s- s. 22.»» 1. Atllllgt Preußischer Parteitag. In der vorigen Nummer sind die Verhnndlungen über die An- träge zurückgestellt worden. Wir tragen die Verhandlungen nach: Der Antrag Nr. 1:„Für die proletarische Frauenbewegung innerhalb Preußens soll ein Parteisekretariat mit dem Sitz in Berlin errichtet werden. Johanna Löwenherz . Georg Storck." wird nicht unterstützt und kommt nicht zur Verhandlung. Der Antrag Nr. 4 lautet: „Die Kreiskonferenz des Wahlkreises Bochum , Gelsenkirchen , Hattingen erwartet vom preußischen Parteitage einen Beschluß dahingehend, die preußische Regierung aufzufordern, eine ein- gehende Untersuchung einzuleiten über die Mißstände auf hygienischem Gebiete, die durch den Gelsenkirchcner Wasserwerks- Prozeß bekannt wurden. Der Parteitag spricht sein Bedauern aus, daß die Stichrohrpraxis von der Regierung geduldet wurde." Vorsitzender Singer bedauert, daß der Antrag so allgemein ge- faßt ist. Selbstverständlich verurteile der Parteitag das skandalöse Verhalten der Regierung. Er schlägt vor, daß der Parteitag an die preußische Regierung die Forderung richtet, eine Untersuchung ein- zuleiten und dafür zu sorgen, daß solche Vorgänge nicht wieder vor- kommen. Damit erklärt sich der Parteitag einverstanden. Der Antrag Rr. 16 lautet: „Resolution. Der Parteitag der preußischen Sozialdemokratie erhebt entschieden Protest gegen die politische Vergewaltigung, denen die Arbeiter und Angestellten in den preußischen Staats- betrieben ausgesetzt sind. Insbesondere protestiert der Parteitag auf das entschiedenste gegen den Erlaß des Eisenbahnministers v. Budde, wodurch den Arbeitern und Angestellten der preußischen Eisenbahnvcrwaltung das Koalitionsrecht unterbunden wird. Der Parteitag erblickt in dem Vorgehen des Ministers einen Mißbrauch der staatlichen Gewalt, eine Bevormundung, die sich auf das Ab- hängigkeitSverhältnis dieser Arbeiterkategorie stützt, jedoch mit dem Recht der Koalition unverembar ist. Der Parteitag der preußischen Sozialdemokratie fordert daher die Arbeiter und Angestellten in den preußischen Staatsbetrieben auf, von dem ihnen gewähr- leisteten Recht der Koalition ausgiebigen Gebrauch zu machen zur Besserstellung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse, zur freien Be- tätigung ihrer politischen Ucberzeugung. M e i st." Er wird genügend unterstützt. Meift-Köln führt zur Begründung aus: Verschiedene Prozesse haben uns gezeigt, wie die preußische Regierung die KoalitionS- freiheit der Staatsarbeiter einschränkt, z. B. im Saarrevier. Aus das entschiedenste müssen wir gegen die Unterbindung des KoalitionS- rechtes der Eisenbahnarbeiter durch den Minister Budde protestieren. Im Abgeordnetenhause hat sich ja bei der Besprechung dieser Dinge die Arbeiterfreundlichleit des Zentrums gezeigt. Herr v. Savigny hat gemeint, die Staatsarbeitcr hätten das Pctitionsrecht und könnten deshalb das Koalitionsrecht entbehren. Das Petitionsrecht haben alle Arbeiter, das darf keine Beschränkung ihres KoalitionS- rechts mit sich bringen. Ich selbst bin in einem solchen Betriebe gemaßregelt worden; ich hatte das Verbrechen begangen, einer gewerkschaftlichen Organisation anzugehören. Ich empfinde dieses Unrecht noch heute aufs bitterste nach, weil ich meine Pflicht als Arbeiter stets erfüllt habe. Der Abg. Ruft erklärte sogar in jener Sitzung, die Arbeiter, die Sozialdemokraten seien, würden zu. Recht entlassen. Ich bitte Sie, meinen Antrag anzunehmen.(Lebhafter Beifall.) Der Antrag wird ohne Erörterung einstimmig angenommen. Der Antrag 19 lautet: „Der Parteitag legt entschieden Protest ein gegen das Ver- halten der preußischen Regierung, beim Erlaß der AuSführungs- bestimmungen zum Reichs-Fleischschaugesetz sich unter den Willen der Agrarier zum Schaden der Majorität der Bevölkerung unter- geordnet und damit bewußt beigetragen zu haben, daß die ohnehin schon schwer bedrückte Lebenshaltung der arbeitenden Klassen noch tiefer herabgedrückt wird. Der Parteitag erwartet von der Reichs- regierung die unverzügliche Einleitung von Schritten auch gegen- über der preußischen Regierung, den bestehenden ReichSgesetzcn die notwendige Achtung zu verschaffen und Maßnahmen zu er- greifen, die verhindern, daß den Nimmersatten Agrariern wieder aus Kosten des Volkes«in Vorteil erwächst. Zubeil.— Schubert." Er wird genügend unterstützt. Zubeil-Berlin : ES ist bekannt, daß der Reichstag ein Fleisch- beschaugesetz gemacht hat, das den Arbeitern gesundes Fleisch garan- tierte. Aber die begehrlichen, Nimmersatten Agrarier haben im Land- tage ein Ausführungsgesetz durchgesetzt, das diesem Reichsgesetz ins Gesicht schlägt. Die Gemeinden müssen daS Fleisch aufnehmen, das die Agrarier nach ihrem Willen untersuchen lassen. Aerzte und Männer der Wissenschaft haben Protest gegen dieses Gesetz eingelegt. Der Preußentag darf nicht vorübergehen, ohne sich diesem Proteste anzuschließen.(Lebh. Beifall.) Auch dieser Antrag wird einstimmig angenommen. Der Antrug 23 lautet: „Der Parteivorstand wird beauftragt: Die auf dem preußischen Parteitag gehaltenen Referate einzeln in Broschürenform heraus- zugeben und den Wahlkreisen zur Massenverteilung zum Selbst- kostenprcise zur Verfügung zu stellen. O. Hoffmann-Jserlohn." Vorsitzender Tinger macht darauf aufmerksam, daß der preußische Parteitag dem deutschen Parteivorstande keinen Auftrag erteilen könne. Er schlägt vor, diesen Antrag ohne den Einleitungssatz dem Parteivorstande zu überweisen. Dadurch werde dem Wunsche Ge- nüg« getan. Der Parteitag stimmt dem zu. Der Antrag 26 lautet: „Um den in Preußen bestehenden AgitationSkomitecs oder anderen Agitationszcntralen von der Art und Weise der Agitation in den verschiedenen Teilen des Staates Kenntnis zu geben, er- sucht der Parteitag die bestehenden Agitationskomitees, von den von ihnen zur Verwendung kommenden Flugblättern, Kalendern, Broschüren und sonstigem Material einige Exemplare mit den bestehenden Agitationskomitees auszutauschen. T h o m a s." Hierzu liegt ein Amendement L a u f fe n b e r g- Düsseldorf vor, das hinter den Worten AgitationSkomitecs jedesmal die Worte „und Agitationszentralen" einfügen will. Thomas: Die Darlegungen vieler Vertreter ländlicher Kreise haben unS die Notwendigkeit dieses Austausches bewiesen. Für einzelne Provinzen bestehen Zentralen; tauschen diese ihr Material aus, so verspreche ich mir große Vorteile. Der Parteitag nimmt den Antrag mit dem Amendement an. Der Antrag 28(Köln -Land) lautet: Der preußische Parteitag möge eS der Presse und den Organisationen der Partei zur Pflicht machen, unausgesetzt darauf hinzuwirken, daß die nichtpreutzischen Arbeiter sich in den preußi- schcn Staatsverband aufnehmen lassen. Rieger-Köln : Wir haben bei den Stadtverordneten- Wahlen die Erfahrung gemacht, daß viele süddeutsche, Hamburger usw. Ge- nassen sich nicht in den preußischen Staatsvcrband ljaben aufnehmen lassen. Geschieht dies, so würden wir für diese Wahlen viele Stimmen gewinnen. Der Antrag wird angenommen. Der Antrag 29 lautet: Der Parteitag der Sozialdemokratie Preußens erhebt Protest gegen die Art, in welcher der Minister v. Hammerstein die Forderungen der Frauen bezüglich des politischen VereinigungS- und freien Versammlungsrechtes im preußischen Landtage behandelte. Die von Herrn v. Hammerstein geäußerte Meinung, daß sich m den letzten 59 Jahren die wirtschaftliche Stellung der Frauen des Lsniirts" nicht geändert habe, zeigt, wie wenig preußische Minister von der wirtschaftlichen EntWickelung des eigenen Landes unterrichtet sind, daß ihnen unbekannt blieb, wie die Zahl der in Industrie und Landwirtschaft tätigen Arbeiterinnen von Jahr zu Jahr anwächst, welche der politischen Rechte genau so dringend bedürfen wie die männlichen Staatsbürger. Auf Grund solcher im preußischen Abgeordnctenhause wieder- holt unwidersprochen kundgebenen Anscliauungen ist es eine hervor- ragende Pflicht der Vertreter der Sozialdemokratie, mit ganz besonderem Nachdruck immer wieder die Forderung deS all- gemeinen Wahlrechts für die Frauen auch für das preußische Parlament zu betonen. Ottilie Bader. Der Antrag wird ohne Erörterung einstimmig angenommen. Ter Antrag 3t) lautet: Resolution. Der Parteitag lenkt die Aufmerksamkeit des deutschen Proletariats mit allem Nachdruck auf die Borgänge in den Bergardeiterbezirken des RuhrrevierS. Er protestiert aufs schärfste gegen die brutalen und arbeiterfeindlichen Maßregeln, unter denen die Bergarbeiterschaft zu leiden hat. Ter Parteitag ersucht die Regierung, für schleunigste Abhülfe der Beschwerden der Bergleute zu sorgen. Kommt es zum Streik, so fällt die Schuld ausschließlich auf die Behörden und das Unternehmertum zurück. Der Parteitag erklärt den Bergarbeitern seine vollste Sympathie und fordert die Gesamtarbeiterschaft auf, die Bergleute in einem eventuellen Kampfe mit allen Kräften moralisch und materiell zu unterstützen. K. H a e n i s ch. HShnisch: Die Vorgänge, die meinen Antrag veranlaßt haben, sind bekannt. Die Situation im Kohlenrevier ist ernst. Es ist mög- lich, ja wahrscheinlich, daß wir zu einem Riesenstreik im Ruhrrevier kommen, der Hunderttausende Arbeiter umfassen wird. Das ist dann eine Angelegenheit der ganzen preußischen Sozialdemokratie. Stärken Sie die Situation der Ruhrrevier-Bergarbeiter durch die Annahme unserer Resolution. Die Resolntion wird einstimmig angenommen. Ein inzwischen eingegangener Antrag, der nicht gedruckt vorliegt, lautet: Die vorliegenden Gesetzentwürfe der auf dem Parteitag ge- haltenen Referate sind dem Protokoll des Parteitags im Anhang, wenn möglich mit der Begründung der Regienrng beizufügen. Auf Vorschlag des Vorsitzenden Singer überweist der Partei- tag diesen Antrag dem Parteivorstande zur Erwägung. Es folgt die Beratung der Anträge, die sich ans die Schaffung einer Sonderorganisation beziehen. Es sind dies die Anträge 2. b, 15. 18. 25 und 27. Antrag 2. Die Kreiskonferenz von Nieder-Barnim stellt den Antrag, daß sich die preußischen Parteitage in bestimmten Intervallen wiederholen. Antrag 5.— Köln -Land. Der preußische Parteitag ist in Zu- kunft alljährlich abzuhalten und zwar möglichst im Anschluß an den Allgemeinen deutschen Parteitag. Antrag 15. Der preußische Parteitag möge beschließen: Der nächste preußische Parteitag findet im Jahre 1996 statt und ist vom PaNeivorstand einzuberufen. Die preußischen Mitglieder der Kom- Mission, die vom Parteitag in Bremen zur Beratung deS Oraani- sationsstatutS eingesetzt sind, werden beauftragt, einen Entwurf zu einer Landesorganisation für Preußen vorzubereiten und dem nächsten preußischen Parteitag vorznlegcn. A. R i e g e r. Antrag 18. Der preußische Parteitag ist nach Bedarf ein- zubcrnfen. Die Einberufung, sowie alle Vorbereitungen hierzu werden den Vertretern der Organisationen von Groß-Berlin über- tragen. Die Anträge 2, 5. 15 und 13 sind zugunsten deS Antrage? 25 zurückgezogen. » Wir erhalten folgende Zuschrift! Werte Redaktion, Sie erlauben mir wohl, einen lleinen Unterlassungsfehler Ihres Berichts über die Sonnabend- Sitzung des Preußentages richtig- zustellen. Am Schluß des Berichts über die Debatten betreffend das Landtags- Wahlrecht geben Sie eine persönliche Erklärung G. Lede- bours, die in die Worte ausläuft, daß gerade, als nach Ledebours Ansicht der richtige Moment für Demonstrationen gegen die Maß- nahmen der Reickstags-Mehrheit in der Zolltariffrage gegeben war. ich seiner Anregung in der Reichstags- Fraktion„am aller- entschieden st en widersprochen" hätte. Soweit ist Ihr Bericht in Ordnung. Es fehlt aber jede Er- wähnung der Tatsache, daß ich sofort diesen Vorhalt als unberechtigt zurückwies, da ich in der betreffenden Angelegenheit in der Reichs- lags-Fraktion überhaupt nicht das Wort genoinmen hatte. Ledebour reduzierte dann auch in einer weiteren Erklärung seinen Vorwurf darauf, daß ich, als„Bernsteins Freunde" seinen Antrag bekämpften, geschioiegen halte. ES liegt mir daran, dies festzustellen. Wer die„Freunde" ge- wesen sind oder sein sollen, die LedebourS Antrag bekämpften, weiß ich nicht und habe ich auch kein Bedürfnis zu untersuchen. Soweit meine Erfahrungen reichen, wird in der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion nach sachlichen Erwägungen und nicht nach Freundschaften diskutiert und abgestimmt. Die Fraktion hat in ihrer großen Mehrheit den Alltrag abgelehnt, ich habe nichts dagegen, diese Mehrheit als meine Freunde bezeichnet zu sehe>r. Im übrigen ist eS selbstverständlich zweierlei, ob man prinzipiell für bestimmte Formen der Attion ist und welchen Zeitpunkt man für sie als ge- eignet erachtet. Berlin , 1. Januar 1905. Ed. Bernstein. Ein statistisches Monstrum. Die totale Unzuverlässigkeit der amtlichen Streikstatistik.ist wiederholt nachgewiesen worden, ohne daß es dadurch möglich war, die maßgebenden Organe zu bewegen, die Statistik so zu gestalten, daß diese den Anforderungen entspricht, welche man an eine amtliche Statistik stellen muß. Nachdem die Generalkommission der Gewerkschaften für die Jahre 1991 und 1992 den Nachweis er- bracht hatte, daß sich die amtliche Streilstatistik nur über etwa drei Viertel aller stattgesundenen Streiks erstreckte, daß also ein Viertel der Streiks gar nicht zur Kenntnis des Reichs-Statistischen Amtes gelangte, hätte man wohl erwarten dürfen, daß die Behörden sich bemühen würden, der Streikstatistik wenigstens nach dieser Richtung hin größere Sorgfalt zu widmen. Es ha, aber gar nicht den An- schein, als ob man an maßgebender Stelle überhaupt geneigt sei, eine Aenderung in der bisherigen Art der Erhebungen und damit eine Wandlung zum Besseren eintreten zu lassen, denn daS Reichsamt des Innern ist über die Unzuverlässigkeit und Lückenhaftigkeit der in seinem Auftrage vom Statistischen Amte veranstalteten Erhebung genau informiert und dennoch ist bisher alles beim alten geblieben. Auf eine am 23. Februar 1994 von der Generalkommission im Auftrage der Gewerkschaftsvorstände an das ReichLamt deS Innern gerichtete Eingabe, in der unter Beifügung des Beweismaterials auf die Mängel der amtlichen Streikstatistik hingewiesen war und Vor- schlüge zur Beseitigung dieser Mängel gemacht wurden, war im August desselben Jahres noch keine Antwort ergangen. Erst auf eine direkte Anfrage seitens der Gcneralkommission nach dem Ver- bleib der Eingabe antwortet« das ReichSamt des Innern am 15. August, daß die Eingabe„einer Prüfung unterzogen worden ist. Die darauf eingeleiteten Erwägungen sind indessen noch nicht zum Abschluß gelangt." Während das ReichSamt des Innern sich vielleicht noch mit „Erwägungen" beschäftigt, hat die Generalkomniission aufS neue den Beweis der notorischen Unzuverlässigkeit der Ditnstllg, 3. IlmarlM. amtlichen Streikstatistik erbracht. In der Nr. 52 des„Correspondenz- blatt" veröffentlicht die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands die Ergebnisse des Vergleiches der amtlichen und der gewerkschaftlichen Streikstatistiken. Daraus geht hervor, daß die Zahl der Streiks, welche in der amtlichen Statistik fehlen, sich gegen die Borjahre bedeutend vergrößert hat. Es sind in der amtlichen Statistik nicht registriert: 316 Streiks mit 6243 Beteiligten im Jahre 1991, 314 Streiks mit 5888 Beteiligten im Jahre 1992 und 387 Streiks mit 8129 Beteiligten im Jahre 199 3. Daß es sich hierbei nicht um bedeutungslose Lohn- kämpfe handelt, wird dadurch bewiesen, daß u. a. ein Streik der Hafenarbeiter mit 144 Beteiligten, sowie ein Streik der Steinarbeiter mit 85 Beteiligten in der amtlichen Statistik nicht verzeichnet sind. Von 18 Streiks der Steinsetzer fehlen in der amtlichen Statistik 9, darunter ein Streik, an den sich ein Prozeß anschloß, der mit Frei- sprechung der Angeklagten endete. Insgesamt sind in den letzten drei Jahren nicht weniger als 1917 Streiks mit 29 251 Beteiligten in der amtlichen Statistik unberücksichtigt geblieben. Dabei ist zu beachten, daß in diesen Zahlen nur die Streiks enthalten sind, welche an der Hand der gewerkschastlichen Statistik nachgewiesen werden konnten. Da es nun der amtlichen Statistik nicht einmal möglich ist, alle Streiks, welche von den gewerkschastlichen Organisationen geführt werden, zu umfassen, so ist anzunehmen, daß die Zahl der in der amtlichen Statistik fehlenden Streiks weit größer ist, als hier angegeben. Denn Streiks, die sich außerhalb gewerkschaft- licher Organisationen abspielen, dürften noch viel schwerer zur Kenntnis der Behörden gelangen. Zwar umfaßt die gewerkschaftliche Streilstatistik auch nicht alle vorgekommenen Streiks, doch die Gründe dafür sind bekannt. Die Streiks, an denen Gewerkschaftsniitglieder beteiligt waren, sind in der gewerkschaftlichen Statistik sämtlich ver- zeichnet. Nur solche Streiks, die entweder von unorganisierten Ar- heitern oder von anderen Organisationen geführt wurden, fehlen darin. Dem Statistischen Amt aber sind bei den Erhebungen keine Schranken gezogen; ihm stehen ferner alle staatlichen Hülfsmittel zur Verfügung, und wenn dennoch die Ergebnisse der Erhebungen so äußerst mangelhast ausfallen, so ist dies nur darauf zurückzuführen, daß man für die Ermittelungen die für solche Tätigkeit aller» ungeeignetsten Menschen, die unteren Polizeiorgane, verwendet. Ganz schematisch, in der Regel ohne jedes Verständnis für Statistik, tragen diese Organe das Material zusammen, welches die Grundlage für die amtliche Streilstatistik bilden soll. Und es ist ganz ausgeschlossen, daß Personen ohne die geringste Sach- krnntnts und ohne ein weitergehendes Interesse, das sie zu dieser Tätigkeit anspornen könnte, imstande wären, ein einwandfreies Material zu liefern. Bisher hat die Generalkommission die Ergebnisse des Vergleiches der beiden Statistiken nur auszugsweise veröffentlicht, während die Gesamtübersicht nur den zunächst Beteiligten zugänglich gemacht wurde. Es ist anerkennenswert, daß die Gencralkommission dies- mal daS gesamte Ergebnis der Oeffentlichieit übergeben hat. Ist doch dadurch den weitesten Kreisen Gelegenheit geboten, die Unzu- länglichkeit der amtlichen Statistik nachprüfen zu können. Die dem„Correspondenzblatt" beigegebene Anlage enthält drei umfangreiche Tabellen. 1. Diejenigen Streiks aus der amtlichen und der gewerkschaftlichen Statistik, welche mit einander vergleichbar sind. 2. Die Streiks, welche in der amtlichen Statistik verzeichnet sind und in der gewerkschaftlichen Statistik fehlen. 3. Die Streiks, welche in der amtlichen Statistik fehlen. Wenn wir von den oft ganz bedeutenden Abweichungen in den Daten und Zahlen bezüglich der einzelnen in Vergleich gestellten Streiks ganz absehen, so finden wir bei näherer Prüfung des Materials noch eine Reihe von Merkmalen, welche die Unzuverläsiia-. keit der amtlichen Statistik ganz besonders kennzeichnen. Die amt- liche Statistik verzeichnet für die letzten drei Jahre 3721 Streiks und Aussperrungen mit 255 945 Beteiligten, während die Gewerkschafts- statistik für denselben Zeitraum 2879 Arbeitskonflikte mit 225 828 Beteiligten aufweist. Die größere Zahl der Streiks in der amtlichen Statistik rührt nicht ausschließlich daher, daß diese auch Streiks zählt, welche in der Gewerkschaftsstatistik nicht geführt werden, sondern sie ergibt sich einfach daraus, daß amtlich ein von den Arbeitern einheitlich begonnener Streik, der sich auf mehrere Be- triebe erstreckt, als eine Reihe einzelner Streiks gezählt wird. Ferner werden aber auch in der amtlichen Statistik Streiks ver- zeichnet, die gar nicht stattgefunden haben! Es ist bei dem Vergleich häufig festgestellt worden, daß die amtliche Statistik einen Streik verzeichnet, wo eS sich nur um eine Lohn- bcwegung handelte, die durch Verhandlungen der fraglichen Arbeiter mit dem Arbeitgeber oder durch Bermittelung dritter Personen bei- gelegt wurden, ohne daß es zur Arbeitseinstellung, zum Streik ge- kommen ist. Hierbei zeigt sich so recht die Unzuverlässigkeit der von untergeordneten Polizeibeamten eingeholten Informationen. Die wiederholten Nachprüfungen der amtlichen Streikstatistik durch die Generalkommission und die an der Statistik geübt« Kritik haben es zwar noch nicht vermocht, den Behörden die Ueberzeugung beizubringen, daß es unmöglich ist, mit der bisher beliebten Art der Erhebung eine brauchbare Streikstatistik zustande zu bringen und es deshalb notwendig ist, eine grundsätzliche Aenderung darin eintreten zu lassen; aber eines ist erreicht: das unbedingte Vertrauen auf die Zuverlässigkeit der Angaben der OrtSpoli�eibehörden ist wesentlich erschüttert. Das geht auS den amtlichen Veröffentlichungen in bczug auf die Angaben betreffend die Kontraktbrüchigen klar her- vor. Aber, obgleich die„Angaben der Ortspolizeibehörden nach irgend einer Richtung hin zu Bedenken Anlaß zu geben schienen", operiert die amtliche Statistik dennoch mit Zahlen, die auf mündlicher Jnfor» mation untergeordneter Polizeiorgane beruhen. Für das Jahr 1993 werden 18 988 gleich 22,2 Proz. der Streiken» den als„Kontraktbrüchige" angegeben. Im vorigen Jahr« hat die Generalkommission nachgewiesen, daß von 4582 angeblich Kontrakt- brüchigen, für welche ein Vergleich zwischen der amtlichen und der gewerkschaftlichen Statistik möglich war, 1998 in Akkord arbeiteten und keine Kündig» ngsfri st hatten, und ferner 2786 an Abwehr st reiks beteiligt waren, bei denen die Unter- nehm er(I_h nicht die Arbeiter, den Kontrakt gebrochen haben. In derselben Weise ist auch für 1991 der Nachweis erbracht worden, daß den amtlichen Feststellungen in dieser Beziehung gar kein Wert beizumessen ist. Nachdem so dieser Nachweis zweimal erbracht worden war. hat diesmal die Generalkommission darauf verzichtet, die dieS- bezüglichen Angaben der amtlichen Statistik einer Nachprüfung zu unterziehen. Die amtliche Statistik gibt weiter an, daß 1993 die Streik- bewegung, insoweit die beendeten Streiks in Frage kommen, in 235 Fällen zur Anrufung der Staatsanwaltschaft geführt hat und daß 368mal die Polizeibehörden in Anspruch genommen wurden. Dieser Teil der kriminellen Seite der amtlichen Streikstatistik ist ebenso belanglos, wie der vorher gekennzeichnete. Daß in 235 Fällen die Staatsanwaltschaft angerufen wurde, will gar nichts besagen. Die häufigen Freisprechungen wegen Streikvcrgehen unter Anklage ge- stellter Arbeiter beweisen, daß die Zahl der Gesetzesübertretungen Streikender weit geringer ist als die Zahl der Fälle, in denen der Staatsanwalt„angerufen' wird. Und was das„Einschreiten der Polizeibehörden" betrifft, so ist fast in allen Fällen nachzuweisen, daß das Vorgehen der Polizeiorgane ungerechtfertigt war. Ist doch der größte Teil der Strafmandate, die von der Polizei gegen Streikende wegen Streikpostenstehen nid so weiter erlassen wurden durch Gerichtsbeschluß aufgehoben worden und dadurch amtlich das Eingreifen der Polizei als ungerechtfertigt fest- gestellt. Die kriminelle Seite der amtlichen Srreikstatistik, der Geist der ZuchthauSvorlage, der von derselben ausgeht, ist es, der eS den Arbeitern unmöglich macht, an der Ausgestaltung dieser Statistik mitzuwirken. Tie mit den Recherchen beauftragten Polizeibeamten holenihreJnformationeninersterLinievonden
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