Nr. 107. 22.l. KkilAt Ks Jmrb" Kcrlim lolUlatt.DiensKg, S. Mai IM.Eine Schillerfeier der Berliner Arbeiter.In der Freien Volksbühne haben fich die Berliner Arbeiter einevorzügliche Organisation geschaffen, durch welche sie ihre Sehnsuchtnach edlen Kunstgenüssen zu befriedigen wissen. In der Volksseeleschlummert das lebhaste Verlangen nach Schönheit und Lust, nachdem Dust der Poesie, nach der stoh erlösenden Musik; es besteht einHunger nach feineren Genüssen, der nach Sättigung schreit, und dahat die Freie Volksbühne es verstanden, dieser Not des Arbeiters inetwas zu begegnen. Daß Schiller, dem grotzen Lehrer von der„Kunst als Erzieherin des Menschengeschlechts', eine würdige Feierzu seinem Gedenktage bereitet werde, erwartete man von der FreienVolksbühne und sie hat sich dieser Aufgabe mit Eifer angenommen.Die Schillerfeier am letzten Sonntag war ein glänzendes Zeugnissür die hohe Auffassung des Schillertages m Arbeiterkreisen.für die Liebe und Verehrung, die dort aus ehrlichem Herzen demgroßen Dichter entgegengebracht werden.Der geräumige Saal der Brauerei Friedrichshain war dichtgefüllt von einer festlich gestimmten Menge. Schillers Büste blickteaus dunklem Blättergrün unter der großen Orgel auf die leise sichbewegende Menschenmasse, die in weihevoller Stille den Klängendes Trauermarsches aus der 3. Sinfonie„Eroica", von Beethoven,womit das Programm eröffnet wurde, lauschte. Schillers„Hymnus"für Bariton-Solo mit Orchesterbegleitung, von Richard Strauß,gesungen von Herrn F. Lederer-Prina, folgte.Dann ging eine Welle der Bewegung durch die Menge; eSwurde laut, jeder schaute erwartungsvoll empor. Der alte bekannteGenosse Perner st orfer aus Oesterreich schritt nach der Redner-tribüne und wurde von der Versammlung aufs Herzlichste begrüßt.Er hielt die Festrede und verstand es, die Hörer über eine Stundelang gefangen zu nehmen mit einer Rede, so fein gesponnen, so warmvorgetragen und innig empfunden, daß sie in jedem Herzen, woLiebe für Schiller wohnt, einen schönen Widerhall finden mußte.Es berührte eigentümlich, häßlich und die Feier störend, als mitdem Genossen Pernerstorfer zugleich zwei Polizeibeamte in Uniformauftraten, zur Ueberwachung der Rede oder des Redners.Eine Schillerfeier der Arbeiter unter Polizeiaufsicht zu stellen,das ist wie eine Selbstverhöhnung der offiziellen Schillerfeiern l—„Allüberall in deutschen Landen", so begann der Redner,.wirddas Andenken Schillers gefeiert; da scheint es keinen Unterschied inden Parteien zu geben. Niemand schließt sich von der Feier aus,selbst diejenigen, die nur widerwillig mitfeiern, ziehen es vor, ihretoahre Gesinnung zu verschweigen. Es wäre aber eine Täuschung zuglauben, daß mit der politischen Einheit des deutschen Volkes einegeistige gewonnen sei. Das scheint einmal an einem Festtageso; wenn der Alltag wiederkehrt, ist die Illusion vorüber. Die harteWirklichkeit zeigt uns, daß das deutsche Volk weit davon entfernt ist,eine organische Einheit zu bilden. Blicken wir genauer auf die Festezu Ehren Schillers, fo finden wir, daß jeder seinen eigenen Schillerfeiert, daß viele sich nicht scheuen, das Andenken des großen Dichterszu fälschen und ihn zum Fahnenträger ihrer eigenen'Philisterhaftig-keit zu machen.— Wie alle wahrhaft Großen hat Schiller an dieMenjchheit unerschütterlich geglaubt und das ist es, was ihn unsSozialisten so nahe bringt. Uns ist er der große Rufer im Streit,der große Dichter und der geliebte Mensch. Er war ein Sohn desVolkes, ist in Enge und Dürftigkeit aufgewachsen und hatte den Kampfgegen ein schweres Schicksal zu führen.Der Redner verbreitet sich über den Lebenslauf Schiller? undverweilt bei seinen Dramen. Von den„Räubern" sagt er:.Hiersprang fast unvermittelt der dramatische Genius des jungen Schillerin die Erscheinung und zeigt uns deutlich, wie das Genie geborenund nicht erzogen wird. Etwas prächtig Brausendes und Ueber-schäumendes liegt in diesem Werke; es brachte ihm viel Ehre undRuhm, aber kein Geld.".Kabale und Liebe" nennt Redner das beste soziale Drama bisauf den heutigen Tag, in welchem die Menschlichkeit den Kampfgegen die Knechtschaft führt.— Dem Verhältnis zwischen Schillerund Goethe wird in der Rede eingehend gedacht und die große Be-deutung dieser Freundschaft für beide Männer besonders gewürdigt,die wie ein warmer befruchtender Regen auf das Feld ihrerdichterischen Tätigkeit fiel. Es bestehen tiefe Unterschiede zwischenbeiden, Goethes Sinn war mehr auf das Anschauliche gerichtet,Schillers Sinn mehr auf das Begriffliche, so wurde in der Redeweiter ausgeführt. Goethe hielt sich an die Erscheinung. Schiller andie Idee. Könnten wir uns beide ineinander verschmolzen vor-stellen, dann hätten wir einen wirklichen Uebermenschen vor uns.Jeder von beiden hatte eine hohe Achtung vor der Persönlichkeit desanderen.Redner schildert mit großer Wärme Schiller als edlen Menschen,von dem Goethe sagte:.Und hinter ihm, in wesenlosem Scheine,lag, was uns alle bändigt, das Gemeine."— Von Schiller undseinem Verhältnis zur französischen Revolution kommt Redner aufdie ökonomische Struktur der Gesellschaft, auf die heutigen Ver«Hältnisse und auf den Sozialismus zu sprechen, den er als den Er-löser der geknechteten Menschheit feiert..Es sind der Menschheit große Dmge, die Schiller in all seinenWerken immer wieder in den Vordergrund gebracht hat. SeinGenius ließ ihn eine große Zukunft der Menschheit ahnen, dieunsere heutige Erkenntnis schon m,t klareren Blicken zu umspannenvermag. Schiller träumte von einem Reich der Schönheit, von einemösihetiichen Ideal, und da kommt er uns Sozialisten so nahe, daßwir von ihm begeistert werden, wenn er uns seinen ästhetischenMenschen zeigt. Wir werfen dazu die Frage auf: Wie und wo istdieser Jdealmensch möglich? Man könnte lächeln und sagen: Dasist eben nur eine Traumgestalt. ES ist aber nicht wahr, daß dieseGestalt nur geträumt werden kann. Schillers ästhetischer Mensch istnichts weiter als die geschlossene, harmomiche. selbstbewußte Per-sönlichkeit. Dies Ideal nehmen wir Sozialisten auf: für feineVerwirklichung wollen wir die Bedingungen ,n e,ner entsprechendorganisierten Gesellschaft schaffen. Der moderne Mensch»st zum Werk-zeug deS Staates herabgesunken. Wenn eS heute noch Individualitätengibt, so sind sie da trotz des Staates und sie müssen ihm Trotzbieten, um sich zu behaupten. Es ist grotesk, sich Schiller vorzu-stellen im Bunde und im Einverständnis mit den herrschenden Ge-walten. Von Schillers Geist ist dort nichts zu spüren, von einerNacheiferung Schillerscher Ideale ist keine Rede. Schillers Ideal-mensch hat heute nirgends Raum; trostlos sieht es aus ringsum.Wir Sozialisten find an der Arbeit, ihm eine Stätte zu bereiten;wir wirken, damit eine Menschheit erwachse, zu der endlich durchsweit geöffnete Tor die Freude einziehe." � �Genosse Pernerstorfer schloß seine wirkungsvolle Festrede mitdem hohen Lied Schillers„An die Freude."Rauschender, langanhaltender Beifall belohnte den Redner.Den Schluß der schönen Feier bildete Beethovens neunteSinfonie, deren Schlußchor über Schillers Ode„An die Freude"ursprünglich mit einer Widmung an den.unsterblichen Schiller"einsetzte..Es war eine Schillerfeier, dre den Berliner Arbeitern Ehremacht.—__An der Schwelle der industriellenRevolution.Zu Schillers Zeiten vollzog sich nicht allein in Frankreich.sondern auch in England eine große Revolution:„Während mFrankreich," sagt Engels in seiner Schrift gegen Dühring,„derOrkan der Revolution das Land ausfegte, ging in England einestillere, aber darum nicht minder gewaltige Umwälzung vor sich.Der Dampf und die neue Wcrlzeugmaschinerie verwandelten dieManufaktur in die moderne große Industrie und revolutioniertenfcftroit die ganze Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft., Diegroße Bedeutung der französischen Revolution für Schillers Ent-wickelungsgang ist so unverkennbar, daß kein Schiller-Biographdavon schweigen kann. Nicht so naheliegend scheint die Frage, obdie industrielle Revolution des 18. Jahrhunderts schon in SchillersVorstellungskreis eingegangen ist. Wenigstens Pflegen sich diezünftigen Literarhistoriker mit dieser für die Beurteilung Schillersgewiß sehr erheblichen Frage nicht zu befassen. Aber diese Herrengeben sich durchweg überhaupt nicht mit Schillers ökonomischenVorstellungen des näheren ab: sonst müßten sie ja auch auf die ebenaufgeworfene Frage kommen. Und doch drängt sich die Notwendig-keit, auch das Verhältnis Schillers zum Wirtschaftsleben seiner Zeitzu erörtern, förmlich auf. Denn der Dichter selbst war bei allemhochfliegenden Idealismus weit davon entfernt, etwa achtlos odergar mit Verachtung an den ökonomischen Tatsachen vorbeizugehen,die ihn umgaben. Im Gegenteil hat er diese Tatsachen sogarpoetischer Verarbeitung würdig befunden. Eine Reihe von Ge-dichten, insbesondere aber„Der Spaziergang" und„Das Lied vonder Glocke", legen Zeugnis dafür ab, daß Schiller für das Wirt-schaftsleben lebhaftes Interesse und ein offenes Auge hatte.Als er sich mit der„Glocke" trug, ist er während eines Auf-enthalts in Rudolstadt oft nach einer Glockengießerei vor der Stadtspaziert, um die nötige Vorstellung von den Vorgängen zu gewinnen.So hat er auch zweifellos mindestens einen„Gang nach dem Eisen-Hammer" selber unternommen, ehe er im gleichnamigen Gedichtbeschrieb, wie dem Grafen von Savern„in hoher Ocfen Glut�)ie Eisenstufe schmolz.Hier nährten früh und spat den BrandDie Knechte mit geschäft'ger Hand;Der Funke sprüht, die Bälge blasen,Als gält' es, Felsen zu verglasen.Des Wassers und des Feuers KraftVerbündet sieht man hier;Das Mühlrad, von der Flut gerafft,Umwälzt sich für und für;Die Werke klappern Nacht und Tag,Im Takte pocht der Hämmer Schlag.Und bildsam von den mächt'gen StreichenMuß selbst das Eisen sich erweichen.——"Das Hammerwerk mit dem Wasserrad wird der größte Fort-schritt der Technik gewesen sein, den Schiller gesehen hat. DenDampf als mechanische Triebkraft hat er sicher nicht kennen gelernt.Wahr ist, daß schon 1786 auf den Hettstädter Kupferbergwerkender Grafschaft Mannsfeld, also gar nicht weit von Schillers Wohn-ort, die erste deutsche Dampfmaschine in Betrieb gesetzt worden ist.Hinzuzufügen ist aber gleich, daß noch ein Dutzend Jahre nachSchillers Tod im ganzen Königreich Hannover nicht eine einzigeDampfmaschine anzutreffen war. Wenn Schiller je Gelegenheitgehabt hätte, die Magie der Dampfkraft, also etiva an jenemHettstädter Unikum zu bewundern, so wäre ihm sicher ein Gedichtoder doch eine Strophe daraus geworden. Indes, er singt zwar im„Spaziergang" und anderswo auch vom Bergbau, hat ihn aberjedenfalls nur im weimarischen Gebiet und ohne Dampfbetriebkennen lernen.Bergbau und Metallindustrie stehen heutzutage im Mittel-punkte des gewerblichen Lebens. Das war nun zu Schillers Zeitennoch keineswegs der Fall. Damals stellte für den Politiker, derein Land gewerblich voranbringen wollte, A und O des ökonomischenDenkens die Textilindustrie dar; ihr emporzuhelfen waren diedeutschen Potentaten, soweit sie nicht ganz versumpft waren, imInteresse des eigenen Geldbeutels eifrigst bemüht— durchwegfreilich mit mehr Eifer als Geschick. Welch ausschlaggebende Rollezu Schillers Zeiten die Textilindustrie im gewerblichen Lebenspielte, wird am besten eine preußische Statistik aus dem TodesjahrFriedrichs II.(1786) zeigen. Da wird die Gesamtzahl der impreußischen Staat für die Industrie im Hauptberuf tätigen Per-sonen auf 136 333 angegeben— bei einer Gesamtbevölkerung vonfünfeinhalb Millionen. Von diesen 136 333 entfallen auf dieMetallindustrie bloß 3333; der Bergbau ist gar nicht besonders aufgeführt. Dagegen beschäftigt die Textilindustrie allein insgesamtüber 163 333 Arbeiter unl lieferte jährlich für stark 21 MillionenTaler Waren, über zwei Drittel vom Gesamtwert der industriellenProduktion Preußens. Unter den 163 333 Textilarbeitern ver.arbeiten Seide nur 3333, Baumwolle 7333, Wolle 68 333 und derLöwenanteil von 83 333 entfällt auf die Leincnindustrie, die damalsin Deutschland die führende Industrie war. Daher auch wohl ge-denkt bloß ihrer Schiller im„Spaziergang":„Glänzend umwindet der goldene Lein die tanzende Spindel,Durch die Saiten des GarnS sauset das webende Schiff."In diesem Distichon wird auch vom Spinnen gesprochen. Da-gegen ist in der mitgeteilten Statistik die Spinnerei nicht berück-sichtigt. Das Spinnen war zu Schillers Zeiten noch kein besondererBeruf, sondern wurde allenthalben auf dem Lande, aber auch viel-fach in den Städten von jung und alt, insbesondere aber von denFrauen als häusliche Nebenbeschäftigung getrieben. Im preußischenStaate arbeiteten sogar die Soldaten in den Kasernen währendihrer Mußestunden massenhaft am Spinnrocken. Während fürSchlesien eine Statistik aus Schillers Todesjahr die Zahl der Weberauf 33 333 angibt, wird die Zahl der Spinner und Spinnerinnenin dieser Provinz auf nicht weniger als 633 333 geschätzt. Daserscheint nicht erheblich übertrieben; rechnete man doch in jenenZeiten auf einen Weber mindestens ein Dutzend Spinner, wenner in Tätigkeit gehalten werden sollte. Schiller hat in der„Glocke" das typische Bild der deutschen Häuslichkeit jener Tage ge-zeichnet, wo die Hausfrau in ihren nicht anderweitig beanspruchtenStunden am Spinnrocken sitzt:„Und dreht um die schnurrende Spindel den FadenUnd sammelt im reinlich geglätteten SchreinDie schimmernde Wolle, den schnseigten Lein,Und füget zum Guten den Glanz und den-Schimmer,Und ruhet nimmer."Die Weberei war zwar im Gegensatz zur Spinnerei ein bc-sondcrer Beruf, aber gleich ihr in der großen Mehrzahl der FälleHausarbeit. Die deutsche Textilindustrie vor hundert Jahren warim großen und ganzen Hausindustrie— kapitalistischeHausindustrie; denn die Weber waren meistenteils in völliger Ab-hängigkeit vom Verleger, von Geldlcuten, die das Rohmateriallieferten und die fertige Ware absetzten. Deutsche Schriftstellerder Schillerschen Zeit, z. B. Georg Forster in seinen„Ansichtenvom Niederrhein" und Jung-Stilling in seiner Autobiographie',sprechen oftmals von Fabriken und Fabrikanten. Man darf abernicht den heutigen Wortsinn damit verbinden. Die meisten dieserFabrikanten sind nichts als kapitalistische Verleger. Wenn sie aberetwas anderes sind, dann stellen ihre Betriebe noch lange keineFabriken in der heutigen Bedeutung des Wortes dar, sondernManufakturen. Wenn in solchen Manufakturen nicht nur Woll-kämmer, Schcrer, Färber usw., sondern auch Weber in größererZahl sich vereinigt fanden, so waren sie doch nur an den alten Hand-Webstühlen der Hausindustrie tätig; denn etwas anderes hat es nochJahrzehnte nach Schillers Tode in Deutschland nicht gegeben.Indes allzu zahlreich waren derartige Manufakturen nicht; denneinmal wehrten ihnen lange die Zunftbcstimmungen, die der Zahlder in einem Betriebe zu beschäftigenden Personen enge Grenzensetzten, und die z. B. in Preußen erst 1782, anderswo noch späterfielen. Andererseits waren sich die Kapitalisten selbst nicht darübereinig, ob die Manufaktur profitabler als die Hausindustrie sei.Georg Förster in seinem schon genannten Werk hält das fürsicher und fände es auch wirtschaftlich zweckmäßig, wenn dieSpinnerei zu einer Manufaktur und zu einem Beruf würde. Erschreibt:„Unstreitig würde man es im Spinnen weiterbringen,wenn es durch fabrikmäßige Anstalten, wo die Spinner einerleiLicht, Wärme und Obdach genössen, so vorteilhaft eingrichtet würde,daß eine eigene, arbeitsame Klasse von Menschen sich bloß diesemGewerbe ergeben und davon subsistieren könne..." Aus dem Wort-laut dieses Satzes, der als Forsters ökonomisches non pllis ultradie Manufaktur auch in der Spinnerei hinstellt, geht aufs un-zweideutigste hervor, daß dem weitgereisten Gelehrten, der auch langein England gelebt hatte, noch 1793 nichts von der Erfindung derSpinnmaschine bekannt geworden war, obwohl es im eben genanntenJahre auf englischem Boden bereits 163 mechanische Spinnereiengab. Ja, eine solche Spinnerei, obschon gewiß von kleinenDimensionen, hätte Forster möglicherweise sogar auf deutschemBoden kennen lernen können, wenn er außer dem Aachener Textil-gebiet auch das Wupperthaler besucht hätte: 1783 setzte ein Elber-selber Fabrikant die erste Spinnmaschine mit Wasserkmft in Be-trieb; wahrscheinlich allerdings wird dieser Bevorzugte aus Furchtvor Konkurrenz sein Geschäftsgeheimnis sorgfältig gehütet haben.Von dem nicht einmal in Deutschland überall herumgekommenenSchiller ist billigerweise nicht zu verlangen, wovon der weltkundigeForster nichts gewußt hat. Aber auch über Försters Unbekanntschaftmit den Anfängen der Großindustrie kann man sich füglich nichtwundern. Die ersten englischen Spinnereien befanden sich nichtin den großen Städten, sondern in ländlicher Abgeschiedenheit, woWasserkraft verfügbar war. Und die Fabrikanten werden geringesBedürfnis gehabt haben, ihre Geschäftsgeheimnisse, vor allem auchdie schaudervolle Ausbeutung von Kindern, an die Oeffentlichkeitzu bringen. Bei dem größten englischen Nationalökonomen zuSchillers Zeit, in Adam Smiths„Nationalreichtum", findet sichnicht ein Wort über die in Lancashire begonnene industrielle Re-Volution. Smith spricht überhaupt gar nicht von der Baumwoll-industrie, obwohl sie im Erscheinungsjahr des Originals(1773))bereits höchst bedeutend war. Die deutsche Uebcrsetzung von Garbeerschien gar erst 1794, also zu einer Zeit, wo die wirtschaftlicheUmwälzung bereits große Fortschritte gemacht hatte, wo bereits dieDampfmaschine in den Dienst der Textilindustrie gestellt wurde,wo schon der mechanische Webstuhl erfunden, wenn auch noch nichtverwertbar gemacht war. Auch dies geschah noch vor Schillers Tode:1333. Sogar die Umwälzung des Transportwesens durch denDampf stand bereits vor der Türe, ehe Schiller starb. Im Jahre1832 fuhr ein Dampfschiff auf dem Clyde, und im folgenden Jahreführte Trevethick in London seinen Tampswagen auf Schieneneinem erstaunten Publikum bor. Aber von diesen Dingen, die auchden denkenden Augenzeugen gewiß bloß als Spielereien erschienensind, konnte Schiller natürlich noch weniger etwas bekannt werden,als von den schon bei seinen Lebzeiten zur praktischen Verwertunggediehenen großen Erfindungen der Spinnmaschine, des mechani»schen Webstuhls, der Dampfmaschine.So hat Schiller zwar zur Zeit der industriellen Revolution ge-lebt, ist aber nicht von ihr berührt worden: sie ging außerhalbseines Gesichtskreises vor sich. Er ist bis an sein Ende ein Sohndes Zeitalters der Hausindustrie und der Manufaktur geblieben.Wo er von britischen Verhältnissen spricht, da denkt er an das Eng-land vor der Jndustrierevolution. Dieses England meint er, wenner in seinem Gedicht„An die Freunde" singt:„Wohl von größerm Leben mag es rauschen,Wo vier Welten ihre Schätze wuschen,An der Themse, auf dem Markt der Welt.Tausend Schiffe landen an und gehen; �'Da ist jedes Köstliche zu schen,Und es herrscht der Erde Gott, das Geld."Denn sonst wäre die Schlußstrophe unbegreiflich, wo eS heißt:„Größres mag sich anderswo begeben,Als bei uns in unserm kleinen Leben;Neues— hat die Sonne nie gesehn."Diese Ben Akiba-Weishcit hätte er gewiß nicht geäußert, wenner von her gewaltigen Revolution gewußt hätte, die eben in Eng»land gerade Neues schuf, was die Sonne noch nie gesehen. Unsäglichkomisch aber ist es, wenn man gar heute den Sozialismus mitSchillerschen Aussprüchen aus dem Felde schlagen will; denn dergroße Dichter hat die ökonomischen Voraussetzungen unseres politi»schen Denkens nie gekannt. A. ConradtzDas Ange des Gesetzes.Der Begeisterungssturm, den in der bürgerlichen Welt dieSchiller-Feier entfesselt haben soll, hat uns folgenden Brief auf denRedaktionstisch geschleudert:Mein lieber Freund und KollegalDie in Deinem letzten Brief ausgesprochene Ansicht, daß die.Beteiligung Staatsbeamter an der Schiller-Feier nicht unbedenklich�sei, entspricht durchaus meiner eigenen Meinung. Schiller mag vomrein künstlerischen Standpunkt aus meinetwegen ein bedeutenderDichter sein, aber er hat, obgleich Universitätsprofessor, ent-schieden desirnktiven Tendenzen gehuldigt. Wenn man SchillersWerke durchgeht, so fällt dem Beobachter, der aus dem Bodendes monarchischen Prinzips steht, höchst unliebsam ins Auge.daß der Dichter die meisten seiner Gestalten, die er als mehr oderininder große Verbrecher darstellt, dem Adel angehören läßt. Erhat selbst davor nicht zurückgeschreckt. Hochgeborne. die auf Thronensaßen, in einer das monarchische Gefühl gefährdenden Weise znzeigen. Alles dies genügt mir, um die Frage, ob die Anwesenheitder Staatsbeamten an der Feier des 9. Mai mit den guten Grund-sätzen, von denen sie Gottlob durchdrungen sind, zu vereinbaren ist.mindestens halb zu verneinen. Ziehe ich noch das Schauspiel„Tell" in Betracht, so komme ich zu einem ganzen Nein!Lieber Freund I Was hat hier Schiller denn getan? Er hat—es wird mir nicht leicht, die Worte hinzuschreiben— das Rechtauf Revolution, ja sogar jenes auf den Mord einerhohen obrigkeitlichen Person, die dem Volk unbequem ist, anerkannt.Ich habe mich speziell mit diesem Schillerschen Werk des öfteren be-schäftigt, weil ich eine längere Abhandlung, die die Notwendigkeiteines Verbotes seiner Aufführung und die Konfiskation der Buch-ausgäbe unwiderleglich beweisen soll, in nicht zu ferner Zeit ver-öffentlichen zu können hoffe. Und darum wird es Dir, lieber Freundund Kollega, vielleicht nicht uninteressant sein, wenn ich einige besonders gravierende Punkte heraushebe. Wie leicht hätte Schillernamentlich der Ermordung des Reichsvogts Geßler einen wenigeraufreizenden Charakter geben können. Er hätte die Szene mit demApfelschuß nur an den Schluß setzen und dahin abändernmüssen, daß Tell seinen Sohn trifft und hierauf aus Ver-zweiflung den Vogt erschießt. Es läge zwar auch dannnoch eine sehr bedenkliche. nach gerichtlicher Aburteilungverlangende Tat vor, aber in Erwägung, daß Tell vom Reichsvogtschwer gereizt worden ivar und sich im Moment der Ausführungseines Verbrechens durch die vorhergegangene vom ReichSvogtindirekt veranlaßte Tötung seines Sohnes in höchster Erregungbefand, wäre gar nur ein Totschlag, dem sogar mildernde Umständezuzubilligen wären, in Betracht gekommen. Aber Schiller wollte garkeinen Totschlag, sondern die ruhig und wohlüberlegt�Ermordung des Vogts. Die Beobachtung Tells ergibt, daß er1. dem Vogt auflauert, 2. sich einen besonders bequemen Platz,zum Schießen aussucht, 3. daß er die Bogensehne anflehtheute ja ihre Schuldigkeit zu tun, und 4. den Vogt aus der Ferneauffordert, seine Rechnung mit dem Himmel zu machen. In Er-wägung, daß hiernnt die Ueberlegung, mit der Tell denhöchsten Beamten der Schweiz tötet, erwtesen tst, kann kein Zweifelsei», daß hier alle Merkmale des Mordes vorliegen. Trotzdem