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Nr. 281. 21 Jahrgang. 1. KilU des Jmsärtü" Kerlim MMstl Mitwoch, 3V. November 190�. Keickstag. »01. Sitzung. Dienstag, den 2S. November 1gV4. mittags 2 Uhr. Graf v. Ballestrem: Ich eröffne die 101. Sitzung des Reichstags und begrüße nach der längeren Geschäftspause die Herren Kollegen auf herzlichste. «.eine Herren! In dem Sitzungsabschnitt, der uns jetzt bevor» steht, wird der Reichstag   über große und wichtige Gesetze zu entscheiden haben, welche das Wohl des deutschen Volles auf das ernsteste berühren. Ich mache neben dem Etat aufnrerksam auf die Militärgesetze, die gesetzliche Festlegung der zweijährigen Dienstzeit, die Feststellung der Friedens- präsenzstärle für die nächsten fünf Jahre, die Pensionsgesetze für die Ofstziere und Versorgungsgesetze für Mannschaften und zuletzt, aber nur zuletzt da Reihe nach, nicht der Bedeutung nach, die Handels- Verträge mit den betreffenden Staaten, die das materielle Wohl der Einwohner des Reiches für die nächsten zehn Jahre auf das kräftigste beeinflussen sollen.(Sehr richtig I) Um diese großen und wichtigen Gesetze durchzuführen, nmß ich die Bitte an die Herren richten, daß sie eifriger wie in der letzten Zeit sich an den Sitzungen des Reichstages beteiligen(Bravo  !), daß der schreckliche Absentismus, der unS in den letzten Jahren immer verfolgt hat. aufhören möge.(Sehr richtig!) Möge jeder sich bewußt sein, daß. wenn er ein' Mandat zum Reichstag übernimmt, er auch die Verpflichtung hat, hier zu erscheinen und hier mitzuwirken.(Lebhafte Zustimmung. Rufe: Diäten!) Nicht nur für die Abstimmungen kommt das in Betracht, auch für die Redner ist es ganz etwas anderes, wenn sie ihre Aus- sührungen vor vollem Haufe, als vor leeren Bänken vorbringen. Ich bitte Sie also ich fühle mich dazu als Ihr Präsident ver- pflichtet, daß Sie in diesem Sessionsabschnitt eiftiger als bisher an den Sitzungen teilnehmen.(Lebhaftes Bravo!) Der Präsident teilt hierauf mit, daß er beim Tode des Königs Georg von Sachsen   ein Beileidstelegramm im Namen des Reichstages an König August gerichtet habe. Das Hau? ehrt das Andenken deS Königs Georg sowie des Graftegenten des Fürsten- tum? Lippe und der verstorbenen Reichstags- Mtglieder D eppe (natl.). Herbert Fürst   v. Bismarck   und Schmidt- Magdeburg (Soz.) durch Erheben von den Sitzen. Hierauf tritt das Haus in die Tagesordnung ein. Erster Gegenstand der Tagesordnung find drei Petittonen auf Aenderung des Gesetzes über die Schlachtvieh- und Fleischbeschau. Die Petitionskommission hat einige Punfte aus diesen Petittonen für beachtenswert gehalten und beantragt die lieber- Weisung dieser Einzelheiten an den Reichskanzler als Material; im übrigen verlangt sie Uebergang zur Tagesordnung. Es handelt sich in erster Linie um den Wunsch der Darm» Händler und Darmimporteure, daß Därme von der Fleischbeschau befreit werden sollen, da sie nicht zum Genüsse für Menschen bestimmt seien, und weil sie, ehe sie ihrer Bestimmung der Wurst als Umhüllung zu dienen, zugeführt ivürden, eine ganze --- rd Rauchprozeffen durchmachen müßten, die Reihe von Salz-, Koch- un jede Spur von etwa vorhandenen'Jnfeftionskeimen vernichteten. Denselben Antrag stellen auch die detitschen Wurstsabrikanten. Die Kommission empfiehlt Ucberweisung als Material. Gleichfalls lfeberweisung als Material beantragt sie für den Wunsch von Bürgermeistern des bayerischen Amtsbezirks Riedenburg   auf Aenderung der Gebühren� und Prüfungsverordnung für die Fleischbeschauer, da den Ge- metnden durch die Kosten der Ausbildung und Besoldung der Fleisch- beschauer große Lasten erwüchsen. Uebergang zur Tagesordnung beantragt die Kommission für die Wünsche der Darmhändler und Wurstfabrikanten auf Beseitigung des Verbots der Einfuhr von Pökelfleisch im Gewichte von weniger als t Kilogramm, besonders gepökelter Schweinslebern und Zungen. Abg. Scheidemann(Soz.): Der Punkt der Tagesordnung, der uns heute beschäftigt, ist ein alter Bekannter und hat bereits lviederholt zu außerordentlich leb- haften Auseinandersetzungen geführt. Ich halte es für meine Pflicht, auf diese äußerst wichtige Materie näher einzugehen. Als zuletzt im Juni diese Petittonen verhandelt wurden, verlangte Herr v. Staudy, unterstützt von einem Mitgliede des gentrums, daß entgegen dem Beschlüsse der Konimission über alle drei Puitkt« zur Tages- ordnung übergegangen werden solle. Herr Müller- Sagau be- antragte daraufhin bei der schlechten Besetzung des HauseS die Absetzung des Gegenstandes von der Tagesordnung, und so kommen wir dazu, heute die Debatte fortzusetzen. Die lebhaften Debatten, die jedesmal, ivenn es sich um das Fleischbeschau-Gesetz handelt, eintreten, beweisen, daß es sich hier um außerordentlich wichtige Dinge dreht. Darüber sind wir uns auch alle einig, die Uneinigkeit besteht nur darüber, welche Aufgaben dies Gesetz erfüllen soll. Die Parteien der Linken sind überzeugt, daß das Gesetz lediglich als sanitäres gehandhabt werden darf, während man auf agrarischer Seite das Besetz benutzen will zur Fernhaltung der ausländischen Konkurrenz auf den Biehmärkten.(Sehr richtig I) Nach der Meinung der Agrarier, die im Frühjahr Herr Held vertrat, ist unser nationales Vieh gesund, die deutsche Landwirtschaft kann den deutschen Bedarf decken. Die deutschen Bauern schlachten kein schlechtes Vieh und die besten Fleischbeschauer sind nach ihm die Dienstboten. Für Herrn Held steht es fest, das bei uns da» Vieh gesund ist. Er meinte, es sei statistisch erwiesen, daß unter SO 000 Schweinen nur eins mit Trichinen behaftet sei. Das beweise, daß es vor allem auf eine richttge Handhabung der Grenzsperre ankomme. Das fremde Vieh bringt ganz allein Bazillen unS und Finnen. Der deutsche Dchs, das deutsche Schwein Hat solch' Getier nicht drinnen.(Heiterkeit.) Herr Held meinte weiter, ich hätte mich als gänzlich unorientiert über die Verhältnisse erwiesen, wenn ich behauptete, die Dienst- boten auf dem Lande bekämen schlechtes Fleisch. Die Dienstboten- not sei so groß, daß der Bauer alle Veranlassung habe, seine Dienst- boten gut zu behandeln, gut zu bezahlen und ihnen gutes Esien zu geben. Ich gebe gewiß zu, daß es eine Anzahl Gutsbesitzer gibt, die ihre Dienstboten gut behandeln und bezahlen, aber die Regel ist das nicht.(Widerspruch rechts.) Glauben Sie(nach rechts) denn, daß die Leute vom Lande weglaufen, weil es ihnen zu gut geht? Ach nein I Auch die Zunahme der sozialdemokratischen Stimmen ans dem Lande spricht nicht gerade dafür, daß sich die Leute zu wohl fühlen. Herr Held hat uns damals alles vorgetragen, was auch im ABC-Buch des Bundes der Landwirte steht. Danach geht «S den ländlichen Arbeiter» so gut. daß sie Ersparnisse machen müssen;«m merkwürdigen Gegensatz dazu wird dann aller- dinqS zu», Schluß ein Gesetz gegen den Kontraktbruch ländlicher Arbeiter gefordert. Wenn man in den agrarischen Flugblättern liest, wie behaglich die ländlichen Arbeiter wohnen, wie reichlich sie sich nähren und wie gute Luft sie haben, dann kann man sich gar nicht vorstellen, wie diese Arbeiter dazu kommen sollten, kontraktbrüchig zu werden.(Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Herr Held selbst hat sich damals als ganz unorientiert erwiesen. Er sprach von der großen Verseuchung des Viehes in Schlesien   infolge der laxen Handhabung der Grenzsperre und behauptete, daß im Gegensatz dazu in Bayern   überhaupt keine Seuche existtere. Ein Parteigenosse von mir hat ihm damals bereits nachgewiesen, daß da» nicht stimm t. Um so informierter zeigte sich Herr Held natürlich über Amerika  . Es wäre endlich einntal an der Zeit, daß die Herren offen herausreden und uns deutlich sage», wer in Amerika   die von ihnen stets behauptete» Manipulationen betreibt, wer in Amerika   uns der- artige Schweinereien als gesundes Fleisch herüberschickt. Wer in Zu- kunft noch ernst genommen werden will, muß der Wahrheit die Ehre gehen, wenn er sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, daß er sich entweder zum Mitschuldigen dieser Leute oder zum Märchen- erzähler macht. Herr Held hat sich dann besonders als Freund der kleinen Landwirte bezeichnet, er behauptete, alle kleinen Landwirte, die unter zwei Hektar besäßen, müßten geschützt werden, es wäre ausgeschlossen, daß sie von dem Zolltarif Nutzen hätten, sie müßten für ihre Viehhaltung noch erhebliche Quantitäten Getreide einkaufen. Wenn Herr Held die kleinen Bauern schützen will, dann hätte er besser getan, bei der Beratung des Zolltarifs seine Freunde, die Nationalliberalen, scharf zu machen.(Sehr gut! bei den Sozial- demokraten.) Gras Oriola versuchte damals Herrn Held herauszu- beißen, indem er behauptete, man hätte seinen Parteigenossen miß- verstanden. Davon ist keine Rede. In der Tat war iener Satz der einzig klare und unzweideutige in den Ausführungen des Herrn Held, als er zugestand, daß 58 Proz. der Landwirte keinen Vorteil von Getreide- zöllen hätten. Graf Oriola führte damals aus, die eine Forderung nach Einführung des Pökelfleisches bewiese, wo die Freunde und die Gegner der Konsumenten zu suchen seien.(Abg. Graf Oriola: Sehr richtig!) Ich werde Ihnen gleich zeigen, wer recht hat. Graf Oriola meinte, diejenigen die Pökelfleisch zweifelhafter Qualität in großen Massen ins Land bringen wollten, seien weniger gute Freunde der Arbeiter. Die Naiionalliberalen, die Brot- und Fleischzölle gut geheißen haben, sollten sich wirklich nicht Arbeiterfreunde nennen, und wer sagt Ihnen denn, Graf Oriola, daß wir schlechtes Fleisch ins Land hinein haben wollen? Die Sozialdemokratie gewiß nicht!(Zurufe bei den Nationalliberalen: Wir auch nicht!) Sie aber sind der Meinung, daß man den Arbeitern nicht gutes und billiges Fleisch beschaffen solle, sondern deutsches Fleisch!(Heiterkeit und Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Ich halte mich auch für einen guten Deutschen  , aber mit Bezug auf das Fleisch ist es mir ganz egal, ob es deutsches oder amerikanisches ist, wenn es nur gut ist und möglichst wenig kostet.(Sehr richtig I bei den Sozialdemokraten.) Ich will Ihnen in wenigen Ziffern zeigen, in welchem Grade jetzt das Einfuhrverbot von Pökelfleisch die deutsche Arbeiterschaft ge- schädigt hat. In den Jahren von 1895 bis 1903 ist die Einfuhr an zubereitetem Fleisch und Speck zurückgegangen um 411 S64 Doppel­zentner. Glauben Sie, daß das nicht einen großen Einfluß auf den Arbeiterhaushalt ausmacht? Wir zahlen jetzt in Offenbach  85 Pf. für das Pfund Schweinefleisch und für das billigste 80 Pf. Graf Posadowsky hat es seinerzeit unumwunden ausgesprochen, daß das Hausschlachten viel gefährlicher sei als alle amerikanische   Pökel- wäre. Tatsächlich sind ja auch kleine Erleichterungen in der Praxis der Zolluntersuchung eingetreten. Es ist der reine Hohn, daß im preußischen Adgeorduetenhanse jetzt die Agrarier für die Frei- z ü g i g k e i t eintreten, allerdings nicht für die der Menschen, sondern für die der Trichinen.(Sehr gut I und große Heiterkeit links.) Das ist das Tollste an Skrupellosigleit, was sich die Agrarier je geleistet haben.(Bravo  ! bei den Sozialdemokraten.) Es steht fest, daß sich ein großer Teil deS vom Lande in die Stadt als gesund gelieferten Fleisches bei der zweiten städtischen Unter suchung als verseucht zweite Untersuchung demokraten.) Reichsgesetzlich preußischen Landtages, der diese zweite Untersuchung abschafft,' direkt ungesetzlich.(Lebhafte Zustimmung links.) Eine politische Freibank, in der nichtladenreine, volksschädliche Gesetze gemacht werden, das ist das preußische Abgeordnetenhaus I(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten. Großer Lärm rechts. Glocke des Präsidenten.) Präsident Graf Ballestrem: Der Abgeordnete Scheidentann hat hier vom preußischen Abgeordnctenhause in der unerhörtesten Weise gesprochen. Ich ruf« ihn deshalb zur Ordnung.  (Beifall rechts.) Abg. Schcibemimn(fortfahrend): Das Fleischbeschau-Gesetz besitzt einige Mängel von so merk- würdiger Natur, daß es sich überhaupt gar nicht durchführen läßt. Tatsächlich wird weder im Hamburger und Bremer Freihafengebiet, noch, wie ich glaube, in Helgoland der 8 25 deS Gesetzes zur An- Wendung gebracht. Man hat ferner beobachtet, daß vielfach das Salz im Pökelfleisch alle Stempel weggefressen hat. Der ß 10 der Ausführungsbestimmungen ist rundweg erlassen worden. Mitsolchenund ähnlichen Zugeständnissen hat man zugegeben, wie schwerwiegende Mängel das Gesetz besitzt. Man sollte daraus den Schluß ziehen, daß man über diese Petitionen, welche das Gesetz verbessern wollen, nicht ein- fach zur Tagesordnung übergehen kann. Meine Ausführungen haben gezeigt, um wie wichtige Dinge es sich handelt. Was die Agrarier in« dem Gesetz wollten, ist nichts anderes, als alle auswärttge Kon kurrenz einfach zu beseitigen, um dann beliebig die Preise zu be stimmen.(Sehr richtig l links.) Das wundert mich auch weiter nicht von den Agrariern, aber was mich wundert, ist die unbegrenzte Langmut des deutschen Volkes gegenüber den agrarischen Unver- schämtheiten.(Großer Lärm rechts.) Aber die Sozialdemokratie wird endlich mit dieser Junkersippe fertig werden.(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten. Lachen rechts.) Graf Revcntl-w(Ant.): Das Gesetz mag emige formale Mängel haben, aber die Be- sprechung dieser Petitionen bietet nicht die richttge Gelegenheit, um sie zu beseitigen. Ich verzichte selbstverständlich darauf, dem Abg. Scheide- mann und denen, die ihm nahe stehen, klar zu machen, was das Gesetz bedeutet. Es hat nämlich einen doppelten Sinn. Es will sowohl den sanitären Schutz des deutschen Konsumenten gegen Seuchen, als auch de» Schutz des deutschen Produzenten gegen die auswärtige Konkurrenz. Die Sache ist sehr einfach. Deshalb iverden Sie(gegen die Linke gewandt) es auch nicht begreifen.(Gelächter.) Nun ging der Abg. Scheidemann neben vielem anderen, was nicht zur Sache gehört, auch ganz allgemein auf die Lage der Landarbeiter ein. Seine Klagen über deren Lebenshaltung werden bei uns erhöhte Berücksichtignng finden, wenn die Beschwerden über Löhne und Arbeitszeit der Angestellten in sozialdemokratischen Konsumvereinen endlich verstummen werden.(Lachen bei den Sozial, demokraten.) Der Abg. Scheidemann   führt uns den Landwirtschafts« minister als Autorität vor. Da ist er regierungSfrommer als wir. (Heiterkeit rechts.) Wenn er daS Fleisch auch ohne Untersuchung esien will, so wird er zugeben, daß die dritte Untersuchung lediglich fiskalischen Zwecken dient, den Stadtsäckel auf Kosten der Konsu- menten und Produzenten füllen soll.(Beifall rechts; Wider- spruch links.) Für eine Ueberwachung der Haus» schlachtungen fehlt eS heute an genügendem Personal. Der Abg. Scheidemann   müßte nämlich wissen, daß die meisten Schweiiieschlachtungen im Winter vora«nommen werden, sich auf zwei, drei Tage zusammendrängen.(Zurus des Abg. Scheidemann.) So, Sie wissen das schon, das wuiioert mich sehr. (Heiterkeit rechts.) Wenn wir dafür genügendes Personal hätten. wenn die Parität des inländischen und ausländischen Fleisches ge- sichert ist, und wenn schließlich die Kosten auf die Allgemeinheit übernommen werden, so könnten wir auch für die Beschau der Haus- schlachtungen stimmen.(Lebhafter Beifalls rechts.) Abg. Wallau  (natl.) polemisiert gegen die vom Abg. Scheidemann zitierte Schrift bei Dr. Kay über die hessische Landwirtschaft. Er bezeichnet alle Angaben dieser Broschüre über daS Elend der land­wirtschaftlichen Arbeiter als vollkommen unwahr. Abg. Herold(Z.): Neues hat auch der Abg. Scheidemann nicht vorbringen können; ich wiederhole ihm gegenüber ganz einfach, daß das Fleischbeschmtgesetz eine rem sanitäre Maßregel ist.(Lachen bei den Sozialdemokraten.) Wir halten es und das preußische AuS- durchaus richtig. »gehender Kenntnis icht aus Grund deS ABC des Bundes der Landwirte. DaS kenne ich nicht, wohl aber kennt es Herr Scheidemann  , der daraus wohl sein Wissen schöpft. (Enteutes Lachen links.) Abg. Graf Schwerin-Löwitz(k.): Nichts hat die Berechttgung deS Antrages unseres Frakttonsgenossen v. Staudy so eindringlich dar- gelegt, als die Rede des Abg. Scheidemann. Abg. Scheidemann(Soz.): Es sind hier so viel Unnchtigketten gesagt worden, daß ich sie nicht alle widerlegen kann, aus dem einfachen Grunde, weil sich dann Dinge, die heute schon fünfmal oder sechsmal gesagt sind, znm siebentenmale widerlegen müßte. Der Abg. Graf Rebentlow hat es sogar ernst genommen, als ich ihm bei seiner Erwähnung der ausländischen Fleischbeschau ironisch einwarf:DaS ist mir ganz neu". Ich muß sagen, wenn das Fleisch so gut wäre, wie die Selbst- einschätzung des Abg. Reventlow, dann braucbten wir überhaupt keine Fleischbeschau.(Heiterkeit.) Es ist unrichtig, wenn behauptet wurde, daß die deutsche Landwirtschaft den gesamten Fleischbedarf des deutschen Volkes decken könnte. Höchstens mag es wohl möglich sein für das Schweinefleisch. Aber es scheint mir, daß die deutsche Landwirtschast jedesmal, wenn sie so weit ist, daß an- nähernd genug Schweine produziert werden, absichtlich die Produktion zurückhält, damit nur die Preise nicht sinken.(Lärm rechts.) Der Entrüstungssturm über das Buch von Katz in Oberhessen   dürste auf den einfachen Umstand zurückgehen, daß man immer entrüstet ist. wenn unangenehme Dinge aufgedeckt werden. In Hessen   besteht das Sprichwort:Große Schüsseln, aber nichts zu essen". Das ist nicht ganz richttg, aber doch so ziemlich. Der Abg. Herold hat sich widersprochen. Einmal sagte er, er sei für das Gesetz lediglich aus sanitären Gründen eingetreten, dann aber hat er wieder bei anderen Gelegenheiten behauptet, er wolle überhaupt von der ganzen Fleischuntersuchung nicht viel wissen. Der Abg. Held beschwerte sich darüber, ich hätte ihn einen Agrarier genannt. Ich weiß sehr wohl, daß niemand ein Agrarier ist, der mir zwei Hektar Land besitzt. Ich wundere mich nur, daß man das bei den Verhandlungen über den neuen Zolltarif nicht auch betont hat. Aber damals hat man ge- sagt, die g a n z e Landwirtschaft gehöre zusammen. Herr Held wendet em, er sei damals noch nicht im Reichstage gewesen. Ich weiß das sehr wohl, ich bedauere sogar, daß er jetzt hier ist.(Heiterkeit.) Wenn schließlich der Abg. Graf Schwerin gemeint hat, gerade meine Rede hätte ihn davon überzeugt, daß man über die Petitionen zur Tagesordnung übergehen solle, so ist das eine so alte Redewendung, daß Sie sich nicht dadurch beeinflussen lassen sollten. Ich bitte Sie, wenigstens nicht die Kommission zu desavouieren und die Petitionen der Regierung als Material zu überweisen.(Bravo l bei den Sozial- demokraten.) Abg. Graf Reventlow(Antis.) erwidert, baß gegenwärtig geradezu eine Ueberproduktion auf dem Gebiete der Schweinezucht herrsche. Er habe den Eindruck, daß er sich dem Abg. Scheidemann   gegenüber durchaus richtig selbst eingeschätzt habe.(Heiterkeit rechts.» Damit schließt die Diskusston. In der Abstimmung wird der Anttag Staudy auf Uebergang zur Tagesordnung über alle drei Petitionen mit den Stimmen der Rechten, des Zentrums und der Hälfte der Nationalliberalen angenommen. Bevor zur nächsten Petitton geschritten wird, beanttagt Abg. Dr. Müller-Sagan(frs. Bp.) zur Geschäftsordnung, die Petitionen wegen des Befähigungsnachweises für das Handwerk, wegen Unterdrückung schlechter Literatur- und Knnsterzeugnisse und wegen Aenderung des§ 175 deS Strafgesetzbuches von der heuttgen Tagesordnung abzusetzen. Abg. Erzberger(Z.) widerspricht diesem Antrage und macht darauf aufmerlsam. day für die Ablveisung eines solchen Antrages der Widerspruch von 30 Mitgliedern genüge. Abg. Dr. Müller-Sagan(frs. Vp.) erklärt, die Beschlußfähigkeit des Hauses zu bezweifeln. Abg. Singer(Soc.): Ich bitte den Antrag auf Absetzung dieser Gegenstände von der Tagesordnung abzulehnen und zwar ans folgenden Gründen: Wir sind mit unserer Zeit bis Weihnachten so beschränkt, daß uns für eine Reihe der aus dem Hause gekommenen Initiativanträge und Resolutionen nur noch die Tage dieser Woche zur Verfügung stehen. Wenn wir heute die Materie des Befähigungsnachweises für das Handwerk absetzen. würde der dieselbe Frage behandelnde Initiativantrag ja wahr- scheinlich morgen jjur Beratung kommen und so müßten andere Initiativanträge zurückgestellt werden, die herankommen könnten, wenn wir diese Materie heute m Angriff nehmen würden. Ich halte es nicht für richtig, daß der Retchstag sofort. nachdem er nach so langer Pause wieder zusammengetreten ist, die Inangriffnahme einer Materie ablehnt.(Sehr rtchtigl bei den Sozialdemokraten.) Abg. Dr. Müller-Sagan(frs. Vp.); Wenn Herr Singer meint, daß morgen der betreffende Initiativantrag auf die Tagesordnung gesetzt wird, so kann ja diese Petition mitberaten werden. Ich meine aber, es empfiehlt sich gerade deshalb nicht, heute eine Dis- kussion in Angriff zu nehmen, die wir doch nicht beenden könnten. Ich halte meinen Zweifel an der Beschlußfähigkeit des Hauses aufrecht. Der vom Präsidenten angeordnete Namensaufruf ergibt die An­wesenheit von 200 Abgeordneten, das Haus ist somit o e s ch l u ß- fähig.(Große Heiterkeit rechts.) Dte Beratung geht weiter bei den Petitionen betr. den Be- sähigungsnachlveis für das Handwerk. Die Kommission beantragt die Anträge um Einführung des allgemcinenBesähigungsnachweisesbei dem Handwerk resp. die Einführung des Befahigungsnachlveises für die Maschinisten und Heizer durch Uebergang zur Tagesordnung zu erledigen. die Petitionen auf Einführung des BefahigungsnachwctseS für die Bauhandwerker dein Reichskanzler zur Erwägung zu über- weisen. Die Abgg. Auer und Genossen(Soz.) beantragen Uebergang zur Tagesordnung über alle diese Petittonen. Die Abgg. Erzberger(Z.) und Genossen beantragen, die Petition tun Einführung eines allgemeinen Befähiguii�.nachweises dem Reichs- kanzler nach der Richtung zur Berückstchtigung zu überweisen, daß nur denjenigen die Befugnis zur Anleitung von Lehrlingen zusteht, welche den Meistertitel führen und 2. die Petition auf Einführung des Befähigungsnachweises für die B a u h a n d w e r k e r dem Reichskanzler zur Berück- s i ch t i g u n g zu überweisen. Der Abg. Raab(Antis.) beantragt, die Petitionen auf all- gemeinen Befühigungsnachlveis bei dem Handwerk dein Reichskanzler zur Erwägung, die übrigen Petitionen zur Berücksichtigung zu überweiicn. Abg. Erzberger  <Z.); Das Handwerkergesetz von 1337, das auf eine gründliche Ausbildung der Lehrlinge einen besonderen Wert legte, betrachten wir nur als die erste Etappe zum Schutze deS Handwerks. Auch die Gewerbeveretne, welche setnerzeit noch gegen die Meister- Prüfung waren, haben sich heute uns angeschlossen und ich hoffe, daß die Nationalltberalen, die sich damals gerade auf die Haltung der Gewcrbevereine beriefen, auch heute noch auk daS Urteil der Gewerkvcreine stützen. Unser Antrag, die Meisterprüfung cinzn- führen, ist nur die konsequente Weitersllhruna des Handwerkerschutz- Gesetzes. Der Herr Handelsminister vertröstete uns seinerzeit auf die Zukunft und meinte, wir sollten doch dem Gesetzgeber von 1305 nicht vorgreifen. Nun, der Gesetzgeber von 1305 tst kein anderer als der von 1304. Wir erachten also jetzt den Zeitpimlt für ge- kommen. Unser zweiter Antrag geht da hin. die Petttion zur Einfühtung des Befähigungsnachweises für Bauhandwerker der Regierung nicht nur zur Erwägung, sondern zur Berücksichtigung zu empfehlen. Wenn man ein Haus baut, so ist der Befähigungsnachweis hierfür noch