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9tt gefährliche Großherzog. Herr Oertsl ergießt in derD. X.' zornige Klage ob desgefährlichen Spieles", das in Hessen Großherzog und Regierung betreiben. Wir erzählten, daß der hessische Finanzminister Gnauth die Ausführungen unseres Genossen Ulrich alsein gesundes Gegengift" gegen das Lamento der wohl- habendsten Klassen über drückende Steuerlast bezeichnet und daß der Großherzog diesem Minister erneut volles Vertrauen ausgesprochen habe. Der Vorgang, meint der agrarische Held, seigeeignet, in den Kreisen der ruhigen staatserhaltenden Bürgerschaft Bedenken und vielleicht sogar Verwirrung anzurichten". Herr Oertel schildert alsdann ausführlich die Gefährlichkeit der Sozialdemokratie, mit der es eine Aussöhnung nicht geben kann, und bietet sich und die Seinen als zuverlässigste Monarchisten an:Wer, wie'wir, unbedingt auf dem Boden der Monarchie steht, wer die monarchische Verfassung nicht nur für notwendig, sondern für die beste und ge- deihlichste hält, der hat die unabweisbare Pflicht, auf diese Gefahr hinzuweisen." Leider ist der Eifer derDeutschen Tagesztg." des Herrn Oertel für jenes Wort unvergessen, daß die Bauern vor den Throne» nicht Halt machen würden, wenn nicht genug Zollerhöhung gewährt würde. Jetzt behauptet das bündlerische Blatt in allzu aufgetragener Pharisäerei seinenunbedingten" Monarchismus, um desto eifriger gegen einen Monarchen vorzugchen, welcher sich erdreistet, die widerwärtigen Klagen der Wohlhabenden über drückende Steuerlast ein wenig zurückzuweisen. Das Oertel- blatt schätzt die Monarchie so verächtlich ein, dag sie nur für die volksfeindlichste Reaktion ihre Stimme erheben dürfe. Versuche aber die Monarchie ein wenig das Joch dieser dreisten Zumutungen zu erleichtern, so scheut der agrarische Monarchismus nicht vor der Majestätsbeleidigung, daß siegefährliches Spiel" treibe und in der Bürgerschaft Verwirrung anrichte. So versucht das Agrarierwm jede fteiere Regung der Throninsassen zu lästern und zu bedrohen. Man vermag daraus zu schließen, wohin der Monarchismus der D. T." geraten würde, wenn ein Fürst gründlichen Schutz der Arbeiterinteressen vor Junkergewalt durchzusetzen gedächte! Hebet Borgänge in der Toleranzkommission des Reichstages geht ein Bericht durch die Presse, der Mißverständnisse zu erzeugen geeignet, wenn nicht bestimmt ist. Danach soll Genosse Wollmar das Fortbleiben der meisten Parteien von den späteren Sitzungen der Kommission dahin erklärt haben:der Evangelische Bund stecke dahinter, weil man befürchte, daß die evangelische Kirche den Wett- bewerb nicht aushalten könne; es seien Versuche unternommen worden, auch die sozialdemokratischen Kommissionsmitglieder vom Erscheinen abzuhalten". In Wirklichkeit hat Wollmar vom Evan- gelischen Bund kein Wort gesagt, sondern nur ausgeführt, daß Ver- ösfentlichungen von protestantisch-theologischer Seite die Furcht zeigen, daß die protestantischen Landeskirchen ohne den besonderen Schutz des Staates den Wettbewerb mit dem Katholizismus nicht aus- zuhalten vermöchten und deshalb törichterweise dem Toleranzantrag feindlich gegenüberstehen. Im übrigen ist tatsächlich sozialdemo- kratischen Kommissionsmitgliedern von fteisinniger Seite nahe gelegt worden, ob man nicht die Beratung des Toleranzantrages beim K 9 Freiheit aller Religionsgesellschasten in Ausübung ihres Kultus abbrechen und Schluß machen solle. Die Totbetung der Sozialdemokratie. Von Zeit zu Zeit ent- wickelt in derKreuz-Zeiwng" ein aktiver Offizier, General- leutnant z. D. v. H e r tz b e r g. seine stammen Sorgen über das Umsichgreifen des Teufels, will sagen der Sozialdemokratie. Der bibelfeste Mann hat den Vorzilg, daß er die Sozialdemokratie nicht durch Zölle aushungern und durch das Kleinkalibrige nieder- kartätschen, sondern durch Totbeten aus der Welt zu schaffen sucht. Am Sonntag Judtca 1903 gab dem Manne der heftige Geist das Folgende ein: Auf die Sünde der Juden folgte alsbald die Strafe in der Zerstörung Jerusalems , der Zerstreuung des Volkes in alle Winde und dem Verluste des Gnadenreiches. Mit unserer Untreue hat der barmherzige Gott noch immer Geduld gehabt, als wollte Er uns durch seine große Güte zwingen, abzulassen von unserer Mssetat. ' Und doch spüren wir schon in dem Austreten der falschen Propheten, in dem Abfall der Massen und in dem Wachsen der gottlosen Umsturzpartei die Drohung des eistigen Gottes. Er könnte uns nehmen, was uns das Höchste und Teuerste ist. Sein offen- 1 Bartes Wort. Gewiß, die Gefahr ist so groß, daß wir nicht oft genug das Vwloanr consules etc.!" rufen können. Unsere Wächter und Richter brauchen sich ja nicht mit Pilatusstagen aufzuhalten, denn sie sind im Besitze der absoluten Wahrheit:Und wir haben geglaubet und erkannt, daß du bist Christus der Sohn des leben- digen Gattes", und dasWohlauf, wohlauf, zieh' Macht an, du Arm des Herrn I" steht auf ihrer Seite. Vor allem aber rufen wir den höchsten Richter an:Richte mich, Gott, und führe meine Sache wider das unheilige Volk!" Und dieKreuz-Zeitung " druckt es mit emster Miene ab. Sie muß solche Heilige unter ihren Lesern haben, daß sie die Ver- öffentlichung Ivagt. Wer dieWächter und Richter" find, die im Besitze der absoluten Wahrheit sind, ist uns nicht ganz klar geworden; wir vermuten bis zum Beweise des Gegenteils: Bülow und seine Leute! Ein Schönheitsfehler des Zolltarifs. Man schreibt uns: Den schleswig -holsteinischen Agrariern ist es gelungen, eine Lücke im deutschen Zolltarif zu entdecken. Die Brotwuchermehrheit des Reichs- tageS scheint es nämlich in geradezu unbegreiflichem Leichtsinn vergessen zu haben, dem Rahm(Sahne) ihre liebevolle Aufmerksamkeit zu schenken. Infolgedessen sind findige Geschäftsleute auf den Ge- danken gekommen, an der nordschleswigschen Grenze eine große Meierei anzulegen, die aus Dänemark importierten Rahm zu Butter verarbeiten soll, um auf diese Weise den Butterzoll zu um- gehen. Das Organ der schleswig « holsteinischen Landwirt- schaftskammer, dasLandwirtschaftliche Wochenblatt", schlägt über dieses Projekt großen Lärm. Es macht der Zollwuchermchr- heit des Reichstages schwere Vorwürfe, daß sie seinerzeit dem Vorschlag der schleswig -holsteinischen Landwirtschaftskammer, einen Zoll von 1013 Mark pro 100 Kilogramm auf Rahm zu legen, nicht nach. gekommen ist. Der Regierung wird nichts übrig bleiben, als dieses Loch im Zolltarif durch ein Notgesetz zu stopfen, oder aber die dänische Grenze nicht nur für Vieh, sondern auch für Rahm zu sperren. Kinder im Gefängnis. Zu sechs Monaten Gefängnis verurteilte die Göttingcr Strafkammer einen zwölfjährigen Schulknaben, weil er in einem Zeitraum von über einem Jahre als Brotausträger einen Teil des Brotgeldes von den Kunden einkassiert hatte, ohne den Betrag an den Bäckermeister abzuliefern. Das Gefängnis wird auf das Kind gewiß sehr veredelnd Wirken l Ein Ueberweltpolitiker. Man schreibt uns aus München : Der am Mittwoch vom Landgericht München I wegen Betruges und Urkundenfälschung zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilte praktische Arzt Dr. Iwan B r a u n st e i n. der noch wegen des Verdachtes der Vergiftung seiner Gattin sich in Untersuchungshaft befindet, hat es verstanden, in der GesellschaftEindruck" zu machen. Mit Vorliebe erzählte er am Biertische von seinen als Schiffsarzt gemachten Reise- erlebnissen und er unterließ niemals, die Notwendigkeit einer starken Flotte für Deutschlands Großmacht hervorzuheben. Er huldigte zugleich den Bestrebungen des Reichsverbandes zur Bekämpfung der Sozialdemokratie und gründete als moderner Uebermensch in Halle a. S. einen Klub sogenannter Nietzscheaner, zu dessen Vorsitzendem er gewühlt wurde. In München glänzte er in verschiedenen Wohl« tätigkeitsvereinen, und hier schilderte er gern mit beredten Worten die Pflichten derGesellschaft" gegenüber der leidenden ärmeren Klasse. Herr Dr. Iwan Isidor Braunstein war also ein Ordnungs- mensch vom Scheitel bis zur Sohle. Diese Eigenschaften sowie sein Leutnantspatent, das allerdings durch seine dreijährige Gefängnisstrafe wegen 43 Vergehen des Diebstahls nicht mehr blank war, befähigten ihn also, um die Hand einer vermöglichen Ritter- gutsbesitzers- Tochter anzuhalten. Es war eben eineebenbürtige" Vernunftehe. Uebrigens stehen seine weltpolitischen Neigungen weniger in Widerspruch mit seinem privaten Charakter als die Wohltätigkeits- Christelei. Er hat vielmehr offenbar nur konsequenter-, wenn auch gefährlicherweise die leitenden Grundsätze aller kapitalistischen Welt- und Kölonialpolitik auf sein Privatleben übertragen, ohne zu berück- sichtigen, daß dergleichen Einsälle nur in Astika gestattet sind. Agrarische, klerikale und demokratische Sozialpolitik. Stuttgart , den 13. April. (Priv.-Tel.)) Zwei Sitzungstage verbrachte der Landtag mit der Erörterung landwirtschaftlicher' Detailstagen. Nebenher wurde wiederum die Er- richtung von Landwirtschaftskammern gefordert, für die gerade in Württemberg mit seinen vielen staatlich unterstützten landwirtschaft- lichen Organisationen kaum ein praktisches Bedürfnis vorhanden ist. Dieselbe agrarische Partei aber, die für sich immer neue Forderungen an den Staatssäckel stellt und sich bewilligt, führte bittere Klagen über die zu hohen Unsallrenten der landwirtschaftlichen Arbeiter und meinte, es sei nicht nötig, daß man für jedes Fingerglied, das ein Knecht verliert, Renten zahle. Daß diese brutale und herzlose Ge- sinnung gegenüber den Arbeitern nicht nur beim Bauernbund, sondern auch in der süddeutschen Volkspartei zu finden ist, zeigte in der heutigen Sitzung die Rede des Volksparteilers Henning bei der Beratung der Etatsposten für die Zentralstellen für Gewerbe und Handel. Nach einer be weglichen Klage über die unerträglichen Lasten der Jnstustrie für die Arbeiterversicherung schimpfte der demokratische Volksvertreter über die Arbeitsscheuen, Arbeitslosen, die die Land- stratzen bevölkern und durch ihre Bettelei im Winter die Bürger in den Städten belästigen. Er forderte energische Polizeimaßregeln gegen die Landstreicher. Von den drei Herrn Henning folgenden volkspartcilichen Rednern hielt keiner es für nötig, die Gemeinschaft mit diesen Aeußerungen abzulehnen. Um so schärstr leuchtete Genosse Keil der volksparteilichen Sozialpolitik heim, die das Heil in der Arbeitslosenjagd durch Polizisten und Landjäger sieht, anstatt in sozialen Reformen, in Verkürzung der Arbeitszeit und auskömmlichen Löhnen. Auch in die Arbeiterfreundlichkeit des Zentrums konnte man einen Einblick tun, als Genosse Keil Beschwerde darüber führte, daß die von der Regierung geschaffene Arbcitervertretung in der Zentral. stelle(4 Arbeitervertreter in einem Kollegium von 33 Mitgliedern) in ihrem an und für sich nicht allzu hohem Wert« noch weiter herab- gedrückt werde dadurch, daß nur Arbeiter, die im Arbeitsverhältnis stehen, wählbar sind. Gegen den von Keil gestellten Antrag auf Streichung dieser Bestimmung wetterte der Abgeordnete Gröber und schalt über die Sozialdemokraten, denen es nicht um Wahrung der Arbciterinteressen, sondern um Plätze für.Agitatoren zu tun sei. Selbst dem Abgeordneten Hieber ging diese vorsintflutliche Demagogie zu weit und er meinte, es handele sich doch wohl nur darum, geschulte Beauftragte der Arbeiter den Zutritt zu ermöglichen. Genosse Keil kennzeichnete die Doppelzüngigkeit des Zentrums und trieb Gröber arg in die Enge durch die Aufzcigung des Gegensatzes zwischen der salbungsvollen Arbeiterfreundlichkeit, von der auch Gröbers heutige Rede triefte und der absoluten Unzuverlässigkeit des Zentrums, wenn es gelte, zu handeln. Trotzdem Gröber schon vor vier Jahren in einer Landtagsrede für Beschaffung von Arbeiter- kammern durch die Landtagsgesetzgebuug eingetreten sei, wenn die Reichsgesetzgebung nicht binnen Jahresfrist solche geschaffen habe, habe das Zentrum seither alle dahingehenden Anträge der Sozial- demokraten im Landtage niederstimmen helfen. Auch der Minister des Innern ergriff das Wort, um sich den Gröberschen Argumenten gegen den Antrag Keil anzuschließen und tat überrascht, daß Arbeitervertreter daran Anstoß nehmen, daß nur aktive Arbeiter gewählt werden dürfen. Bei der Abstimmung wurde der Antrag Keil mit allen gegen die sozialdemokratischen Stimmen abgelehnt._ Slidwestastiklmische Berluste. Berlin , 13. April. Ein Telegramm a«S Wndhuk meldet: Reiter Gustav Freudenreich, geboren am 8. 6. 81 zu Alt-Sollau, stüher im Jnfanterie-Regiment Nr. 147, am 8. April im Lazarett Swakop - mund am Typhus gestorben. Im Gefecht m der Gegend von Hurub am S1. 3. 03 ge- fallen: Gefreiter Wilhelm Meyer, geboren am 23. 12. 73 zu Wolfen- weiler. stüher im Husaren-Regiment Nr. 14. Hiieland. Oesterreich-Ungarn. Ungarisches Abgeordnetenhaus. Dem Hause wurde am Donnerstag der Adreßentwurf der koalierten Linken vorgelegt; in demselben wird auf die schweren Schäden hingewiesen, welche der Nation auf Wirtschaft- lichem Gebiete drohen, wenn Ungarn jetzt infolge des ex!ex-Zu- standes nicht imstande sei, seine Interessen mit dem gehörigen Nach- druck zu vertreten, und die Krone gebeten, möglichst bald eine Ne- gicrung zu ernennen, die auf die Unterstützung des den nationalen Willen repräsentierenden Abgeordnetenhauses rechnen könne. Abg. Eötvös begründet seinen Antrag auf Mißbilligung gegen Tisza und Perczel, gegen Tisza, weil er die Pension Pcrczels von 8000 auf 15 360 Kronen erhöhte.(Stürmische Entrüstung links.) Redner stagt, was Tisza noch auf dem Ministerpräsidenten- sessel suche. Tisza erwidert, solange die Nachfolger nicht ernannt seien, erfüllten die Minister ihre Pflicht, wenn auch die un» angenehmste Pflicht, indem sie auf ihren Plätzen verblieben. Bei der Pensionierung Perczels als Minister sei verabsäumt worden. die Dienstzeit desselben als Komitatsbeamter einzurechnen, was jetzt unter seiner vollen Verantwortlichkeit gutgemacht worden sei. (Großer Lärm links. Rufe: Das ist der Blutlohn für den 18. No- vemeber!) Tisza fährt fort, übrigens handle es fich um einen hochverdienten Staatsmann.(Neuerlicher stürnnscher Lärm links.) Der Präsident suspendiert infolgedessen die Sitzung. Nach Wiederaufnahme derselben wiederholt Tisza, daß einem hochverdienten Manne wie Perczel diese Rücksicht gebühre.(An- dauernder Lärm links. Zurufe: Vaterlandsverräter! Damit machen Sie Propaganda für den Sozialismus. Für solche Zwecke haben Sie Geld!) Das Haus beraumt dann die Beratung des An- träges Eötvös auf morgen an. Italien . Rom , 13. April. Die Eisenbahner hielten nach Bekannt- werden des Eisenbahngesetzes in Turin , Mailand , Florenz , Modena , Ancona , Livorno und Arezzo Versammlungen ab, die zum Teil einen sehr heftigen Ton anschlugen und mit neuer Ostmktion oder Streik drohten, wenn die Regierung nicht bald ihr Memorandum beant- wortet. Zum Streik der parlamentarischen Berichterstatter schreibt man uns aus Rom vom 10. April: In Ergänzung unseres Telegramms ist zu bemerken, daß die Journalisten im italienischen Parlament mehr Freiheiten genießen, als da? in anderen Ländern der Fall ist. Es ist nicht zu leugnen, daß die Preßtribüne diese Freiheiten nicht selten mißbraucht, durch ungebührliches Lärmen, Zwischenrufe usw. Immerhin ist die Art, wie man heute den Zutritt zur Tribüne erschwert, die Treppen mit Schildwachen füllt usw., nicht zu ertragen. Heute prangte nun gar eine bewaffnete Schildwache auf dem kleinen Treppenabsatz, der zur inneren Verbindungstreppe zwischen Preßtribüne und. den Wandelgängen der Abgeordneten führt. Die Journalisten wandten sich an den Präsidenten ihres Verbandes, den Abgeordneten B a r z i l a i. dem aber vom Ouästor entgegnet wurde, die Maß- nähme sei auf Anordnung des Kammerpräsidenten Marcora ge- troffen worden. Demgegenüber hatten sich die Berichterstatter sofort versammelt und einstimmig eine Tagesordnung angenommen. in> der sie erklären, sich der Berichterstattung zu enthalten, bis zum Widerruf der ihre Würde verletzenden Verfügungen. Bekanntlich ist der eigenartige Streik inzwischen durch Einlenkt« des Kammerpräsidenten beigelegt worden. kommunales. Stadtverordncten-Versammlung. 16. Sitzung vom Donnerstag, den 13. April, nachmittags 3 Uhr. Der Vorsteher Dr. Langerhans eröffnet die Sitzung gegen �6 Uhr. Es erfolgt zunächst die Einführung des neu- gewählten unbesoldeten Stadtrats Geheimen Baurats Rum- s ch ö t t e l und der neugewählten Mitglieder Dyhrenfurth und G o h l i ck e. Die Versammlung nimmt die Beratung der Vorlage betr. die Frage, in welcher Weise die drohenden Ausfälle im Stadthaushalt gedeckt werden können, wieder auf. Von den Äusschußvorschlägen sind zurzeit noch unerledigt 1. derjenige, welcher auf die Aenderung der Gesetzgebung in der Richtung auf Ermöglichung einer wirksamen Bauplaystciier abzielt, 2. der Vorschlag, die Gemeinde-G r u n d- und-Gebäude- steuer nach dem gemeinen Wert(anstatt wie bisher nach dem Nutzungswert) zu erheben, wobei der Magistrat gleichzeitig ersucht werden soll, Erwägungen darüber anzustellen, ob der unbebaute Grundbesitz mit einem höheren Prozentsatz heranzuziehen wäre. In der Sitzung am 23. Februar hatte Stadtv. Wallach das Prinzip der Veranlagung nach dem gemeinen Wert mit größter Ent- schiedenhcit bekämpft und schließlich einen Antrag empfohlen, nur die unbebauten Grundstücke nach diesem neuen Modus zu veran- lagen. Dann war die Weiterberatung vertagt worden. Stadtv. Galland(A. L.): Der Kollege Wallach bekämpft das System der Besteuerung nach dem gemeinen Wert hauptsächlich mit dem Argument, daß diese Methode der Veranlagung eine Ein- schätzung und damit eine beinahe unüberwindliche Schwierigkeit zur Voraussetzung habe. Das widerspricht aber der Erfahrung in allen Kommunen, die diesen Modus adoptiert haben. Ein Ratten- könig von Prozessen, wie ihn Herr Wallach voraussagt, ist also durchaus nicht zu besorgen. Die Berufung der Gegner des Systems der Wertsteuer auf das Gutachten des Magistratsrats Hamburger von 1901 verliert an Bedeutung, wenn man erwägt, daß der Magi- strat damals gegen die Wertsteucr war; inzwischen aber hat sich dort der Wind gedreht. Wir müssen mit der Zeit mitgehen, und die erfordert auch im Interesse der Gerechtigkeit, den Uebergang zu vollziehen und die Belastung gleichmäßiger nach der Leistungsfähig- keil zu verteilen. Stadtv. Dr. Preuß(soz.-fortschr.): Die Einwände des Stadtv. Wallach gegen das neue System sind uinsoweniger stichhaltig, als er selbst das Prinzip adoptiert und die Wertsteuer wenigstens für die unbebauten Grundstücke zulassen will. Er beruft sich vor allem auf die Schwierigkeit der Taxierung, aber diese Schwierigkeit ist bei dem unbebauten Terrain erheblich schwieriger als bei Ge» bänden. Der von ihm beantragten Trennung stehen übrigens Be- denken aus dem Kommunalabgabcn-Gesetz nicht entgegen. Der Umfall" des Magistrats erklärt sich sehr natürlich aus der siegen- den Macht des Gedankens der Wertsteucr, wie ja auch der Ge- danke der obligatorischen Fortbildungsschule im Magistrat noch vor wenig Jahren als unausführbar galt. Die bessere Einsicht setzt sich trotz Herrn Wallach auch in den Hausbesitzcrkreisen all- mählich durch. Gegen den Vorschlag, die Sätze verschieden zu nor- mieren und das unbebaute Gelände höher zu besteuern, möchte ich mich ebenso wie gegen die Wiederbelebung der Bauplatzsteuer er- klären. Eine brauchbare Bauplatzsteuer nach ß 27 des Kommunal» abgaben-Gesetzes ist für Berlin eine Unmöglichkeit; ein neues Ex- perimcnt würde wie das frühere mißglücken. Stadtv. ESmann(Fr. Fr.) erklärt sich für das gemischte System nach dem Antrag Wallach. Der Wert der Baustellen müßte etwa alle 3 Jahre reguliert werden und der Fortschritt der Pflasterung, Kanalisation usw. berücksichtigt werden. Die Ein- schätzung der unbebauten Grundstücke sei auch viel leichter als die der bebauten, bei der sich nur zu häufig die Gutachten entgegen- stehen würden. Namentlich für ältere Gebäude mit relativ niedrigem Ertrage würde die Wertsteuer, die ja auch den Wert der Baustelle berücksichtigen müsse, eine Ungerechtigkeit sein. Stadtv. Singer(Soz.): Die Einwände des Kollegen Wallach sind hausagrarischer Natur; daneben kommt uns Herr Esmann mit sozialethischen Momenten, indem er uns die Witwe und den armen Mann vorführt, die ihren Hausbcsitz von der Wertsteuer ungerecht betroffen sehen würden. Dieser Appell an die Centimen- talität muß unwirksam bleiben, denn die Witwen und der arm« Mann dürften unter den Hausbesitzern doch nur eine winzige Aus- nähme bilden. Die Gründe für die Besteuerung nach dem ge- meinen Wert sind zwingender Natur. Wir können uns nur freuen, daß die jetzige Auffassung im Magistrat endlich zum Durchbruch gekommen ist, was auch zu den Verdiensten des Oberbürgermeisters gehört; andererseits aber brechen sich eben gewisse Dinge mit Naturnotwendigkeit Bahn, mit oder gegen den Willen der Be» teiligten. Man hat sich eben endlich, zu der gesunden Auffassung durchgerungen, daß der Hausbesitz n'icht anders zu beurteilen ist als jedes andere Steuerobjekt; diese Erkenntnis ist es, welche den Umfall" des Magistrats erklärt. Auch auf anderen Gebieten, so z. B. dem des Verkehrswesens, hat sich doch ein ähnlicherUmfall" sig- nalisiert. Herrn Wallachs Vorschlag zurückzuweisen reicht schon der Umstand aus, daß damit verschiedenartige Steuersysteme eingeführt würden. Daß der Ertrag der Steuer nach dem Gesetz derselbe bleibt, kann doch nicht hindern, einem Modus den Vorzug zu geben, der den sozialen Bedürfnissen entspricht. Warum will man den Nutzungswcrt für den Hausbesitz beibehalten? Weil der Haus- besitzer geschont werden soll!(Widerspruch.) �Das Wohnungs­vermieten ist heute weiter nichts als ein Gewerbe; so muß eS aufgefaßt und behandelt werden. Man will aber dem Hausbesitz seine privilegierte Stellung erhalten, und diese Stellung soll auch in der Besteuerung zum Ausdruck kommen. Für uns kommt das sehr wichtige Moment hinzu, daß rings um Berlin herum diese Wertsteuer eingeführt ist. Die Verhandlungen über Bebauungs- Pläne, über die Aufschließung neuer Terrains, wie wir sie jetzt haben, würden gar nicht notwendig sein, weil, wenn wir das neue System schon hätten, diese Terrains längst der Bebauung er- schlössen wären. Durch das ängstliche Festhalten an dem Nutzungs- wert hat man die übertriebene Bodenspekulation gezüchtet, die in der Peripherie an der Tagesordnung ist. Ich brauche ja nur die Namen Griebenow, Bötzow, Wollank zu nennen. Die Abschätzung nach dem gemeinen Wert wird auch nicht für hundert Jahre statt- finden, sondern von Zeit zu Zeit revidiert werden; also gibt auch die praktische Seite der Sache den Gegnern keinen Angriffspunkt. Ich freue mich der Uebereinftimmung mit dem Kollegen Galland und bedaure nur. daß es Herrn Wallach gelungen ist, in seiner Fraktion die Stellungnahme der Vertreter derselben in der ge- mischten Deputation in die Minderheit zu versetzen. Wie aber heute die Entscheidung fallen möge, sicher ist, daß der Gedanke sich durch- setzen wird.(Beifall.) Stadtv. Cassel(A. L.): Nicht aus agrarischem Interesse, son- dern im Interesse der Gerechtigkeit halten die Freunde des Antrag? Wallach das gemischte System für das richtige. Nicht w i r wollen für die Hausbesitzer durch Festhalten an dem Bisherigen etwas er- reichen, Wohl aber wird Herr Singer das, wenn auch unabsichtlich, bewirken, denn bei der Wcrtstcuer werden sehr viele Hausbesitzer