Feststellung des objektiven Bestandes schließt sich die zweite Frage, ob, da der Tatbestand an Dr. Pfleger nicht mitgeteilt war, es för ihn nicht notwendig war, Recherchen anzustellen. Ich beantrage im Falle der Ablehnung der Frage genaue Protokollierung des Vor- gangs. R.-A. Dr. H a I p e r t: Nach meiner Meinung nmß das Kollegium solche Frage zulassen. In dem Artikel sind Miststände in, Gefängnis- Wesen im allgemeinen und in Plötzensee im besonderen erörtert»nd nach der Anklage ist behauptet worden, daß die Mißstände sich in einzelnen Fällen sogar zun, Verschulden der Aerzte verdichtet hätten. Wir müssen doch eine objektive Unterlage für die behaupteten Miß- stände haben, die doch auch, selbst wenn der Beweis mißlänge, für das etwaige Strafmaß von Bedeutung wäre. Wir erstreben doch alle die Aufklärung und man sollte doch nicht jede einzelne Frage zu einer Kabinettsfrage machen. Nach längerer Beratung verkündet der Vorsitzende den Beschluß des Gerichts dahin: Die Frage wird abgelehnt, da sie mit dem Gegenstande der Verhandlung in gar keiner Beziehung steht. Ich habe auch namens des Gerichtshofes die Verteidiger darauf hin- zuweisen, daß, falls sie in der vorliegenden Richtung, entgegen der wiederholt festgestellten Auffassung des Gerichts fortfahren, diesem Gerichtsbeschluise immer von neuem entgegen zu arbeiten, das Ge- richt hierin eine Mißachtung des Gerichts erblicken würde. N.-A. Liebknecht richtet an den Med.-Rat Dr. Koenig als- dann die Frage: Die ärztliche Diagnose wird doch gestützt ans Symptome und die Diagnose wird doch wohl besser und sicherer, je ausgiebiger die Symptome mitgeteilt werden? Wenn Sie eine völlig ausführliche Darstellung der im Untersuchungsarrest beobachteten Symptome bekommen, werden Sie doch gewiß ein klareres Bild für die Diagnose bekommen?— Sachverständiger Dr. Koenig: Gewist.— Auf weiteren Vorhalt erklärt der Sachverständige: Die Möglichkeit, daß die vorliegenden Symptome hätten auffallen müssen, will ich nicht bestreiten. Mir persönlich würde die Tatsache, daß Skläroff sagte:.Ihm habe man das Arbeiten verboten", vielleicht aufgefallen sein: wenn es aber nicht aufgefallen ist. dann kann ich, wie ich wiederhole, nicht den Vorwurf des Kunstfehlers machen. Der Angeklagte H a l i S k i will von Dr. Pfleger Auskunft darüber haben, aus ivelchem Grunde denn bei Skläroff, bevor der Irrsinn bei ihm konstatiert wurde, zweimal schon ins Lazarett ge schickt worden ist. Ist dies aus dem Verdacht der Simulation qe schehen?' Dr. Pfleger bestreitet, daß er den Skläroff jemals für einen Simulanten einer Geisteskrankheit gehalten habe, wohl aber glaubte er, Skläroff siniuliere körperliche Leiden, und deshalb hat er ihn ins Lazarett gebracht und auf vierte Form gesetzt. Angckl. S ch n e i d t: Würde der Sachverständige nicht Ver anlassnng haben, einen Mann, der vier Tage die diagnostische Hauskost der vierten For« durchgemacht hat und trotz des dort erlittenen Hunger« schon nach zwei Tagen wieder zum Lazarett sich meldet, für krank zu halten'' Dr. Pfleger: Ich hatte keine Veranlassung dazu. Angekl. S ch n e i d t: Der Mann meldete sich also aus reinem Uebennut. R.-A. Dr. Liebknecht wünscht zu wissen, ob nach Ansicht des Sachverständigen eine genügende medizinische Beobachtung des Skläroff stattgefunden habe und ob es nicht wünschenswert sei, daß bei der Aufnahme eines Gefangenen eine eingehende ärztliche Untersuchung desselben stattfinde. Medizinalrat Dr. Koenig: Das wäre natürlich Wünschens Ivert, namentlich auch bevor die Einzelhaftsfähigkeit attestiert wird. Ich persönlich würde, sobald auch nur der geringste Verdacht über nur den Geisteszustand des Betreffenden auftaucht, eine Beobachtung für meine Pflicht halten. R.-A. Liebknecht will dem Medizinalrat Pfleger nach seiner psychiatrischen Vorbildung beftagen. Vorsitzender richtet zunächst an Medizinalrat Dr. Koenig die Frage, ob er sich über die Oualifikation des Dr. Pfleger aus- lassen könne.— Medizinalrat Dr. Koenig: Sowohl Dr. Baer als auch Dr. Pfleger haben den jRust tüchtige Psychiater zu sein.— Vors.: Haben Sie dies vielleicht auch ans dem Gutachten derselben bestätigt erhalten?— Rechtsanwalt Liebknecht : Ich muß diese Frage beanstanden. Wir sind schon einmal in der peinlichen Situation gewesen, daß ein Gut achter über die Persönlichkeit des andere» gehört wurde und hier soll nun wieder Medizinalrat Koenig über Dr. Pfleger in dessen Gegenwart ein Gutachten abgeben. Es ist wohl klar, daß wir dadurch kein klares Bild über die psychiatrische Fähigkeit des Dr. Pfleger erhalten. Vors.: Die Frage war verursacht worden durch den Wunsch des Verteidigers, über die Oualifikation des Dr. Pfleger aufgeklärt zu werden. R.-A. Liebknecht: Ich wollte es von Herrn Dr. Pfleger selbst hören. Vors.: Schön, es zeigt sich also, daß er eS für richtiger hält, darüber Herrn Dr. Pfleger selbst zu hören. Er scheint dadurch eine sicherere Grundlage gewinnen zu»vollen. R.-A. Liebknecht: Das habe ich ganz und gar nicht gesagt, der Borsitzende hat das in meine Worte hineingelegt, ich muß diese Bemersimg zurückweisen. Wedizinalrat Dr. Pfleger gibt an, daß er auch Psychiatrie studiert habe und im Gefängnis so viel Geisteskranke gesehen und begutachtet, auch so viel andere Gutachter studiert habe, daß er die geirügende Sachkenntnis vollauf zu besitzen glaube. Er sei kein SpezialPsychiater und mache auch gar keinen Anspruch darauf. R.-A. Dr. Liebknecht(zum Sachverständigen Dr. Koenig): Würde es Ihnen genügen, wenn Sie einen aufzunehmenden Ge- fangenen fragen, ob er gesund ist und dann bloß Herz und Lunge untersuchen? Dr. Koenig: Na, das ist sehr kurz. Herz und Lunge ist allerdings die Hauptsache.— V e r t.: Wäre es nicht ivünschenswert, namentlich wem« es sich um Jsolierhaft handelt, daß eine Untersuchung des Nervensystems stattfindet?— S a ch v e r st.: Wünschenswert wäre es allerdings.— Präs.: Aber auch durchaus erforderlich?— S a ch v e r st.: Welche Form soll die Untersuchung haben? Die wichtigsten Punkte des Nervensystems kann man ja, wenn man Routine hat, sehr rasch feststellen. R.-A. Liebknecht: Würden Sie diese Untersuchung nicht vor einer längeren Einsperrung in Jsolierhaft für notwendig halten?— S a ch v e r st.: Es ist so wünschenswert, daß ich es fast als erforder- lich erachte, aber ich würde nicht sagen, daß es ein ganz besonderer Fehler ist. wenn es nicht stattgestinden hat. R.»A. Dr. Liebknecht: Geheimer Rat Kirchner hat hier in einer der ersten Sitzungen als Postulat bcS Gefängniswesens hingestellt, daß die Gefangenen ebenso gesund aus dem Gefängnis hinauskommen, wie sie hineinkamen. Würde hierzu nicht«ine solche Untersuchung notwendig fein?— Sachverst. Koenig : Von diesem Standpunkte ans wäre' diese.Untersuchung erforderlich, sonst läßt dieser Standpunkt nicht durchführen.— P e r t.: Würden Sie es angängig erachten oder würden Sie nicht bedenklich werden. wenn einem Planne innerhalb 60 Tagen 72 Tage Arrest zudiktiert werden?— Sachverst.: Um dies definitiv zu beantworten, müßte ich den Mann selbst gesehen haben. V e r t.: Sie haben gehört, daß hier viele Beamte ihn für mittel- mäßig ernährt geschildert haben.— S a ch v e r st.: Wenn ich den Verlauf in Betracht ziehe, so würde ich ja sagen, daß es sich wohl enipfohlen hätte, einen geistig nicht ganz normalen Menschen früher aus dem Gefängnis herauszunehmen.— V e r t.: Halten Sie es denn für möglich, daß ein solcher Mensch eine solche Fülle schwerer Arreststrafen in fast ununterbrochener Folge durchmacht, ohne ver- rückt oder doch schwer krank zu werden?— S a ch v e r st.: Wenn er nicht prädisponiert ist, braucht er nicht verrückt zu werden.— Bert.: Auch nicht unter Berncksichtigniig der Einzelhaft unter Entziehung berf Kost?— Sachver st.: Er würde dadurch wohl körperlich krank werden können, aber nicht not- wendig geistig krank.— Bert.: Wenn ein nervös-leidcnder Mensch, wie Skläroff, 14 Tage Haftstrafe verbüßt hat und herauskommt aus dem Arrest, würde es nicht notwendig sein, den Mann dann genauer zu untersuchen?— Sachverst.: Ich persönlich würde eine genaue Untersuchung vornehmen.— Bert.: Ist nicht ein Arrest von 8 Tagen bei Wasser und Brot nütcinsamerEinsperrung gesundheitsgefährlich?— Sachve est.: Bei nicht sehr guter Konstitution liegt die Gefahr einer Ge- sundheitsschädigung ziemlich nahe. Ehe ichjemand in Arrest schicke, würde ich nur seine ganze Konstitution genauer ansehen.— R.-A. Liebknecht: Wenn jemand so zahlreiche schwere Arreststrafen erhält, müßte er doch wohl öfter ärztlich besucht und beobachtet werden?— Sachverst.: Ja.— Bert.: Jetzt hat infolge einer Ministerial- Verfügung eine solche Beobachtung in Zwischenräumen von je drei Tagen stattzufinden. Ist damit nicht ein Desiderat der ärztlichen Wissenschaft erfüllt?— S a ch v e r st.: Ja.— V e r t.: Würde es nicht nötig sein, einen Arrestanten, nachdem er die Arreststrafe verbüßt hat, zu untersuchen?— Sachverst.: Das wäre schon aus Wissenschaft- lichen Rücksichten wünschenswert. Nach der Verbüßung einer drei- wöchigen Arreststrafe würde ich es für geboten halten.— Bert.: Und wenn dann ein solcher Arrestant bald wieder vier Wochen Arrest aufgepackt erhält, würden Sie ihn nicht genau ansehen?— Sachverst.; Dann natürlich erst recht.— V e r t.: Ist es richtig. daß bei einer Kostschmälerung auch ein Rückgang der Körperwärme stattfindet und daß daher vom ärztlichen Standpunkte die Tencheratur in dem Aufenthaltsort der Arrestanten eigentlich höher sein müßte, da die Betreffenden mehr frieren als andere, und daß auch ihr Beklcidungsbedürstns größer ist?— Der Sachverständige bestätigt dies im allgemeinen. �— V e r t.: Sind Sie nicht der Meinung, daß die GefängniSarzte eine ganz spezifisch psychischeVorbildung haben müßten? Sachverständiger: Dieser Ansicht bin ich stets gewesen, sowie die meisten Psychiater. Die Frage, ob sich nicht viel geisteskranke Verbrecher in den Gefängnissen befinden, lehnt der Borsitzende ab und verweist auf den wiederholt angezogenen Gerichtsbeschluß, wonach nur solche Fragen zugelassen werden sollen, die ans den Einzelfall Bezug haben. — Rechtsanwalt Dr. Liebknecht erklärt, daß eine für die ganze Zeit der Verhandlung gültige Generalklansel, daß gewisse Fragen zuzulassen seien und gewisse Fragen nicht, nicht anerkannt werden könne.— R.-A. Dr. L ö w e n st e i n: Hält der Sachverständige Dr. Koenig es vom ärztlichen Standpunkte für an- gemessen, oder für unzulässig, einen Geisteskranken, der als solcher erkannt ist, noch längere Zeit im Lazarett zurückzubehalten? Skläroff ist noch einen Monat, nachdem er als irrsinnig erkannt worden, in der Anstalt geblieben, ehe er in die Irrenanstalt über geführt wurde.— Sachver st ändiger: Natürlich ist die schnellste Ueberführnng die beste; da Skläroff jedoch andernfalls, wie der Vorsitzende feststellt, ins Amtsgefängnis nach Tegel gebracht wäre, so war das Lazarett das kleinere Uebel. R.-A. Liebknecht: Es wäre vie&eicht auch möglich gewesen ihn schneller in eine Irrenanstalt zu bringen, als es die Bureau- kratie zuläßt. Staatsanwalt S ch ö n i a n macht darauf aufmerksam, daß die Kostentziehung bei der strengen Hast doch immer in bestimmten Tagen unterbrochen werde, an denen der Arrestant volle Kost be kommt. R.-A. Liebknecht: Wenn jemand vier Tage fast nichts be- kommen hat. kann er dann ohne weiteres alles vertragen, speziell die schwere Gefängniskost? Sachver st ändiger: Sehr häufig nicht. Beisitzer Landgerichtsrat Braun fragt Herrn Medizinalrat Dr. Koenig: Wenn nun Skläroff sein ganzes Leben nicht Herrn Dr. Pfleger oder Herrn Dr. Baer gesehen hätte, hätte er nicht schon in der Untersuchungshaft darüber verrückt werden können, daß er die Angst hatte: Du wirst sofort nach Berbüßung Deiner Strafe ausgewiesen und nach Rußland abgeschoben? Mcdizinalrat Dr. Koenig glaubt nicht, daß die bloße Angst diesen Effekt haben würde.— Auf eine weitere Frage, ob er nach dem Studium der Eberswalder Akten den Skläroff für unheilbar halten müsse, antwortet Medizinalrat Dr. Koenig: Nach dem, was hier vorgetragen ist, ist es mir unmöglich, die Krankheit des Skläroff für unheilbar zu erklären, denn sie ist als alute Paranoia estgestellt worden. Ich Vennute aber, daß sie unheilbar ist. Dr. Baer will über die Vorgänge bei der Aufnahme in Plötzensee Aufklärung geben, wird aber vom Vorsitzenden hieran ge hindert. Aus eine Frage von Rechtsanwalt Liebknecht , ob er die bloße Frage:»Sind Sie gesund?" mit darauf folgender Untersuchung von Herz und Lunge als genügend ansieht, schildert Dr. Baer eingehend, welche Fragen er bei einem zum erstenmal Konnnenden stellt, um sich ein Bild zu machen. Auch Dr. Pfleger mache es ebenso. Dieser bestätigt das, und bemerst u. a., daß er mangels einer Aufzeichnung bei jemand be- timmt sagen kann, derselbe hat vor der Einlieferung keine Krämpfe gehabt; denn diese Frage stelle er stets. Manchmal müss« er iber sich selbst lache», weil er immer dieselben stereotypen Fragen tellt. R.-A. Liebknecht bittet, die anwesenden Zeugen, die frühere Strafgefangene sind, im Anschluß hieran sofort darüber zu ver- nehmen, ob bei ihrer Aufnahme diese Fragen an sie gestellt seien. Der Vorfitzende läßt eine halbstündige Pause eintreten. Räch Mederanfnahme der Verhandlungen liest R.-A. Lieb knecht ans dem Buche von Dr. Baer„Die Hygiene des Gefängnis- Wesens" eine Stelle vor, in der erklärt wird, warum die aus den Strafanstalten in die Irrenhäuser gebrachten irren Verbrecher fast immer unheilbar und meist in Roheit und Bösartigkeit verwildert tnd.„Dies ist die Frucht der unseligen Behandlung, die vielen fieser Kranken durch Jahre hindurch zu teil wird." Vorsitzender stellt fest, daß Skläroff aus Eberswalde als gebessert entlassen ist. Sachverständiger Dr. K o e n i g vermutet, daß Skläroff unheilbar war, wenn er es auch nicht mit absoluter Gewißheit sagen kann. Die Zeugen, die R.-A. Liebknecht über die bei ihrer Auf- nähme an sie gerichteten Fragen vernomnien wünscht, werden zunächst aus dem Saal geschickt, und der Sachverständige der Anklage, Medizinalrat Dr. Lrppmann, vernommen. Aus seinen Darlegungen und Antworten auf eine Reihe von Fragen der Rechtsanwälte Dr. Liebknecht und Dr. Löwen- Ü e i n tatsächlicher und medizinischer Natur heben wir folgendes servor: Der Sachverständige schließt sich im allgemeinen den Aus- .ührungen des Medizinalrats Dr. Koenig an. Wenn er sich jetzt urückversetze in die ganze EntWickelung der Krankheit des Skläroff, a sei es niöglich, dag der Beginn der Krankheit schon ins Unter- uchmigsgefängnis verlegt werden müsse und daß die Fortsetzung dann im Lazarett vor sich gegangen ist. Solche.Krankheiten haben mitunter eine wellenförmige Bewegung und auch jemand, der eine genaue psychiatrische Erfahrung mitbringt, kann nicht immer zleich eine Geistesstörung erkennen. Es sei die Amiahme übrigens alsch. daß von Gefängnis zu Gefängnis keine Mitteilungen über gesundheitliche Fragen der Gefangenen erstattet werden. Der Ge- richtsarzt Dr. Puppe hat immer, wenn er irgend eine auffällige Erscheinung an dem betreffenden Untersuchungsgefangenen bemerkte, bestimmte Notizen bei dessen Ueberführnng'n das Gefängnis an den Rand der Asten geschrieben, wie z. B.„Achtung!".„Eigen- tiimlich".„Selbstmordversuch". Dann widme man sich einem olchen Manne speziell und doch könne ein solcher Mann manchmal für Einzelhaft sähig erklärt werden. Es sei also nicht leicht, selbst wenn solche Andeutungen vorliegen, zu sagen, der betreffende Mann sei geisteskrank. Einem so erfahreneu Manne wie Professor Dr. Puppe muß dach Skläroff harmlos erschienen sein. Zwecklose Arbeitsverweigerung komme in vielen Fällen vor, müsse aber durchaus nicht immer zu Zweifeln an der geistigen Gesundheit des Betreffenden Veranlassung geben, sondern könne auch dem Trotze entspringen. Diese Frage sei einmal von seinem Lehrer Krahne , wohl dem besten Kenner des Gefängniswesens, auf einem Kongreß behandelt worden. Es wurden damals Fälle mitgeteilt, � wo Leute— darunter auch ein geschulter Züchtling, also ein mehrfach Rückfälliger— aus reiner Wider- setzlichkeit die Arbeit verweigerten. Einen sicheren Schluß und' die dringende Vermutung, daß eS sich um Geisteskrankheit handele, Km« man aus der bloßen Tatsache der Arbeitsverweigerung nicht ziehen. Skläroff allerdings habe nach dem Zeugnis des Rabbiners Levy einen verschüchterten Eindruck genracht; aber dies sei vielleicht des- halb nicht besonders aufgefallen, weil russische Juden, die ins Ge- sängnis kommen, überhaupt fast stets einen sehr demütigen und weh- leidigen Eindruck machen. Auf die Vorhaltung, daß Skläroff sich zuerst frech betragen haben soll, erwiderte der Sachverständige,«s gäbe auch eine Frechheit aus Angst. Er glaube, daß die akute Paranoia erst im Lazarett zum Aus- bruch gekommen ist. Hinterher kann man natürlich viel leichter über die Eiitwickelung der Krankheit bei einen: psychisch- labilen In- dividuum sich ein Urteil bilden. Daß eine Pflichtwidrigkeit der Aerzte hier vorliege, könne nicht gesagt werden. Merken konnte man ein Symptom der späteren Geisteskrankheit vielleicht, aber daß man es merken mußte, glaubt er nicht. Wenn der Kollege Dr. Pfleger leine Bedenken gegen die Haftfähigkeit hatte, werde wohl der Eesamteindruck des Mannes ihn dazu veranlaßt haben. Man sei nicht genötigt, eine Fahrlässigkeit oder Pflicht- Widrigkeit anzunehmen. Wa§ die Arbeitsunfähigkeit nach einem Arrest betrifft, so sei eS damit grundverschieden. Er wisse, daß Leute, die 13 Tage Arrest gehabt haben, gleich wieder an der Bandsäge. also bei sehr schwerer Arbeit, ihr Pensum arbeiten, während andere so schlapp sind, daß sie nicht gleich wieder arbeiten können.— R.-A. Dr. Löwenstein: Ist es aber nicht doch wohl zu ver- langen, daß ein Plann, der drei Wochen Arrest abgemacht hat, auf seine Arbeitsfähigkeit hin erst imtersucht wird?— Sachver si.: Wünschenswert sei daS allerdings. Im allgemeinen werde man es dem Arzt überlassen müssen, pflichtmäßig selbst in dem einzelnen Falle sich über den Gesundheitszustand zu orientieren. Nach seiner Meinung wäre eS wünschenswert gewesen, nach Verbüßung einer Ärreststrafe die Arbeitsfähigkeit des Skl. festzustellen, sie wurde aber indirekt dadurch festgestellt, daß Skl. sofort die Arbeit wieder verweigerte und sofort wieder eine Arreststrafe zudiktiert erhielt, wobei dann seine Arrest- fähigkeit und damit also auch seine Arbeitsfähigkeit von neuem festgestellt wurde.— R.-A. L ö w e n st e i n: Mir scheint daS ein circulus vitiosus(fehlerhafter Zirkelschluß). Wenn er nicht Arrest bekam, lvar er arbeitsfähig, wenn er Arrest bekam, wurde er unter- sucht. Auf weitere Fragen erklärte der Sachverständige: Ein Ge- fangener habe das Maß ärztlicher Hülfe zu verlangen, wie ein Mann in der Freiheit, wenn er über etwas klagt. Eingehende psychiatrische Untersuchungen eines jeden Arrestanten seien unmöglich. Man könne eS nicht verallgemeinern, daß ein minderwertiger Mensch iHierhaiipt nicht in Arrest kommen dürfe; das müsse der Einzelfall und das pflichtgemäße Ermessen des Arztes entscheiden. Ueber Unter- suchuu» bei Antritt des Arrestes habe er keine Erfahrungen; nach Verbüßung einer langen Ärreststrafe sei eS im allgemeinen wünschens- wert, daß die Arbeitsfähigkeit geprüft werde. WaS die Frage der Widerstandsfähigkeit nervöser Personen be- treffe, so solle man dieselbe nicht unterschätzen. Vor 16 Jahren war die ganze Autorität Krahnes nötig, damit er als Neuling nicht häufig Widerspruch gegen die Vollstreckung von Arreststrafen erhob. Die Erfahrung hat ihn gelehrt, daß das Nervensystem nicht gar so labil und zerbrechlich ist. Angekl. K a l i s k i macht darauf aufmerksam, daß bei Arrest auch die Arbeitscntziehung als Strafe verwendet werde, und der Sachverständige gibt zu, daß der größte Teil der Gefangenen gerne arbeitet, die Arbeitsentziehung als ein Uebel empfindet. Es wird sodann der Sachverständige, Oberarzt der Provinzial- Heil- und Pflege-Anstalt zu Osnabrück , Dr. M ön cke möller, vernommen. Aus seinem Gutachten und seinen Antworten auf die an ihn gestellten Fragen geht folgendes hervor: Der ganze äußere Verlauf der Krankheit des Skläroff entsprach dem Bilde der akuten Gefängnispsychose. Die Heilaussichten find nach Aufzeichnungen der Anstalt Eberswalde ungünstig und es sei nicht unwahrscheinlich, daß die Krankheit schon am 27. September ILOO, als Skl. vom Medizinalrat Dr. Richter untersucht wurde, einen chronischen Charakter gehabt habe. Daß er als gebessert entlassen sei, besage nichts, da solch Attest fast jeder bekomme, um ihm nicht das Arbeitfinden zu erschweren. Selbst ein ausgebrochener Geiste?- kranker, erzählt der Vorsitzende, soll eS nachträglich erhalten haben, und der Sachverständige erklärt einen solchen Fall für nicht aus- geschlossen. Weiter führt er aus, es sei richtig, daß die Arbeit vielfach aus Faulheit, Frechheit und Ungehorsam ver- weigert werde, oft aber auch aus pathologischen Beweggründen. Ob solche bei Skläroff vorlagen, wisse er nicht, halte es aber immerhin für auffällig, daß ein Mann, der noch nicht vorbestraft War, seine Lage durch seine Weigerung fortgesetzt verschlechterte. Ein gewisser Verdacht müsse also auffteigen; daß die Behauptung Skläroffs,„andere hätten ihm gesagt, er solle nicht arbeiten", auf Sinnestäuschung beruhte, sei nicht ausgeschlosien, aber auch, wenn es nicht der Fall gewesen wäre, sei eS doch verdachtcrregend, daß Skl. den Reden Beachtung schenkte. Wenn die Arbeit in dieser Weise fort und fort verweigert wurde, dann würde er persönlich sich für verpflichtet gehalten haben, den Mann zu untersuchen, ob er auch ganz normal ist. Diese Berweigerung in Ver- bindung mit den verschiedenen anderen Momenten hätte wohl einen Verdacht erregen müssen. Eine Untersuchung des Nervensystems vor Antritt der Jsolierhaft würde er für erforderlich halten, wenn sie durchführbar wäre, das sei bei der starken Ueberlastung der Aerzte aber nicht der Fall. Eine psychiatrische Ausbildung der Gefängnisärzte halte er für wünschenswert. Psychisch labile Individuen können durch strenge Isolierungen und Kostverringerungen gesundheitlich sehr geschädigt iverden. Vor Antritt einer strengen Arreststtafe sei eine Unter- suchung wünschenswert. ebenso wäre es sehr zweck- mäßig, einen solchen Arrestanten öfter ärztlich zu besuchen und nach Verbüßung der Arrestsirasen auch eine psychische Untersuchung eintteten zu lassen. Der Gefängnisarzt könne die Ge- fangenen nicht in solchem Maße beurteilen, daß er allein zu einem sicheren psychiatrischen Gutachten kommen kann, auch das Warte- personal im Gefängnis könne sich nicht einen ausreichenden psychiatrischen Blick erwerben. Wann bei Skläroff die ersten Hallun- ziattonen aufgetreten sind, könne mit Bestimmtheit nicht gesagt werden. Wenn Skläroff. obgleich er solange im Arrest gesessen, dem Geist- lichen sagte, er arbeite nicht, weil er unschuldig verurteilt sei, und sich an der Gefängnisverwaltung rächen wolle, so sei dies jedenfalls eine ganz verschrobene Vorstellung. Die Unterernährung als diagnostisches Mittel zu gebrauchen, halte er für bedenklich.— Dr. Baer bekundet hierbel auf erneute Fragen noch einmal nachdrücklich, daß er Hungern zur Erkennung der Simulation von Geisteskrankheit nie angewandt habe, wohl aber, wenn er Simulation körperlicher Leiden vermutete.— Dr. M ö n ck e m ö l l e r meint. daß man ohne solche Mittel die Simulation erkennen könne, wie er denn über- Haupt die Simulationsriecherri stir eine große Gefahr für die Gefangenen halte und in Uebereinstimmung mit dem von Dr. L e p p m a n n in seiner Publikation:„Die Fürsorge für geisteskranke Strafgefangene" vertretenen Standpunkt die Simulation für ziemlich selten halte. Weiter erklärt der Sach- verständige noch, daß ein solcher Komplex von Symptomen, wie er hier vorlag, ihn wahrscheinlich veranlaßt haben würde, den Mann etwas schärfer zu beobachten. Die Verhandlung wird hierauf auf Montag um lsi/z Uhr vertagt. Letzte Nachrichten und Dcpcfchea Portin. 27. Mai.(28. T. B) Nachdem der Vesuv schon seit einigen Tagen lebhaft tätig gewesen war, ist heute abend 7 Uhr der westliche Teil des kleinen Kegels unter Auswurf einer großen Menge Lava eingestürzt, die in einer Stunde ungefähr einen Kilo- mcter weit bis zur BisiS des großen Kegele im Adrio della Cavallo floß. P»»»...-----•.•»» V- k V V- V-..-■------------ W,.—' Vi; n k L) i-» w--------- I'— U' Perantw. Red.: Franz Rehbein , Berlin . Jnjeratevergntw.(»sit Ausnahme Her. ReueWeU"-Beilage):TH.Glocke, Berlin . Druck u. Perlag: BsrwärtsBuchdr. u Perlag'anst.Paul Singer Sc Co., Berlin SV7. Hierzu Z Betlazen u. Unterhaltungsb l
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