Einzelbild herunterladen
 

Nr. IIS. Bbonnemenf S'Bedingimgcn; StonnementS- Preis trämmicranda I Bierteljährl. SLV Mr., monatl. l,l0«r., wöchentlich SS Pfg. frei ins Haus. einzelne Nummer S Pfg. Konntags. nummer mit illustrierter Sonntags- Beilage.Die Neue ffltU" 10 Pfg. Poft- Abonnement: 1,10 Mark pro Monat Eingetragen in die Post-ZeitUngS- Preisliste. Unter Kreuzband für Deutfchland und Oesterreich- Ungarn » Marl , für da» übrige Ausland 8 Marl pro Monat ST. Jahrg. VI« lnserttoin-Gedahs «eirligl für die fechSgefpaltene Kolonel- zeile oder deren Raum 4V Pfg., für politifche und gewerlfchafNiche vereint- und BerfammlungS-Anzeigen SS Pfg. Aleine Snieigin", daS erst« llett- gedruckte) Wort 10 Pfg., fede« wettere Wort S Pfg. Wort« übet 16 Buchstaben zählen für zwet Worte. Inserate für die nächste Nummer müssen bis 6 Uhr nachmittag» in der Expeditton abgegeben werden. Die Expedttton ist an Wochen- tagen bi» 7 Uhr abend», an Bonn - und gesttagen bt» S Uhr vormittags geöffnet. «lichtll» täglich auß«r Olsniagi. Devlinev VolktsblÄkk» »elegramm- Adresse! S»t)t1«(n*1int Benin", Zcntralorgan der fozialdcmokratl fchen parte» Deutschlands . RedakHont 8 Cd. 68. Lindcnetraeec 69. Fernsprecher: Anrt IV, Nr. 1983. Expedition: 8Ö3. 68, Lindenstrasec 69. Fernsprecher! Amt IV, Nr. 1984. Kalajew. Petersburg » 13. Mai. (Meldung der Petersburger Telegraphen-Agenwr.) Der Senat hat daS Kaffationsgesuch Kalajews verworfen und das Todesurteil bestätigt. DieTribüne Russe" veröffentlicht den Brief, den Kalajew, der Richter des Großfürsten Sergius, nach seiner Verurteilung an seine Genossen richtete. Seine Gesinnung erfüllt sicher an diesem Sonn» tag, dem Tage der russischen Maifeier, alle Revolutionäre Rußlands . Teure, unvergeßliche Freunde I Ich habe alles getan Ihr wißt es, um am Tage des 4./17. Februar mein Ziel zu erreichen. Ich bin glücklich im Bewußtsein, meine Pflicht erfüllt zu haben. Ihr wißt, welches meine politischen Ucberzcugungen und die Stärke meiner Gefühle sind: Keiner soll meinen Tod beweinen. Ich habe mich ganz dem Kampf um die Befreiung der arbeitenden Klasse gewidmet ich billigte dem Zarismus keine Konzession zu. Den Bestrebungen meines ganzen Leben» immer treu, war ich der hohen Aufgabe, vor die mich der Protest der ganzen Nation gegen die verhaßte Tyrannei stellte, würdig. Mein Tod soll das durch die reine Idee begeisterte Werk krönen. Ein unermeßlich großer Triumph für den Sozialismus wird es sein, wenn der weite Horizont sich dem russischen Volke und den anderen Nationen, die alle daS Joch des Zarismus fühlen, öffnen wird. Von ganzem Herzen bin ich mit Euch. Ihr wäret meine Stützen in schweren Augenblicken mit Euch teilte ich Freude und Leid. Wenn einst, am Gipfel des Triumphes des freien Rußlands , Ihr Euch an mich erinnert, soll meine revolutionäre Handlung Euch als Ausdruck meiner leidenschaftlichen Liebe zum Volke und meiner stolzen Bewunderung für Euch er» scheinen. Nehmt mein Werk als Tribut meiner tiefen Zuneigung für unsere Partei an, denn sie setzt würdig denVolkswillen" fort.(Die alte Partei der«Narodnaja Wolja ".) Mein ganzes Leben scheint mir jetzt wie ein Traum. ES scheint mir, daß alles, was mir geschehen ist, in Borahnung in mir schon seit den Kinderjahren lebte, heimlich in meiner Seele reiste und plötzlich in einer Flamme von Haß und Rache ausbrach. Ich möchte Euch alle ein letztes Mal bei Namen rufen, meine teuren Freunde. Mein letzter Atemzug ist ein Abschiedsgruß an Euch und eine unerschrockene Aufforderung zum Kampfe für die Befteiung. Ich umarme Euch alle S. Kalajew. *»* Inzwischen ist da? Blutzeugnis des Helden und Märtyrers für dle Freiheit besiegelt worden: Am Vorabend des 1. Mai der russischen Revolution haben russische Richter beschlossen, daß die gerechte Hin richtung eines Verbrechers, wie des Großfürsten Sergius, ein Mord sei, der am Galgen zu büßen sei. Kalajew ist nunmehr rechtÄräftig verurteilt. Vom Galgen aber grüßt die Freiheit... Der.Revolutionnaja Rossja' entnehmen wir einige biographische Einzelheiten über Kalajew: Die Kindheit KalajewS wurde von zweierlei Erinnerungen be leuchtet: von Familientraditionen, die von den Großvätern zu den Vätern und von diesen zu den Kindern übergingen. DaS Volk hat ja auch eigene Traditionen, die vielleicht sogar fester und stärker sind als die Ueberlieferungen derer, die sich mit ihren Familienwappen oder genealogischen Tabellen brüsten. Sein Vater stammt von Bauern au» dem Kreise RiaschSk. Er war früher Knecht bei einer Gutsbesitzerin, nachher wurde er Unteroffizier Im Kiewer Regiment und in letzter Zeit diente er als Polizeirevieraufseher in Warschau . In seine Familie hat er die Erinnerung der alten unreformierten Ordnung, einen eingewurzelten Haß gegen daS schon geschwundene LeibeigenschastSrecht und die bäuerliche Ehrlichkeit, die sogar während seines Polizeidienstes andauerte, eingebracht. Die Festigkeit seines Charakters, das fein entwickelte Pflicht» bewußtsein und die fast grenzenlose Standhaftigkeit schuldet Kalajew seinem Vater, dem Vater, der auch in der Poltzetuniform seine menschliche Seele zu bewahren verstand. Von der Mutter, die aus einer verarmten polnischen adeligen Familie stammt, hat er andere Eigenschaften übernommen: den für Eindrücke empfänglichen Charakter, künstlerische Anlagen und die für ihn charakteristische, alles vergebende, reine und zarte Liebe zum Volke. Sein Geburtsort ist Warschau , jene Stadt, die mit ungeheueren Strömen von Tränen übergössen und mit einem ganzen Ozean von Volksblut überschwemmt ist. Jeder Stein in der Straße erinnerte ihn an verzweifelte Tapferkeit und jedes Haus hatte seine unvergeß. lichen Erinnerungen. Der Sohn eines durch einen Kauftontrakt verhandelten Vaters und einer Mutter, die die Leiden des polnischen Volkes nicht vergessen hatte, mußte Revolutionär werden. Und dem revolutionären Sozialismus blieb er treu während seines ganzen Lebens und ihn begrüßte er, nachdem er zum Tobe verurteilt worden war. Kalajew ist am 24. Juni 1377 in Warschau geboren und im Jahre 1388 bezog er eine Ironie des Schicksals das erste Warschauer..wohlgesinnte" undmusterhafte" Gymnasium. Aber er ergab sich nicht dem Einflüsse dortigerPädagogen". Die asiatischen Ideen der Orthodoxie, Selbstherrschast und des PatriarchalismuS haben feine reichbegabte Natur nicht erstickt und das Glockenspiel des byzantinisch-russischen Domes erweckte in ihm nur Haß gegen die tatarisch-byzantinische Selbstherrschast. Aber mit welchem Interesse verfolgte er, arm und hungrig zu Hause, und gequält im Gymnasium, die russische und polnische Literatur, mit welcher Freude las er die Literatur der polnischen sozialistischen Partei, die ihm zufällig in die Hände geriet. Im Jahre 1897 hat er das Gymnasium mit erstarktem Haß gegen die Selbstherrschaft verlassen. Im Jahre 1897/98 hörte er Vorlesungen in der historisch-philologischen Fakultät der Moskauer Universität. Damals begann er zu schreiben und wurde Mitarbeiter russischer und polnischer Zeitschriften. An die revolutionäre Be» wegung schloß er sich noch nicht unmittelbar an. Im Herbst 1898 hörte er Jura in der Petersburger Universität und den ganzen Winter hat er sich wieder nur mit der Wissenschaft beschäftigt. Im Frühling 1899 brachen die großen Studentenunruhen aus, und Kalajew hat an ihnen lebendig und bedeutsam teilgenommen. Er schrieb und druckte Proklamationen, agitierte in der Universität, hielt Reden und endlich trat er als Mitglied in dasOrganisations- komitee" ein. Hier wurde er verhaftet, ins Gefängnis gesetzt und nach drei Monaten auf zwei Jahre nach Jekaterinoslaw unter polizeiliche Aufsicht verschickt. Hier hat er sich an das Komitee der Sozialdemokratischen Partei angeschlossen. Nachdem er seine Strafe abgebüßt und kurze Zeit in Warschau geweilt, ging er nach dem Ausland. Im Januar 1992 kam er nach Lemberg . Er wollte eistig studieren und lernen und ließ sich wieder an der Universität imma- trikuliercn, wo er meistens Vorlesungen von der Geschichte und Philosophie hörte. Das Leben war ihm wie immer sehr schwer und er mußte sich von seiner Hände Arbeit nähren: er übersetzte aus dem Russischen inS Polnische oder umgekehrt, schrieb Korrespondenzen, gab Stunden. Dies rettete ihn vor der Not und gab ihm die Möglichkeit, seine jäh unterbrochenen Studien fortzusetzen. Von Lemberg reiste er nach Berlin , aber unterwegs, in der Grenzstadt Myslowitz , wurde er Juli 1902 von den preußischen Behörden verhaftet. Man fand bei ihm einige Broschüren und Nummern derJskra", und das genügte, daß man ihn nach drei Wochen Haft der russischen Regierung ausliefert«, die ihn ins Warschauer Gefängnis warf. Ueber diese völkerrechtswidrige AuS lieferung in der Form einer Ausweisung ist im deutschen Reichstage vielfach gesprochen worden. Diese Haft war der Wendepunkt seines LebenS. Während er bisher der antiterroristischen Sozialdemokratie zuneigte, wurde er von nun an Terrorist. Die Ueberlieferungen derNarodnaja Wolja " wurden seine Religion. Noch im Sommer desselben Jahres wurde er freigelassen und bis zur Urteilsfällung nach Jaroslaw verschickt. wo er sich mit literarischen Arbeiten beschäftigte und nun erst in Verkehr mit Sozialisten-Revolutionären trat. Wie seltsam es auch klingen mag, aber Gras Bülo« trägt, wie diese biographische Darstellung beweist, in gewissem Betracht Schuld an der Ermordung de« Großfürsten Sergius. In der Tat. weil seine Politik in bezug auf Rußland nur darin besteht, daß er die Unterstützung des russischen Absolutismus und die Sicherung der ganzen Zarenfamilie übernommvio hat und zu diesem Zweck die russischenAnarchisten" verjagt, so mußte er auch den gefährlichen Kalajew, bloß weil er einigeunlegale" Broschüren bei sich hatte. verhaften lassen. Auf diese Weise hat der deutsche Reichskanzler den wissenschaftlich arbeitenden Sozialdemokraten in die Arme der terro- ristischen Gruppe getrieben. Die widerwärtige Episode der Schnorrer und Verschwörer, die Hetze gegen die Mandelstamm und Silberfarb hat so unerwartet einen tragischen erschütternden Abschluß gefunden. Graf Bülow selbst zwang demSchnorrer und Verschwörer" die Waffe in die Hand. Am Mittwoch, den 2. Februar dieses Jahre», so schreibt daS erwähnt« revolutionäre Organ noch, fand ein Ereignis statt, daS am deutlichsten die rührende Zartheit und angeborene Erhaben hett der Gesinnung deS Manne» dartut, den man alz Mörder ver- urteilt hat. Ihm wurde bekannt, daß an diesem Tage abends der Großfürst Sergius nach der kaiserlichen Oper gehe. Mit der Bombe in der Hand wartete Kalajew auf den Großfürsten. Als die Equipage des Großfürsten erschien, hob er die Hand, um die Bombe zu werfen, um sie aber sofort sinken x<u lassen: in dem Wagen sahen außer dem Großfürsten noch die Großfürstin Elisabeth und die Kinder des Großfürsten Paul. Er verschob den Plan auf eine Zeit, wo er allein den Schuldigen treffen konnte. politifcbe Uebcrftcbt. Berlin , den 13. Mai. Parade-Kritik. ES wurde gestern eine Parade-Kritik des Kaiser « auS Straßburg mitgeteilt, die in der übermittelten Fassung allzu seltsam erschien. Heute ist dieNordd. Allgem. Ztg."zu der Erklärung ermächtigt. daß in den fraglichen Mitteilungen die Worte Seiner Maiestat teuS tendenziös entstellt, teils vollständig erfunden sind". Nun ist es ganz gewiß nicht erfreulich, daß gar auch Parade- Kritiken zu den mannigfachen sonstigen Ansprachen deS Kaisers die Oeffentlichkeit belasten solle». Nachdem es aber geschehm, hätte das RcgienlngSorgan besser getan, mitzuteilen, was der Kaiser wirklich gesagt hat. da die angeblichen Aeußerungen im Inlands und Auslände auffällig sind._ Zugleich bringt die..Straßburger Post"«ine ausführlichere Wiedergabe jener Parade-Kritik, in welcher die schroffen Wendungen gegen russische Lotterwirtschaft und gelbe Gefahr teil« gemildert, teils beseitigt sind, welche gleichwohl Aeußerungen enthält, auf die sich einige' Beinerkuiigen mcht wohl umgehen lassen. Nach der Str. Post" sagte ver oberste Kriegsherr in seiner längeren Parade-Kritik: vootvar licygui geyarren unorapsergeram Mein Sohn hat mir erzahlt, wie die russischen Offiziere sämtliil Kiautschou aufgekauft haben. Der Feldsoldat muß sich karges Leben gewöhnen und darf nicht an sol l"' die Die jungen Leute müssen mehr herangekriegt werden. Sic müssen tüchtig den Tag über arbeiten, dannt sie abends ordentlich ermüdet sind und keinen erschlaffenden Ver- gnügungen nachgehen können. Das Offizierkorps ist der Kern des Heeres; eS muß immer frisch erhalten bleiben, sonst leidet daS Heer. Dafür bietet der jetzige Krieg wieder Bei- spiele genug. DaS japanische Offizierkorps ist äußerst tüchtig und hat sich wie auch der japanische Soldat voll bewährt. Das russische Offizierkorps dagegen hat vollständig versagt, während der "oldat sichgut gehalten undtapfergekämpft hat. mrerzählt, wiedie russischenOffizierefämtlichenSettiii sich an ein solche Dinge denken. Ueber T a k"t i k im Felde ist zu sagen, daß die Lehre» deS Burcnkrirges sich in diesem Kriege bestätigt haben. Man darf dem Feinde sich nicht als Ziel bieten, und bei Verteidigung und Angriff darf man nicht erst auf Pioniere waren, sondern muß selbst mit dem Spaten arbeiten können. Die Ruffen haben aus- gezeichnete Verteidigungswerke hergestellt, wie sie kaum im Frieden besser hergestellt werden können. Die von den Aeltesten bei uns fast vergessenen Verteidigungsmittel wie Wolfsgruben und derart sind wieder zu Ehren gekommen. Von allen das wichttgste ist Draht, dessen ausgiebige Anwendung durch die Russen den Japanern viel Verluste beigebracht hat. Für die Oberleitung haben sich alte, viel- fach nicht beachtete Lehren wieder verstärkt, vor allem darf der Oberleiter bei diesen ausgedehnten Schlachtfeldern nicht in die Front gehen; dort hat er nur die Ueberstcht über das ihm nächst gelegene Gebiet, verliert aber den Ueberblick und Leitung des Ganzen vollständig. In der Schlacht bei Mulden hat der russische Oberfeldherr, General K n r 0 p a t k i n den Fehler gemacht, an die Front zu gehen. Der japanische Höchstkommandierende, Marschall O y a m a blieb weit hinter der Front und lenkte von dort aus den gewaltig ausgedehnten Kampf; er empfing tele- graphisch Meldungen und gab telegraphisch Befehle; er saß ruhig da wie ein Schachspieler, der Zug für Zug sofort ausführen kann. Letztere» war dem General Kuropatkin vollkommen versagt infolge des Mangels eines guten Standortes. Zu dem, was der Kaiser über die Fehler KuropatkinS und die Strategie Oyamas gesagt haben soll, dazu bedarf es keiner außer- ordentlichen militärischen Urteilskrast, daS sind im Grunde Selbst- Verständlichkeiten. Wenn Kuropatkin tatsächlich den ihn vom Kaiser »»geschriebenen Fehler beging, so ist eS mit seiner Feldherrnkunst freilich noch unendlich schlimmer bestellt, als die ihm ungünsttgsten Krittker bisher meinten. Mcht uninteresiant ist dagegen, daß der Kaiser ausdrücklich erklärt, eS hätten sich die Lehren deS Burenkriege » in den Fragen der Feldtaktik auch im nlsfisch-japanischen Kriege be­stätigt. Es scheint danach, daß Anschaunngen, die von sozial- demokratischer Seite seit sehr langen Jahren ver- treten worden sind, sich nun auch unseren maßgebenden Militärs so wuchtig aufdrängen, daß die stuhere spötttsche Abweisung sich in Zustimmung verwandeln muß. Freilich ist eS dann doppelt be- oauerlich, daß die Lehren der letzten Kriege noch immer nicht die nöttge Nacheiferung in der deutsche» Armee herbeiführen. Die geringen Aenderunaen, welche vor emigen Monaten durch kaiserliche Order in der Feldoienstordnung getroffen sind, können keineswegs als genügend verständige Berücksichtigung der Lehren au« jenen Kriegen angesehen werden. Wenn der Kaiser von den Ursachen der russischen Niederlagen spricht, so scheint er dabei völlig übersehen zu haben, daß das Festhalten der russischen Armee an den alten ge- schlossenen Formen deS Feldkampfes als eine der wesentlichsten an- zusehen ist. Ja, auch die Japaner dürften ihre Verluste erheblich vermindert haben, wenn sie nicht gleichfalls noch allzusehr die ge- schlossenen Gefechtsformattonen betbehalten hätten. Aeußerst auffällig bleiben die Aenßerwngrn deS Kaiser« über die russische Armee. Während in jener ersten Faffung der kaiserlichen Parade-Krittk da» schroffe Wort stand,daS rnsslsche Heer sei durch Unsittlichkeit und Alkoholgenuß entnervt", soll nun der Kaiser tatsächlich gesagt haben, daS rus fische Offizier- korpS habe vollständig versagt, während derSolvat sich gutgehalten und tapfer gekämpft hat: der Hinweis auf Unsittlichkeit und Alkoholgenuß scheint nur da« Offizierkorps getroffen zu haben. Die russischen Offiziere sollen sogar in Kiautschou allen Sekt aufgekauft haben, was, wte eS scheint, von den deutschen Marineoffizieren sehr nnanaenehm empfunden worden ist. Wenn das alles richtig ist, so erhebt damit der deutsche Kaiser die denkbar schärfste Kritik gegen die herrschenden Klassen des russischen Reiches. Wenn diese Klassen, auS denen das Oiftzierkorps hervorgeht, derartig verderbt find, ivenn sie die Schuldigen sind, daß Rußland im Kriege zusanimenbricht, wenn das Reich durch die Korruptton und Unfähigkeit seiner regierenden Schichten den schmäh- lichsten Niederlagen verfällt, so ist der Schluß nicht zurückzuweisen, daß das russische Volk, ans dem die Soldaten hervorgeben, die sich gut gehalten und tapfer gekämpft haben, daß dieses Volk sich endlich ver verderblichen Herrschaft jener Klassen erwehrt. Wenn der Kaiser das gesagt hat, was man aus Sttaßbnrg übermittelt, so ist das nicht mir eine Einmischung in ausländische Verhältnisse, wie sie Graf Bülow der Sozialdemokratie al« polifisch« Verfehlung zurechnet, sondern eine, natürlich ungewollte, moralische Rechtserttgung der russischen Revolutton. Für die deutsche Armee ist das Wort des Kaiser « sehr be- deutsam, daß die jungen Leute mehr herangekriegt werden müssen, daß sie den Tag Über tüchtig arbeiten müssen, um abend» ernnidet zu sein und keinen erschlaffenden Vergnügungen nachgehen zu können. Insofern diese Mitteilung die wirkliche Ansicht des Kaisers wieder- ibt, so ist dagegen die allerentschtedenste Zerwahrung einzulegen. AuS der Verderbnis des russischen Offizierskorps können unmöglich Mensterschwerungen für deutsche Soldaten gefolgert und anbefohlen werden. Auch würde diese Ansicht des Kaiser » auf gründlicher Berkennung der menschlichen Nawr beruhen. Gerade die ubermäßige Strapazterung der Soldaten erzeugt die Neigung, die Mußestunden in niedrigen Exzessen zu verbringen, ivährend vernünftige Schonung der Kräfte die jungen Soldaten befähig», die freie Zeit zu besieren Genüssen, zu geistiger und sittsamer EntWickelung und Kräftigung auf« Zuwenden. Sollte die Anschauung wirklich bestehen, daß die Söhne >eS deutschen Volkes im Militärrock noch mehrherangekriegt" werden sollen als bisher schon, so würde nur Verbitterung hervorgerufen und di» Freudigkeit de» Dienstes vollends herabgedrückt werden.