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Nr. 202.

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Vorwärts

9. Jahrg.

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Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

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Vorwärts"

Berliner Volksblaft

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Eine Lebensgeschichte von Bertha von Suttner , auf Verlangen gratis nachgeliefert, worauf wir noch besonders aufmerksam machen.

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Die Redaktion und Expedition des

Dienstag, den 30. August 1892.

formation nachstehend noch mittheilen, was unser Pariser Rorrespondent unter'm 26. d. uns schreibt:

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

an

revolutionären Zentralfomitee gehört, in Carmaux ankam' fand er den Bahnhof mit Truppen besetzt, welche die Arbeiter schaft verhindern wollten, dem beliebten Redner eine Ovation zu bereiten. Trotzdem wurde er im Zuge und unter den Klängen der Carmagnole" zum Versammlungslokal begleitet, wo er, kaum dem Bahnzuge entstiegen, in anderthalbstündiger Rede unter stürmischem Beifall der Anwesenden zu un­erschrockenem Widerstand gegen die Attentäter auf das all­gemeine Stimmrecht ermahnte. Der Nationalrath der fran­ zösischen Arbeiterpartei trat gleichfalls energisch für die Arbeiter von Carmaux und ihren Maire ein und erließ ein von den Genossen Lafargue, Guesde und Ferroul unter­zeichnetes Manifeft alle Vertreter der Partei, welches dieselben auffordert, mit allen Mitteln die Genossen von Carmaux in ihrem Kampfe gegen die tapitalistische Unterdrückung zu unterstützen. Unnöthig, zu bemerken, daß die Bourgeoispresse infolge des mann­haften Eintretens der sozialdemokratischen Abgeordneten förmlich vor Wuth schäumt; tagtäglich spuckt sie Gift und Galle gegen Ferroul, Baudin , Basly, Lafargue und die ganze andere " Agitatorenbande". Dem gegenüber verdient der Umstand Beachtung, daß der Abgeordnete des betreffenden Wahlkreises, der nichts weniger als Sozialdemokrat ist, gleichfalls für die Arbeiter von Carmaux Partei ergriffen hat, weil er nach seiner eigenen Aussage die Handlungsweise der Aktionäre als ein Attentat auf das allgemeine Stimmrecht ansieht. Der Aus­gang des Streits läßt sich noch nicht voraussehen. Vorläufig hat der Generalrath der Industriellen erklärt, die Demission des Direttors nicht annehmen und überhaupt in feinem Punkte den Arbeitern gegenüber nachgeben zu wollen.- Dies der Sachverhalt der Kapitalismus pfeift auf

Das Hauptereigniß der letzten Tage ist ohne Zweifel der in Carmaux ausgebrochene Streit. Während der Ausstand der Pariser Droschkenkutscher, der unter besonders ungünstigen Verhältnissen erfolgte, fast unbemerkt vorüberging, erregt der Fall Carmaux in der politischen Welt ungeheures Aufsehen. Es handelt sich aber auch um ein brutales Attentat des französischen Prozenthums auf die staats­bürgerlichen Rechte der Arbeiter. Der Sach­verhalt ist furz folgender: In dem Industrie- Orte Carmaux herrschten bis vor Kurzem die Bergwerks und Fabrikbesitzer, an deren Spitze der Bonapartist Reille steht, unumschränkt, nicht nur in ökonomischer, sondern auch in politischer Be­ziehung; Magistrat und Polizei gehorchten ihren Winte. Das änderte sich am 1. Mai dieses Jahres; bei den Gemeinderaths­wahlen siegte die Liste der Arbeiterkandidaten mit großer Majorität. Unter den neuen Gemeinderäthen befand sich der Monteur Calvignac, der von seinen Genossen alsbald zum Maire von Carmaux ernannt wurde. Seit der Zeit be­gannen die Verfolgungen der über ihre Wahlniederlage wüthenden Kapitalisten. Die Gemeinde- Aemter sind nicht be foldet und deshalb konnte Calvignac seinen Beruf nicht auf geben. Die Verwaltung der Gemeinde- Arbeiten, der er durch­schnittlich zwei Tage wöchentlich widmen mußte, verhinderte ihn jedoch, regelmäßig zur Arbeit zu kommen; obendrein war er noch fränklich. Die Fabrikbesitzer bereiteten ihm alle mög­lichen Unannehmlichkeiten; und als er nun gar bei den letzten Wahlen zum Generalrath ernannt wurde, verlangte man von ihm die fategorische Erklärung, er würde von nun an täglich zur Arbeit fommen, sonst wäre er entlassen. Calvignac ver­langte zwei Tage zur Erfüllung femer Amtspflichten; vergeb- das Gesetz", welches dem Arbeiter die politische Gleich lich, ihm wurde gekündigt. Bu bemerken ist, daß man Calvignac berechtigung gewährleistet und will den Arbeiter gewaltsam während zwanzig Arbeitsjahren, die seiner Wahl vorausgingen, an der Ausübung des höchsten Staatsbürgerrechts hindern. nie die geringste Unregelmäßigkeit vorwerfen konnte. Die Uns in Deutschland klingt das so sehr bekannt. Wir raden in große Aufregung;

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Vorwärts" Berliner Volksblatt. Nachricht von der Gitlaffung Calvignac's verfezte ſeine Kame wissen, daß auch unsere Bourgeoisie das allgemeine Wahl­

Die Feinde der Staats- und

Gesellschafts- Ordnung.

Je mehr der Kapitalismus fich entwickelt, desto rück­fichtsloser tritt er Recht und Menschlichkeit unter die Füße, desto frecher verhöhnt und bricht er jedes Gesetz, das seinen niedrigen Zwecken nicht dient, desto zynischer lehnt er sich auf gegen die öffentliche Ordnung und die Interessen des Gemeinwohls. In allen großen Kulturländern mit voll­entwickelter Bourgeoisie läßt sich dies verfolgen. Nehmen wir nur die jüngsten Vorgänge in Frankreich und den Ver­ einigten Staaten .

recht durch alle möglichen Kniffe und Tücken illusorisch zu

Handlungsweise der Direktoren als einen Schlag gegen machen sucht. In Frankreich ist der Gleichheitsgedanke das allgemeine Stimmrecht auf. Mehrere Arbeiter deputationen begaben sich zum Direktor, um von ihm die jedoch fester gewurzelt als bei uns, und mit Ausnahme der Wiederannahme des Entlassenen zu erlangen; sie wurden ab- unbedingten Handlanger des Kapitalismus ist die gesammte gewiesen. Die Erbitterung nahm zu. Nicht Calvignac foll fort, französische Presse empört über das Attentat von Car­sondern der Direktor", hieß es, und bald war des Letzteren Haus maux."

von Hunderten von Arbeitern umringt; und, obwohl Calvignac

selbst seine Freunde zurückzuhalten suchte, man erzwang sich Wo möglich noch schmachvoller und gemeingefährlicher find Einlaß und verfolgte den Direktor, der fein gutes Gewissen die jüngsten Thaten des amerikanischen Kapitaliss hatte, von Zimmer zu Zimmer, bis er endlich nicht mehr ent- mus. Die Greuel von Homestead sind in frischem Ge schlüpfen konnte und gezwungen wurde, seine Demissions- dächtniß; die Mezeleien von Buffalo und Nashville find forderung zu unterschreiben. Calvignac und die ihm unter­

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stellten Polizeibeamten hatten ihr Möglichstes gethan, um die ihnen rasch gefolgt. Sechs Wochen lang blutiger Bürger­Personen des Direktors und feiner Frau zu schützen. Ohne frieg in vier Staaten der Union das Standrecht ver­Einwilligung des Generalraths der Aftiengesellschaft, hieß es, hängt, Tausende von Soldaten gegen Arbeiter mobil ge­fönnte Calvignac nicht wieder angenommen werden. So brach macht, Hunderte von Bürgern getödtet. Und warum? der Streit aus. Die Regierung hatte nichts Giligeres zu thun, Weil der Kapitalismus, nicht zufrieden mit den kolossalen In Frankreich ist das allgemeine Stimmrecht die als schnell Militär nach Carmaux zu schicken. Aber Profiten der Mac- Kinley- Bill, die Arbeiter noch bis aufs verfassungsmäßige Grundlage des Staatslebens; es ist das auch die sozialdemokratischen Abgeordneten waren bald Mark aussaugen, sie in ihrer Lebenshaltung auf das oberste Gesetz des Landes. am Plaze. Wohlan in der Industrie­Genoffe Ferroul forderte die Arbeiter europäische Niveau" herabdrücken, und die Lohnstlaven auf, auf dem beschritttenen Wege weiter zu gehen ftadt Carmaux rebellirt der Kapitalismus offen gegen das allgemeine Stimmrecht, und verurtheilt die Arbeiter, und in ihrem Widerstande gegen die Kapitalisten, welche auch ihrer politischen Rechte berauben will. Ist es in die Arbeiter durch die Hungerpeitsche zwingen wollten, Frankreich jetzt in erster Linie das allgemeine Stimmrecht, welche es ausüben, zum Hungertode. Wir erwähnten bereits auf ihre staatsbürgerlichen Rechte zu verzichten, nicht zu er- dem die Angriffe des Kapitalismus gelten, so richtet in des unerhörten Standals. Wir wollen zur genaueren In- lahmen. Als der Abgeordnete Baudin , der zum Pariser Amerika , wo die herrschende politische Korruption das

Feuilleton.

Macbrudt verboten.]

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Die Waffen nieder!

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schier unübersteiglich war. Und diese Schranke hatte sich Ausbildung. Nicht, daß ich mich in gründliche Fachstudien durch die drei Jahre meines einsamen Studirens und vertiefte; aber über die Bewegung der Geister erhielt ich Dentens aufgerichtet. Alle diese glänzenden jungen Herren, mich stets auf dem Laufenden, indem ich mir die hervor deren Lebensintereffen in Sport, Spiel, Ballet, Hofklatsch ragendsten neuen Erscheinungen der Weltliteratur anschaffte und, wenn es hoch ging, in Berufsehrgeiz( die meisten und regelmäßig sämmtliche Artikel, auch die wissenschaft­waren Militärs) gipfelten, die hatten von den Dingen, die lichen, der Revue des deux Mondes " und ähnlicher Zeit­ich in meinen Büchern von ferne erschaut und an denen schriften aufmerksam las. Diese Beschäftigung hatte freilich Eine Lebensgeschichte von Bertha von Suttner . mein Geist sich gelabt, auch nicht die entfernteste Idee. zur Folge, daß die vorerwähnte Schranke, welche mein Jene Sprache, von der ich freilich auch nur die Anfangs- Seelenleben von der mich umgebenden Junge- Herren­Alle um mich herum schienen Arnos Existenz vergessen gründe kennen gelernt, von der ich aber wußte, daß in ihr welt abschloß, immer höher wurde aber das war zu haben nur ich nicht. Obwohl die Zeit meinen Schmerz durch die Männer der Wissenschaft die höchsten Fragen be- schon recht so. Gern hätte ich in meinen Salon einige um ihn geheilt hatte sein Bild hatte sie nicht verlöscht. rathen und einft gelöst werden; jene Sprache war ihnen Persönlichkeiten aus der Literaten- und Gelehrtenwelt zu­Man kann aufhören um seine Todten zu trauern die nicht nur spanisch", sondern patagonisch. gezogen, allein dies war in der Mitte, in der ich mich be­Trauer hängt auch nicht vom Willen ab aber vergessen Unter dieser Kategorie junger Leute würde ich wegte, nicht recht thunlich. Bürgerliche Elemente werden soll man sie nicht. Ich betrachtete dieses von meiner Um- mir feinen Gatten wählen das stand fest. Ueberhaupt der österreichischen sogenannten Sozietät" nicht beigemischt. gebung geübte Todtschweigen eines Verstorbenen als eine hatte ich keine Eile, meine Freiheit, die mir so wohl gefiel, Namentlich damals; feither hat sich dieser ausschließliche zweite nachträgliche Tödtung und vermied es, den Armen wieder aufzugeben. Ich wußte meine seinwollenden Freier Geist etwas geändert und es ist Mode geworden, einzelnen auch noch todtzudenken. Ich hatte es mir zur Aufgabe ge- so in Entfernung zu halten, daß keiner einen Antrag wagte Vertretern der Kunst und Wissenschaft seine Salons zu öffnen. macht, täglich zum kleinen Rudolf von seinem Vater zu und daß auch Niemand in der Gesellschaft das kompromit- Bu der Zeit, von der ich spreche, war dies jedoch nicht der sprechen, und in seinem Abendgebet mußte das Kind stets tirende Wort von mir sagen konnte:" Sie läßt sich den Fall; was nicht hoffähig war das heißt, was nicht sech­war von vornherein aus­fagen: Gott, laß mich gut und brav sein, meinem ge- Sof machen." Mein Sohn Rudolf sollte einst auf seine zehn Ahnen aufzuweisen hatte liebten Vater Arno zu Liebe!" Mutter stolz sein dürfen keinen Hauch des Verdachtes geschlossen. Unsere gewohnte Gesellschaft wäre ganz un­Meine Schwestern und ich amüfirten" uns köstlich auf dem blanken Spiegel ihres guten Rufes vorfinden. angenehm überrascht gewesen, bei mir unadelige Leute anzu­ich gewiß nicht minder als fie. Es war ja sozusagen auch Wenn jedoch der Fall einträte, daß mein Herz von Neuem treffen, und hätte nicht den rechten Ton gefunden, mit solchen mein Debut in der Welt. Das erste Mal war ich als in Liebe erglühte es fonnte nur für einen Würdigen zu verkehren. Und diese selber hätten meinen mit Kom­Braut und Neuvermählte eingeführt worden; da hatten fich fein- dann war ich ja geneigt, das Anrecht, welches meine tesseln" und Sportsmen, mit alten Generälen und alten felbstverständlich alle Kurmacher von mir ferngehalten, und Jugend noch auf irdisches Glück besaß, geltend zu machen Stiftsdamen gefüllten Salon schon gar unerträglich lang­was ist des Welt"-Lebens höchster Reiz, wenn nicht die und eine zweite Ehe einzugehen. weilig gefunden. Welchen Antheil konnten Männer von Kurmacher? Aber sonderbar: so sehr es mir behagte, Unterdessen von Liebe und Glück abgesehen war Geist und Wissen, Schriftsteller und Künstler, an den ewig von einer Schaar von Anbetern umgeben zu sein, keiner ich recht guter Dinge. Der Tanz, das Theater, der Puh: gleichen Erörterungen nehmen: bei wem gestern getanzt ob bei von ihnen machte einen tieferen Eindruck auf mich. an alledem fand ich lebhaftes Vergnügen. Dabei vernach- worden und bei wem morgen getanzt wird welche Es lag eine Schranke zwischen ihnen und mir, die lässigte ich weder meinen kleinen Rudolf, noch meine eigene Schwarzenberg, bei Pallavicini oder bei Hof

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