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Dr. 305. 21. Jahrgang. 2. Kilage des Jornörtf Wim ilsüislilali. V Donnerstag, 29. Dejmber 1904. Preußischer Parteitag. (Fortsetzung aus der 1. Beilage.) Eine Scheidung zwischen inneren und äußeren Angelegenheiten ist gar nicht durchzuführen. Ich erinnere Sie an den Berliner Schul- konflikt, in dem die Regierung den Rektoren Ungehorsam gegenüber der Schuldeputation befohlen hat! es handelte sich da um die Be- Nutzung der der Stadt gehörigen Schulräume außerhalb der Unter- richts�eit, das ist doch eine äußere Angelegenheit, und trotzdem hat die Regierung sich das Recht angemaßt, da einzugreifen. Das ist ein völlig rechtloser Zustand, über den ich noch einmal den schon erwähnten Staatsrechtslehrer Preutz zitiere: »Dieser ganze Gegensatz der Schulverivalinnq zur Kommunal- Verwaltung ist ein Produkt der krassesten Ministerwillkür. der kein Schatten noch Schimmer des Rechts zur Seite steht; er beruht auf keinem Gesetz, auf keiner mit Gesetzeskraft ausgerüsteten könig- lichen Verordnung, sondern allein und ausschließlich auf Ministerial- reskripten, die dem Geist des Grundgesetzes städtischer Selbst- Verwaltung durchaus widersprechen." Parteigenossen, ich habe versucht. Ihnen ein Bild über die augenblickliche Lage der preußischen Schulgesetzgebung zu geben. Die Liberalen empfinden die Schulverhülmisse als unzulänglich, von dem Gedanken ausgehend, daß zur Fortsübruna der wirtschaftlichen EntWickelung des einzelnen auch ein gewisses Maß von Kenntnissen notwendig ist; die Konservativen wünschen eine klarere Festsetzung dessen, was sie beanspruchen. Warum trotzdem kein Schulgesetz, ob- gleich schon 1849 der Minister erklärte, daß das Material dazu vor- liege? Preuß sagt:Die völlige Unfruchtbarkeit aller im Lause des 19. Jahrhunderts immer wieder gemachten Versuche eines preußischen UnterrichisgesetzeS geht ihrerseits zurück auf die unter den gegebenen Verhältnissen unlösbare konfessionelle Frage." Ein historischer Rückblick zeigt uns, daß sich hier Preußen stets rückwärts beivcgt, daß die Reaktion noch im Aufsteigen begriffen i it. Am sreisinnigsten ist noch daS Allgemeine Land- recht, welches bestimmt, daß es auf die Konfession des Lehrers nicht ankommt. Aber die Reaktion erfocht unter Friedrich Wilhelm IV. einen vollen Sieg. Die Raumerschen Regulative haben 13 Jahre auf der preußischen Schule gelastet.' In denselben heißt eS: Der Gedanke einer allgemein menschlichen Bildung durch formelle EntWickelung des Geistesverinögens an abstraktem Inhalt hat sich durch die Eifahrung als wirkungslos oder schädlich er- wiesen. Das Leben des Volkes Verlangl eine Neugestaltung auf Grundlage und im Ausbau seiner ursprünglich gegebenen und ewigen Realitäten auf dem Fundament des Christentums, welches Familie, Berusskreis, Gemeinde und Staat in seiner kirchlich be- rechtigten Gestaltung durchdringen, ausbilden und stützen soll." Also ein halb Jahrhundert nach Fichtes Ausführungen stellt der Kultusminister in Preußen das als Aufgabe der Volksschule hin. Weiter eine Bemerkung gegen die Freisinnigen; sie klagen fa immer, daß ihr Kampf gegen die Reaktion ihnen durch die Sozial- demokratie erschwert wird. Nun, die Raumerschen Regulative haben von 1854 bis 1872 die Volksschule bedrückt, wo war in dieser Zeit die Sozialdemokratie? Damals hatten die liberalen Parteien die überwältigende Mehrheit im preußischen Landtag. Was tat damals der Liberalismus? Erinnern wir die. Liberalen, wenn sie mit solchen Vorwürfen kommen, nur immer daran, daß sie von 1854 bis 1372 die Herrschaft der Regulative nicht zu beseitigen vermochte. Ein anderer Grund aber ist der: die Raumerschen Regulative zeigen den Zustand, dem wir heute wieder zustreben.(Lebhafte Zu- stimmung.) Als Falk heraufkam, schienen die Zeiten besser zu werden, aber ein großer Staat ist mit den Falkschen Verfügungen nicht zu machen, immerhin bedeuteten sie einen Fortschritt gegen Raumer. Ein anderes Verdienst Falks war eine gewisse Be- fünstiguna der Simultanschule durch ihn. Trotz der Geringfügigkeit einer Reformen war er ein gehaßter Mann. 1879 mutzte er ab- treten. Welcher Geist schon wieder herrschte, zeigt die Tatsache, daß Falls Nachfolger Herr v. Puttkamer war, em Vertreter der allerschwärzeften Reaktion, unter dem Sozialistengesetz als Putti bekannt. Wie als Motto seiner Tätigkeit sagte er 1379 auf der Generalsynode: Wohin steuert unsere Volksschule? Soll sie lossteuern in das uferlose Meer, in eine bloß humanitäre allgemeine Richtung, oder soll sie fest gegründet bleiben auf der unverrücktcn Grundlage, die aus dem Ewigen stammt und auf das Eivige zurückführt?" Aber Puttkamer war auch darauf bedacht, daß diese seine Absicht keine Kosten verursachte. Kurz vor seinem Scheiden aus dem Kultus­ministerium er wurde Minister des Inneren erließ er einen Erlaß an sämtliche Regierungen, der auf Sparsamkeit an sämtlichen Volksschulen drang: Man solleauf kostspielige Verbesserungen des bisherigen gustandes, auch wenn sie an sich wünschenswert und nützlich sein mögen, verzichten... und sich mit bestehenden Einrichtungen, auch wenn sie zu wünschen übrig lassen» bis aus bessere Zeiten begnügen." Der Geist der Schulpatrone, die den RegierungS-Schulrat vielfach ersuchten, ihnen nur Kandidaten mit Nr. 3 zuzuweisen, weil diese die bescheidensten wären"(Falk in der oben zitierten Rede) herrschte wieder im preußischen Kultusministerium. ES herrscht also ivieder ein Geist iin preußischen Kultusministerium, den Fall durch die Erzählung charakterisiert hat: die Grundbesitzer bitten den Schulinspektor meistens, ihnen einen Schullehrer mit dem Zeugnis Nr. 3 zu schicken, weil diese die bescheidensten sind. (Hört I hört.) Falk war gestürzt, bevor eS ihm gelungen war, den von ihm ausgearbeiteten Schulgesetz-Entwurf vorzulegen. Glücklicher war Herr v. Goßler. In der Thronrede von 139V hatte Wuhelm II. ein Schulgesetz angekündigt. Herr v. Goßler brachte es, aber er fiel, weil Konservative und Zentrum trotz seines weitgehenden Entgegen- kommens ihm geschlossen entgegentraten. Erst sein Nachfolger, Graf Zedlitz-Trützschler, fand den Beifall der Konservativen und des ZentruniS, deren Wünsche er durch seinen Entlvurf im Jahre 1892 erfüllte. Die freifinnigen Nationalliberalen und Freikonservativen richteten fich dagegen auf. Es entstand ein ziemlicher Stunn der Entrüstung und der Entwurf wurde schließlich zurückgezogen. Seit 1892 haben wir nun einen vollständigen Stillstand in der Schul- gesetzgebung. abgesehen von dem Lehrerbesoldungs-Gesetz von 1897. Die Konservativen bezeichneten 1893 im Wahlaufruf ihren Stand- punkt, fie betonten die Dringlichkeit eines Schulunterhaltungs- Gesetzes und sagen dann: Indessen besteht die konservative Partei darauf, daß die äußeren Angelegenheiten von der iimcren Ausgestaltung der Volksschule nicht getrennt werden können, weil die festzustellende Grundlage des Christlichen und Konfessionellen notwendig die äußere Gestaltung der Volksschule beeinflußt." Unmittelbar nach Zusammentritt des 1902 gewählten Landtages verlangt« die freikonservative Fraktion von der Regierung die end- liche Regelung der Schulunterhaltungsfrage. Sie meinte dabei, daß die konfessionelle Frage auf dem Verwaltungswege erledigt werden könne. Die Regierung war aber durch Schaden klug geworden und wollte auf diesen Plan nicht eingehen. Sie sagte, schafft erst den Beweis, daß auf dem Gebiete der konfessionellen Frage eine Einigung, die die Mittelparteien einschließt, möglich ist. dann sind wir bereit, ein Schulunterhaltungs« Gesetz einzubringen. Daraufhin kam auf Betreiben der Regierung ein Kompromiß zwischen Konservativen, Freikonservativen und Nationallibcralen in der Schulfrage zustande. Das Zentrum wurde absichtlich beiseite gelassen, denn seiner Zu- stimnumg zum Kompromiß konnte nian sicher sein und daS Kom­promiß war weniger kompromittierlich, wenn«S in Gemütsruhe als lächelnder Dritter ruhig beiseite stehen blieb. DaS Kompromiß hat folgenden Wortlaut: Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen, die königliche Staatsregienmg aufzufordern: I. ohne Verzug, spätestens in der nächsten Tagung, einen Gesetz- entwiirf, betreffend die Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen, auf folgender Grundlage vorzulegen: 1. die Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen liegt den bürgerlichen Gemeinden(Gutsbezirken) oder Verbänden solcher unter ergänzungsweiser Beteiligung des Staates an den Kosten ob;(Art. 25 d. Verf.) 2. in Ausführung des Artikels 24 der Verfassung, wonach bei der Einrichtung der öffentlichen Volksschulen die konfessionellen Verhältnisse möglichst zu berücksichtigen sind, werden nach- stehende Grundsätze festgelegt: a) in der Regel sollen die Schüler einer Schule derselben Konfession angehören und von Lehrern ihrer Konfessionen unrerrichtet werden, d) Ausnabmen sind nlir aus besonderen Gründen, insbesondere aus nalionalen Rücksichten oder da. wo dies der historischen Entwickelung entspricht, zulässig(Lehrer, welche zur Er- teilung des Religionsunterrichts für konfessionelle Minori - täten an Schulen anderer Konfession angestellt sind, dürfen voll beschäftigt werden); o) erreicht die Zahl der schulpflichttgen Kinder einer konfessionellen Minderheit eine angemessene Höhe, so hat diese Minderheit den Anspruch auf Einrichtung einer Schule ihrer Konfession; ä) es sind zur Verwaltung der Schulangelegenheiten neben den ordentlichen Gemeindebehörden in den Städten Schul- deputationen und auf dem Lande Schulvorstände ein- zurichten, bei denen der Kirche, der Gemeinde und den Lehrern eine angemessene Vertretting zu gewähren ist; H. bei Neuregelung der Schulunterhaltungspflicht zugleich für die Beseitigung unbilliger Ungleichheiten in der Belastung der der- schiedenen Schnlverbände und in der Höhe des Diensteinkommens der Volksschullehrer zu sorgen. Gegen Nr. 1 ist nichts einzuwenden. Mit Nr. 2 aber ist die konfessionelle Schule eingeführt und die Misere der ein- und zweiklassigenSchulen auf dem Lande Vers ch ä r f t. Die unter b) geiiaiinten Ausnahmen beziehen sich auf Hefsen-Nassau, das seit Anfang des vorigen Jahrhunderts die Simultanschulen hat, die nattonalen Rücksichten beziehen sich auf die bekannte Ostmarkenpolitik. Sie enthält eine der schwerwiegendsten Bestimmungen, die direkt dem Zedlitz-Trützschlerschen Entwurf von 92 entnommen ist. WaS dies an­langt, so habe ich vorher gesagt, wie Schillvorstände und Deputationen ohne jede gesetzliche Grundlage vom Minister in ihrer Wirkung be- einträchtigt werden. Diese Beeinträchtigungen sollen jetzt Gesetzeskraft erhalten. An dem Kompromiß ist das wahrhaft Wunderbare der Name, tatsächlich sind die Nationalliberalen und Freikonservativen nur auf das eingegangen, was die Konservativen und das Zentrum immer gefordert haben. Nein politisch betrachtet ist der Abschluß des Schul- koinpromisses ein geradezu logische Handlung zu nenneu. Alle sind darin einverstanden, daß in der Schulfrage gesetzgeberische Maß- nahmen ergriffen werden müssen. Diese Maßnahmen aber scheitern an der Konfessionsfrage, folglich muß diese vorher gelöst sein. Zur Lösung aber sind nur zwei Wege vorhanden. Entweder liefert man die Schule an die Kirche aus, oder man zerschneidet das Tischtuch zwischen der Kirche und der Schule durch die Ausscheidung der Kirche von der Schule. Die Anhänger des Kompromisses haben den ersten Weg gewählt. Für die G e g n e r ist damit vorgeschrieben, was sie zu sagen habe», sie müssen die konfessionslose Schule, die vollkommene Ausscheidung deS Re- ligionS-UnterrichteS aus der Schule verlangen. (Sehr richtig!) Aber diesen Weg wagt heute von den liberalen Parteien im Landtage keiner zu vertrelen, obwohl doch diese Forde rung in ein liberales Programm hineingehört. In Preußen ist sie mit völliger Klarheit zuletzt im Programm der demokrattschen Partei ausgesprochen worden, die sich im Jahre 1385 aus den Fortschrittlern bildete, die die Fusion mit den Sezessionistcn nicht mitmachen wollten. Da heißt es:Es ist die Durchführung des Prinzips der allgemeinen Volksschule zu erstreben, die religiöse Erziehung soll jedoch der privaten Fürsorge der Familie überlassen sein." In dem Programm der beiden freisinnigen Parteien fehlt diese Forderung, ja ihre parlamen- tarischen Vertreter haben gegen dieVerleumdung" protestiert, daß sie die Volksschule entchristlichen wollten; das hat Virchow schon 1872 erklärt und denselben Protest haben jetzt Emst von der Freisinnigen Vereinigung und Kopsch im preußischen Landtag erhoben. Wie, oll sich ilun die Sozialdemokratie ver- halten? In der Presse ist von einer Seite gesagt worden, die Sozialdemokratie brauche sich über die Schulfrage nicht aufzuregen. In der kapitalistischen Gesellschaft sei die Schule stets ein Unter- drückungSmittel gegen das Proletariat; bei einem Gegensatz zwischen Konservativen und Liberalen hätten wir selbstverständlich die letzteren zu unterstützen, nicht um ihrer schönen Augen willen, sondern weil wir versuchen müßten, möglichst viel für das Proletariat heraus- zuschlagen. Dieser Standpunkt ist durchaus nicht übel, er leidet bloß an dem Umstände, daß bei uns in Preußen die Liberalen fehlen, denen wir die Führung der Geschäfte überlassen könnten. Wenn wir eine starke liberale Partei hätten, dann brauchten wir nur zii tun, was Marx schon im Kommunistischen Manifest sagte: Ständig dieser Partei auf die Hacken zu treten und fie in ihrer revolutionären Haltung zu unterstützen. Gewiß unsere Liberalen haben ganz annehmbare Schulprogramme, so hat im vorigen Sommer Pfarrer Naumaiin in der Tonhalle folgendes Programm aufgestellt: Wir verlangen: 1. daß die gesamte Jugend des deutschen Volke? bis zu einer gesetzlich festgestellten Altersgrenze in der Volksschule» in der Unterricht und Lernmittel frei sind, vereinigt werde und daß neben der Volksschule öffentliche Anstalten ftir den ersten Unter- richt nicht bestehen, 2. daß die Volksschule mit den mittleren und höheren BildnngS- anstalten in organische Berbindung gebracht werde und besonders begabte Kinder unentgeltlichen Unterricht in weiterführenden Lehr- anstalten erhalten, 3. daß sich an die Volksschule eine obligatorische FortdildnngS- schule für Knaben und Mädchen anschließt. 4. daß in der Volksschule, wie in jeder anderen staatlichen BildungSanstalt, eine konfessionelle Trennung der Kinder nur im Religionsunterricht stattfindet und daß für die TrUnahme am Religionsunterricht ein Zwang nicht besteht, 5. daß die Lehrer eine wissenschaftliche Bildung erhalten, die der Stellung der Volksschule im gesamten BUdungSorganismuS des Staates entspricht. 3. baß die Volksschule zeitgemäß ausgestaltet und dotiert wird(Verkleinerung der Schulklassen, Aufbesserung der Lehrer- besoldungen), 7. daß die Aufsicht über die Volksschule in die Hände von praktisch bewährten und pädagogisch gebildeten Fachleuten gelegt wird und 8. daß die Oberleitung deS Unterrichtswesens einem Unterrichts­ministerium obliegt, das vom Kultusministerium völlig getrennt ist, 9. daß diejeniaen Gemeinden» die größere Opfer für ihr Schul- wesen bringen, an der Verwaltung der Schulen entsprechend be- teiligt find. Das sind ganz ausgezeichnete Forderungen; wenn sie mit Ernst von einer liberalen Partei verfochten werden, dann möchte ich den Sozialdemokraten sehen, der sich dagegen aussprechen würde. Aber damit ist für imS noch nicht alles erledigt. Vergleichen Sie dieses Programm mit den Forderungen unseres ParteiprogrannnS und unserer Resolution. Wir verlangen die Weltlichkeit der Schule durch die Entfernung des Religionsunterrichtes aus der Schule. Diese Forderung fehlt selbst in dem vorgeschrittensten liberalen Schul« Programm. Die Liberalen sind wohl Gegner der KonfesstonS- schule, aber sie sind zu feige, um die entscheidende Gegenforderung zu stellen. Wir Sozialdemokraten müssen uns aber an die Spitze des Kanipfes um die Schule mit der Forderung stellen, fort mit der Religion aus der Schule.(Lebhafter Beifall.) Leicht wird uns diese Aufgabe gewiß nicht sein. Es wird nicht leicht sein, aus den Köpfen der Landbevölkerung die Verehrung des Religionsunterrichtes zu beseitigen, es wird auch nicht'leicht sein, den Widerstand der Lehrer zu brechen, die jetzt Religionsunterricht erteilen und nicht zugeben mögen, daß sie 6 Jahre unnützen Studiums daran gewandt haben. Allein, was in Frankreich die Bourgeoisie durchgeführt hat dem, dort ist der Religionsunterricht aus der Schule verbannt müssen wir hier leisten, wir können nicht wie die Katze um den heißen Brei herumgehen. Was wir als richtig erkannt haben, dessen Durchführung müssen wir auch fordern. Die Forderung, heraus mit dem Religionsunterricht aus der Schule, die schon Diesterweg aufgestellt hat, wird dazu beitragen, alles, was in Deutschland an freiheitlich denkenden Männern noch vorhanden ist, die jetzt im Schmollwinkel sitzen, noch einmal herauszuholen, und Freunde für diese Forderungen werden uns auch von der Seite der wahrhaft frommen Elemente und unseres Volkes koinmen. Pastor Bolus hat 1900 den Ruf erhoben, hinaus mit der Religion aus der Schule um der Religion willen. Und Pastor Rahde sagte in derChristlichen Welt", er sei erschrocken, wie viel Zustimmung diese Losung ge- sunden habe; und noch einen frommen Zeugen, Schleyermacher, will ich anführen, er sagt: Was nun den Religionsunterricht, der in öffentlichen Schulen erteilt wird, betrifft, so bin ich der Meinung, daß dieser ganz erspart werden kann. Es ist dieser Unterricht nur ein Rest aus früherer Zeit, in der diese Anstalten kirchlichen Ursprungs der Kirche untergeordnet waren. Jetzt sind sie nicht mehr kirchliche Anstalten." Daniit bin ich am Ende. Redner verliest die Resolutton und weist auf die Bedeutung der Forderung der Einheitsschule noch anS- drücklich hin. Alle anderen Forderungen werden wir viel schneller erreichen, wenn das Kind des Besitzenden dieselbe Schulbank drückt, wie das Kind des Arbeiters. Ich bitte, die Resolutton einstimmig anzunehmen.(Lebhafter Beifall.) BrnhnS- Kaltowitz: Als Vertreter des dunkelsten Teils unserer schwarz- weiß- roten Monarchie mutz ich den eigenartigen Schul- Verhältnissen Oberschlesiens Rechnung tragen. Im Schulbezirk Oppeln beträgt die Durchschnittsziffer der Schüler, die auf einen Lehrer ent- fallen, 79; im Bezirk Tarnowitz 35, im Bezirk Huldschin und Nicolai 87 und im Bezirk Lnblinitz mit 27 Schulen 91 Schüler. In 218 von 1453 oberschlesifchen Volksschulen beträgt die Zahl der Schüler, die auf einen Lehrer falleii, über Ivv bis 20V. Schillpatrone solcher Schulen sind die adeligen Großgrundbesitzer, die Thiele-Winckler u. a. Ueber die Lchrergehälter will ich nichts sagen, sondern mir daraus hinweisen, daß die Lehrerwohnunaen oft jeder Beschreibung spotten. Die örtliche Schillaufsicht in Oberschlefien wird in mehr als 30Proz. von den Geistlichen ausgeübt, in anderen Fällen von Gutsbesitzern. Apothekern, Bauern und andern Leuten, die natürlich keine Ahnung davon haben, was für die Schule nöttg ist. Der schlimmste Uebel- stand ist die durch die Volksschule erstrebte Germanisation, es ist den Lehrern verboten, abgesehen vom Religionsunterricht in den untersten Klassen, sich der polnischen Sprache zu bedienen, auch in Gegenden, wo nur polnisch gesprochen wird. Fügen sich die Lehrer nicht den Wünschen ihrer Vorgesetzten, so erhalten sie nichts von der Ost- markenzulage. Wie eine solche Methode auf die Bildung des Volkes wirken inuß. braucht wohl kaum geschildert zu werden; die Kinder kennen wohl einzelne deutsche Worte, aber nicht ihre Bedeutung, fie sind in den Geist der Sprache nicht eingedrungen. Gewiß steht die polnische Bevölkerung kulturell ttef, aber ihre geistigen Anlagen sind keineswegs gering. Nur infolge des mangelnden Unter- richts, infolge der blödsinnigen Hakati st enpolitik werden die jungen Leute in Unwissenheit gehalten. Ich bitte Sie, meinen Antrag anzunehmen, um auf viese Weise Protest gegen die GermanisierungSbesttebungen zu erheben.(Beifall.) Adler-Kiel: Zum Referat brauche ich nicht viel zu sagen, höchstens, daß die Einheitsschule, um die wir in Preußen noch kämpfen, in Japan bereits eingeführt ist.(Hört l hört!) Ebenso wie den Polen nimmt man auch den Dänen ihre Muttersprache. Die Kinder können dem Unterricht in deutscher Sprache nicht folgen. Und wie steht eS um die Kenntnisse deren, dte die Kinder unterrichten sollen? Dafür ist charakteristisch eine Anekdote, die von einem Geistlichen erzählt wird. Der Geistliche wollte von der Auferstehling des Fleisches sprechen. DaS dänische Wort für Fleisch heißt Ködets, das für Speck: Fleskets. Der Geistliche sprach nun nicht von Ködets opstaadse, sondern von F l e S k e t S opstaadse, d. h. von der Auferstehung des Specks.(Stürmische Heiterkeit.) Wir dürfen nicht vergessen, daß die dänische Kultur eine recht hoch- stehende ist. Die alten Römer nannten die Völker, die ihre Sprache nicht kannten, Barbaren, ich bezeichne es als barbarisch, wenn man Kinder in die Welt setzt und ihnen ihre Muttersprache nimmt. Darum ist die Resolution Bruhns ein Protest gegen die gegen Polen und gegen Dänen geübte Barbarei.(Lebhafter Beifall.) Müller-Sagan: Wir n,üssen die Aufmerksamkeit mehr als bisher auf die Stellung der Sozialdemokratie gegenüber den Kragen der preußischen Gesetzgebung richten. Genosse Arons hat in einem vor- züglichen Referat eine Reihe von Gedanken vorgetragen, aber er ist nicht eingegangen auf ein Thema, das er selbst einmal angeregt hat, die Frage der Beteiligung der Sozialdemokraten an den Kirchen- wählen. Natürlich haben wir es abgelehnt, von Partei ivegen hierzu Stellung zu nehmen, aber wir wären sehr wohl in der Lage, auch bei dieser Gelegenheit auf unsere Genossen einzuwirken, um gu verhindern, daß die Macht derer gestärkt wird, die einen so unheil- vollen Einfluß auf die Schule ausüben. Vielleicht genügt es, durch eine öffentliche Diskussion das Gewissen dieser Genossen zu schärfen» Paech-SchwiebuS: Die Frage, die der Vorredner angeregt bat. hat mit der Schule nichts zu tun.(Sehr wahr!) Wie es m oen Jnnker-Schulen aussieht, weiß ich aus eigener Erfahrung. Die Junker besitzen noch das Privileg, die Schulkinder nach Kräften aus- beuten zu können. Von 6 bis'/s�Uhr morgens gehen dieKinder zur Schule, und dann werden siebis Sonnenuntergang ausgebeutet. Was sie da kernen, kann man sich denken, die Leute können, wenn sie zwei oder drei Jahre auS der Schule sind, knapp ihren Namen deutsch schreiben lateinisch können sie eS überhaupt nicht. Auch die Schulferien richten sich danach,>oie die Kinder zur Landarbeit gebraucht werden. Die Kinder müssen für die Junker Kartoffeln graben, aus diesen Kartoffeln wird dann Schnaps hergestellt zur weiteren Verdummung der Massen.(Sehr gut!) Ich habe als Kind 40 Pf. pro Tag für solche Arbeit erhalten und täglich zwei Glas Schnaps. Herr Gamp hat allerdings im Reichstag bestritten, daß so etwas vorkommt. Wenn er es wieder bestreiten sollte, so schicke man ihn nur an meine Adresse. Daß die Disziplin und die Sitten der Kinder darunter leiden, ist erklärlich. Wo es sich um andere Stellvertreter Gottes handelt, da achtet die Regierung auf Disziplin, bei den Lehrern tut sie das Gegenteil. Dagegen mllflen wir Protest erheben. Ebenso haben wir dagegen zu pcotestieren, wenn Lehrer ihr Amt dazu mißbrauchen, um Sozialdemokraten an den Pranger zu stellen.(Brisall.) Müller-Schkeuditz : Die Uiientgeltlichkeit des Schulunterrichts ist in unserer Genieinde noch nicht durchgeführt, wohl aber haben wir die Einheitsschule. Aber wie sieht diese Einheitsschule aus? ES sind Parallelllasseii eingeführt, in der einen sitzen die Proletarier. in der anderen die besser situierten Kinder. Wir haben also genau dieselben Zustände wie vor Errichtung der Einheitsschule. Und wie betrachten die Rettoren ihre Aufgabe? Sie sind ja schon dramatisiert inFlachSmann als Erzieher". ES gibt eine ganze Reihe solcher Flachsmänner, die nach oben kriechen und nach unten brutal austreten.