc- daktion jetzt schon zur Verfügung gestellt wird. Wir glauben den Parteigenossen einen Dienst zu erwessen, wenn wir ihnen aus dem Artikel das mitteilen, was zur Beurteilung des Verhaltens unserer pfälzischen Genossen wesentlich ist und lassen dies hier folgen. Die Gemeindeverwaltung ist in fast allen ihren Beschlüssen der strengen Aufsicht der staatlichen Distriktsbehörde unterstellt; für eine nach freier EntWickelung strebende Gemeindeverwaltung ist eS recht hinderlich, wenn auch zugegeben fein soll, daß der Amtmannsknüttel in anderen Gemeinden notwendig war, um deren Vertretungen zur Pflichterfüllung zurückzurufen. Unsere Gemeindeordnung basiert auf dem Einkammersystem: der Gemeinderat wird alle S Jahre ganz neu gewählt. Die gesamte Wählerschaft bildet einen einzigen Wahlbezirk, in dem die gesamte Vertretung nebst Ersatzmännern auf einer Liste gewählt wird. Städte mit über 5000 Einwohnern wählen einen aus dem Bürgermeister, 2 Adjunkten und 24 Gemeinderäten zusammengesetzten Vertretungskörper nebst S Ersatzmännern. Ersatzmänner werden jene 9 Kan- didaten, die weniger Stimmen als die ersten 27 Gewählten erhalten haben. Für die Wahl gilt das allgemeine gleiche direkte Wahlrecht, das von allen Bürgern ausgeübt werden kann. Mit der Erwerbung des Bürgerrechts sieht es aber sehr windig aus. Das Gemeindebürger- oder Heimatsrecht wird erworben durch Abstammung oder durch Einkauf. Die Höhe der Bürgerrechtsgebühren beträgt in den meisten Gemeinden 171 M. Arbeiter können das Bürger- oder Heimats- recht, beides ist gleichbedeutend, unentgeltlich erhalten, wenn sie in einer Gemeinde sieben Jahre ununterbrochen wohnen und als Fabrik, usw. Arbeiter beschäftigt sind. Die Rechte des GemeinderatcS sind wesentlich eingedämmt durch die dem Bürgermeister zuerkannte Machtfülle, mit der dieser sich zum unumschränkten Herrn und Gebieter seines Ortes machen kann. Die bürgcrmeisteramtliche Funktion ist eine ehrenamtliche. Wohl ist es zulässig, dem Bürgermeister Ersatz für seine Auslagen, auch eventuell einen Betrag für Repräsentation zu gewähren, beides schädigt den Empfangenden jedoch bei seinen Mitbürgern im An- sehen. Erst seit kurzer Zeit ist eS durch eine Novelle zur Gemeinde- Ordnung den größeren Städten ermöglicht worden, sich Berufsbürger- meister zu erwählen. Bislang wurde hiervon jedoch nur in Ludwigs- Hafen Gebrauch gemacht. So einfach und leicht auch unsere Beteiligung an den Gemeinde- wählen für den Fernstehenden aussieht, so ist sie doch mit grossen Schwierigkeiten verbunden. Erstlich sind unsere Genossen aus den oben schon bemerkten Gründen nur zu einem Bruchteil Bürger und damit wahlberechtigt in der Gemeinde, sie sind deshalb bei der Gemeinderatswahl einflusslos. Es gibt kein Vierteldutzend Ge- mcinden in der Pfalz , in denen wir aus eigener Kraft den Gemeinde- rat besetzen könnten. Die Art unserer Wahlbeteiligung ist deshalb sehr kompliziert und mit Erwägungen verbunden, die in Gemeinden mit Dreiklassen- oder Bezirkswahlen nicht in Betracht kommen. Wir können erstens eine Kandidatenliste für sämtliche Sitze aus der Reihe unserer Genossen aufstellen, zweitens uns mit einer beschränkten Anzahl von Genossen auf eigener Liste begnügen, drittens Kandidaten mit bürgerlichen Parteien austauschen, viertens ein Kompromiss mit anderen Parteien zum Zwecke der Zuteilung von Mandaten verein. baren und fünftens uns, so lange wir zu schwach sind, überhaupt der Wahl enthalten. Alle diese Fragen wurden schon oft genug in der eingehendsten Weise erwogen. Fast in jeder Gemeinde liegen die Verhältnisse anders, deshalb konnte auch keine Schablone für die Beteiligung unserer Genossen in allen Gemeinden geschaffen werden. Der pfälzische Gautag hat auf Vorschlag einer Gemeindevertreter- Konferenz das taktische Vorgehen bei den Gemeindewahlen wiederholt festgelegt, indem er bcschloh: daß„nur unabhängige zu dem Amte befähigte Genossen aufgestellt werden sollen; dass unser Wahlvorschlag und die Agitation für denselben sich nur auf die von den Partei- genossen aufgestellten Kandidaten zu erstrecken habe; dass Kompro- misse mit anderen Bürger- respektive Interessengruppen sich nur darauf erstrecken sollen, dass der sozialdemokratischen Partei dadurch auch eine Vertretung eingeräumt werde". Weiter erklärt der Gautag, dass er zurzeit nicht für angebracht halte, Kandidatenlisten für den gesamten Vertretungskörper auf- zustellen, vielmehr solle man sich mit der den Verhältnissen ent- sprechenden Anzahl Mandate begnügen. Diese Resolution fand wiederholt einstimmige Annahme. Es dürfte angebracht sein, in Kürze die verschiedenen Möglich. leiten, uns an der Wahl zu beteiligen, zu besprechen. Das Einfachste und gewiss auch unserem proletarischen revolutionären Klassenkampfe äusserlich am besten Zusagende wäre die Beteiligung mit einer ganzen, rassenreinen Liste. Der Kampf würde alsdann ein reiner sein, entweder würde uns alles oder nichts zufallen. Im elfteren Falle hätten wir das Regiment zu übernehmen. Fassen wir die städtischen Vertretungen ins Auge, so wären 27 unserer Genossen, die in ihrer übergrohen Mehrheit den Lohnarbeitern entnommen werden müssen, genötigt, in Ausübung ihres Amtes meistens drei bis vier halbe Tage in der Woche ohne jede Schadloshaltung zu opfern. Sie hätten den Kampf mit dem berufsmässigen Beamtentum und der sie überwachenden Distriktsbehörde aufzunehmen, sie wären in ihrer Tätigkeit von Feinden umringt und lahmgelegt, dem von ihnen ge- wählten Bürgermeister würde die behördliche Bestätigung versagt; jedenfalls wäre ein in unserem Sinne ersprießliches Arbeiten aus- geschlossen, deshalb wollten die Genossen nur eine ihren Verhältnissen entsprechende Vertretung haben. Die schon angeführte Schwierigkeit deS Erwerbes des Bürgerrechtes sorgt aber auch dafür, dass wir nicht so leicht eine Majorität für eine rein sozialistische Kandidatenliste erhalten. Dadurch sind wir in die Lage gedrängt, entweder die Un- einigkeit unserer Gegner— vorausgesetzt, dass sie uneinig sind— zu benutzen, um einige unserer Genossen durch die Latten zu zwängen, oder aber mit anderen Parteien oder bürgerlichen Interessengruppen ein Kompromiss abzuschließen. Letzteres ist seit zehn Jahren in nahezu allen Gemeinden, in denen wir uns an der Wahl beteiligten, geschehen, wodurch uns die Gelegenheit gegeben wurde, Anteil an der Gemeindeverwaltung zu nehmen. Die Tätigkeit unserer Ver- treteh war im grossen ganzen genommen sicherlich keine unsere Sache schädigende. Das empfinden die Genossen auch in allen Gemeinden. weshalb sich überall, wo wir nur, wenn auch vereinzelte, Genossen haben, das Bedürfnis stürmisch geltend machte, sich an der Wahl nicht nur als protestierende Klassenkämpfer, sondern auch als praktische Mitarbeiter zu betätigen. Bei der allgemeinen Aufregung, mit der die Wahl vonstatten geht, wäre das Predigen von Enthaltung ohne jeden Erfolg, denn die Massen würden einer solchen Parole fcde Folge verweigern. ES hängt für sie, daS haben sie erkannt, so viel von dem Ausfall der Wahl ab, dass sie von ihrem Rechte Gebrauch machen wollen. Die- selben Gründe sprechen gegen eine nur teiltveise Besetzung der zu wählenden Vertreterliste. Die Taktik war derart vereinbart, daß unsere Genossen ihr Programm und die darauf verpflichteten Genossen aufstellten und sie der Wählerschaft empfehlen sollten. Das 7b OOo Einwohner zählende LudwigShafen hat rund 15 c>00 ReichStagSwähler. jedoch nur 5000 Gemeindebürger. Einen erheblichen Prozentsatz von diesen stellt aus bekannten Gründen das sesshafte Bürgertum. Es mag sein, dass wir trotzdem allein eine Majorität für unsere Kandidaten er- zielen könnten, ober das ist keineswegs sicher. Da wir ferner nicht die benötigten Kräfte haben, die wirtschaftlich unabhängig und materiell in der Lage sind, das Amt zu übernehmen, so begnügten wir uns mit 11 von den 27 Sitzen und 9 Ersatzmännern. Für die Tätigkeit dieser 11 Genossen übernimmt die Partei die volle Ver- antwortung, diese allein empfiehlt sie als Sozialdemokraten den Wählern. Die Genossen wollen aber, dass neoen uns auch alle anderen Parteien und Interessengruppen vertreten sein sollen, des- halb stimmt sie einem von den Liberalen und der Zentrums-Partei- leitung an sie ergangenen Wunsche, eine Anzahl von deren Kandi- daten auf unsere Liste zu nehmen, zu. Es fanden Beratungen mit allen Parteien statt, in denen man sich einigte, die Sitze nach einem freiwilligen Proportionalverfahrcn zu besetzen. Das ist insofern ge- schehen, als 7 Sitze dem Zentrum, 3 den Liberalen, 11 den Sozial- demokraten zugesprochen wurden und der Rest bis zu 35 von den genannten Parteien gemeinsam aufgestellt wird. Keine Partei ist berechtigt, einen der von einer anderen Partei vorgeschlagenen Kan- didaten abzulehnen oder zu bemängeln. Jene 9 Kandidaten, die die geringste Stimmenzahl erhalten, gelangen zu den Ersatzleuten. Unsere Partei wird in ihren Wahlaufrufen und Flugblättern für ihre Kandidaten eintreten und im Anschluß daran den Genossen empfehlen, die aufgestellte Liste der durch die Vereinbarung auf- gestellten Kandidaten der Gegner mitzuwählen. Selbstverständlich haben auch die Gegner dementsprechend zu verfahren. Wir betreiben unsere Agitation völlig unabhängig von den bürgerlichen Parteien, selbständig. * Es kann zugegeben werden, dass es danach in den meisten, namentlich den kleinen Gemeinden zurzeit nicht möglich sein dürfte, mit einer ganzen reinen Liste vorzugehen, aber gerade für Ludwigs Hafen scheinen doch die Schwierigkeiten etwas über- trieben zu sein. Zunächst schon hat es seinen besoldeten Berufs- bürgermeister. Dass die Möglichkeit besteht, eine sozialdemokratische Majorität zu erzielen, wird zugegeben. Ob es möglich ist, die nötige Anzahl unabhängiger Parteigenossen zu finden, die zur Ausübung des Amtes befähigt sinb, können wir natürlich nicht beurteilen, doch will eS uv-s scheinen, dass auch darin etwas zu viel Aengstlichkeit vor- waltet und die Parteigenossen unter aller Gewöhnung ihre Kräfte unterschätzen. Dass jedes Gemeinderatsmitglicd drei bis vrer halbe Tage in der Woche der Gemeindeverwaltungstätigkeit widmen müsse, will uns nicht einleuchten: wir glauben, dass der Zeitaufwand für die meisten erheblich geringer sein würde. Mag aber das alles gelten für das Verfahren, nur einen Teil der freiwerdenden Mandate zu beanspruchen, so ist es doch noch keine Erklärung dafür, dass die Parteigenossen auch für die Kandidaten anderer Parteien stimmen und dass sie sich mit der Minderheit der Mandate begnügen. Worauf wir schon einmal aufmerksam machten: Die gemeinsame Liste birgt immer die Gefahr, dass die Parteigenossen die Gegner wählen helfen, diese aber unsere Kandidaten streichen. Und indem die Partei- genossen sich von vornherein mit einer Minderheit der Sitze be- gnügen, berauben sie sich von vornherein des grössten Teiles bes möglicherweise zu erlangenden Einflusses auf die Gemeinde- Verwaltung. Denn das dürfte in der Pfalz und namentlich in der Industriestadt Ludwigshafen nicht anders sein wie sonst im Reiche: sobald wirkliche proletarische Klassenforderungen aufgestellt werden, dann sind Nationalliberale und Ultramontane sofort einig in ihrer Ablehnung. Mag auch im Südwesten die Klasscnscheidung äußerlich noch nicht so schroff zutage treten wie im Norden und Osten, so weiss doch auch die dortige Bourgeoisie ihr Klasseninteresse sehr wohl wah-zunehmen, und sobald die Parteigenossen versuchen wollen, Klassenpolitik in der Gemeinde zu treiben, werden sie sich dort so allein sehen, wie anderwärts. Wir nehmen gern Notiz davon, daß die dortigen Genossen ihre Agitation völlig unabhängig von den bürgerlichen Parteien betreiben Aber wenn— was wir annehmen —'■iefe äusserlich unabhängige Agitation auch innerlich von der Agitation der bürgerlichen Parteien verschieden ist, wenn in ihr der Klassencharakter unseres Kampfes zum Ausdruck kommt, dann setzen s.ch die G.nossen in einen unheilbaren Widerspruch, wenn sie sich von vornherein durch Verzicht auf den Versuch der Mchrheits- gewinnung zum Verzicht auf die Durchsetzung der in der Agitation aufgestellten Forderungen verdammen. Partei- I�acdrickten. Im Großherzogtum Sachsen-Weimar sind in den einzelnen Städten die Polizeibehörden jetzt beinüht, festzustellen, wer von den bekannten sozialdemokratischen Agitatoren auch bei den Gewerk- schaftcn agitatorisch t�tig ist. Augenscheinlich bemüht man sich wieder einmal, Material zu einer Denkschrift zur Bekämpfung der Sozialdemokratie zu sammeln.— Auch die Gewerbe vereine in den einzelnen Orten sind um Auskunft darüber angegangen worden, ob in dem am Orte befindlichen Konsumverein bekannte Sozial- der.'.okraten an der Leitung des betreffenden Vereins beteiligt sind. In Apolda bat der Gewerbeverein die Beantwortung der Frage ab- gelehnt, weil doch die Konsumvereine auf Grund eines bestehenden Gesetzes ihre Wirksamkeit entfalten können. Gegen daS Arbeitersekretariat in Saarbrücken macht die Polizei jetzt mobil. Der Sekretär erhielt vor einiger Zeit von der Polizei- direktion Saarbrücken folgende Zuschrift: „Nachdem in letzter Zeit mehrfach durch Sie fremde Rechts- angelegenheiten und bei Behörden wahrzunehmende Geschäfte be- sorgt sind, weise ich darauf hin, daß, soweit dies gewerbsmässig ge- schicht, d. h. Sie persönlich solche Aufträge übernehmen und Be- Zahlung dafür erhalten, die auf Grund des Z 88 Absatz 4 der Ge- loerbe-Ordnung erlassenen Vorschriften vom 28. November 1901 von Jhm-n zu wahren sind, abgesehen von Befolgung der Vor- schriften des Z 35 der Gewerbe-Ordnung...... Das Arbeitersekretariat erwiderte darauf, dass eS von den bei ihm Ratsuchenden keinerlei Gebühren erhebe und deshalb kein Gewerbe- betrieb sei. Die Polizei will das jedoch offenbar nicht glauben. So erhalten Arbeiter, denen im Sekretariate Schriftstücke angefertigt wurden, Vorladungen vor die Polizei, wo sie peinlich vernommen werden ob sie dem Arbcitersekretär irgend etwas bezahlt haben, da derselbe doch nicht von der Luft leben könne. Wir glauben schon, daß das Bestehen des Arbeitersekretariats im SaarrevierS den Gewaltigen des Reviers Kopfschmerzen macht. Trägt doch da» Institut wesentlich dazu bei, dass sich die dortigen Arbeiter nicht mehr so rechtlos fühlen wie früher, und daS ist für unbeschränkte Herrschast der Kapitalisten recht unbequem. poHrelll«»»«». OenchtUches ufw. Bom Schöffengericht in Saalfeld (Saale ) wurde der Genosse Friseur Paul Seige in Pößneck wegen Beleidigung mit 1 Monat Gefängnis.bestrast. Ein Amtsdicner, namens Henkel, hatte unseren Genossen denunziert und angegeben, derselbe habe sämtliche Richter von Pößneck öffentlich beleidigt. Obgleich 4 Belastungs- zeugen, darunter 3 Re»chspostbcamte, oie Angaben des Angebers nicht bestätigen konnten, und auch der Amtsanwalt nur eine ge- linde Geldstrafe beantragte, hat das Gericht dennoch auf Gefängnis erkannt. Da unser Genosse den abwesenden Denunzianten des falschen Zeugnisses bezichtigte, erkannte das Gericht auf eine Un» gebührstrafe von 25 M. ev. 1 Tag Haft. — Zn 100 M. Geldstrafe wegen Beleidigung eines Gefangenen- Aufsehers wurde der verantwortliche Redakteur unseres Dussel- d o r f« r Partei- Organ», Genosse Dr. L a u f e n b e r g. von der Strafkammer in Düsseldorf verurteilt. Der Beleidigungsklage lag folgender Tatbestand zugrunde. Im April diese» Jahre» wurden eine Anzahl Gefangener, unter ihnen ein gewisser Liesenberg ans Elberfeld , von Düsseldorf nach dem neuen Gefängnis in Anrath über- geführt. Dem Ausscher Richartz, der HauSvaterdienst tut, ging die Ein- kleidung nicht schnell genug und trieb er die Gefangenen zur Eile an. Liesenberg soll nun bei der Gelegenheit von Richartz zur Tür hinausgeworfen worden sein, wobei er mit dein Kopfe gegen einen Balken flog und zu Fall kam. Einige Stunden nach diesem Vorfall, vielleicht gegen 2 Uhr mittags, fiel Liesenberg besinnungslos zu Boden, Blut und Schaum trat ihm vor den Mund. In diesem Zustand hat man den Gefangenen bis 8V3 Uhr abends liegen lassen, dann erschien ein Arzt, der die sofortige Ueberführung ins Hospital anordnete. Dort ist Liesenberg, ohne die Besinnung wieder erlangt zu haben, am nächsten Mittag gestorben. Diesen Vorgang hatte Laufenberg in einem Artikel scharf gerügt und eine strenge Untersuchung verlangt. Die Untersuchung förderte eine Anklage gegen Dr. Laufenberg und einen Arbeiter Arretz, der ihm das Material zu dein Artikel geliefert haben soll, zu Tage; der Reaienlugspräsidcnt hatte den Strafautrag iin Namen des Gefangenen- aufsehets gestellt. In der Verhandlung wurde im grossen und ganzen die Darstellung, wie sie unser Düsseldorfer Parteiblatt gegeben, als richtig bewiesen. Nur behauptete der Gesangenen-Aufseher, daß er den Gefangenen nicht hinausgeworfen habe, er habe ihn am Arm „gefaßt" und hinausgeführt. Zugegeben werden mußte, dass Liesen- berg gefallen war, dass er zirka 6 Stunden auf dem Fnssboden ge- legen hatte und dass der Aufseher auf die Bitte der übrigen Ge- fangenen, doch einen Arzt zu holen, erklärt habe, das sei unnötig. Auch wurde festgestellt, dass der Gefangene am nächsten Tage, ohne das Bewutztsein wieder zu erlangen, gestorben sei. DaS Gericht kam zu der Verurteilung wegen formaler Be» leidigung, der Mitangeklagte Arretz wurde freigesprochen, Iveil Ge« nosse Laufenberg erklärte, dass A. nickt der einzige Gewährsmann gewesen, auch mit der wörtlichen Fassung des Arlilels nichts zu tun gehabt habe. Wirtschaftlicher Wochenbericht. Berlin , 23. November 190t. Die Hibernia-Borlage. Die Regierungsvorlage.— Ein Rcchenkunststück.— Welchen Einfluß sichert der Akttenerwerb der Regierung aus die Hibernla?— Herr» MöllcrS nicht vorhandene finanzielle Bedenken.— Regierung und Kohlensyndikat.— Rücksicht- nähme der Regierung aus die Profite des rheinisch-westsälischen Kohlen bergbaues. — Die Regierungsvorlage und die Konservativen. Die unheilbaren Optinttsten, die in ihrer Unkenntnis der eigeut- lichen Natur unseres heuttgen durch die Nanicn Podbielski, Möller. Rheinboben tresslich charakterisierten Staatsregiments bisher noch immer daran zweifelten, dass die preussische Regierung nach all den schönen Niederlagen, die Herr Möller in der Hibernia-Affäre erlitten hat, schon jetzt an den Landtag die Forderung eines Ankaufs der von der Dresdner Bank erworbenen Hibernia-Aktie» stellen werde. sind durch den am vorigen Montag den pmissischen. Abgeordneten zugegangenen„Gesetzentwurf über die Beteiligung des Staates an der Bergwerksgesellschaft Hibernia zu Herne " gründlich darüber belehrt worden, dass sie wieder mal die LeistmigZsähigkeit deS jetzigen Regierungskurses bedenklich unterschätzt haben. Da der Möllersche Verstaatlicknngskoup nicht gelungen»st, so gibt sich in ihrer Bescheidenheit die Regierung mit der Rolle des simplen Aktionärs zufrieden und fordert vom Landtag, dass er ihr, um sie zu dieser würdigen Stellung zu verhelfen, 6g'/s Millionen Mark bewillige, damit sie für 69 441837 Mark die von der Dresdner Bank angekauften Hibernia- Aktien im Nominalbetrage von 27 552 800 Mark zu erwerben vermöge, also zu einem Kurse von über 252 Proz., während der VerstaatlichungSIurS bekanntlich auf 240 Proz. festgesetzt war. Die Regierung rechnet allerdings anders. Da beim Ankauf der Staat die auf 11 Proz. veranschlagte Dividende von 24.22 Millionen Mark alter Akiien und die 4 Proz. Teildividende auf 3,33 Millionen Marl »euer Aktien bekommt, so zieht sie diesen Dividendenbettag(--- 2 797 708 M.) nebst 5 Proz. Provision vom Nennwert der Aktien, ferner 4 Proz. Stück- und Geldzinsen sowie Courtage nebst Reichssteuern von der Kaufsumme ab, und erhält so einen„eigentlichen" Kaufpreis von 35 571 709 M., kauft also, genau berechnet, die Aktien zu einem Kurse von 237,99 Proz. Und da sie 240 Proz. geben wollte, so hat sie nach ihrer Rechnung noch 2,01 Proz. profitiert. Ein famoseS Rechen- tunststiick, das nur an dem Fehler leidet, dass der VerstaatlichungS- kurs von 240 Proz. sich für die Altien inklusive Dividenden- schein und Stückzinsen verstand. Und zudem bleibt ganz ausser Betracht, dass in der Ankaufssumme noch nicht die Kosten der von der Dresdner Bank erhobenen Proteste und Gerichtsklagen enthalten sind, die nach einer Vereinbarung zu 75 Proz. vom Staat, zu 25 Proz. von der Dresdner Bank getragen werden müssen. Wie hoch diese Kosten sich belaufen werden, läßt sich zurzeit noch nicht ersehen, da der Anfechtungsprozeß gefien die Kapitalserhöhung der Hibernia bekanntlich noch schwebt und vielleicht noch in dritter Instanz da» Reichsgericht beschäftigen wird; jeden- falls wird aber auch hierfür noch ein hoher Betrag in Rechnung zu stellen fein, so dass schließlich sich der wirkliche Ankaufskurs der Hibernia-Aktien auf 254 oder 255 Proz. stellen dürfte, während der Jahresschlusskurs am Ende des Jahres 1904 nur 205,80 Proz. betrug und sich am 10. Juli vor der durch den Ankauf verursachten KurS- treiberei auf 210 Proz. stellte. Doch eS soll hier nicht die Frage untersucht werden, wie viele Millionen die Dresdner Bank, wenn der Landtag die Forderung bewilligt, auf Staatskosten geschenkt erhält; weit bedenklicher noch als diese nur halb versteckte Staatsdotation an das Gutmannsche Institut erscheint die politische Bedeutung der Ankaufsaktion. Was erreicht die Regierung mit einer Uebernahme der von der Dresdner Bank angekauften Aktien? In der Begründung der RegierungS- Vorlage wird es zwar so hingestellt, als erlange mit dem Akttenerwerb die Regierung einen„angemessenen" Einfluß auf die Hibernia und das Kohlensiindikat. Tatsächlich aber gewährleistet der Besitz der 27>/z Millionen Marl Aktien der Regierung nicht die ge- ringste Mitwirkung an der GeschäftSleitiing der Hibernia, wenn eS das Antiverstaatlichungskonsortium unter Führung des Kohlensyndikats, der Berliner Handelsgesellschaft und der Firma Bleichrüder nicht will, und wie dessen vor einigen Tagen gefaßter Beschluß, sich auf jeden Fall die Aktienmajorität zu sichern, zeigt, verspürt eS gar keine Neigung, dein heissen Liebesiverben der Regierung eittgegenzu- kommen. Nach dem Aktiengesetz sichern die 27'/, Millionen Mark der Regierung absolut gar keinen Einfluß auf die Geschäftsführung; vielmehr vermag das Konsortium sie nach Belieben zu majorisieren. ES kann, wenn eS ihm beliebt, die Statttten derartig ändern, daß z. B. der Beschluß einer Auflvsuna und Verstaatlichung der Gesellschaft nur mit einer Mehrheit von sieben Achtel» der stiminberechttgten Akiien gefaßt werden kann; es kann die Wahl in den AufsichtSrat von bestimmten Bedingungen abhängig machen, die den Eintritt eine« RegierungSvertrelers in den AufsichtSrat noch mehr als jetzt erschweren; es kann die Erwerbung von neuen Gruben oder auch die Vereinigung mit Eisenhütten beschließen; es kann ferner die Regierung auf schmale Nutzniessungsrationen setzen und entweder Hohe Betläae irgendwelchen Reservefonds zuweisen oder dafür neue tecknische Einrichtungen oder Aufbesserungsarbeiten vornehmen lassen. Alles das kan», wenn eS in einer Form geschieht, die nicht gegen daS Handelsgesetz verstößt, die Regierung nicht hindern; sie ist demgegenüber völlig machtlos. Andererseits aber übernimmt sie, wenn auch keine gesetzliche, so doch eine gewisse moralische Verantwortung für die Geichäftsfilhruiig der Hibernia-Gesellschaft. Wenn diese ein- seittge Dividendenpolitik treibt. Gruben stilllegt oder ihre Arbeiter« schuft schikaniert, fällt der dieses Vorgeben trcssende Haß auch auf die Regieruiig als der Hauptaktionärin und Hauptnutzniehecin de» Betriebes. Da« mag für Herrn Möllers Auffassung gleichgülttg sein; die Staatsautorität fördert es sicher nicht, und so wenig wir dagegen einzuwenden haben, wenn die heutige Regierung sich bloss- stellt, finden wir die Erreichung dieses Zieles für 70 Millionen Mark doch etwas teuer erkauft.
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