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Nr. 118. 22. Jahrgang. 2. Sfilajt Ks Jmiirts" letliiut �olblilstl Sonntag, 21. Mai IM. Aus der frmrzüsischen Partei. Paris , 17. Mai. (Eig. Ber.) Die Schwierigkeiten der Ueber- gangszeit der neu geeinigten Partei, das war von vornherein jeder- mann klar, entsprangen vor allem aus der Stellung der Mehrheit ber ehemals Jauresistischen Kammer fraktion. Diese Ele- mente hatten zunächst versucht, den Einigu.igsparteitag unmöglich zu machen auf dem Wege eines entgegen dem Nationalrat ihrer eigenen Partei gefaxten Beschlusses zugunsten der Fortsetzung der Bloc-Taktik. Auf dem Jauresistischen Kongreß von Rouen hatten sie dann starke Vorbehalte gegenüber der Einigkeit gemacht, um schließlich bei der Abstimmung sich in der überwiegenden Einigkeits- Mehrheit des Kongresses zu ver st ecken. Und dem Einigungs- Parteitag von Paris waren sie endlich schmollend ferngeblieben. Dieses Versteckenspiel setzten sie noch eine Weile fort, trotzdem auf dem Parteitag bei der statutenmäßigen Zusammensetzung der geeinigten Kammerfraktion auch ihre Namen in die neue Fraktions- liste mit aufgenommen worden war, und zwar auf die Erklärung der betreffenden Föderationen hin. Erst jetzt, wo es zur effektiven Verschmelzung der beiden Fraktionen kommt, machen sie dem Ver- steckenspiel ein Ende. Erst jetzt folgen sie dem Beispiel ihrer ent- schlosseneren Gesinnungsgenossen, der Deputierten D e v i l l e, N o r m a n d und Z e v a e s, die ihrerseits rechtzeitig namens des Blocs der sozialistischen Partei den Rücken gekehrt haben. Warum erst jetzt? und warum jetzt? Der Hinweis auf die allzu menschliche Neigung, einen schwerwiegenden Entschluß möglichst lange hinauszuschieben, mag allenfalls die erstere Frage beant- Worten. Warum aber der Bruch mit der geeinigten Partei gerade in diesem Augenblick erfolgt, dafür gibt es eine andere, mit Händen zu greifende Erklärung. Diese Erklärung wird mit dankenswerter Offenheit vom Deputierten Gerault-Richard selbst an- geführt, der den Reigen der Demissionierenden eröffnet hat. Im LLgliedrigen permanenten Verwaltungsausschuß der ge- einigten Partei sitzt auch Gustave Herbe, ehemals links- stehendes Mitglied der P. S. F.(Jauresisten) und seit dem Bordeaux - Kongreß von 1903 autonomer Führer der autonom gewordenen Ionne-Föderation. Seine Spezialtätigkeit ist von jeher der Kampf gegen den Militarismus und den Patriotismus. Er wurde deswegen unter Waldeck-Rousseau-Millerand als Gymnasial- lehrer gemaßregelt, worauf ihm vom Höheren Unterrichtsrat das Lehrrecht vollständig entzogen wurde. Ferner hatte er wegen seines antimilitaristischen Gelegcnheitsblattes für die Rekruten vor den Geschworenen mehrere Prozesse durchgemacht, die mit einem F r e i s p r u ch endeten. Seine Auffassung des Patriotismus, das muß gesagt sein, ist nicht die in der internationalen Sozial- demokratie allgemein geltende. Sie ist vielmehr grobkörnig und einfältiga n t i patriotisch". Er faßt den Internationalismus als die Verneinung der Nationalität auf. So hat er der öffentlichen Versammlung, die im Anschluß an den Einigungsparteitag statt- fand, seinenantipatriotischen Internationalismus" dempatrio- tischen Internationalismus" der sonstigen Sozialisten entgegen- gestellt, darunter namentlich auch demjenigen der deutschen Sozial- demokratie mit Bebel an der Spitze. Er kritisierte die bekannten Aeußerungen Bebels im Reichstag über die Landesverteidigung im Kriegsfalle und meinte, daß die französischen Sozialisten im Kriegsfalle die Pflicht hätten, wer auch der Angreifer sein sollte, den M o b i l i s a t i o n s- befehl mit einem General st reik der Res er- visten zu beantworten. Diese Aeußerungen seiner Ver- sammlungsrede hält Herbe in der letzten Nummer der revolutionär- gewerkschaftlichenAvant- Garde" ausdrücklich aufrecht und fügt hinzu:In der Donne sind wir fest entschlossen, aus einen Mobilisationsbefehl erstens mit dem Generalstreik der Reservisten und zweitens mit dem Aufstand zu antworten." Der neue Fall Herve wurde gleich tn der Wiedereröffnungs- Sitzung der Kammer vom Nationalisten L a s i e s zu einer patrio- tischen Rettungsaktion ausgenutzt. Dabei erklärte Ed. V a i l l a n t, ein ganz anders berufener Wortführer der Partei als Herve, daß der Generalstreik und der Aufstand nur dann proklamiert werden würde, wenn Frankreich in den gegenwärtigen russisch - japanischen Krieg sich verwickeln lassen sollte. Der Unter- schied zwischen Vaillant und Herve springt in die Augen. Und jeden- falls konnten nur die sozialistenfeindlichen Parteien in ihrer üblichen Hetztaftik für die persönlichen Ansichten Hcrves die ganze Partei haftbar zu machen suchen. Es geschieht aber nun, daß Gerault-Richard , der als Chefredakteur derPetite Republique" einen gewissen Einfluß besitzt, in die gleiche Kerbe mit den sozialistenfresserischcn Zeitungen haut! In seinem Demissionsschreiben beruft er sich ausdrücklich auf die antipatriotischen Theorien" von Herve als den Grund seiner Demission. Unnütz zu sagen, daß dieser Grund in Wirklichkeit ein V o r w a n d ist. Der Fall Herve erleichtert bloß den Bloc- Sozialisten den herzinniglich gewünschten Bruch mit der sozialistischen Partei. Sie glauben nunmehr einen günstigen Boden zum Bruch gefunden zu haben und ergreifen die Gelegenheit beim Schopf. Neben Gerauft Richard spielt den Fall Herve offen aus noch der Pariser Abgeordnete ClovisHugues, der übrigens schon früher außerhalb der Jauresistischen Fraktion gestellt wurde, da er keiner Parteiorganisation angehörte. Er war mit fünf anderensozialisti- scheu" Deputierten ohnehin fraktionslos. Weitere Demisfionsschreiben sind bisher eingegangen von den Lyoner Abgg. Augagneur und C o l l i a r d, die zugleich aus ihrer Förderation austreten, ihr Mandat aber beibehalten(natür- lichl), und vom Pariser Abg. P aschal Grousset. Diese drei sprechen vom Fall Herve nicht, sie berufen sich auf ihren alleinselig- machenden Reformismus und Bloc- Sozialismus sowie selbst- redend auf den famosen Vertrag mit der Wählermasse. Abg. Augagneur hatte schon in Rouen die prinzipielle Grund- läge der Einigkeit bekämpft im Namen der altbewährten Taktik der P. S. F. Damals aber fand er es noch nicht angezeigt, die Konsequenzen zu ziehen, die er jetzt in der durch die Aufbauschung des Falles Herve geschaffenen Situation zu ziehen für vorteilhaft erachtet. Eine weitere Anzahl reformistischer Abgeordneter hat ihre Ent- scheidung bis?um Kongreß ihrer Föderation hinausgeschoben. Unter diesen befinden sich die Abgg. der Loire , Briand , Auge und Charpentier. Im ganzen stehen bisher außerhalb der geeinigten Fraktion 10 Deputierte. Die Ausgetretenen, die sonst ja für Meinungsfreiheit innerhalb der Partei eintraten, wollen die Meinungsfreiheit von Herve nicht gelten lassen. Was darauf zu sagen ist, sagt ihnen heute I a u r e s in derHumanste". Er bedauert ferner ihren Austritt, weil da- durch das Kräfteverhältnis in der Partei gerade zugunsten der von ben_ Ausgetretenen bekämpften Tendenz verschoben werde. Das Schicksal der Einheitspartei kann den rabiaten Bloc-Politikern egal sein. Denn, wenn für Jaures die Rettung, die Kraft und die Pflicht in der sozialistischen Einigkeit ist", so ist ihnen alles das in der Einigkeit mit den bürgerlichen Demokraten und den aller­meisten in der Beibehaltung des Deputiertenmandats um jeden Preis. d e Paris, 20. Mai. Der Verwaltungsausschub fränzösischenSozialistenparteihat eine Resolutio beschloffen, in der er sich an die Worte Hervüs nicht ge- Kunden erklärt und au die Beschlüsse der internationalen Kongresse in Zürich und Brüssel erinnert, die sich gegen den Gedanken eines militärischen Ausstandes aussprechen. Paris , 20. Mai. Die sozialistischen Deputierten konstitutierten gestern ihre neue Fraktion entsprechend den Forderungen des letzten Parteitages. Gleichzeitig haben die der n e u e n F r a k t i o n nicht beigetretenen Mitglieder beschlossen, die bis- herige Gruppe de rparla in entarische»Linken fort- bestehen zu lassen. Die Berliner Gewerkschaften im Jahre 1904. Der eben herausgegebene Jahresbericht der Berliner GeWerk- schastskommissioii gibt ein Bild erfreulichen Anwachsens der ge- werkschaftlichcn Beivegung in Berlin . Das Gewerkschaftsleben zeigt. auch im verflossenen Jahre einen Fortschritt auf der ganzen Linie, sowohl was die Zunahme von organisierten Arbeitern, als auch die Leistungen der Organisationen anbetrifft. Die Stärke der Organisationen. Der Gelverlschaftskommission sind 70 Verbände angeschlossen, von denen einige niehrcre einzelne BerufSgruppen haben, die im Bericht gesondert angeführt sind, so daß derselbe 33 Einzel- organisationen umfaßt. Diese zählten zusammen ani Schluß des Jahres 1903 130 647 Mitglieder. Im Laufe des Berichtsjahres hat sich die Zahl um 37 545 vermehrt, so daß die der Gewerkschafts- kommission angeschlossenen Organisstionen am Schluß des abgelaufenen Jahres 174192 Mitglieder zählten. Die der Zahl nach stärkste Organisation ist der Metallarbeiter- Verband, der in Berlin 44 875 Mitglieder hat(gegen 35 741 im Jahre 1903). Dann folgt der Holzarbeiter-Berband mit 18 705 <15 014 im Vorjahre), der Verband der Maurer mit 13 292<10 214), der Verband der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter mit 12 507<3120), der Buchdrucker-Verband mit 8068(7401), die Buch- binder mit 5856<4808), die Bauarbeiter mit 4886<4110), die städtischen Arbeiter mit 4412<3920), die Zimmerer mit 4083<3343), die Schneider mit 3800<3000), die Maler mit 2855<1613), die Lithographen und Steindrucker mit 2603<2333), die Zcmentierer mit 2551, die Töpfer mit 2280<1989), die Droschkenkutscher mit 2234<1955), die Schmiede mit 2150<1300), die Brauereihülfsarbeiter mit 1794<1526), die Schuhmacher mit 1760<2014), die Sattler mit 1653 <1140), Fabrik- und Hülfsarbeiter mit 1648<929), die Bäcker mit 1628<726), die Möbclpolierer mit 1524, die Holzbearbeitungsniaschinen- Arbeiter mit 1454<1170), die Maschinisten und Heizer mit 1290 <1144), die Bildhauer mit 1206<988), die Tapezierer mit 1139<1112), die Buchdruckercihülfsarbeiter mit 1078<920), die Wäschearbeiter mit 1056<709), die Schlächter mit 1049<454), die Stukkateure mit 1036 <718), die Straßenbahner mit 1027<1107) Mitgliedern. 46 GeWerk- schaffen haben weniger als 1000 Mitglieder, von 6 Gewerkschaften liegen keine Angaben vor. Wenn man das Verhältnis der Zahl der Organisierten zur Zahl der im Beruf Beschäftigten betrachtet, so gestaltet sich die Reihenfolge der Gewerkschaften wesentlich anders, als wenn man sie nach der Mitgliederzahl allein gruppiert. Es rückt dann ein erheblicher Teil der kleinen, manchmal weit unter 1000 Mit- glicder zählenden Organisationen in die erste Reihe, während die großen Gewerkschaften ungünstigere Verhältniszahlen ausweisen. Vorausgesetzt, daß die Angaben des Berichts über die Gesamt- zahlen der im Beruf Beschäftigten zutreffen es wird nicht gesagt, aus welcher Ouelle diese Angaben geschöpft sind, steht die zweit- kleinste, nämlich die Organisation der Formstecher, an erster Stelle. Sic zählt sämtliche 47 Berufsangehörige zu ihren Mitgliedern, das sind also 100 Prozent Organisierte. Die Schriftgießer sind zu 96 Proz. organisiert, die Glasarbeiter ebenfalls zu 96 Proz., die Lagerhalter zu 91 Proz., die Steinsetzer zu 88 Proz., die Kupferschmiede zu 88 Proz., die Maurer zu 87 Proz., die Mühleuarbeiter zu 86 Proz., die Stukkateure zu 86 Proz., die Lithographen nnd Steindrucker zu 86 Proz., die Buchdrucker zu 85 Proz., die Töpfer zu 84 Proz., die Buchdruckerei-Hülfsarbeiter zu 83 Proz., die Lederarbeiter<Weißgerber ) zu 83 Proz., die Rammer zu 80 Proz., die Glaser zu 79 Proz., die Stercotypeure zu 76 Proz., die Sattler zu 72 Proz., die Zementierer zu 71 Proz., die Stein arbeiter zu 67 Proz., die HolzbearbeitungS-Maschiuenarbeiter zu 66 Proz., die Holzarbeiter zu 65 Proz., die Maschinisten und Heizer zu 65 Proz., die Zimmerer zu 65 Proz., die Bühnenarbeiter zu 63 Proz., die Brauer zu 62 Proz., die Graveure uud Ziseleure zu 60 Proz., die Bildhauer zu 60 Proz., die Handschuhmacher zu 59 Proz., die Lohgerber zu 54 Proz., die Tapezierer zu 51 Proz, die Metallarbeiter zu 50 Proz., die Portefeniller zu 50 Proz., die Marmorarbester zu 48 Proz., die Buch- und Steindruckhülfsarbeiter zu 48 Proz., die Dachdecker zu 46 Proz., die Böttcher zu 42 Proz., die Bauarbeiter zu 40 Proz., die städtischen Arbeiter zu 39 Proz., die Schmiede zu 39 Proz., die Hutmacher zu 36 Proz., die Maler zu 36 Proz., die Vergolder zu 35 Proz., die Porzellanmaler zu 29 Proz., die Droschkenkutscher zu 28 Proz., die Bäcker zu 27 Proz., die Lackierer zu 27 Proz., die Möbelpolierer zu 22 Proz., die Glasschleifer zu 21 Proz., die Gärtner zu 21 Proz., die Dekateure zu 20 Proz,, die Handcls-Hülfsarbeiter zu 17 Proz., die Barbiere zu 16 Proz., die Tabakarbeiter zu 15 Proz., die Schlächter zu 15 Proz., die Hafenarbeiter zu 10 Proz., die Straßenbahner zu 10 Proz., die Bureauangestellten zu 6 Proz., die Schneider zu 6 Proz., die Kürschner zu 5 Proz., die Konditoren zu 5 Proz., die GastwirtSgehülfen zu 4 Proz., die Stickerciarbeiter zu 4 Proz., die Wäschcarbeiter zu 4 Proz., die Musiker zu 2 Proz., die HandlungSgehülfen zu 1 Proz. Gewerkschaftliche Kampfe. 40 Organisationen hatten im Berichtsjahre 230 Streiks und Aussperrungen durchzukämpfen. An denselben waren 33 464 Personen beteiligt. Die gewerkschaftlichen Kämpfe erforderten einen Kosten- aufwand von 2 393 657 M. Der Ausfall an Arbeitsverdienst, den die Streikenden während der Bewegung erlitten, wird auf 7 584 369 M. angegeben. 113 Streiks brachten vollen, 55 teilweise», 51 keinen Erfolg. In einem Falle ist das Resultat unbekannt, 6 Lohnkämpfe waren am Jahresschluß»och nicht beendet. Die Holzarbeiter ver­zeichnen 73 Streiks mit 9005 Beteiligten und einer Ausgabe von 1 048 973 M. Die Metallarbeiter führten 36 Streiks, an denen 9192 Personen beteiligt waren und die eine Ausgabe von 355 134 M. verursachten. Die Bauarbeiter waren an 14 Streiks mit 598 Personen und einer Ausgabe von 2676 M. beteiligt. Die Holzbearbeitungsmaschinen-Arbeiter hatten 12 Streiks mit 233 Beteiligten und einer Ausgabe von 40 414 M. Die Handelshülfsarbeiter führten 10 Streiks, an denen 786 Personen be- teiligt waren, ausgegeben wurden_ 20 669 M. An dem großen Streik der Bäcker waren 4080 Personen beteiligt, die Ausgabe be- trug 15 372 M. Sonst sind von bedeutenderen Kämpfen noch zu nennen: 3 Streiks der Steinsetzer und Rammer mit 3007 Beteiligten und einer Ausgabe von 167 203 M.; 2 Streiks der Möbelpolierer mit 1195 Beteiligten nnd einem Kostenaufwand von 64 496 M.; 3 Streiks der Vergolder mit 670 Beteiligten und 53 899 M. Kosten, 3 Streiks der Buchbinder, an denen 768 Personen beteiligt waren und die eine von Ausgabe 41 342 M. verursachten; ein Streik der Glas- schleifer mit 234 Beteiligten und einer Ausgabe von 29 007 M.; 3 Streiks der Graveure und Ziseleure nnt 123 Beteiligten und 15 516 M. Kosten. Streikvergehen" gehören bekanntlich zu den alltäglichen Erscheinungen bei jeder Lohn- bewegung. Nicht etiva. weil die Streikenden besonders zu Aus- schreitungen und Gesetzesübertretungen geneigt sind, sondern weil die Polizei in jedem Streikposten einen llebeltäter erblickt uud so oft ganz einwandsfreie Handlungen zu Straftaten gestempelt werden. Zu diesem Kapitel liefert auch der Bericht der Gewerlschastskommission eine zahlenmäßige Illustration. Allein die Metallarbeiter wurden aus Anlaß von Streiks mit 543 polizeilichen Strafmandaten und 80 Anklagen aus der Gelverbe-Ordnung und dem Strafgesetzbuch bedacht. Gegen Mitglieder der anderen streikenden Gewerkschaften sind 161 Anklagen erhoben worden. Man kann gewiß nicht sagen, daß preußische Richter besonders nachsichtig gegen angeklagte Streikende sind. Trotzdem konnten sie von den 161 Angeklagten nur 64 verurteilen. Ein Beweis dafür, daß die Anklagebehörde in den meisten Fällen ohne jeden Grund vorgegangen ist. Die Verurtei- lungen erfolgten in 36 Fällen<14 Haft-, 22 Geldstrafen) aus§ 153 der Gewerbeordnung, in 19 Fällen(mir Geldstrafe) aus§ 153 der Gewerbeordnung in Verbindung mit Paragraphen des Strafgesetz- buches und in 9 Fällen(Geldstrafe) aus anderen Ursachen. Finanzielle Leistungen. Sämtliche der Gewerkschastskommission angeschlossene Organi- sationcn hatten im Berichtsjahre eine Einnahme von 4 846 804 M. und eine Ausgabe von 4 699 486 M. Davon entfallen auf Reise- Unterstützung 32001 M., Arbeitslosenunterstlitzung 567 707 M., Kranken- Unterstützung 320 089 M., Sterbegeld 40 285 M., Juvaliden-Unter« stützung 26 363 M.. Rechtsschutz 71 007 M., besondere Unterstützung 993 980 M., an die Hauptkasscn 982 687 M., Verwaltungskosten 453 140 M., andere Ausgaben 1 138 991 M. Welcher Art die anderen Ausgaben" sind, sagt der Bericht nicht, die Höhe derselben, fowohl der Gesamtsumme wie bei den einzelnen Gewerkschaften, läßt vermuten, daß es sich im wesentlichen um die aus den örtlichen Kassen gedeckten Streikunterstützungen handelt. Tarifverträge bestehen zurzeit in 64 Berufen. Sie haben Geltung für ungefähr 75 000 Arbeiter. 27 Verträge sind durch Vcrnnttelung des Einigungsamtes, 26 durch direkte Verhandlungen der Parteien zustande gekommen. 22 Verträge sind im Berichts- jähre abgeschlossen bezw. erneuert, die übrigen bestehen schon länger. Dem paritätische» Arbeitsnachweis sind im Berichtsjahre die Fleischer, Bäcker, Maschiuisicii und Heizer beigetreten, außerdem ge- höreu ihm schon länger an die Maler und Anstreicher, Schlosser, WäschereinigungS- und Plättgcwcrbe, Tapezierer, Wäschefabrikatton, Buchbinder, Stukkateure, Dachdecker, Leitergerüstbauer, Glaser. *** Das G ew erksch afts ka rtcll für Berlin und Umgegend hat gegenwärtig ebenfalls seinen Jahresbericht für 1904 erscheinen lassen. Wir sehen aus demselben, �daß dem Kartell 24 Organi« sationen angeschlossen sind, die am Schluß des Jahres 1903 10 552, am Schluß des Berichtsjahres 11 156 Mitglieder zählten. Es ist demnach eine Zunahme von 604 Mitgliedern zu verzeichnen. An erster Stelle stehen die Maurer mit 2475 Mitgliedern, dann folgen die Zimmerer mit 1723, die Möbelpolierer mit 1300, die Metall- arbeiter mit 995, die Musikinstrumenten-Arbeiter mit 812, die Bau- arbeiter mit 600, die Kürschner mit 564, die Hausdiener mit 456, die Töpfer mit 410, die Tischler mit 360, die Kistenmacher mit 250, die Maler mit 220, die Rohrer mit 200, die Isolierer mit 130, die Fliesenleger mit 110 Mstgliedern usw. Die Einnahmen aller Gewerkschaften betrugen 475 929 M., die Ausgaben 317 501 M. Für Streiks und Sperren haben sie 199 962 M. ausgegeben. Neun Organisationen waren an 29 Streiks und Aussperrungen mit 2392 Personen beteiligt. Die Kassenabrechnung des Kartells gestaltet sich folgendermaßen: Einnahme 26 961,15 M., davon kommen auf Beiträge 1061,20 M., Strcikmarken 10 189 M., Streikgeld 9406 M., sonstige Einnahmen 5304 M. Ausgegeben wurden 26 961 M., davon 22 118 M. für Streikunterstützung an die Krimmitschauer Weber, die Metallarbeiter, Musikinstrumentenarbeiter, Tischler und Kleber. Rechnet man die Mitgliederzahl der dem Kartell sowie der Kommission angeschlossenen Gewerkschaften zusammen, so ergibt sich, daß wir in Berlin ani Schluß des abgelaufenen Jahres 185 348 in den freien Gewerkschaften örgauisicrtc Arbeiter hatten. Wenn man die Maurer beider Richtungen berücksichttgt, so dürften die Angehörigen dieses Berufes falls die im Bericht der Kommission angegebene Gesamtzahl der Beschäftigten stimmt schon bis auf den letzten Mann organisiert sein. Auch die Zimmerer sind unter Zusammenrechnung beider Richtungen zu 94 Proz. organisiert. Wenn die Organisationen im laufenden Jahre in derselben Weise fortschreiten wie im vergangenen Jahre, so wird uns der nächste Jahresbericht der Gewerkschaften die erfreuliche Kunde bringen, daß die Zahl ihrer Mitglieder eine Viertelmillion erreicht hat. Manche Organisationen sind ja dem Ziele, all« Berufsangehörige» in sich zu schließen, sehr nahe. Andere Gewerb schaffen, die gewiß mit schwierigen Verhältnissen zu kämpfen haben find von diesem Ziele noch weit entfernt. Sie alle werden, deß sind Ivir gewiß, ihre Kräfte daran setzen, um auch den letzten Mann sin die Organisation zu gewinnen und so dem Unternehmertum eiv unüberwindliches Heer klassenbewußter Arbeiter entgegenzustellen. Versammlungen. Sechster Wahlkreis. In einer Volksversammlung, die am Dienstag im Swincmünder Gesellschaftshause stattfand, sprach Stadtverordneter Dr. Wehl überFreisinnige Heldentaten im Roten Hause". Ter Vortragende entrollte, oftmals von lebhaften Beifallsäußerungcn unterbrochen, ein treffendes Bild des Volks- feindlichen, reaktionären Verhaltens der Freisinnigen im Stadt- parlmnent. Besonderes Interesse für die Versammelten hatten die Ausführungen Wehls, wie die Bewilligung der 150 000 M. für die Kronprinzenfeicr zustande gekommen ist. Die Stadtvätcr, die den Riut nicht hatten, in öffentlicher Sitzung diese Forderung zu ver- teidigen. haben durch eine Ueberrumpelung eine Debatte in der ge- Heimen Sitzung zu verhindern gewußt. So sei es möglich geworden, daß die Vorlage angenommen wurde, ohne daß ein Wort darüber gesprochen wurde. Selbstverständlich sei es, daß unsere Genoffen im Stadtparlament prinzipielle Gegner derartiger Bewilligungen aus öffentlichen Mitteln seien. Die zahlreich Erschienenen dankten dem Redner am Schluß seines Vortrages durch kräftigen Beifall. Mit einem Hinweis auf die Notwendigkeit einer lebhaften Agitation für die Ziele der Partei durch den Vorsitzenden Bittorff erreichte die Versammlung ihr Ende. Generalversammlung der Arbeiter-Bildungsschnle. Nach An­nahme des Protokolls der letzten Generalversammlung gab der 1. Vorsitzende den Quartalsbcricht. Im verflossenen Bierteljahr gehörten der Schule 586 Herren und 59 Damen als Mitglieder an. Tie Zahl der Teilnehmer an einem Kursus betrug 353, au 2 Kurfen 95, an 3 Kursen 23, an 4 Kursen 6 und an 5 Kursen 6. Der Vorsitzende wies in seinem Bericht auf das Scheiden des früheren Lehrers Dr. R. Steiner von der Schule hin. Dadurch, daß Dr. Steiner ohne Rücksicht auf den beginnenden Unterricht seine für das bevorstehende Quartal angenommene Lehrtätigkeit plötzlich aufgab, sei die Arbeiter-Bildungsschule bei- nahe in Verlegenheit gekommen, wenn nicht Genosse M. Mauren- brecher eingesprungen wäre. Man hätte vom Herrn Dr. Steiner wenigstens erwarten müssen, daß er den einmal übernommenen Unterricht auch zu Ende führte. Nach dem von Königs gegebenen Kassenbericht betrugen im Berichtsvierteljahr die Einnahmen 1671,50 Mark, die Ausgaben 1344,54 M. Am 1. April ist ein Bestand von 2701,14 M. zu verzeichnen. Dem von Riedlinger gegebenen Bibliotheksbcricht zufolge war die um 18 Bcjnde vermehrte Bibliothek an 59 Abenden geöffnet. Ausgeliehen wurden 437 Bände an 20 Damen und 159 Herren. Genosse G r u n w a l d, der den Bericht des Lehrerkollegiums gibt, erklärt, daß die Lehrer mit dem Interesse, das die Hörer ihren Ausführungen entgegenbrachten, zufrieden gewesen seien. In der auf die Berichte folgenden Diskussion wird