I« der Tat find die deutschen Sozialdemokraten ebenso sehrund ebenso wenig.patriotitch', wie die französischen Sozialdemo-kraten. Diese verurteilen die auswärtige Politik Delcassös, welcheFrankreich an Rußland ausliefert und Deutschland vernachlässigt,mit besten Volk der französische Sozialismus zu stets besseren Be-Ziehungen zu gelangen ersehnt. Die deutsche Sozialdemokratie ver-urteilt aufs schärffte die Marokko- Inszenierung des Grafen Bülow,weil ohne vernünfttgen Anlaß eine beklagenswerte Verschärfungder deutsch- französischen Beziehungen hervorgerufen sowie für dasherrschende Frankreich der Anlaß gegeben wird, den Rückhalt derzarischen Allianz zu sichern.—_Ein infames Kasernenübel.Recht üble Verhältniste zwischen den älteren Mann-s ch a s t e n und den Rekruten förderte am Donnerstag eine Ver-Handlung vor dem Berliner Kriegsgericht der I. Garde-Division zutage.Auf der Anklagebank saßen sechs sog. alte Jahrgänge, die GrenadiereBeck. Nack, Mistelhorn, Dickmann, Farbig und Berninger,welche sich wegen gemeinschaftlicher vorsatzlicher körperlicherMißhandlung von Rekruten, sowie der Unteroffizier, FahnenjunkerBotho v. Sklivar, der sich wegen schuldhafter Verabsäumung der ihmobliegenden Beaufsichtigung Untergebener zu veranttvorten hatte. Am12. vorigen Monats desertierte der Rekrut Kühl von der 1. Kompagniedes 1. Garde-Regiments zu Fuß. Am folgenden Tage wurde erjedoch schon wieder im Tegeler Forst aufgegriffen. Als Grund zuseiner Flucht aus der Kaserne gab er an, daß er häufig von denalten Leuten mißhandelt worden sei. Die Untersuchung ergab dennauch, daß die Rekruten oft von den alten Leuten geschlagen' wurden.Am meisten hatte hierunter Grenadier Kühl, der im Dienst etwas schwer-fällig war. zu leiden. Am Abend des 11. März fehlte auf der Stube 35/36eine Lampe. Die alten Leute befahlen den Rekruten, die Lampe zusuchen, stellten sich dann mit erhobener Klopspeitsche an der Tür aufund schlugen auf die hinauseilenden Rekruten ein. Auf Stube 33mußten die Rekruteu unter die Betten kriechen, um die Lampe zusuchen. Auch hierbei wurden sie mit Fußtritten und Schlägen mitder Klopfpeitsche wattiert. Als Kühl dann wieder zurückgekommenwar, befahl man ihm. unter dem Bett sein Spindschild zu suchen,und auch bei dieser Gelegenheit wurde der Grenadier mißhandelt.„Wenn die Hamnrels(Rekruten) herunterkommen und den Tischholen wollen, werden wir sie schon verpolken." Hiennit waren zweiRekruten einer anderen Kompagnie gemeint, welche bald darauf indas Zimmer traten und einen Tisch holen wollten. Auch diese er-hielten beim Hinauswagen des Tisches Stöße und Schläge mit derKlopfpeitsche. Kühl wurde auch in vielen Einzelfällen von vier derAngettagten durch Ohrfeigen. Fußtritte usw. mißhandelt. DasKriegsgericht verurteilte nach längerer Verhandlung die angettagtenGrenadiere von drei bis zu zwölf Tagen Gefängnis und sprach denAngeklagten Farbig frei. Gegen Unteroffizier v. Sk. wurde aufeinen Tag gelinden Arrest erkannt.Auch in diesem Fall fft das schändliche Treiben e r st durchdie Desertion eines Gemißhandelten offenbar geworden undzur Beswafung gelangt. Die Bestrafung aber ist überaus mildeausgefallen. Es ist eine Schande sondergleichen, daß sich ältereSoldaten dazu hinreißen lasten, Rekruten zu peinigen und zu miß-handeln, anstatt sie hülfreich zu fördern.Parteifreunde de» Zentrums. Aus München wird berichtet:Der bayerische Reichsrat und Reichstagsabgeordnete Professor Frei-Herr von Sertling hat im.Hochland" eine Abhandlung über„Pnlittsche Parteibildung und soziale Schichtung" veröffentlicht.Darin kommt folgender Passus vor:„Eine große Wirtschaft brauchteinen Hausknecht— schlimm ist es nur, wenn der Hausknecht denHerrn spielt und den Ton angibt." Die„Neuest. Nachr." meintendazu: Freiherr v. Hertling will durch seine Abhandlung zweifellosan der bayerischen Zentrumöherrschaft Kritik üben, es sei bekannt,daß die Führung der bayerischen Zentrumspartei sich gegenwärtig inden Händen eine Mannes befinde, den man mit Herrn v. Hertlingals»H a u s k n e«cht" bezeichnen dürfe. Zu dieser Glosse bemerktnun der„Bayer. Kur.":„Wir können aus Achtung vor Freiherrnv. Hertling nicht annehmcn, daß er in so gehässiger und niedrigerWeise einem ihm vielleicht mißliebigen Parteigenossen und Reichs.tagSkollegen nahe weten wollt«. Wenn aber das der Fall wäre, dannbedauern wir aufrichtig Freiherrn v. Hertling, daß er sich eine soschmachvolle Blöße geben konnte."—Reue Mutige Scharmützel in Südwestafrika.Nach Meldung des Generalleutnants v. Trotha überfielLeutnant Müller auf dem Marsch von Okahandja nach Otjihangwebei Eundo mehrere Hererowerften, nahm 20 Männer und 21 Weibergefangen und erbeutete mehrere Gewehre. Nach Angabe einesHändlers sollen sich Friedrich und Wilhelm Maharero sowie Trau-gott, der Sohn TzetjoS, nach Abgabe der Waffen auf einer eng-lischen Polizeistation östlich Rietfonwin(Nord) befinden. Auf einemPatrouillenritt südlich des Hudup fielen am 31. Märzdrei Reiter der 2. Erfatz-Kompagnie, einer wurde verwundet.Major v. Estorff hatte am 23. März in Awadaob die Meldung er-halten, daß Spuren von Hottentotten bei Kowise-Kolk, aus östlicherRichtung kommend und in nordöstlicher Richtung weitersührend, be-obachtet seien. Er vermute daher, daß ein Raubzug gegen Aminuisgeplant sei, und entsandte die 3. Kompagnie Regiments 2 mit 1 Gc-schütz dorthin. Die Vermutung war richtig gewesen; Oberleutnantv. Baehr mit 31 Reitern der 4. Kompagnie stieß am 25. Märzvier Kilometer südlich AminuiS auf eine 150— 200 Mann starkeHottentottenbande und hatte ein schweres Gefecht, bei dem 1 Sani-tätsofsizier, 1 Unteroffizier, 4 Reiter fielen und 1 Unteroffizier,5 Reiter verwundet wurden. Ein Reiter wird vermißt.Wahrscheinlich infolge der Annäherung der 3. Kompagnie ging derFeind eiligst in der Richtung auf Kowise-Kolk zurück. Meldung überseine Verluste fehlt noch. Die 3. Kompagnie verfolgte, konnte denGegner aber nicht mehr einholen und kehrte nach Awadaob zurück.Major v. Estorff tritt nunmehr den Vormarsch auf Geiab an. TaSHauptquartier verbleibt bis auf weiteres in Äub.Das sind abermals neun Tote, ein Vermißter und sieben ver-wundetei—Berlin, 6. April. Ein amtliches Telegramm aus Windhuknieldet: Reiter Karl Eisenmann. geb. 2. 3. 82 zu Backnang,am 28. März 05 in Kranken-Sammelstelle GochaS an Typhusgestorben. Am 2. April 05 bei Packriem erschossen auf-gefunden: Unteroffizier Heinrich Bormann, geb. 25. S. 80 zuGemünden, Retter Rudolf Werner, geb. 9. 3. 82 zu Berlin.HiieUnd.Schweiz.BolkSabstimmung über BerfassungSrevifion.Luzern, 31. März.(Eia. Ber.) Am Sonntag. 2. April, habendie Stimmberechtigten des Kantons Luzern über ein Initiativ-begehren der liberalen Partei abzustimmen, das die Ergänzung der Verfassung durch Aufnahme folgender Grund-(ätze verlangt: Reduktion der Mitglieder der Regierungvon sieben auf fiinf, Einführung der GefetzgebungSinttiattve.Bodenverbesserung. Beschränkung der Aemterhäiihing, die auchden Rücktritt der RegierungSräte auS dem VerwaltungSratvon Aktiengesellschaften zur Folge hätte, Vollswahl der Statthalter(Landräte), Revision des Steuergesetzes, Ueberlasiung eines Viertels derAbgaben für Getränke und Wirtschaften sowie der Martt- undHausiergebühren an die Gemeinden. Die beiden Postulate: Gesetz-gebungsinitiative und Bodenverbesserung hat auch die herrschendekonservattve Partei akzeptiert. während sie die übrigenForderungen ablehnt und bekämpft. Die sozialdemokratischePartei unterstützt einzelne Postulate des JnittattvbegehrenS,während sie die anderen ablehnt. Eine besondere Agitation hat sieaber auch für die Annahme der ersteren nicht entfaltet, sie steht derganzen Aktion der Liberalen kühl gegenüber.—� Im Kanton A a r g a u soll durch Volksabstimmung amnächsten Sonntag eine urdemokratische Einrichtung, die aberheute nicht mehr zweckmäßig erscheint, abgeschafft werden,nämlich die Vornahme der Wahlen und der Abstimmungüber Vorlagen in den amtlichen Gemeinde»Versammlungen, Referendumsgemeinden genannt. Das bezüg-liche Jnittativbegehren will die Gemeindeversammlung durch die Wahl-und Stimmurne ersetzt wissen. Der Große Rat und die Regierungwollen für Verfassungsänderungen und die Steuergesetzgebung dieReferendumsgemeinde beibehalten. Wahrscheinlich siegt dasJnittattvbegehren, dessen Annahme unter den obwaltenden Um-ständen ein Fortschritt wäre.—Frankreich.Eine wunderliche Berschwörungsgeschichtrbeschäftigt zurzeit die Pariser Polizei. Von welcher Person oderPartei die„Verschwörung" eigenllich ausgeht, hat bisher noch nichtennittelt werden können. Nur das Faktum des entdeckten Putsch-Planes soll angeblich feststehen. Die Verschwörer haben etwa500 alte Grasgeivehre beiseite geschafft. Die Polizei besitzt auch eineListe derjenigen Leute, für die diese Gewehre bestimmt waren. Essind dies zumeist ausgediente Unteroffiziere undKolonialsoldaten, die von einer unter der Leiwng einesgewissen Bunau stehenden Kolonialgesellschast angeworben wordenwaren unter dem Vorwande, daß man ihnen in Südafrika, wo dieGesellschaft große Ländereien besitze, Stellung verschaffen wolle.Die Polizei glaubt, daß die Verschwörer den phantastischenPlan gehabt haben, sich im Elhsee des PräsidentenLoubet zu bemächtigen.Nach einer weiteren Meldung sind der Polizei bis jetzt acht amKomplott beteiligte Personen bekannt. Als Hauptkomplotteur gilt einHauptmann Tamburini. Von seinen Hintermännern weißman noch nichts. Die Polizeipräfektur dementiert ausdrücklichgestrige Blättermeldungen, wonach bei dem Ober st en Marchandals vermutlichen Komplizen Haussuchungen vorgenommen wordenseien. Ferner wird versichert, daß die Entdeckung der Verschwörungeine Verstärkung der Wachen des Elysees und der Nationalbankkeineswegs habe notwendig erscheinen lassen.Ob am Ende der„Kaiser der Sahara' sein« AnnekttonSgelüsteauch auf Frankreich selbst ausgedehnt hat?—Paris, 6. April.(W. T. B.) Senat. Bei der Beratung desKriegsbudgets erklärt Kriegsminister B e r t e a u x, die sich aus derHerabsetzung der Dienstzeit ergebenden Mehrausgaben würden fürdieses Jahr nur ungefähr 20 Millionen Frank betragen.Deputierteniammer. In der fortgesetzten Beratung desGesetzentwurfs betreffend Trennung von Staat und Kirchebefürwortet der Berichterstatter B r i a n d(Soz.) die Annahme derVorlage, die eine wahrhaft liberale Reform darstelle. Redner weistdie Notwendigkeit der Trennung nach und gibt zu. daß an der Vor-läge einige Abänderungen vorgenommen werden könnten.Italien.LttentatSaukündigung gegen den„Avanti".Rom, 6. April.(Privattelegr. des„Vorwärts".) Derklerikal- konservattve Abg. M a c o l a, bekannt als Duell-mörder des Radikalen Cavallottt, wurde im gestrigen„Avantt"heftig angegriffen. Heute übersendet Macola der Redakttonein Schreiben, in dem er droht, den Verfasser des gestrigenArttkels niederschießen zu wollen wie einen tollen Hund.Der„Avantt" erwartet ruhig den Besuch des mordlustigenLümmels.Die Deputtertenkammer nahm in geheimer Abstimmung mit 213gegen 46 Stimmen den drntsch-italirnischeu Handelsvertrag an.—Amerika.AuS Kanada. Von Zeit zu Zeit wird in Kanada das Themaeiner Angliederung an die Vereinigten Staaten eröttert, die ge-legentlich als wirtschaftliche Notwendigkeit hingestellt wird. Durchdie amerikanische Zollpolitik, die auf Kanada wenig Rücksichtennimmt, soll aber der Gedanke einer vollständigen Unabhängigkeitvon den Vereinigten Staaten sehr gestärkt worden sein, trotzdemmanche gerade das Gegenteil davon erwarteten.— Unterdessensiedeln sich jährlich viele Tausende von amerikanischen Farmern inKanada, besonders im Nordwesten des großen Gebietes an. Imvorigen Jahre kamen 46 000 und im laufenden Jahre werden60 000 Einwanderer aus den Vereinigten Staaten erwartet,wie der erste Inspektor der Einwanderungs- AgenturenKanadas vor kurzem bekannt machte. Die Northern Pacific Eisen-bahngesellschast hat ausnahmsweise die Frachtraten für die Habselig-keilen, Gerätschaften und Maschinen der Farmer, die nach dem Nord-Westen Kanadas gehen, um die Hälfte ermäßigt. Di« Eisenbahnenund Landspekulanten tun ihr Mögllchstcs, um Ansiedler heranzuziehen.Viele Farmer kommen aus Iowa, Illinois, Minnesota, Nebraska undKansas und lassen sich verlocken durch die Aussicht, jungfräulichenBoden für 10 Dollar pro Acre(etwa ein Morgen) zu kaufen,während sie ihre alten Farmen mit 50 bis 150 Dollar pro Acre ver-kaufen. Trotzdem machen sie oft einen schlechten Tausch, aber dieAuswanderung nach Kanada dauert an.—kommunales.Stadtverordneten-Versammlung.10. Sitzung vom Donnerstag, den 6. April 1905,nachmittags 5 Uhr.Vorsteher Dr. Langerhans eröffnet die Sitzung um 5% Uhr.In den Ausschutz für die Vorlage betr. eine Aenderung in derBenutzung der Waisenanstalt zu Rummelsburg sind u. a. auch ge-wählt die Stadtvv. Dr. Bernstein, Stadthagen, Tolks.dorf(Soz.).Auf der Tagesordnung steht zunächst die Ende Februar cr. ver-tagte Beratung der neuen Steuervorschläge, welche derAusschuß auf Grund der betreffenden Magistratsvorlage gemacht hat.Die Erörterung über die Einführung einer Lustbarkcitsfteuerwar abgeschlossen. Der Ausschuß hatte ferner u.. a. empfohlen, diekommunale Grundsteuer dahin zu reformieren, daß samt-liche Grundstücke nach dem Matzstabe des gemeinen Wertesbesteuert werden; dabei sollte der Magistrat die Angängigkett einerhöheren Besteuerung des unbebauten Grundbesitzes in Erwägungziehen.Da der Referent Stadtv. Habcrland noch nicht anwesend ist,wird der Gegenstand einstweilen zurückgestellt.Die Wahl des Stadtv. Baurat Herzberg ist vom Wahl-prüfungs-Ausschuss« mit 5 gegen 3 Stinimen für ungültig erklärtworden, weil die Mehrheit, gestützt auf ein oberverwaltungsgcricht-liches Erkenntnis, annimmt, daß Herr Herzberg, der sich mit seinerFamilie in Wilmersdorf niedergelassen hat, in Berlin eine Nieder-lassung nicht mehr besitzt.Referent Stadtv. Liebknecht: Gegen die Wahl ist ein Protestnicht eingegangen. Die Prüfung ist mit der denkbarsten Vorsichtvorgenommen worden, da mangels eines Protestes eine weitere Nach.Prüfung nicht stattfindet und die Kassierung der Beschlüsse der Ver-sammlung in den Wahlfragen Kcrfin und LeiS eine besondereWarnung war. Die Hauptfrage ist, ob Herr Herzberg auch einenWohnsitz in Berlin hat. In der Liste des Wahlbureaus wird Herz-berg als Bernburgerstr. 14 wohnhaft geführt. Er wird nach seinemVerzuge nach Wilmersdorf als Forense in Berlin besteuert. Er hatausdrücklich erklärt, daß er den Wohnsitz in Berlin beizubehaltengedenke. Die Berliner Wohnung liegt im Hinterhause, Hof, zweiTreppen, ist ein Raum mit Bett und Waschtoilette, Tisch undStühlen, und dieser Raum ist abgemietet von den Geschäftsräumender Firma Börner u. Herzberg. Das Bett ist, wie durch Recherchensich ergeben hat, kein Bett, sondern ein Schlaffofa von ziemlichmangelhafter Beschaffenheit.(Heiterkeit.) Fraglich ist, ob HerrHcrzberg den Wohnsitz in Berlin aufgegeben hat; einen Wohnsitz anmehreren Orten kann man nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch,§ 7,haben. Wenn jemand zwei verschiedene Wohnungen hat, fragt sich,«ob die Wohnungen derart find, daß zwei verschiedene Wohnsitze da-durch begründet werden können. Die Erklärung, die Niederlassungnicht aufzugeben, ist nur dann von Bedeutung, wenn ihr nicht tat»sächliche Momente entgegenstehen. Das Ober- Verwaltungsgerichthat in dem Falle des gräflich Schaffgotschschen VerwaltersDr. Stephan-Beuthen entschieden, daß die drei Zimmer, welche dieserHerr nach seinem Verzuge in einen Vorort in der Stadt beibehieltund von wo aus er seine sämtlichen Geschäfte betrieb, ohne sich abzu-melden, und wo er seine Steuern weiter bezahlte und seine Ehren»ämter weiter wahrnahm, daß diese Wohnung keine Niederlassung imSinne des Gesetzes sei. Der Fall liegt also ganz analog dem FalleHerzberg.„Die Niederlassung blieb auf den bloßen Geschäftsbetriebund die öffentliche Tätigkeit des Dr. Stephan beschränkt," führt daserwähnte Erkenntnis aus; somit sei diese Wohnung keine Nieder-lassung und die Erklärung des Dr. Stephan unwirksam, da ihr dieTatsachen entgegenstehen. Es kommt also darauf an, daß die ganzePersönlichkeit des Betreffenden ihren Mittelpunkt in dem Wohnsitzhat; es kann da keine dauernde Trennung zwischen privaten,Familien, und beruflichen Tätigkeiten Platz greifen. Hier aberhandelt es sich nicht etwa um ein bloß vorübergehendes Verziehen derFamilie des Herrn Herzberg nach Wilmersdorf. Ein bloßes Ab-steigequartier und Geschaftsbureau können nicht als Wohnsitz an»gesehen werden. Die allgemeine Gerichts-Ordnung von 1845 stehtauf demselben Standpunkt und auch die Motive zum BürgerlichenGesetzbuch bieten dafür Material im Sinne des Ausschuß-Antrages.Ein doppelter Wohnsitz kann nur angenommen werden, wenn a»beiden Orten eine eingerichtete Wirtschaft besteht und an beidenOrten die gesamte Lebenstätigkeit des Domizilianten gleichmäßig sichabspielt. Das Gutachten, welches die Minderheit sich vom Justizratv. Gordon hat ausfertigen lassen, geht davon aus, daß Herr Herzbergden Willen, die Niederlassung aufzugeben, nicht bekundet habe; Tat-fachen, welche dem entgegenständen, seien nicht vorhanden, denn ererledige von den Berliner Räumen aus einen großen Teil seinergeschäftlichen, privaten, öffentlichen und geselligen Angelegenheiten.Diese Voraussetzungen sind aber gänzlich unzutreffend. Kdner derGesetzeskommentatoren läßt auch nur die Möglichkeit offen, im FalleHerzberg zwei Wohnsitze anzunehmen. Die Ausschußmehrheit istsomit zur Kassierung der Wahl gekommen.(Beifall.)Stadtv. Galland(A. L.): Meine Fraktion kommt aus reinrechtlichen Erwägungen zu der Ueberzeugung, daß die Wahl Herzbergrechtsbeständig ist.§ 7 33. G.-B. verlangt eine Erklärung über dieAufgebung des Wohnsitzes; ohne diese Erklärung bleibt die Ver»mutung der Fortsetzung des bestehenden Rechtsverhältnisses bestehen.Das Reichsgericht hat in einem Erkenntnis von 1901 ausgesprochen,daß es durchaus nicht notwendig ist, daß die gesamte persönliche undwirtschaftliche Tätigkeit des 33etreffcnden sich an dem Wohnfitze ab-spielt. Herr Herzberg ist eng mit Berlin verknüpft, ist seit Jahr-zehnten 33erliner Bürger; er hat bewutzterweise dieses Zimmer ge»mietet, um den Zusammenhang mit 33erlin aufrecht zu erhalten. T«rUnterschied zwischen Stephan und Herzberg liegt in der persönlichenNuance. Der letztere hat es von der Pike auf zu einem Vermögengebracht(Lachen bei den Sozialdemokraten), aber seine Einfachheitund Schlichtheit beibehalten.Stadtv. Dr. Preuß(soz.-fortschr.): Wir entscheiden heute übereine Frage von sehr erheblicher präjudizieller Tragweite. Ob wirbei der Entscheidung souverän sind, ist nach dem ZuständigkeitÄgesetzzweifelhaft: der Magistrat kann event. das Verwaltungsstreit-verfahren gegen unseren 33eschluß einleiten. Daß eine gerichtlichePrüfung möglich ist, sollten wir begrüßen, denn die Unabhängigkeitder richterlichen Entscheidung wohnt unserer Versammlung doch imhöchsten Sinne tatsächlich nicht bei. Nach den bestehenden Gesetzengenügt es nicht, daß man einen geschäftlichen Wohnsitz hat, sondernes ist die Niederlassung die Voraussetzung für das Bürgerrecht undfür die Wahlfähigkeit. Unsere Versammlung hat auch weder imFalle Kerfin noch im Falle Leis besondere richterliche Autorität be.währt.(Unruhe.) DaS von Herrn Galland angeführte Reichs»gerichts-Erkcnntnis sagt uns gar nichts Neues und entscheidetnamentlich nicht die Frag«, ob Herr Herzberg«inen doppelten Wohn-sitz hat. Wenn es bloß an der Willenserklärung läge, würde jaHerr Herzberg den 33erliner Wohnsitz behalten, selbst wenn er auchdas Zimmerchen wieder aufgäbe.Stadtv. Ladewig(N. L.) protesttert gegen da? merkwürdige Ver.halten eines Freundes der Selbstverwaltung, gegen die Souveränitätder Versammlung schon jetzt Magistrat und Oberpräsident aufzu-rufen. Der Fall liegt außerordentlich schwierig und die Analogiemit dem Fall Stephan sei nur eine ganz oberflächliche. ES sei einereine Tatfrage, ob hier ein doppelter Wohnsitz vorhanden ist. Rednerhofft, daß die Mehrheit sich für die Gültigkeit der ASahl erklärenwird.Stadtv. Singer(Soz.): Bon allen diesen juristischen Aus.führungcn kann ich nur sagen: Mir wird von alledem so dumm, alsging' mir ein Mühlrad im Kopfe herum.(Heiterkett.) Wenn wirauf den Boden der Wirklichkeit zurückkehren, bleibt nur die Frageübrig: Ist die Wohnung in der Bernburgerstraße ein Wohnsitz?Ich wage die 33ehauptung, daß der 33aurat Herzberg diese Stubenicht haben würde, wenn er nicht Stadtverordneter von Berlin seinwollte. Wenn das Gesetz einen solchen Wohnsitz vorschreibt, so sageich: Was da als Wohnsitz bezeichnet wird, ist nicht sein Wohnsitz!Wenn Herr Herzberg wirklich einmal abends spät geschäftlich inBerlin aufgehalten wird, kommt er mit den hiesigen Verkehrsgelegen.heiten fast ebenso schnell nach Wilmersdorf, wie nach der 33ernburger.straße. Diese gehört also nicht zu den aus dem 33erufe hervor»gehenden Notwendigkeiten für Herrn Herzberg, sondern sie ist ge.nommen zu � dem Zweck, um den Mangel eines Wohnsitzes zumaskieren. Solange das Gesetz besteht, müssen wir, zur Entscheidungüber seine Handhabung berufen, entscheiden, wie es der gesundeMenschenverstand verlangt, und dürfen uns nicht auf Tifteleien ein»lassen. Wie stehen denn die Wähler zu dieser Frage?(Rufe: ESist doch kein Widerspruch erhoben worden!) Natürlich nicht; wahr.schcinlich haben die Wähler, als sie ihn wählten, nicht gewußt, daßer im Juli schon nach Wilmersdorf verzogen war, sondern habe«geglaubt, er wohne nach wie vor in der Margarethenstraße. DieWähler sollen also von uns verurteilt werden, durch einen Mannvertreten zu werden, der tatsächlich nicht in Berlin wohnt! HerrGalland hat unnötig die persönlichen Eigenschaften des Herrn Herz»berg in die Debatte gezogen. ES ging Herrn Galland wie manchemJuristen; wer zu viel beweisen will, beweist zu wenig. AuS derBescheidenheit deS Herrn Herzberg hat er uns nachweisen wollen,daß es das erstrebenswerte Ziel auch vermögender Leute sein sollte,solche Absteigcbuden als Wohnsitze zu nehmen.(Heiterkeit.) DieseWahl ist keine Wahl, welche den Voraussetzungen der Städte-Ordnung entspricht, weil die Stube in der 33ernburgerstraße keinWohnsitz im Sinne des Gesetzes ist. Mit seiner Andeutung wegender Aufsichtsbehörde hat Herr Preuß nur sagen wollen, daß wir 33«.schlüsse fassen müssen, die der Prüfung standhalben können. Siewürden«in Präjudiz der allergefährlichsten Art schaffen. Hier willman einen Mann der Versammlung erhalten; in einem anderenFalle könnte an der Persönlichkeit des 33«treffenden der Versammlunggar nichts liegen und dann wäre sie durch dieses Präjudiz gebunden.Stadtv. Preuß: Die Denunziationslust, die mir Herr Ladewigunterschiebt, liegt mir wahrlich völlig fern. Mit meinem Hinweisauf den Magisttat habe ich mich um die Selbstverwaltung geradeverdient gemacht. Die bona Säe, dessen, der mir einen solchenVorwurf öffentlich zu machen wagt, muß ich geradezu bestteiten.Stadtv. Cassel(A. L.): Herr Preuß hat. natürlich un-beabsichtigt, doch den Teufel an die Wand gemalt. Herr Singerwill zum Unterschied von seinem Parteifreund Liebknecht die Fragenicht als Rechtsfrage, sondern nach dem gesunden Menschenverstandentscheiden. Sie muß als Rechtsfrage entschieden werden, dabeibraucht aber der gesunde Menschenverstand nicht auszuscheiden.(Hetterleit.) Ich stehe völlig auf dem Boden des Gutachtens desDr. v. Gordon. Nur bei der Begründung, nicht beim Aufgebeneines Wohnsitzes sind alle die Erwägungen anzustellen, welche HerrLiebknecht und Herr Preuß angestellt haben. Wir haben uns daherfür die Gültigkeit entschieden. Der Hinweis auf die Fälle Kerfinund LeiS ist wertlos, weil diese Sachen noch beim Ober-Verwaltungs.geruht schweben.